physiopraxis 2011; 9(11/12): 24-28
DOI: 10.1055/s-0031-1298039
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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25 November 2011 (online)

 

Schultergelenkschmerzen – Übungen mit MT ergänzen

Kombiniert man Übungen oder multimodale Physiotherapie mit Mobilisations- und Manipulationstechniken (MTT), hilft dies bei zahlreichen Beschwerden im Schulterbereich. Dies fanden James W. Brantingham und sein Team vom Cleveland Chiropractic College in Los Angeles, USA, in einem Review heraus.

Die Forscher schlossen 35 Studien ein und kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • > Bei einer Rotatorenmanschettenverletzung bringen Behandlungen, in denen Manipulationen mit Weichteiltechniken und Übungen kombiniert werden, bessere Ergebnisse als Manipulationen allein.

  • > Erhalten Patienten mit subacromialem Impingement eine multimodale Physiotherapie, haben sie größere Chancen, eine OP zu vermeiden als wenn sie Injektionen bekommen.

  • Schulterfunktionsstörungen mit Ruhe- und Bewegungsschmerzen verbessern sich durch MMT an der HWS, BWS und am Schultergürtel, sofern man sie mit Übungen oder multimodaler Physiotherapie verbindet. Fünf Studien liefern Hinweise darauf, dass schon allein die Behandlung der HWS, BWS und Rippengelenke mit MMT die Schulterbeschwerden verbessert.

  • > MMT kombiniert mit PNF verbessert das Bewegungsausmaß und die Schulterfunktion von Patienten mit einer Frozen Shoulder.

  • MMT mit Faszien- und Weichteiltechniken gekoppelt ist bei Störungen des Weichteilgewebes und Schmerzen im Schulterbereich kurzfristig effektiv.

Für die Wirksamkeit von MMT bei neurogenen Schmerzen und bei Arthrose fanden die Autoren nur unzureichende Beweise.

Obwohl eine multimodale Physiotherapie mit Übungen, Kräftigung, Dehnung und Weichteiltechniken als Standardbehandlung gilt, sollten laut James W. Brantingham und seinem Team bei der Behandlung von Schmerzen im Schulterbereich Mobilisations- und Manipulationstechniken nicht fehlen.

giro

J Manipulative Physiol Ther 2011; 34: 314-346


Chronische Nackenbeschwerden – Schmerzen aktivieren Antagonisten

Menschen mit chronischen Nackenschmerzen haben ein verändertes neuromuskuläres Aktivierungsmuster der HWS-Muskulatur: Die Mm. sternocleidomastoideus und splenius capitis zeigen eine deutlich erhöhte Kokontraktion. Zu diesem Ergebnis kamen Rene Lindstr0m und sein Team von der Aalborg-Universität, Dänemark.

Die Forscher schlossen 13 Frauen mit chronischen Nackenschmerzen und zehn gesunde in ihre Studie ein. Die Probandinnen saßen für die Tests in einem Gerät, das multidirektional die Kraft der Nackenmuskulatur maß. Zuerst flektierten und extendierten die Frauen ihre HWS unter visuellem Feedback und steigerten allmählich die dabei eingesetzte Kraft. Nach einer kurzen Pause sollten die Probandinnen ihre HWS gegenüber zirkulären Widerständen stabilisieren.

Im EMG zeigte sich, dass die Frauen mit Nackenschmerzen in allen Bewegungsrichtungen weniger Kraft einsetzten sowie ihre Muskelanspannung schlechter dosieren und steuern konnten als die Kontrollgruppe: Flektierten sie die HWS unter zunehmendem Krafteinsatz, hatte der M. splenius capitis eine erhöhte Aktivität. Stabilisierten die Probandinnen ihre HWS gegen zirkuläre Widerstände, arbeitete bei Extension der M. sternocleidomastoideus und bei Flexion der M. splenius capitis vermehrt. Die Anspannungsstärke des M. splenius capitis korrelierte positiv mit den Einschränkungen und Schmerzen der Patientinnen.

Da Patienten mit Nackenschmerzen oft schwache tiefe Halsflexoren haben, vermuten die Forscher in der Konkontraktion der oberflächlichen Synergisten einen Versuch des Körpers, die HWS zu stabilisieren.

giro

Man Ther 2011; 16: 80-86


Inkontinenz bei Schwangeren – Aerobic-Kurse helfen nicht

Beckenbodentraining, das in einem Aerobic-Kurs für Schwangere angeleitet wird, verbessert die Inkontinenz von Schwangeren und Wöchnerinnen nicht. Das ist das Ergebnis einer kontrollierten Studie von Kari Bo und ihrem Team von der norwegischen Schule für Sportwissenschaft in Oslo.

Die Forscher teilten 105 Erstgebärende per Zufall in zwei Gruppen ein: Die Teilnehmerinnen der ersten Gruppe nahmen drei Monate lang zwei bis drei Mal pro Woche an einem Aerobic-Kurs für Schwangere teil. Die Frauen führten innerhalb des einstündigen Kurses neben klassischen Aerobic-Elementen 15 Minuten spezielle Übungen zur Kräftigung des Beckenbodens durch. Wie sie den Beckenboden anspannen sollten, wurde ihnen nur allgemein erklärt. Die Vergleichsgruppe erhielt kein Aerobic-Programm. Kari Bo und ihr Team dokumentierten vor und nach der Trainingsphase der Schwangeren sowie sechs Wochen nach Entbindung, ob die Frauen unter Inkontinenz litten.

Die Teilnehmerinnen des Aerobic-Kurses, die inkontinent waren, berichteten anschließend, dass das Training ihre Inkontinenz nicht veränderte. Daher vermuten die Autoren, dass eine individuelle Anleitung der Beckenbodenspannung von entscheidender Bedeutung für die Therapie und Prophylaxe einer peripartalen Inkontinenz ist.

anka

Physiotherapy 2011; 97: 190-195

Kommentar

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Das Studiendesign weist deutliche Mängel auf. Die Kontrollgruppe absolvierte zwar kein Aerobic-Programm, ob sie jedoch völlig anwendungsfrei war, bleibt unerwähnt. Möglicherweise setzen die Forscher voraus, dass die Bezeichnung „Kontrollgruppe“ automatisch eine interventionsfreie Gruppe beschreibt - was per Definition auch korrekt wäre. Unklar ist auch, ob alle Gebärenden bereits während ihrer Schwangerschaft inkontinent waren. Als Einschlusskriterium war dies jedenfalls nicht gelistet. Weiterhin überprüften Kari Bo und ihr Team nicht, ob die Teilnehmerinnen zu Studienbeginn überhaupt ihren Beckenboden anspannen konnten. Dies kritisierten sie allerdings selbst an ihrer Studie. Aufgrund dieser Schwächen ist das Fazit somit mit Vorsicht zu betrachten.

Andrea Kaack,

Physiotherapeutin MSc aus Hamburg



LWS-Schmerzen – Strain-Counterstrain-Therapie effektlos

Die Strain-Counterstrain-Therapie (SCT) ist eine sanfte Methode zur Behandlung von muskuloskeletalen Schmerzen und Dysfunktionen. Über passive Lagerungen und die Behandlung von Spannungspunkten versucht der Therapeut, Einfluss auf die Probleme des Patienten zu nehmen. Cynan Lewis fand gemeinsam mit zwei Forscherinnen aus Queensland heraus, dass die SCT in der Behandlung von Menschen mit lumbalen Schmerzen keinen zusätzlichen Vorteil bringt.

Die Forscher teilten 89 Probanden mit akuten LWS -Schmerzen und mindestens vier vorhandenen Spannungspunkten inzwei Gruppen ein. Alle Patienten führten die gleichen Übungen durch: Sie aktivierten die tiefen abdominalen Stabilisatoren aus Seitlage, zogen alternierend die Knie zur Brust und rotierten den unteren Rumpf in Rückenlage. Die Patienten der ersten Gruppe erhielten zusätzlich viermal innerhalb von zwei Wochen die SCT.

Die Wissenschaftler bestimmten unter anderem denGrad der Behinderung, die Schmerzen und die Lebensqualität aor und nach der Behandlung sowie nach 6 und 28 Wochen. Dabei stellten sie fest, dass die Behandlung mit der SCT zu keinem Zeitpunkt signifikant effektiver war als Übungen alleine.

Zusammenfassend sehen die Autorinnen keinen kurz- oder mittelfristigen Nutzen, Behandlungsmethoden wie eine Schmerzmittelgabe, Beratung und Übungen zur Bewegungsverbesserung mit SCT zu kombinieren.

asba

J Physiother 2011; 57: 91-98


Trainingstherapie – Krafttraining stabilisiert nicht

Kräftigen Grundschüler ihre Beine an Trainingsgeräten, verbessern sich die Sprungkraft und Standfestigkeit nicht. Zu diesem Ergebnis kam ein deutschschweizerisches Forscherteam um Urs Granacher.

17 Grundschüler führten zehn Wochen lang ein Krafttraining mit hohen Intensitäten durch. Dabei trainierten sie zweimal pro Woche 90 Minuten lang mit 70-80 % der Maximalkraft. Gegenüber den 15 Grundschülern der interventionsfreien Kontrollgruppe nahm zwar die Maximalkraft der Beinmuskulatur zu, die Sprungkraft und posturale Kontrolle aber nicht. Die Autoren führen dies auf neuronale Faktoren zurück.

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Int J Sports Med 2011; 32: 357-364


Multiple Sklerose – Physiotherapie daheim bringt wenig

Aufgabenspezifische Physiotherapie in häuslicher Umgebung ist bei Patienten im mittleren bis schweren Stadium einer Multiplen Sklerose zwar besser als keine Therapie, hat jedoch nur einen geringen Effekt. Zu diesem Ergebnis gelangten Linda Miller und ihr Forscherteam von der Glasgow Caledonian University in Irvine, England, in einer randomisierten, kontrollierten Studie.

Die Wissenschaftler untersuchten, inwiefern ein zu Hause durchgeführtes physiotherapeutisches Programm die körperliche Schädigung, Behinderung und den psychischen Stress von Menschen mit mittlerer bis schwerer Multipler Sklerose beeinflussen kann. Sie schlossen jeweils 15 Patienten in eine Interventionsgruppe und Kontrollgruppe ein. Die Patienten der Interventionsgruppe erhielten zu Hause acht Wochen lang, zweimal wöchentlich eine einstündige physiotherapeutische Behandlung. Die Kontrollgruppe trainierte nicht. Das aufgabenspezifische Programm beinhaltete beispielsweise die Kräftigung der unteren und oberen Extremität mittels Theraband und Gewichten, Transfertraining vom Sitz zum Stand sowie Geh- und Gleichgewichtstraining. Die Forscher ermittelten zu Beginn und am Ende der Interventionen sowie nach weiteren acht Wochen unter anderem die Lebensqualität der Patienten, die funktionelle Unabhängigkeit, den Grad der neurologischen Schädigung sowie die Kraft der Beinmuskulatur.

Die Kraft der Kniegelenkmuskulatur und die Lebensqualität hatten sich bei den therapierten Patienten nach acht Wochen geringfügig verbessert. In der Kontrollgruppe, die keine Anwendungen bekam, verschlechterten sich hingegen der Grad der neurologischen Schädigung und die Lebensqualität.

Linda Miller und ihr Team schlussfolgern, dass die kurze Übungszeit, die geringe Teilnehmeranzahl sowie die Erkrankungsschwere größere Standardabweichungen verursacht haben könnten. Dies sei vermutlich dafür verantwortlich, dass nur eine geringe Effektivität von physiotherapeutischen Hausbehandlungen nachgewiesen werden konnte.

sgl

Clin Rehabil 2011; 25: 720-730


Spinalkanalstenose – Rauchen behindert Heilung

Werden Raucher wegen einer Spinalkanalstenose operiert, haben sie postoperativ schlechtere Ergebnisse als Nichtraucher. Dies war das Resultat einer Studie von Bengt Sanden und seinem Team von der Universität Uppsala.

Die Forscher nutzten Daten von 4.555 Patienten aus dem schwedischen Wirbelsäulenregister, die an einer lumbalen Spinalkanalstenose operiert worden waren. Sie konnten dabei auf Langzeitergebnisse von bis zu zwei Jahren nach Operation zurückgreifen. Zum Zeitpunkt der Operation waren 758 Patienten Raucher. Obwohl die Wissenschaftler in ihrer Auswertung berücksichtigten, dass die Raucher bereits schlechtere Ausgangswerte aufwiesen, hatten diese dennoch deutlich schlechtere postoperative Ergebnisse als die Nichtraucher: Sie waren unzufriedener, nahmen mehr Schmerzmittel ein, konnten ihre Arbeit später wiederaufnehmen und hatten eine geringere Lebensqualität.

asba

Spine 2011; 36: 1059-1064



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