Diabetes aktuell 2011; 9(06): 246
DOI: 10.1055/s-0031-1295314
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bariatrische Chirurgie – Wenn Diabetologen gern Chirurgen wären

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Publication Date:
31 October 2011 (online)

 
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Die deutliche Zunahme von Adipositas und Typ-2-Diabetes in Deutschland erfordert die Intensivierung aller bekannten therapeutischen Maßnahmen. Neben den konservativen Therapien sollten hierzu auch Adipositas-chirurgische (= bariatrische) Operationen gehören, so der Konsens von Experten aus Diabetologie, Chirurgie und Ernährungsmedizin auf dem 16. Weltkongresses der IFSO, der vom 31. August bis 3. September in Hamburg stattfand [ 1 ]. Aktuell haben in Deutschland bariatrische Operationen nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht, so die Experten. Etwa 6000 Patienten werden hierzulande jährlich bariatrisch operiert. Nach Schätzungen von Prof. R. Weiner, Frankfurt, Chirurg und Kongresspräsident des IFSO 2011, kämen aber pro Jahr mehr als 20 000 für einen entsprechenden Eingriff in Frage.

Metabolische Chirurgie

Adipositaschirurgie ist zugleich auch Metabolische Chirurgie. Sie hat direkte Wirkungen auf den Stoffwechsel bei Typ-2-Diabetikern und das weitgehend unabhängig von der Gewichtsabnahme. L. Sjöström, Schweden, stellte teils noch unveröffentlichte 20 Jahres-Follow-up-Daten aus der SOS-(Swedish Obese Subjects)Studie vor. Von den insgesamt eingeschlossenen rund 4000 adipösen Patienten wurde eine Hälfte chirurgisch behandelt und die andere Hälfte blieb unbehandelt. In der Gruppe der Operierten war die Gesamtsterblichkeit nach 10 Jahren um 29 % verringert. Dieser Effekt sei zum Teil auf die deutlich stärkere Gewichtsabnahme bei den operierten Patienten zurückzuführen, so Sjöström. Die operierten Patienten verloren während der ersten 10 Jahre im Durchschnitt 19,2 kg, während die konservativ behandelten 1,3 kg zunahmen.

Mehr als 70 % der zuvor mit Insulin behandelten Diabetiker konnten ein Jahr nach der Operation auf Insulin verzichten. Nach 10 Jahren waren zwar viele Patienten zu einer Insulintherapie zurückgekehrt, aber immerhin noch bei der Hälfte konnte auch ohne Insulin eine gute Stoffwechsellage erreicht werden. All diese Ergebnisse werden Sjöström zufolge durch die kurz vor der Publikation stehenden 20-Jahresdaten bestätigt.


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Adipositas-Programm anerkannt

B. Schilling-Maßmann, niedergelassene Ernährungsmedizinerin aus Tecklenburg bei Münster, empfiehlt vor der Operation in der Regel eine konservative Behandlungsphase, bestehend aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstraining. Einen Großteil der Kosten hierfür mussten die Patienten bislang selbst übernehmen. Das wird sich nach Einschätzung von Schilling-Massmann ändern, denn im August 2011 hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK) erstmals bundesweit ein einjähriges, ambulantes, multimodales Adipositas-Programm anerkannt. DOC WEIGHT® könne künftig von den gesetzlichen Krankenversicherungen anteilig finanziert werden, so die Hoffnung der Ernährungsmedizinerin.


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Nachsorge muss finanziert werden

Auch nach der Operation benötigen die Patienten eine regelmäßige medizinische Betreuung, um den Behandlungserfolg zu sichern und die Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen aufrecht zu erhalten. Dazu Schilling-Massmann: "Der MDK macht eine gesicherte Nachsorge zur Voraussetzung für die Genehmigung der Operation – die gesetzliche Krankenkasse aber zahlt die dazu notwendigen Leistungen gar nicht oder nur unvollständig." In der Nachsorge sei insbesondere die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Diabetologen, Ernährungsmedizinern, Chirurgen und Hausärzten wichtig.


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Metabolische Effekte auch bei Patienten mit BMI unter 35

Oft erreichen Patienten mit Diabetes und Adipositas trotz konservativer Therapie keine zufriedenstellenden Ergebnisse, berichtete M. Blüher, Diabetologe aus Leipzig. Daher begrüße er die randomisierte Studie DiaSurg-2 der Universität Heidelberg, in der die Effekte der Chirurgie auf die Stoffwechsellage bei insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern mit einem BMI unter 35 kg/m² untersucht wird. Durch welche Mechanismen sich insbesondere unmittelbar nach Anlage eines Magen-bypass die Stoffwechsellage verbessert, sei nicht abschließend geklärt, so Blüher. Klar sei lediglich, dass die Ausschüttung gastrointestinaler Hormone verändert werde.


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Workshop Metabolische Chirurgie bei Typ-2-Diabetes

In einem ganztägigen Workshop wurden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt [ 2 ]. Im Fokus stand dabei das Phänomen, dass sich bereits unmittelbar nach Magenbypass-Operation eine Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage zeige, wohingegen nach Magenband eine solche Verbesserung erst nach Gewichtsreduktion auftrete.

Blüher beleuchtete die Bedeutung der Inflammation von viszeralem Fettgewebe auf hepatische und periphere Insulin-resistenz. Nach Magenbypass-Operationen komme es unter anderem zum Anstieg von Glucagon-like-peptid- (GLP) 1 und dadurch zu einer Verbesserung der Insulinresistenz.

Auch Gallensäuren haben Einfluss auf die Regulation von Energieverbrauch, Lipid- und Glukosestoffwechsel, so H. Lebovitz, USA. Die Gallensäurekonzentration im Serum erhöhe sich nach Magenbypass postprandial um ein vielfaches und korreliere stark mit dem postprandialen Anstieg von PYY und GLP-1 sowie mit dem Abfall der Plasma-Ghrelin-Konzentration.

G. Milthieux, Frankreich, beleuchtete die Rolle der intestinalen Glukoneogenese, welche durch die Wahrnehmung mittels Glukosesensor in der Pfortader in der Lage sei ein neuronales Signal zu initiieren, welches wiederum in vermehrter Sättigung und erhöhter Insulinsuppression in der Leber resultiere.

In der abschließenden Diskussion bestand Einigkeit, dass weitere Forschung nötig ist, um die Effekte bariatrischer Operationen besser verstehen zu lernen. Auch wurde die Erwartung geäußert, dass eines Tages der BMI als aktuell wichtigstes Kriterium für die Operationsindikation von solchen Kriterien abgelöst werden wird, welche auch die metabolischen Aspekte berücksichtigen.

Dr. med. Winfried Keuthage, Münster
Dr. med. Klaus Winckler, Frankfurt


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  • Quellen

  • 1 Pressekonferenz im Rahmen des 16. Weltkongresses der International Federation for Surgery of Obesity and Metabolic Disorders (IFSO) . am 31. August 2011 in Hamburg
  • 2 Post Graduate Course B "State of the art and clinical outcomes of metabolic operations in patients with type 2 diabetes mellitus". im Rahmen des 16. Weltkongress am 31. August 2011 in Hamburg

  • Quellen

  • 1 Pressekonferenz im Rahmen des 16. Weltkongresses der International Federation for Surgery of Obesity and Metabolic Disorders (IFSO) . am 31. August 2011 in Hamburg
  • 2 Post Graduate Course B "State of the art and clinical outcomes of metabolic operations in patients with type 2 diabetes mellitus". im Rahmen des 16. Weltkongress am 31. August 2011 in Hamburg

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