Was vor einigen Jahren noch undenkbar schien, ist mittlerweile Realität und wird in
einigen
Kliniken Deutschlands schon heute praktiziert – der Einsatz von ausgebildeten
Rettungsassistenten als „Ersatz“ für Anästhesiepflegepersonal. Die Gründe hierfür
sind
vielfältig und werden nicht immer deutlich artikuliert. So ist sicherlich ein Mangel
an
pflegerischem Nachwuchs und Fachpflegepersonal für dieses Arbeitsfeld in vielen Kliniken
eine der Begründungen und gleichzeitig die Herausforderung, der sie sich stellen müssen.
Die
bestehenden Probleme werden durch das zunehmende Durchschnittsalter der Pflegenden
noch
verschärft. Doch wie soll in Zukunft die Betreuung der Patienten während der Narkose
und im
Aufwachraum bei gleichzeitig steigendem Bedarf an anästhesiologischen Leistungen auf
qualitativ hohem Niveau gewährleistet werden?
Kann hierfür eine ursprünglich für den präklinischen Einsatz ausgebildete Berufsgruppe
mit
Spezialisierung auf den außerklinischen Transport und mit deutlich anderen
Ausbildungsinhalten als Ersatz für Fachpflegepersonal eingesetzt werden? Setzen wir
nicht
auch ein falsches Signal an die Fachpflegenden, die sich für diesen Bereich bewusst
entschieden haben, indem wir ihnen damit zeigen, dass für dieses Arbeitsfeld auch
eine
geringere Qualifizierung ausreichend sein könnte?
Nehmen wir einen eventuell schleichend stattfindenden Qualitätsverlust in der Betreuung
der
operierten Patienten damit in Kauf oder löst die kurzfristige Aufstockung des Personalpools
mit Rettungsassistenten langfristig die Personalsorgen? Müssen wir uns in den Kliniken
nicht
vielmehr darum kümmern, die Arbeitszufriedenheit und die Wertschätzung des Pflegepersonals
zu erhöhen, damit junge Menschen wieder den Weg in diesen anspruchsvollen Aufgabenbereich
finden und ihn für sich als „Heimat“ deklarieren können?
Von daher, liebe Leserinnen und Leser, nehmen Sie Anteil an unserer Diskussion zu
diesem
Thema und teilen Sie uns Ihre Meinung per Mail an intensiv@thieme.de mit. Wir sind gespannt auf das Meinungsbild der
Pflegenden.
(Jean Kobben/Fotolia)
Prof. Dr. Michael Booke, MHBA; Kliniken des MTK, Bad Soden.
In deutschen OPs herrscht ein Mangel an Fachpflegekräften für Anästhesiologie und
Intensivmedizin. Die Ausbildung wird kaum noch angestrebt, nicht zuletzt, da ihr Abschluss
zu keiner nennenswerten Mehrvergütung führt – ein tarif- und berufspolitischer
Missstand!
Als Alternative erhält der Anästhesie-Technische Assistent (ATA) Einzug in den OP.
Es
besteht Konsens unter den Fachverbänden, dass der/die examinierte ATA den juristisch
und von
den Fachverbänden gefordertem „Fachpflege-Standard“ erfüllt, wohl wissend, dass der/die
ATA
selbst kein Fachpflegeexamen innehält.
Fachpflege und ATA werden aber nicht den Bedarf in deutschen OPs abdecken können.
Insofern
müssen weitere Alternativen gesucht werden:
-
Ausländische Fachpflegekräfte. Hier muss neben den Sprachschwierigkeiten bedacht
werden, dass die ausländische Fachausbildung oftmals weit hinter der unseren
zurückliegt.
-
Examinierte Pflegekräfte ohne Fachexamen. Sie sind vielerorts in der Anästhesie
eingesetzt und können auf Basis ihrer Berufserfahrung im Einzelfall Fachpflegestandard
erreichen. Aufgrund des Pflegemangels kann der Bedarf aus dieser Berufsgruppe jedoch
nicht gedeckt werden.
-
Arzthelfer/-innen. Mangels fachspezifischer Ausbildung kann von einer Wahrung des
Fachpflegestandards hier nicht ausgegangen werden.
-
Rettungsassistenten/-innen (RA). Sie sind am Arbeitsmarkt verfügbar, haben eine
fundierte Ausbildung in der Notfallmedizin genossen und sind die Zusammenarbeit mit
dem
Anästhesisten gewöhnt. Auch wenn diese positiven Grundvoraussetzungen per se nicht
die
Bedingungen des Fachpflegestandards erfüllen, so lohnt es sich, auf diesen aufzusatteln
und das Berufsbild des RA einmal näher zu beleuchten.
Insgesamt hat der RA 1.200 Stunden Ausbildung genossen, an die sich 1.600 Stunden
praktische Tätigkeit anschließen. Er kann Notfälle ad hoc beurteilen, dem Notarzt
fachkompetent zur Seite stehen, aber im Falle des rechtfertigenden Notstands auch
selbstständig vollumfänglich medizinisch tätig zu werden, von der eigenständigen
Medikamentenapplikation bis hin zu Intubation und Beatmung.
Für eine Tätigkeit im OP ist jedoch eine zusätzliche Weiterbildung notwendig. Entsprechende
Curricula werden inzwischen vielerorts angeboten.
Bleibt zu klären, ob damit der Fachpflegestandard eingehalten wird. Die Einhaltung
des
Fachpflegestandards im OP wird sowohl von der Deutschen Gesellschaft für Fachpflege
(DGF)
[1], als auch von der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und vom Berufsverband Deutscher Anästhesisten
(BDA) zu Recht gefordert [2]. Unter Fachpflegestandard
versteht man die Fachkompetenzen, die eine Pflegekraft nach Absolvierung der
Fachpflegeausbildung erworben hat. An den Fachpflegestandard ist somit nicht die konkret
abgeschlossene Ausbildung zum Fachpfleger gebunden, sondern lediglich die Erfüllung
der in
dieser Ausbildung vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten, unabhängig davon, in welchem
Ausbildungs-Curriculum diese Fertigkeiten vermittelt wurden. Somit können auch Mitarbeiter
anderer Berufsgruppen den Fachpflegestandard (zumindest in Teilbereichen) inhaltlich
erfüllen – auch speziell weitergebildete RA.
Ein weitergebildeter RA besitzt die notwendigen Kompetenzen, um bei der Durchführung
einer Anästhesie eine Fachpflegekraft zu ersetzen.
Der Fachpflegestandard ist zudem auch organisatorisch sicherzustellen, d.h. dass
„jedem kritisch oder akut erkrankten Patienten zu jedem Zeitpunkt eine Fachpflegekraft
zur
Verfügung stehen kann“ [1]. Dies impliziert, dass die
Fachpflegekraft nicht unmittelbar am Patienten sein muss, sie muss lediglich in kritischen
Situationen zu jedem Zeitpunkt verfügbar sein.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Durchführung einer Anästhesie mit einem
weitergebildeten RA ohne inhaltliche Missachtung des Fachpflegestandards möglich ist,
da er die hierfür notwendigen Kompetenzen besitzt. Für den Fall der unerwarteten
medizinischen Komplikation ist zudem organisatorisch sicherzustellen, dass stets eine
Fachpflegekraft hinzugezogen werden kann.
Bei Delegation anästhesiologischer Aufgaben muss sich der Anästhesist stets auch persönlich
von den fachlichen Qualitäten des Delegaten überzeugen. Ausbildungszertifikate sind
zwar
eine formale und organisatorische Mindestgrundlage, verlieren aber bei fehlender
kontinuierlicher Weiterbildung mit der Zeit an Wert. So gibt es weitergebildete RA,
die lang
gedienten Fachpflegekräften frappierend überlegen sind. Insofern sollte nicht nur
für Ärzte,
sondern für alle Berufsgruppen im OP eine kontinuierliche Weiterbildung gefordert
werden, um
die Wahrung des Fachpflegestandards nicht nur formal an Fachexamina oder prozentualen
Mindestbesetzungen dingfest machen zu können, sondern vor allem inhaltlich an Existenz
und
Umsetzung von aktuellem Fachwissen.
Martin G. Zinck; UKSH, Kiel.(Jean Kobben/Fotolia)
Die Aufgaben des Rettungsassistenten umfassen die Notfallversorgung von Patienten
bis zum
Eintreffen des Notarztes, Assistenz bei Maßnahmen des Arztes und eigenverantwortliche
Durchführung von Einsätzen, bei denen bis zum Eintreffen im Krankenhaus nicht die
Anwesenheit eines Arztes, aber eine qualifizierte Betreuung nötig ist. Auch das fachgerechte
Durchführen von Krankentransporten ist Aufgabe des Rettungsassistenten. Die Ausbildung
dauert in der Regel zwei Jahre und schließt mit einer Prüfung ab (Staatl. Geprüfter
Rettungsassistent; Quelle DRK). Rettungsassistenten betreuen z.B. Verunglückte bis
zum
Eintreffen eines Arztes zunächst selbstständig und in eigener Verantwortung, ohne
dass dies
durch ein Gesetz entsprechend abgesichert ist. Das beinhaltet das Anlegen von Venenzugängen,
Medikamentengaben und z.B. auch die Intubation. Insoweit ein sehr verantwortungsvoller
und
qualifizierter Beruf.
Im Gegensatz dazu bedarf es einer dreijährigen Ausbildung zur Erlangung der
Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpfleger/in. Die Verantwortlichkeiten sind
in einem
Gesetz geregelt. Zugangsvoraussetzung ist die Mittlere Reife bzw. vergleichbare
Abschlüsse.
Das umfassende Spektrum der Anästhesie, zumal in einem Haus der Maximalversorgung,
bedarf
meiner Meinung nach darüber hinaus der Fachweiterbildung, um diesen Erfordernissen
Rechnung
zu tragen. Zu komplex sind die Anforderungen hinsichtlich der zu betreuenden Patienten
und
der technischen Ausstattung einer Anästhesieabteilung heutigen Standards. Inzwischen
wird
auch in der Pflege von Rechtswegen die Fortbildung gefordert (Hamburg). Dies wird
sich mit
Sicherheit durchsetzen. Die verpflichtende Registrierung wird kommen und die Bestrebungen
zur Einführung einer Pflegekammer sind deutlich wahrnehmbar und zwingend erforderlich.
Bis
zum Abschluss der Fachweiterbildung vergehen minimal sieben Jahre. Damit kann sich
keine
andere Profession messen.
Insoweit sind die Anforderungen in der Anästhesie nicht mit denen in der Rettungsmedizin
vergleichbar und somit auch nicht gleichzusetzen. Beide Aufgabenstellungen haben ihre
eigenen spezifischen Anforderungen und ergänzen sich hinsichtlich der Patientenbetreuung.
Keinesfalls sind sie austauschbar.
Die Pflege, auch in der Anästhesie, hat eine eigene Kernkompetenz, die weder durch
technische Assistenten (ATA) noch durch andere Berufsgruppen im Umfeld der Anästhesie
bzw.
der Pflege vergleichbar erbracht werden kann. Die Entwicklung in der Medizin schreitet
außerordentlich schnell voran, die technischen Hilfsmittel werden weiter an Komplexität
zunehmen. Das bedarf einer hohen Professionalität, ständiger Fort- und Weiterbildung.
Keinesfalls darf eine Herabstufung der Zuggangsvoraussetzungen zum Pflegeberuf bzw.
ein
Untergraben der pflegerischen und fachpflegerischen Kernkompetenzen durch nicht vergleichbar
kompetente Berufsgruppen zugelassen werden.
Die Pflege hat eine eigene Kompetenz, die durch keine anderen Berufsgruppen im Umfeld
der Anästhesie bzw. der Pflege vergleichbar erbracht werden kann.
Gegenwärtig scheint insbesondere die Politik die Erfordernisse der Zeit wider besseres
Wissen zu übersehen. Die Weiterentwicklung der Pflege in ihrer ganzen Vielfalt wird
seitens
der Politik bewusst verschleppt bzw. ignoriert. Das Jahr der Pflege ist dafür ein
Musterbeispiel. Hier sind die Pflegenden selbst und die Berufs- und Fachverbände der
Pflege
gefragt, um unstimmige Entwicklungen aufzuzeigen und zu unterbinden. Der Einsatz von
Rettungsassistenten in der Anästhesie ist nicht zielführend und deshalb abzulehnen.
Unter
Kostengesichtspunkten die Kompetenzen zu vermindern, führt in die falsche Richtung
und birgt
in der Konsequenz die Gefahr einer schlechteren Versorgung unserer Patienten. Das
wäre ein
unzumutbarer Preis.
Schicken Sie uns Ihre Meinung zum Thema an intensiv@thieme.de. Wir sind gespannt auf Ihre Zuschriften!