Die Antwort unseres Experten
Grundsätzlich ja. Hintergrund der Frage ist natürlich, ob der Arbeitnehmer seinen
Anspruch auf Entgeltfortzahlung verliert oder sogar sein Arbeitsverhältnis riskiert,
wenn er trotz Krankschreibung ein Cafe besucht. Prinzipiell verpflichtet er sich dazu,
seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, der Arbeitgeber zahlt die vereinbarte
Vergütung. Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig und kann seinen Verpflichtungen nicht
mehr nachkommen, behält er laut Entgeltfortzahlungsgesetz seinen Entgeltanspruch.
Laut Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien gilt man als arbeitsunfähig, wenn man seine Tätigkeit
aufgrund von Krankheit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Krankheitsverschlimmerung
ausführen kann. Um die Arbeitsunfähigkeit beurteilen zu können, muss ein Arzt den
Versicherten zur Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen
befragen. Kann ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit nicht mehr ausführen, heißt das nicht
automatisch, dass er auch am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen kann.
Er darf also, wenn es sein Gesundheitszustand erlaubt, durchaus ein Cafe aufsuchen,
ins Theater oder ins Kino gehen. Selbstverständlich sind auch Spaziergänge möglich.
Ein Patient sollte aber den Arzt vorher danach fragen, um auszuschließen, dass der
beabsichtigte Theaterbesuch oder der Spaziergang die Genesung verzögert.
Im Arbeitsverhältnis hat die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
einen Beweiswert. Diesen kann der Arbeitgeber nur dann erschüttern, wenn er von Tatsachen
weiß, die ihn ernsthaft an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zweifeln lassen. Zum
Beispiel, wenn die Freizeitaktivität des Arbeitnehmers mit der Arbeitsunfähigkeit
unvereinbar ist. Bloße Besorgungs- oder Einkaufsgänge würden nicht dazuzählen. Auch
ein Cafe-Besuch ist in der Regel vereinbar. Sieht ein Arbeitgeber jedoch zum Beispiel
seine Sekretärin, die normalerweise den ganzen Tag sitzend arbeitet, trotz einer Knieverletzung
ständig im Cafe oder beim Einkaufen, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
erschüttern. Die Sekretärin riskiert dann die Entgeltfortzahlung. Kann der Arbeitgeber
beweisen, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit vortäuscht und/oder sie sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
erschlichen hat, indem sie ihre Tätigkeiten gegenüber dem Arzt falsch dargestellt
hat, kann er das Arbeitsverhältnis kündigen. In der Regel schätzen Ärzte die Arbeitsunfähigkeit
jedoch richtig ein, sodass diese Konsequenzen selten vorkommen.
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