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DOI: 10.1055/s-0032-1305124
Kurz und gut
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
04. September 2012 (online)

Ein langes Heft zum Thema Kurztherapie liegt nun hinter Ihnen. Die Herausgeber waren bei diesem Thema überrascht, dass nicht nur alle Einladungen, einen Beitrag zu schreiben, angenommen wurden, sondern dass die Beiträge in der Regel deutlich länger waren als ursprünglich erwartet. Offensichtlich ist Kurztherapie ein aktuelles Thema, zu dem es viel zu sagen gibt!
Der Einstieg in das Thema kam von Michael Broda, der über lange Erfahrungen in unterschiedlichen therapeutischen Settings verfügt und der ein Plädoyer für die Kurztherapie als Anleitung zum Selbstmanagement hält. Nach dem Motto „so wenig wie möglich, so viel wie unbedingt nötig“ schlägt er ein prozesshaftes Vorgehen mit jeweils minimalen Interventionen zum Erreichen vorher klar definierter Ziele vor. Positiv sind seine praktischen Erfahrungen mit einem solchen Vorgehen für die Patienten, kritisch merkt er allerdings an, dass die Versorgung möglichst vieler Patienten durch kurze Therapiedauern im gegenwärtigen Versorgungssystem nicht honoriert, sondern im Gegenteil sogar eher bestraft wird – sicherlich ein Beispiel für die Fehlsteuerung von Ressourcen in unserem Gesundheitssystem.
In ihrem Standpunktartikel aus psychoanalytischer Sicht widerspricht Marianne Leuzinger-Bohleber dem alten Psychoanalyseklischee „je länger, desto besser“ und weist darauf hin, dass auch in psychoanalytischen Praxen ein erheblicher Anteil an Kurzzeittherapien angeboten wird. Am Fallbeispiel einer schwer traumatisierten Patientin hält sie jedoch ein engagiertes Plädoyer für die Möglichkeit, auch Langzeitbehandlungen durchzuführen und weist auf die Risiken einer zu kurz angelegten Therapie hin.
Der dritte Standpunktartikel kommt aus der Psychotherapieforschung. Luisa Zaunmüller und Wolfgang Lutz stellen unterschiedliche Ansätze aus der Psychotherapieforschung dar, um die „ideale Therapiedauer“ zu bestimmen. Es zeigt sich, dass etwa 50–75 % des Behandlungserfolgs in den ersten 20–25 Sitzungen erzielt werden können. Dieser in Studien immer wieder bestätigte Wirkbereich spricht sehr für das deutsche Versorgungssystem: In den USA, wo die Therapiedauer inzwischen bei weniger als fünf Sitzungen liegt, konnten nur noch Verbesserungsraten von ca. 20 % erreicht werden – ein deutlicher Beleg dafür, dass bei der Unterdosierung von Psychotherapie deren Effekt schwindet. Viele Ansätze der Versorgungsforschung lassen aber nur Rückschlüsse auf eine Population von Patienten, nicht aber auf den Einzelverlauf, zu. Die Autoren plädieren deshalb für eine individuelle Betrachtungsweise, die auf einer routinemäßig durchgeführten, regelmäßigen Therapieevaluation basiert. Zentrales Element ist hierbei eine regelmäßige Rückmeldung des Therapieverlaufs an den Therapeuten, was sich im Rahmen des TK-Projektes bereits als gut praktikabel erwiesen hat.
Es folgen vier Artikel, die die Chancen und Grenzen der Kurzzeittherapie vom Standpunkt unterschiedlicher Therapieverfahren her darstellen: Luc Isebaert beschreibt die in Belgien gemachten Erfahrungen mit der gesundheitsorientierten kognitiven Therapie, einer Mischung aus kognitiver Verhaltenstherapie und der Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer. Bernhard Trenkle widmet sich der Hypnotherapie nach Milton Erickson, der zu den frühesten Verfechtern einer ausgesprochenen Kurztherapie gehört. Trenkle beschreibt in seinem Beitrag aber auch eine besondere Variante: die Langzeit-Kurztherapie, also wenige Sitzungen über große Zeitabstände verteilt. Auch im psychodynamischen Bereich sind inzwischen gut bewährte und evaluierte Konzepte zur Kurztherapie entwickelt worden, wie z. B. Fokaltherapie. Diese wird im Beitrag von Rudolf Lachauer dargestellt. Den Abschluss dieses Themenschwerpunktes bildet ein Beitrag von Manfred Vogt aus dem Norddeutschen Institut für Kurztherapie, der systemisch-lösungsfokussierte Strategien in der Therapie mit Paaren darstellt.
Kurztherapien sind schnell und flexibel einsetzbar, dies führt dazu, dass kreative Weiterentwicklungen für unterschiedliche Settings in großer Zahl vorliegen. Eine Auswahl davon wurde im folgenden Abschnitt unseres Themenheftes dargestellt: Ulrike Linke-Stillger beschreibt in ihrem Beitrag zur „unheimlichen Gestalt“ kurztherapeutisches Arbeiten mit katathymer imaginativer Psychotherapie. Stationäre Therapie ist zwangsläufig eher als Kurztherapie angelegt, Merkle et al. stellen dies am Beispiel interdisziplinärer multimodaler Schmerztherapie als Wendepunkt im Chronifizierungsprozess dar.
Psychoedukation als Einstieg in die Psychotherapie hat sich nicht nur in der kognitiven Verhaltenstherapie, sondern auch im psychodynamischen Bereich bewährt, um ein gemeinsames Krankheitskonzept zu erarbeiten und die Behandlungsmotivation zu stärken. Bei einigen Krankheitsbildern können psychoedukativ angelegte Gruppen auch als eigenständige Kurzzeitpsychotherapie angesehen werden. Einen solchen Ansatz beschreiben Roberto D’Amelio und Bernd Behrendt am Beispiel schizophrener Erkrankungen.
Eine besondere Herausforderung für die psychosomatische Medizin und Psychotherapie sind Störungen mit Bezug auf die Arbeitswelt. Dies nicht nur, weil das Thema „Burnout“ derzeit in aller Munde ist, sondern weil es uns immer noch nur unzureichend gelingt, schichtspezifische Barrieren zu überwinden und Angebote zu formulieren, die gerade auch für Arbeiter und Patienten mit einem anderen Bildungshintergrund adäquat sind. Umso erfreulicher ist der Beitrag von Michael Hölzer über psychosomatische Kurzzeittherapie in einem Industriebetrieb, sozusagen „aufsuchende Psychotherapie“, mit der es gelingt, auch Menschen, denen der Zugang zur Richtlinienpsychotherapie schwerfällt (z. B. Schichtarbeiter) ein passendes Behandlungsangebot zu machen.
Ein weiterer gesellschaftlicher Problembereich stellt die hohe psychische Belastung pflegender Angehöriger dar. Häufig fühlen diese sich so eingespannt, dass es ihnen nicht möglich erscheint, auch nur ein ambulantes Therapieangebot regelmäßig wahrzunehmen. Mathias Klasen et al. gelingt es, mit ihrem Psychotherapieangebot zu ihrer Zielgruppe durchzudringen – in diesem Fall mithilfe des Internets, das sich als Medium gerade für kurztherapeutische Ansätze eignet. Den Abschluss dieses Themenblocks bildet der Beitrag von Frank W. Paulus zur Kurzzeitpsychotherapie bei Kindern und Jugendlichen.
Wie dynamisch sich das Feld der Kurztherapie weiterentwickelt, zeigt sich auch darin, dass wir gleich drei Beiträge für die Rubrik „Forschung für die Praxis“ gewinnen konnten. Jochen Jordan und Christian Albus stellen eine störungsspezifische Kurzgruppentherapie für Patienten mit koronarer Herzerkrankung dar, die kognitiv-verhaltenstherapeutische und psychodynamische Aspekte miteinander verbindet. Aus versorgungspolitischem Aspekt ist hier besonders interessant, dass die Vorteile von Kurztherapie und Gruppentherapie miteinander verbunden werden, was angesichts knapper Ressourcen in der Psychokardiologie von besonderer Bedeutung ist.
Lahmann et al. beschreiben in ihrem Beitrag zur „PISO-Studie“ eine psychodynamisch interaktionelle Einzeltherapie bei somatoformen Störungen. Mit einer Dauer von nur zwölf Sitzungen soll sie eine Lücke zwischen psychosomatischer Grundversorgung und Richtlinienpsychotherapie schließen.
Was geschieht eigentlich zwischen den Sitzungen? Gerade in der Kurztherapie sollen die Patienten ja die entscheidenden Arbeiten zwischen den Sitzungen selbst erledigen. Ob dies geschieht, versuchen Armin Hartmann und Almut Zeeck in ihrem Beitrag zum „Intersession-Erleben“ und dessen Bedeutung für Prozess und Ergebnis der Psychotherapie darzustellen.
Den Abschluss unseres Themenschwerpunkts bilden zwei Interviews: Jürgen Margraf hat mit seinem 15-Stunden-Manual zur Panik eine der bekanntesten und erfolgreichsten Kurztherapieformen in Deutschland bereits vor über 20 Jahren entwickelt und bekannt gemacht. Er verfügt über zahlreiche internationale Erfahrungen und war viele Jahre Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates zur Psychotherapie. Insofern ist er ein idealer Gesprächspartner zur Frage der versorgungspolitischen Relevanz von Kurztherapie. Darüber hinaus verfügt er über umfangreiche eigene Erfahrungen als Psychotherapeut und wir sind sehr froh, dass wir ihn als Interviewpartner für dieses Heft gewinnen konnten. Es überrascht uns nicht, dass er ein engagierter Verfechter der Kurzzeittherapie ist.
Unser zweiter Interviewpartner, Alf Gerlach, ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, niedergelassener Psychoanalytiker und Lehranalytiker in Saarbrücken. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang des Heftes – ähnlich wie Marianne Leuzinger-Bohleber weist er darauf hin, dass sich die Psychoanalyse von einem reinen „drei Jahre drei oder vier Stunden pro Woche auf die Couch“-Vorgehen deutlich weiterentwickelt hat, die Mehrzahl der Patienten werden von ihm mit Kurztherapien betreut, auch wenn er auf die Möglichkeit der Langzeittherapie nach wie vor nicht verzichten möchte und diese nach wie vor mit gut ausgewählter differenzieller Indikation einsetzt. Auch Alf Gerlach verfügt über umfangreiche internationale Erfahrungen, sowohl durch die Nähe zu Frankreich als auch durch sein Engagement in der Ausbildung analytischer Therapeuten in China. Wir freuen uns sehr, dass auch er sich zu einem Interview bereit erklärte.
Wir werden beide Interviewpartner für die kommenden Hefte oder die PiD-Homepage bitten, zum jeweils anderen Interview Stellung zu nehmen, und hoffen, dass passend zum Namen unserer Zeitschrift ein Dialog entsteht. Insgesamt ist Kurztherapie sicherlich ein kontrovers diskutiertes und teilweise auch emotional beladenes Thema, und wir würden uns sehr freuen, wenn auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, in den Dialog einsteigen würden. Wir begrüßen die Kommentare und Zuschriften sehr und würden diese bei entsprechender Erlaubnis Ihrerseits gerne in den nächsten Heften bzw. auf unserer Homepage veröffentlichen.