? Welchen Stellenwert hat die Prophylaxe mit Antiinfektiva im Rahmen einer HSZT?
Von Bergwelt-Baildon: Nach der Stammzelltransplantation ist der Patient aufgrund der starken Immunsuppression
durch 2 Faktoren besonders gefährdet: Die Infektion mit opportunistischen Erregern
einerseits und den Rückfall der malignen Grunderkrankung andererseits. Die Bedrohung
durch opportunistische Erreger reicht von Viren über Bakterien bis hin zu Pilzen und
besteht vor allem in den ersten Wochen und Monaten nach der Stammzelltransplantation.
Je nach lokalem Protokoll werden dem Patienten mehrere Antiinfektiva prophylaktisch
verabreicht – zum Teil bis zu einem halben Jahr nach der Transplantation und länger.
? Warum ist in diesem Zusammenhang eine Prophylaxe von Pilzinfektionen besonders
wichtig?
Von Bergwelt-Baildon: Pilzinfektionen sind im Vergleich zu bakteriellen und viralen Infektionen zwar weniger
häufig, jedoch geht eine manifeste Pilzinfektion mit einer sehr hohen Mortalität einher.
Im ersten Monat nach der Stammzelltransplantation dominiert das Risiko einer Candida-Infektion,
ab dem zweiten Monat steigt vor allem die Gefahr einer pulmonalen Aspergillus-Infektion.
Besondere Risikofaktoren nach einer HSZT sind die Neutropenie, lange Vortherapien
des Patienten und die Gabe von Immunsuppressiva, insbesondere von Kortison. Lokale
Faktoren wie z. B. Umbaumaßnahmen im Krankenhaus können Aspergillus-Infektionen begünstigen.
? Wann sollte mit einer antifungalen Prophylaxe begonnen werden?
Von Bergwelt-Baildon: Hier gibt es keine allgemeingültigen Richtlinien. In unserem Zentrum favorisieren
wir den Beginn der Neutropenie als sinnvollen Einstiegszeitpunkt für eine antifungale
Prophylaxe bei einer allogenen Stammzelltransplantation. Bei der autologen Stammzelltransplantation
setzen wir eine antifungale Prophylaxe nicht regelhaft ein.
? Was muss ein Antimykotikum leisten, um für die Prophylaxe geeignet zu sein?
Von Bergwelt-Baildon: Ein Antimykotikum sollte Durchbruchmykosen möglichst zu 100 % verhindern, es muss
aber auch sicher und verträglich sein, also wenige und keine starken Nebenwirkungen
haben. Vor allem im Setting der Stammzelltransplantation sollte es möglichst wenige
Arzneimittelinteraktionen bewirken, weil diese Patienten meist sehr viele starke Medikamente
einnehmen müssen. Hier stellen häufig die Arzneimittelinteraktionen der Calcineurin-Inhibitoren
ein Gefährdungspotenzial für den Patienten dar.
? Wie lässt sich die Situation in klinischen Studien mit der im klinischen Alltag
vergleichen?
Von Bergwelt-Baildon: In klinischen Studien haben wir häufig ein homogeneres Patientengut mit klar definiertem
Setting, klaren Ein- und Ausschluss- sowie Abbruchkriterien. Diese Patienten werden
exzellent kontrolliert und begleitet. Im klinischen Alltag sehen wir häufiger weniger
klar definierte Situationen, die Patienten haben meist eine höhere Komorbidität als
in Studien. Und die Endpunkte werden dynamisch an die klinische Situation angepasst.
Im Zweifelsfall wird ein klinisch tätiger Arzt besonders auf Medikamente zurückgreifen,
mit denen er langjährig gute Erfahrungen gemacht hat.
? Welche Studien belegen den Stellenwert von Posaconazol und Micafungin?
Von Bergwelt-Baildion: Hinsichtlich des Stellenwertes von Posaconazol sind vor allem die Untersuchungen
der Arbeitsgruppe von Cornely [
1
] und Ullmann [
2
] zu nennen. Sie belegen einen prophylaktischen Effekt von Posaconazol bei Patienten
mit Erstdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie bzw. einer chronischen GvHD nach
Stammzelltransplantation. Die Studienlage hinsichtlich der Gabe von Micafungin bezieht
sich auf die Verhinderung von Candida-Infektionen. Hier sind insbesondere die Studien
von van Burik [
3
] und von der Arbeitsgruppe Hashino [
4
] zu erwähnen, die unterschiedliche Dosierungen von 50 mg bzw. 100 mg pro Tag verwenden
Diese Studien haben auch unseren Algorithmus in Köln beeinflusst. Eine Zulassung besteht
für 50 mg pro Tag.
? Welche Gründe machen aufgrund Ihrer Kölner Erfahrungen einen Wechsel von Posaconazol
zu Micafungin sinnvoll?
Von Bergwelt-Baildion: Bei uns werden die Patienten nach Aufnahme zur allogenen Stammzelltransplantation
mit Posaconazol behandelt. Es gibt aber mehrere klassische Szenarien, bei denen wir
frühzeitig auf eine intravenöse Therapie mit Micafungin umstellen. Dazu gehören die
schwere Mukositis und Faktoren, die dazu führen, dass die Patienten eine orale Medikation
nicht zu sich nehmen können, also z. B. Emesis und Schluckbeschwerden. Außerdem stellen
wir um bei Arzneimittel-Interaktionen, vor allem mit Calcineurin-Inhibitoren oder
Unverträglichkeiten, insbesondere bei hepatischer Toxizität.
? Sie haben bereits viele Patienten mit Micafungin prophylaktisch behandelt. Bitte
beschreiben Sie Patientengut, Switch-Szenarien und Ihre klinischen Resultate.
Von Bergwelt-Baildon: Bis jetzt haben wir rund 100 Patienten nach diesem Algorithmus behandelt. Das Patientengut
umfasst die gesamte Spannweite der Indikationen für eine allogene Stammzelltransplantation:
hämatologische Neoplasien wie akute Leukämien, chronische Leukämien, Non-Hodgkin-Lymphome
und benigne Erkrankungen wie z. B. aplastische Anämie oder PNH (paroxysmale nächtliche
Hämoglobinurie). Die Patienten waren zwischen 18 und 75 Jahre alt. Bisher ist unter
Micafungin keine invasive Durchbruchmykose aufgetreten. Die Verträglichkeit war in
der Regel gut. Bei 5 Patienten haben wir eine oberflächliche Pilzinfektion der Schleimhaut
beobachtet, die nach Hinzugabe eines oralen Antimykotikums aber schnell eradiziert
werden konnte.
? Wie sieht die Prophylaxe bei mykosegefährdeten Hochrisiko-Patienten aus?
Von Bergwelt-Baildon: Bei uns bekommt jeder Patient im Rahmen einer allogenen Stammzelltransplantation
eine antibakterielle, antivirale und antifungale Prophylaxe, wobei wir hinsichtlich
des individuellen Risikoprofils unterscheiden. Da heute die Verträglichkeit der antiinfektiven
Therapien besser ist als vor 10 Jahren, kann man die Indikation für einen prophylaktischen
Ansatz großzügiger stellen.
? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihren Erfahrungen, und was können Sie Ihren
Kollegen im Hinblick auf ihr Vorgehen empfehlen?
Von Bergwelt-Baildon: Aufgrund unserer Erfahrungen im Stammzelltransplantationsprogramm Köln/Bonn sind
wir mit dem oben genannten Algorithmus zufrieden, vor allem wegen der extrem niedrigen
Inzidenz von Durchbruchmykosen und der Möglichkeit, das Vorgehen je nach Toxizität
zu adaptieren. Die dynamische Kombination von Posaconazol und Micafungin hat sich
als sichere und gut handhabbare Therapiestrategie erwiesen. Daher sehen wir keinen
Anlass, unseren Therapie-Algorithmus derzeit zu modifizieren.