Arzneimittelforschung 2011; 61(11): 655-658
DOI: 10.1055/s-0031-1300577
PMS-Symposium Innovative Therapies in Palliative Care
Editio Cantor Verlag Aulendorf (Germany)

Trauer und Trauerarbeit

Monika Müller
1   Hospizkoordinierungsstelle, ALPHA-Rheinland, Malteser Krankenhaus, Bonn
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Februar 2012 (online)

1. Lebens- und Sterbetrauer

Trauer ist ein komplexes und intensives emotionales, somatisches, kognitives und soziales Geschehen als Reaktion auf einen Verlust. Kulturelle Normen beeinflussen, wer als Trauernder überhaupt anerkannt und unterstützt wird und was in Trauerprozessen als erlaubt, erwünscht, gesund oder angemessen angesehen wird (Parkes et al. 1997, Doka 1999). Abschiede und die Trauer um Verlorenes, Vergangenes gehören zum Leben und sind – wenn wir mit offenen Augen sehen – Teil nahezu jeder Lebenssituation. In westlichen Gesellschaften wird dieses Wissen immer noch mit viel Energie überspielt oder übergangen, Trauerprozesse sind nicht gern gesehen, werden pathologisiert und als Störfaktor wahrgenommen (Müller und Schnegg 2004). Auch auf Palliativstationen und in hospizlichen Zusammenhängen können Trauerprozesse Irritationen und Verunsicherung bis hin zu Abwehr auslösen, denn die intensive Beschäftigung mit Sterblichkeit und Sterbeprozessen, wie sie in der palliativen Betreuung notwendig ist, führt nicht automatisch auch zu einer intensiven Beschäftigung mit und Akzeptanz von Trauerprozessen (Paul 2004, Stroebe et al. 1993). Die Unterstützung des Sterbens als Prozess des Verlierens und Verabschiedens hat sich eine hohe Akzeptanz und Professionalität erkämpft, während die Unterstützung des Trauerns als Prozess nach erfolgtem Verlust, nach dem Tod und in der Bewegungsrichtung nicht länger auf diesen Tod hin, sondern von ihm weg noch um einen selbstbewussten, gesellschaftlich anerkannten Status ringt.

Die Trauer Sterbender ist Teil des Sterbeprozesses, kann diesen erleichtern oder behindern, sie wird aber stets durch das Sterben selbst beendet. Trauerbegleitung bei Sterbenden geschieht mit einer sehr verkürzten Zeitperspektive, Interventionen müssen sich an dieser oft nur Stunden oder Tage zählenden Zeitperspektive orientieren (Lilie und Zwierlein 2004).

Angehörige erleben die schrittweisen Abschiede ihrer sterbenden Verwandten oder Freunde bereits als Zeit des Trauerns, die jedoch oft bis zum Ende durchmischt bleibt mit Hoffnung auf Gesundung. Antizipierende Trauer, die sich in Vorbereitung auf den Todesfall und Phantasien „Was wird sein, wenn” einstellt, kann den nachfolgenden Trauerpozess erleichtern – dies wird deutlich im Vergleich zu Trauerpozessen nach plötzlichen und unerwarteten Toden –, aber nicht vorwegnehmen oder abkürzen (Stroebe 1993).