Aktuelle Dermatologie 2012; 38(10): 393-396
DOI: 10.1055/s-0032-1309723
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Generalisierte Verrucae planae juveniles – Manifestation im Rahmen einer HIV-Infektion im Kindesalter

Generalized Verrucae planae juveniles – Manifestation in the Context of Childhood HIV-Infection
J. Schäfer
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt
,
R. Salgo
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt
,
F. Ochsendorf
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Julia Schäfer
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Klinikum der Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. Mai 2012 (online)

 

Zusammenfassung

Ein 11-jähriger Junge stellte sich aufgrund seit Jahren bestehender generalisierter asymptomatischer kleiner Papeln in unserer kinderdermatologischen Sprechstunde vor. Histologisch konnte die klinische Verdachtsdiagnose planer Viruswarzen bestätigt werden. Zugrundeliegend bestand bei unserem Patienten eine HIV-Infektion im Kindesalter. Auch unter suffizienter antiretroviraler Therapie zeigte sich keine Verbesserung des Hautbefundes. Die Therapie (multipler bzw. generalisierter) planer Warzen kann sich auch bei Immunkompetenten schwierig gestalten. Insbesondere bei HIV-infizierten Patienten kann sich ein therapierefraktärer Verlauf jedoch auch im Rahmen des sog. Immunrekonstitutionssyndroms präsentieren. Bei unserem Patienten besserte sich der Befund schließlich unter topischer Vitamin-A-Säure-Therapie.

Bisher gibt es trotz der vermutlich zunehmenden klinischen Relevanz nur wenige Berichte über die generalisierte Manifestation planer Warzen bei jugendlichen Patienten mit HIV-Infektion.


Abstract

An 11-year-old-boy presented with generalized asymptomatic papules, especially in the face and on the neck. The clinical diagnosis of plane warts was confirmed histologically. As an underlying disease an HIV-infection had been diagnosed already before the appearance of the warts. Despite highly active antiretroviral therapy there was no improvement of the cutaneous warts.

Therapy of cutaneous warts can be challenging and tedious in immunocompetent children, too. Particularly in patients with HIV-infection a protracted course can be a sign of an immune reconstitution-associated disease.


Einleitung

Verrucae planae (juveniles) sind flache Virusakanthome, die gehäuft bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Prädilektionsstelle ist der Kopf-Hals-Bereich, aber auch an Rumpf und Extremitäten können sich plane Viruswarzen manifestieren. Typischerweise finden sich zahlreiche, regellos verteilte, kleine flache Papeln, gelegentlich mit diskreter Hyperpigmentierung.

Viruswarzen durch humane Papillomviren (V. planae juveniles, sowie Verrucae vulgares) sind auch bei immunkompetenten Kindern ein häufiges und oft therapierefraktäres Problem. In der Regel kommt es bei Immunkompetenten jedoch nach monatelangem Verlauf zur Spontanheilung. Die Manifestation multipler oder generalisierter HPV-induzierter Warzen bei immunsupprimierten, insbesondere organtransplantierten oder HIV-positiven Erwachsenen ist dem Dermatologen gut bekannt. Seltener wird jedoch das Augenmerk auf die entsprechende Problematik im Kindes- und Jugendalter gelenkt.


Kasuistik

Anamnese

Bei Erstvorstellung wurde berichtet, dass der 11-jährige Patient äthiopischer Herkunft bereits seit ca. 6 Jahren zunehmend zahlreiche kleine symptomlose Knötchen, insbesondere im Gesicht und am Hals, entwickelt hatte. Aufgrund sprachlicher Barrieren war die Anamnese nur eingeschränkt möglich. Vorerkrankungen wurden zunächst verneint, jedoch wurde über die Einnahme von Tabletten seit ca. 3 Jahren berichtet. Im weiteren Verlauf konnte eruiert werden, dass es sich hierbei um eine orale antiretrovirale Therapie handelte (Lopinavir/Ritonavir).


Klinischer Befund

Hauttyp V. Am gesamten Integument unter Betonung von Gesicht, Hals und Rumpf fanden sich zahlreiche, regellos verteilte, überwiegend hypopigmentierte Papeln von 2 – 4 mm Durchmesser. Keine entzündliche Begleitreaktion ([Abb. 1], [Abb. 2], [Abb. 3]).

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Abb. 1 Multiple, überwiegend hypopigmentierte Papeln auf der Stirn …
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Abb. 2 … am Nacken und am oberen Rücken und …
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Abb. 3 … am Rumpf ventral.

Differenzialdiagnostisch wurden ein Lichen nitidus oder plane Warzen in Erwägung gezogen.



Diagnostik

Histopathologischer Befund

Probebiopsie vom Hals: Oberflächliche Parakeratose. In der akanthotischen, flach-verrukös konfigurierten Epidermis ist das Stratum granulosum sichtbar verbreitert. In der oberen Dermis mildes entzündliches Infiltrat ([Abb. 4], [Abb. 5]).

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Abb. 4 HE-Färbung (10-fach).
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Abb. 5 HE-Färbung (200-fach).

Interpretation: Verruca plana juvenilis.


Laborbefunde

HIV-Serologie: HIV-1 (M, O)-RNA: negativ (02/12), CD4-Zahl: 509/µl (01/12).



Therapie und Verlauf

Bei unserem jungen Patienten besteht eine HIV-Infektion im Kindesalter. Der genaue Infektionsweg ist unklar; vermutlich liegt eine vertikale neonatale Infektion vor.

Im Falle unseres Patienten bestanden die Viruswarzen anamnestisch bereits einige Jahre vor Initiierung der antiretroviralen Therapie. Eine Vortherapie der Warzen war nicht erfolgt. Es zeigte sich unter antiretroviraler Therapie (Lopinavir/Ritonavir bzw. Lamivudin/Zidovudin) jedoch keine wesentliche Veränderung des Hautbefundes.

Aufgrund des flächenhaften Befalls, insbesondere an exponierten Körperstellen, und auf Wunsch des Patienten wurde eine Therapie der Verrucae planae geplant; wir entschlossen uns zu einem Therapieversuch mit topischen Präparaten. Im Seitenvergleich kamen zunächst zum einen Imiquimod 5 % (3 ×/Woche) und zum andern Grünteeblätterextrakt (Veregen® 10 %, 3 ×/Tag) zur Anwendung (jeweils off label use). Hierunter zeigte sich jedoch nach 10 Wochen, trotz Steigerung der Anwendungsfrequenz (Imiquimod 5 ×/Woche), keine wesentliche Entzündungsreaktion. Die Therapie wurde daraufhin auf die topische Anwendung von Carbamid VAS® (Urea 12 %, Panthenol 1 % und Tretinoin 0,03 %) umgestellt. Da sich hierunter ein beginnender Rückgang der Warzen feststellen ließ, wurde schließlich eine Monotherapie mit topischen Retinoiden empfohlen (Tretinoin 0,05 %). Im Verlauf zeigte sich hierunter eine weitere Befundbesserung, sodass auf eine ebenfalls zu diskutierende systemische Retinoidtherapie verzichtet werden konnte. Die Viruslast liegt aktuell bei konsequenter Fortsetzung der antiretroviralen Therapie unter der Nachweisgrenze.


Diskussion

Es ist bekannt, dass Viruswarzen als opportunistische Infektion bei unbehandelten HIV-positiven Patienten auftreten können. Insbesondere bei Erwachsenen lässt die Manifestation zahlreicher Viruswarzen oder schwer ausgeprägter Verläufe anderer Infektionserkrankungen (z. B. Herpes zoster) an das Vorliegen einer bisher unentdeckten HIV-Infektion denken. Der Fokus der Forschung und der Fachliteratur hinsichtlich der durch humane Papillomviren verursachten Erkrankungen liegt im Allgemeinen auf der Genese und Therapie der genitalen HPV-Infektionen bei HIV-positiven Patienten und der daraus resultierenden Problematik der Kanzerogenese [1] [2].

Verrucae planae oder auch Verrucae vulgares können auch bei immunkompetenten Kindern und Jugendlichen, z. B. im Rahmen einer atopischen Dermatitis, in gehäufter Zahl imponieren und zeigen oftmals einen therapierefraktären Verlauf. Dennoch ist die seltene Manifestation im Rahmen einer kindlichen HIV-Infektion in Erwägung zu ziehen. In der aktuellen Literatur wurde darauf hingewiesen, dass gerade plane Warzen bei HIV-positiven Kindern häufiger als bei nicht-infizierten Kindern auftreten [3] [4]. Hu et al. beschrieben 2004 ein Halbbruderpaar, welches bei bestehender HIV-Infektion multiple Hautveränderungen entwickelt hatte, die in diesem Fall als Manifestation einer Epidermodysplasia verruciformis Lewandowsky-Lutz interpretiert worden waren [5]. Hier gibt es Überlappungen zur Diagnose der planen Warzen, sowohl was den klinischen als auch was den histologischen Befund anbelangt.

In jüngerer Zeit wird zunehmend über das Auftreten HPV-assoziierter Warzen im Rahmen einer HAART berichtet [6]. Dies wird als Manifestation des sog. Immunrekonstitutionssyndroms (engl. immune reconstitution-associated disease = IRAD) interpretiert. Darüber hinaus kann die Persistenz der Warzen auch unter HAART ebenfalls ein Hinweis auf das Vorliegen eines Immunrekonstitutionssyndroms sein.

Diese Manifestationsformen, d. h. das Neuauftreten zahlreicher Warzen unter HAART zum einen und zum anderen die Persistenz oder auch die Entzündung bereits vorbestehender Warzen unter HAART werden durch Meys et al. voneinander abgegrenzt [7].

Die Empfehlungen zur Therapie HPV-induzierter Warzen sind vielgestaltig und heterogen; es gibt wenig aussagekräftige Studien [8]. Beim Vorliegen planer Warzen werden neben der mechanischen Entfernung oder ablativen Lasertherapie und der Kryotherapie u. a. die topische Anwendung von 5-Fluoruracil, Salicylsäure, Imiquimod [9], Cidofovir [10] und auch Diphenylcyclopropenon (DPCP) vorgeschlagen [11] [12]. Imiquimod insbesondere ist als Therapieoption mittlerweile auch bei immunsupprimierten bzw. HIV-infizierten Patienten weit verbreitet, auch wenn die Therapie im off label use durchgeführt werden muss [13] [14]. Alternativ ist die topische und auch systemische Anwendung von Vitamin-A-Säure-Derivaten im off label use möglich [15] [16] [17]. Zur speziellen Fragestellung der Therapie planer Warzen bei HIV-positiven Kindern und Jugendlichen gibt es keine evidenzbasierten Publikationen.

Auch wenn bei unserem Patienten die HIV-Infektion bereits diagnostiziert worden war, möchten wir mit dieser Kasuistik das Bewusstsein für dieses Problem steigern und darauf hinweisen, insbesondere bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren (soziales Umfeld, Herkunftsland) bei jugendlichen Patienten mit multiplen oder generalisierten Verrucae planae an die Möglichkeit einer HIV-Infektion im Kindes- oder Jugendalter zu denken und topische Retinoide als Therapieoption in Betracht zu ziehen.



Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Julia Schäfer
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Klinikum der Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt


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Abb. 1 Multiple, überwiegend hypopigmentierte Papeln auf der Stirn …
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Abb. 2 … am Nacken und am oberen Rücken und …
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Abb. 3 … am Rumpf ventral.
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Abb. 4 HE-Färbung (10-fach).
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Abb. 5 HE-Färbung (200-fach).