Notfallmedizin up2date 2012; 7(1): 29-44
DOI: 10.1055/s-0031-1298245
Spezielle Notfallmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Versorgung von Brandverletzten

Jochen Gille
,
Hagen Fischer
,
Jan-Christoph Willms-Jones
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 March 2012 (online)

Preview
Kernaussagen

Verhalten am Notfallort. Am Notfallort besteht mitunter eine unklare Gefahrenlage. Bei der Rettung Brandverletzter ist unbedingt auf den Eigenschutz zu achten. Die Rettungsmaßnahmen müssen mit dem örtlichen Einsatzleiter koordiniert werden.

Sicherung der Vitalfunktionen. Der Verbrennungsschock ist ein hypovolämisch-kardiogener Schock, der sich zeitlich prolongiert manifestiert. Selbst Schwerbrandverletzte zeigen daher unmittelbar nach dem thermischen Trauma normotone Kreislaufverhältnisse. Eine initiale Hypotonie ist immer suspekt auf eine Begleitverletzung. Die oft beeindruckenden Lokalbefunde dürfen nicht von der primären Sicherung der Vitalfunktionen ablenken. Es gelten die grundsätzlichen Prinzipien der Notfallmedizin (ACB-Regel).

Wundbehandlung. Die Wundbehandlung am Notfallort muss äußerst zurückhaltend sein. Eine kurzzeitige, lokale Kühlung der Wunden (Leitungswasser, 15–20 °C) ist nur unmittelbar nach dem Trauma sinnvoll und daher als Maßnahme der Laienhilfe zu betrachten. In jedem Fall ist die Kühlung bei Verbrennungen mit über 10 % VKOF oder narkotisierten Patienten wegen Unterkühlungsgefahr kontraindiziert. Die verbrannten Areale deckt man mit sterilen oder keimarmen Verbänden ab und trifft Maßnahmen zum Wärmeerhalt (Wärmeschutzfolie). Spezielle Kühlsysteme sind nicht erforderlich. Zur Abschätzung des Verbrennungsausmaßes dient die Neuner-Regel nach Wallace bzw. die Handflächenformel.

Infusionstherapie. Periphere, möglichst 1–2 großlumige Zugänge kann man notfalls auch in frisch verbrannten Arealen anlegen. Die Infusionstherapie sollte so schnell wie möglich beginnen. Als Faustregel für schwerstverbrannte Erwachsene gilt eine Infusionsmenge von 0,5–1 l/h Kristalloid. Bei instabilen Kreislaufverhältnissen ist der Einsatz von Kolloiden und ggf. auch Katecholaminen möglich.

Atemwegsicherung, Analgosedierung. Die Mehrzahl der Brandverletzten bedarf keiner Intubation. Die Indikation muss individuell gestellt werden. Wegen der drohenden lokalen und generalisierten Ödembildung darf man bei ausgedehnten Verbrennungen (über 50 % VKOF) und bei tiefen Verbrennungen an Kopf und Hals den Zeitpunkt der Atemwegsicherung jedoch nicht verpassen. Bei der Narkoseführung besteht Methodenfreiheit. Für spontan atmende Patienten ist die titrierte Gabe von S-Ketamin in Kombination mit einem Benzodiazepin meist ausreichend.

Inhalationstrauma. Bis auf die Gabe von Sauerstoff gibt es keine spezifische Therapie beim Inhalationstrauma. Insbesondere die prophylaktische Gabe von Kortikoiden ist nicht indiziert. Bei schwerer Oxygenierungsstörung oder Bewusstseinstrübung ist die Intubation und Beatmung mit 100 % Sauerstoff erforderlich.

Verbrennungen bei Kindern. Besonderheiten des Kindesalters sind die Gefahr der raschen Auskühlung und der Entwicklung eines Schockes bei geringerem Verbrennungsausmaß. Maßnahmen zum Wärmeerhalt müssen daher besonders sorgfältig durchgeführt werden. Die Infusionstherapie wird kalkuliert mit 20 ml/kgKG/h. Thermische Verletzungen sind in bis zu 20 % der Fälle Folge einer Kindesmisshandlung. Entsprechende Hinweise sind der aufnehmenden Klinik mitzuteilen.

Stromverbrennungen. Der Schweregrad einer Stromverbrennung ist aufgrund der möglichen Beteiligung tieferer Strukturen anhand der verbrannten Körperoberfläche nicht sicher einzuschätzen. Begleitverletzungen durch Flucht- oder Abwehrbewegungen sind häufig. Eine kontinuierliche EKG-Überwachung ist während des Transports auch bei primär unauffälligen Patienten unbedingt notwendig.

Indikationen zur Verlegung in ein Brandverletztenzentrum. Die Indikation zur Verlegung in ein Brandverletztenzentrum ist großzügig zu stellen. Gesicherte Empfehlungen umfassen Verbrennungen III. Grades von mehr als 10 % VKOF, Verbrennungen durch elektrischen Strom, Inhalationstrauma, Verbrennungen II.–III. Grades unter Beteiligung des Gesichts, der Hände, Füße oder äußeren Genitalien, Verbrennungen bei Kleinkindern, älteren Patienten und Patienten mit schweren Vorerkrankungen oder Zusatzverletzungen (Polytrauma). Im Zweifelsfall sollte man mit dem nächstliegenden Verbrennungszentrum Kontakt aufnehmen und das weitere Vorgehen besprechen.