Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2012; 19(01): 6-7
DOI: 10.1055/s-0032-1304711
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Empfehlungen zur medizinischen Beratung und Vorsorge – Arbeiten in normobarer oder hypobarer Hypoxie

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Publication Date:
20 February 2012 (online)

 

Küpper Th, Milledge JS, Hillebrandt D et al. Empfehlungen der Medizinischen Kommission der UIAA, Nr. 15, Arbeiten in Hypoxie. V2.13 vom Juli 2010; http://www.theuiaa.org/medical_advice.html

Thema: Noch vor einigen Jahren war das Thema "Arbeiten in Hypoxie" nur für eine sehr kleine Personengruppe relevant und kein Anwärter auf eine Empfehlung der UIAA (Union Internationale des Associations d’Alpinisme). Insbesondere 3 Entwicklungen haben dies geändert:

  • Zunahme der internationalen Geschäftsreisen: sowohl Häufigkeit als auch Dauer,

  • größere Verbreitung von Hypoxieräumen zur Vorakklimatisation für Expeditionen und

  • nicht zuletzt eine neue Technik aus dem industriellen Brandschutz: die kontrollierte Sauerstoffreduktion in geschlossenen Räumen auf 13–17 Vol.-% zur Brandvermeidung.

Projekt: Empfehlungen für die arbeitsmedizinische Beratung und Prävention von Personen, die beruflich normobarer oder hypobarer Hypoxie ausgesetzt sind.

Inhalte: Wesentlich für die Gefährdung sind Ausmaß der Hypoxie, Dauer der Exposition, etwaige körperliche Belastung durch Arbeit sowie Ausmaß der Vorakklimatisation. Daraus ergeben sich folgende Expositionskategorien:

  • Extrem kurze Exposition (Minuten bis Stunden)

  • Begrenzte Exposition (Tage bis Wochen)

  • Auswanderer (Jahre)

  • Höhenvölker (mehrere Generationen)

Die Schwerpunkte der Empfehlungen liegen auf der ersten Kategorie (Extrem kurze Exposition). Für diese entwickeln die Autoren ein Schema, das die Exposition in 4 Risikoklassen unterteilt. Als Abgrenzung ziehen sie die Äquivalenzhöhen von 1600, 2700 sowie 3800 m heran. Die Höhen entsprechen einem prozentualen Sauerstoffanteil (FiO2) von rund 0,17, 0,15 sowie 0,13.

  1. Klasse 1 (bis 1600 m, FiO2 0,17): Keine Gefährdung vorhanden, die neben der Unterweisung der Mitarbeiter weitere Maßnahmen notwendig macht.

  2. Klasse 2 (bis 2700 m, FiO2 0,15): Eigenreport des Mitarbeiters, um schwere Erkrankungen auszuschließen. Technische Untersuchungen sind nur erforderlich, wenn die Anamnese (Blutbild, Ergometrie, Spirometrie, Echokardiografie) eine Anämie oder Herzbeziehungsweise Lungenerkrankungen nicht ausschließen kann.

  3. Klasse 3 + 4 (über 2700 m, FiO2 unter 0,15): Blutbild, Ergometrie und Spirometrie sind verpflichtend.

  4. Klasse 4 (über 3800 m, FiO2 unter 0,13): Empfehlung einer ein- bis zweistündigen Probeexposition in einem Hypoxieraum.

Weiterhin erläutern die Autoren Kontraindikationen in Abhängigkeit von der Risikoklasse, schlagen ein Pausenregime vor und empfehlen Maßnahmen beim Auftreten von Beschwerden. Sie geben – abhängig von der körperlichen Belastung in Hypoxie – Werte für die notwendige Mindestbelastbarkeit in Watt an.

Für die Kategorie "Begrenzte Exposition" weisen die Autoren – zusätzlich zu den Hinweisen zur Kategorie "Extrem kurze Exposition" – auf das Risiko einer akuten Bergkrankheit (acute mountain sickness, AMS) hin. Kann keine ausreichende Akklimatisation durch eine langsame Steigerung der Schlafhöhe erfolgen, müssen Ärzte eine medikamentöse Prophylaxe in Erwägung ziehen. Die Mitarbeiter sollten über mögliche Symptome der höhenassoziierten Erkrankungen aufgeklärt werden und ein Rezept für eine Notfallmedikation erhalten, wenn vor Ort kein Arzt unmittelbar erreichbar ist.

Höhenassoziierte Pulmonale Hypertonie (HAPH) und chronische Bergkrankheit (chronical mountain sickness, CMS) sind Risiken für Mitarbeiter aus der Kategorie "Auswanderer". Sinnvoll seien für diese regelmäßig durchgeführte Echokardiografien.

Für Angehörige von Höhenvölkern sind die chronische Bergkrankheit und das "reentry pulmonary edema" nach Aufenthalten im Tiefland von mehr als einer Woche die relevanten Erkrankungen. Die Überwachung des roten Blutbilds beziehungsweise eine entsprechende Aufklärung sind sinnvoll.

Fazit: Arbeiten in normobarer oder hypobarer Hypoxie bedeuten für die Beschäftigten keine unzumutbare Gefährdung, wenn arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem aktuellen Stand der Höhenmedizin erfolgt.

Kommentar

Die Empfehlung gibt eine hervorragende Übersicht über den aktuellen Stand der Höhenmedizin für Personen, die sich mit der Frage des Einsatzes von Beschäftigten unter Hypoxiebedingungen beschäftigen müssen (Vorgesetzte, Mitarbeitervertretungen, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit). Die Inhalte sind aber natürlich genauso nützlich für die höhenmedizinische Beratung von Patienten, die sich aus privaten Gründen in hypoxische Umgebungen begeben.

Die Empfehlungen sind sinnvoll und gut nachvollziehbar nach Risiken gegliedert. Die Grafiken, Tabellen und Flussdiagramme vereinfachen die Anwendung auch für Personen, die mit der Thematik nicht vertraut sind. Erfahrene Betriebsärzte finden viele praxisorientierte Hinweise. Da jedoch auch Nichtmediziner explizit angesprochen sind, wünscht man sich an der einen oder anderen Stelle eine bessere Erläuterung der verwendeten medizinischen Fachbegriffe für diese Zielgruppe.

Verwunderlich ist, dass die Autoren in der Einleitung konstatieren, es habe zuvor noch keine Empfehlungen auf diesem Gebiet gegeben. Das ist zumindest für den deutschsprachigen Raum nicht richtig. Neben Publikationen der Unfallversicherungsträger und der staatlichen Arbeitsschutzbehörden (z. B. [ 1 ]) sind für Deutschland hier vor allem die Arbeiten der Gruppe um Angerer und Nowak (z. B. [ 2 ]) zu nennen.

Vorsicht ist bei der Anwendung der UIAA-Empfehlung insbesondere bei einem Punkt geboten, wo es leicht zu Kollisionen mit der aktuellen Rechtslage in Deutschland kommen kann: Ein Eigenreport des Mitarbeiters, in dem er seinen Vorgesetzten medizinische Details über sich mitteilen muss, widerspricht den geltenden und kommenden Regelungen zum Datenschutz von Beschäftigten. Die Fließbilder im Anhang 3 scheinen diesen falschen Weg vorzugeben, im Text ist jedoch dann wieder richtig von einer Einbeziehung des Arbeitsmediziners die Rede. An einer arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung führt kein Weg vorbei.

Solange aktuelle Regelungen und Empfehlungen durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung noch nicht veröffentlicht sind (womit allerdings in Kürze zu rechnen ist), ist es für den Anwender sinnvoll, die zum Schutz der Beschäftigten getroffenen Maßnahmen im Vorfeld mit dem zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und der für den Arbeitsschutz zuständigen staatlichen Behörde abzustimmen. Dies betrifft vor allem auch technische und organisatorische Schutzmaßnahmen, die nicht Inhalt der UIAA-Empfehlung sind.

Dr. Andreas Rickauer, Straubing

Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin

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(Bild: Photo Disc)

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  • Literatur

  • 1 Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit Ernährung und Verbraucherschutz. Handlungsanleitung für die Beurteilung von Arbeiten in sauerstoffreduzierter Athmosphäre für die Arbeitsschutzverwaltung der Länder. LV 38; München 2005
  • 2 Angerer P, Nowak D. Working in permanent hypoxia for fire protection-impact on health. Int Arch Occup Environ Health 2003; 76: 87-102

  • Literatur

  • 1 Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit Ernährung und Verbraucherschutz. Handlungsanleitung für die Beurteilung von Arbeiten in sauerstoffreduzierter Athmosphäre für die Arbeitsschutzverwaltung der Länder. LV 38; München 2005
  • 2 Angerer P, Nowak D. Working in permanent hypoxia for fire protection-impact on health. Int Arch Occup Environ Health 2003; 76: 87-102

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