Pneumologie 2012; 66(04): 205-206
DOI: 10.1055/s-0032-1308915
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tradition ist ...

Zum 65. Jahrestag der Gründung der Lungenklinik HeckeshornAbout Traditions ...The 65th Anniversary of the Respiratory Diseases Clinic „Heckeshorn“ (Chest-Hospital)
T. T. Bauer
1   Klinik für Pneumologie, Lungenklinik Heckeshorn, HELIOS Klinikum Emil von Behring, Berlin
,
D. Kaiser
2   Klinik für Thoraxchirurgie, Lungenklinik Heckeshorn, HELIOS Klinikum Emil von Behring, Berlin
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Torsten T. Bauer
HELIOS Klinikum Emil von Behring
Klinik für Pneumologie
Lungenklinik Heckeshorn
Walterhöferstr. 11, 14165 Berlin

Publication History

Publication Date:
04 April 2012 (online)

 
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    Prof. Dr. med. T. T. Bauer
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    Prof. Dr. med. D. Kaiser

    „Am 1. April 1947 wurde das »Städtische Tuberkulosekrankenhaus Heckeshorn« auf dem Gelände der ehemaligen Reichsluftschutzschule in Wannsee gegründet. Anlaß war die verheerende Tuberkuloseepidemie nach dem 2. Weltkrieg mit 65000 Tuberkulose-Erkrankten allein in Berlin. Die Ausstattung in den dafür nicht vorgesehenen Gebäuden und Baracken war zunächst äußerst behelfsmäßig mit amerikanischen Feldbetten, einem überalterten Röntgengerät und einem einzigen Pneumothorax-Apparat. Unter der Leitung von Karl Auersbach (1947 – 1963) und später Karl Ludwig Radenbach (1964 – 1983) entwickelte sich aber das ursprüngliche Hilfskrankenhaus mit der Einführung antibiotischer und operativer Behandlungsmethoden zunächst zu einem effektiven Tuberkulosekrankenhaus und dann weiter zu einer Spezialklinik für alle Lungenkrankheiten.

    Dies spiegelt sich auch in den Diagnosen der aufgenommenen Patienten wider: Kamen anfänglich nur Tuberkulosekranke zur stationären Behandlung, so waren es 1967 nur mehr die Hälfte der Patienten, 1986 sogar weniger als 10 %. Folgerichtig wurde daher die Klinik 1959 in »Städtische Klinik für Lungenkranke« bzw. 1970 in »Lungenklinik Heckeshorn« umbenannt. Die gesamte Palette diagnostischer und therapeutischer Verfahren, die für die Thoraxkrankheiten von Erwachsenen und Kindern inzwischen zur Verfügung steht, hat die Klinik heute zum Berliner Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie gemacht.“

    So begann das Editorial zum 40., 50. und 60. Jahrestag der Gründung der Lungenklinik Heckeshorn und so soll auch die Einleitung zum 65. Jahrestag beginnen. Tradition ist wichtig und „Wer seine Vergangenheit nicht kennt, ist gezwungen, sie zu wiederholen“ (George Santayana, 1863 – 1952). Dies gilt insbesondere für die Ursprünge der Klinik als Tuberkulosekrankenhaus. Schaut man auf die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland, so gehört die Tuberkulose hierzulande mittlerweile zu den seltenen Lungenerkrankungen und die Sterblichkeit – bei nachgewiesener Empfindlichkeit – ist nicht höher als bei einer ambulant erworbenen Pneumonie. Die Besonderheiten des Erregers mit geringer Replikations- und niedriger Eradikationsrate sowie der latenten Tuberkulose als „gesundheitswidriger Zustand“ schaffen ein Umfeld, in dem Krankheit und Gesundheit häufig schwer „auszusortieren“ sind. Betrifft dies dann auch noch Kinder, so wird die Lage noch unübersichtlicher. Knappik et al. haben versucht, diese Mischung aus elterlicher Sorge, Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und der Gesundheitsfürsorgepflicht aus klinischer Sicht wiederzugeben (s. Seite 207). Die Lungenklinik Heckeshorn betreibt seit 2008 wieder eine Station für Tuberkulosekranke und eine Ambulanz nach § 116b SGB V, um dieser umfassenden Aufgabe gerecht zu werden. Die Zusammenarbeit mit dem ÖGD ist eng und wird durch das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK e. V.) gefördert. Das DZK e. V. ist eng mit der Deutschen Gesellschaft und ihrer Sektion „Infektiologie und Tuberkulose“ verbunden und wird dies auch in Zukunft bleiben. Aber seine Rolle nach dem Umzug der Räumlichkeiten auf den Campus des HELIOS Klinikums Emil von Behring im April 2012 wird neu definiert werden müssen. Für andere „seltene Lungenerkrankungen“ wird händeringend nach einer Netzwerkstruktur zur Bündelung von klinischen und epidemiologischen Aktivitäten gesucht, die idealerweise noch mit der Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen sowie der behandelnden Ärzte verbunden ist. Für die Tuberkulose ist dieses Netzwerk bereits seit mehr als 100 Jahren als DZK e. V. bekannt und wird nach einigen Änderungen diese Aufgabe auch am Beginn des neuen Jahrtausends erfüllen. Facebook und Wikipedia sind somit nur der Beginn einer Umstrukturierung auf dem Weg vom Zentralkomitee zum „social network“ der Tuberkulose in Deutschland.

    Prof. Robert Loddenkemper (Ärztlicher Direktor: 2002 – 2006) schrieb in seinem Editorial zum 50. Jahrestag 1997: „Für 1998/99 wird zur Zeit die komplette Verlagerung der Lungenklinik Heckeshorn vom Standort am Wannsee in den Neubau des Behring-Krankenhauses innerhalb des Krankenhauses Zehlendorf geplant“. Bekanntlich dauern diese Prozesse in der Medizin immer länger als geplant, sodass der Umzug erst 10 Jahre später unter einer solventen Trägerstruktur (HELIOS Kliniken GmbH seit 2004 und Stiftung Oskar-Helene-Heim) im Jahre 2007 stattfand. Die Gründe hierfür hatten sich nicht geändert, denn die Neubildungen der Atmungsorgane, die Behandlung der Schlafapnoe und die Behandlung anderer Infektionen und Entzündungen der Atmungsorgane stehen im Vordergrund einer modernen Lungenklinik. In der Diagnostik spielen zunehmend radiologische und weiter hochtechnisierte Verfahren wie das PET-CT eine wichtige Rolle für die Tumordiagnose und Therapieplanung. S. Tönnies et al. (s. Seite 212) berichten in ihrer Arbeit über den Effekt des PET-CT auf die Stadiierung des Lungenkrebses („Will-Rogers-Phänomen“). Patienten, die mithilfe des PET-CT stadiiert wurden, zeigten im Vergleich ein deutlich längeres Überleben, was lediglich der Tatsache geschuldet ist, dass sie vorher in eine bessere Prognosegruppe eingeordnet worden wären, weil Metastasen nicht erkannt wurden. Die Zahl der möglichen „confounder“ zur Größenordnung dieses Effektes ist nahezu unbegrenzt und schließt Art und Ansprechen auf eine Chemotherapie mit ein. Unbestreitbar wird aber sein, dass der Vergleich einer PET-stadiierten mit einer konventionell stadiierten Kohorte nicht zulässig ist, da der beobachtete Unterschied ein Vielfaches von dem beträgt, was neue Therapien zur Zeit leisten müssen, um eine Zulassung zu erlangen.

    Die Stadiierung des Lungenkrebses dient der Epidemiologie und Therapieplanung und soll helfen, aus Kenntnis der Kohorte die beste Therapie für das Individuum zu finden. Die Stadiierungshinweise der Union for International Cancer Control (UICC) liegen nun in der 7. Revision vor. Aber chirurgische Daten für kontralateral pulmonal metastasierte nicht-kleinzellige Lungenkarzinome lagen zum Zeitpunkt der Revisionsempfehlung nicht in nennenswertem Umfang vor. M. Tönnies und Mitarbeiter fordern in ihrem Manuskript diese Klassifikation heraus (s. Seite 218). Die Entscheidung der Thoraxchirurgen der Lungenklinik Heckeshorn, unklare pulmonale metastasenverdächtige Befunde stets histologisch zu sichern, wurde seit 1997 umgesetzt und seit 2002 auch prospektiv dokumentiert. Die Auswertung zeigt, dass für ausgesuchte Patienten diese Entscheidung zu einer deutlich verbesserten Prognose führen kann.

    Das gute Zusammenspiel der einzelnen Disziplinen und die prospektive Dokumentation von Befunden und Therapien haben dazu geführt, dass die Lungenklinik Heckeshorn 2009 als Lungenkrebszentrum durch die Deutsche Krebsgesellschaft zertifiziert wurde. Hierzu gehört eine prospektive Datenbank, die regelmäßig mit dem Tumorzentrum abgeglichen und aktualisiert wird. Die Datenbank ermöglicht lokale Auswertungen des Krankengutes in Hinsicht auf initiale Stadien, Therapien und Verläufe. Blum und Mitarbeiter beschreiben die Aufgaben und Möglichkeiten einer solchen Tumordokumentation für die Verbesserung der Versorgung von Patienten mit Lungenkrebs in ihrem Übersichtsartikel (s. Seite 224). Die Datenbank wird zukünftig weitere wertvolle Information bezüglich der individualisierten Krebstherapie liefern, denn sie beinhaltet nicht nur prognoserelevante Informationen der Patienten, sondern auch die ihrer Tumoren.

    Wer Patienten mit Lungenkrebs behandeln möchte, muss der Tatsache gewahr sein, dass im klinischen Mittel 85 % der Patienten an dieser Erkrankung sterben. Die Hilflosigkeit des Arztes am Ende seiner Möglichkeiten wird durch die Integration der Palliativmedizin in die pneumologische Klinik deutlich vermindert. Die modernen palliativmedizinischen Methoden mit ihrem professionellen Blick auf die Fähigkeiten eines schwerkranken Patienten ermöglichen es, dem Patienten die beste Therapie zukommen zu lassen. Seit 2008 ist die Palliativmedizin ebenfalls fester Bestandteil der Lungenklinik Heckeshorn. Wiebke Nehls und Mitarbeiter tragen diesen Gedanken aber mit ihrer Fallbeschreibung eines Patienten mit einer nicht malignen Erkrankung auch in die anderen Bereiche der Pneumologie (s. Seite 231). Fasst man die Definition der palliativen Medizin noch weiter, so beginnt sie bereits bei der Diagnosestellung der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD), denn in Abwesenheit eines echten erkrankungsmodifizierenden Ansatzes lindern wir die Symptome, ohne den Patienten wirklich heilen zu können. Dieser Fallbericht soll die Diskussion um die Definition einer „Schnittstelle“ zwischen Pneumologie und Palliativmedizin bei nicht malignen Erkrankungen weiter anregen.

    Bis diese Diskussion für Patienten mit COPD flächendeckend Früchte trägt, wird einige Zeit vergehen. Die Alterspyramide fordert aber bereits jetzt alle Lungenkliniken zum Handeln auf. Ammenwerth und Mitarbeiter übertragen in ihrem Manuskript die Vorarbeiten aus der Geriatrie in die fachpneumologische Betreuung. Die geriatrische Frührehabilitation scheint auch bei Patienten mit COPD dazu beizutragen, dass eine strukturierte und damit bessere Versorgung dieser alten Patienten bereits jetzt stattfinden kann (s. Seite 235).

    Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass es in der Klinik Heckeshorn gelungen ist, die Definition von Thomas Morus (1478 – 1535) mit Leben zu füllen:

    „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“

    Prof. Dr. Torsten T. Bauer
    Chefarzt der Klinik für Pneumologie
    Lungenklinik Heckeshorn
    Leiter des Lungenkrebszentrums
    Generalsekretär DZK e. V.

    Prof. Dr. Dirk Kaiser
    Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie
    Lungenklinik Heckeshorn
    Leiter des Thoraxzentrums
    Ärztlicher Direktor HELIOS Klinikum Emil v. Behring


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    Wir danken dem Verein der Freunde der Lungenklinik Heckeshorn e. V. und der Stiftung Oskar-Helene-Heim für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag.


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    Prof. Dr. med. Torsten T. Bauer
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    Klinik für Pneumologie
    Lungenklinik Heckeshorn
    Walterhöferstr. 11, 14165 Berlin


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