Welche Leserin und welcher Leser dieser Fachzeitschrift hat schon einmal aufrecht
sitzend in nicht verdrehter Haltung, die Oberarme dicht am Körper, mit aufgestützten,
angewinkelten Unterarmen einen 2. Molaren im Oberkiefer bukkal präpariert, dabei die
Füße stets flach auf dem Boden gehalten und den Kopf nur leicht gebeugt? Wer diese
Vorgaben jeden Tag bei jeder Behandlung hundertprozentig beherzigt, kann diesen Beitrag
überspringen. Alle anderen sind eingeladen, mit den folgenden Zeilen auf den aktuellen
Stand in puncto "dentale Ergonomie" zu kommen.
Elektronik braucht Innovation, wie zum Beispiel Beleuchtungssysteme mit einstellbarer
Farbtemperatur und "3-D-Achse".
Ergonomische Aspekte haben in der Regel keine Auswirkungen darauf, ob heute eine Präparation
gelingt. Nicht jetzt, sondern erst in Jahren oder Jahrzehnten spüren der Zahnarzt
oder die Zahnärztin die Folgen einer suboptimalen Haltung. So geben 64 % der Zahnärzte
Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule an, und 42 % klagen über haltungsbedingte
Kopfschmerzen [
1
]. Laut Statistik arbeiten 70– 75 % der Kollegen unter mehr oder weniger starken Schmerzen,
und immerhin 7,55 % werden während ihrer Lebensarbeitszeit berufsunfähig [
2
]. Dabei sind die orthopädischen Beschwerden vor allem auf die Nacken-, Schulter-
und die untere Rückenmuskulatur konzentriert [
1
]. Gerade weil Defizite sich nicht unmittelbar bemerkbar machen, ist das Wissen um
vorbeugende Maßnahmen so wichtig.
Immer mehr Komponenten sind zu integrieren
Immer mehr Komponenten sind zu integrieren
Wenn es um die Ergonomie in einer Zahnarztpraxis geht, steht die Behandlungseinheit
im Mittelpunkt. Dazu gibt es zunächst eine gute Nachricht: Die Weiterentwicklung erfolgt
in diesem Bereich evolutiv. Darum braucht sich niemand zu ängstigen, er habe womöglich
soeben eine sprunghafte Verbesserung verpasst.
Immer mehr Peripheriegeräte werden von vorne¬herein in zahnärztliche Behandlungseinheiten
integriert – zum Beispiel ein vollsterilisierbarer Mikromotor mit Drehmomentsteuerung
für Implantologen.
Ausgezeichnet mit dem Siegel der AGR: die KaVo ESTETICA E80 & E70.
Auch die erste Behandlungseinheit des Vaters, von dem man die Praxis übernommen hat,
wurde in der Regel bereits nach ergonomischen Gesichtspunkten gestaltet.
Eine Veränderung, die sich über die letzten Jahrzehnte vollzogen hat, sticht dennoch
unmittelbar ins Auge: Früher hatte man im Wesentlichen die reine Behandlungseinheit,
und dazu stellte man im Laufe der Zeit wenige Peripheriegeräte. Deren Anzahl ist heute
in der Regel viel größer, und so sollten die chirurgische Einheit, endodontische Geräte,
Monitore, Multimedia-Komponenten und vieles mehr gleich in ein ergonomisches Gesamtkonzept
integriert sein.
Wichtige Einzelheiten und die richtige Mischung
Wichtige Einzelheiten und die richtige Mischung
Die Basis sind ein Turbinenanschluss, 2 Motoren, das Zahnsteinentfernungsgerät und
die Multifunktionsspritze. Darüber hinaus kommen je nach den Praxis-Schwerpunkten
weitere Funktionseinheiten hinzu: zum Beispiel für den Implantologen die Kochsalzpumpe
und der vollsterilisierbare Mikromotor mit Drehmomentsteuerung. Und nicht zu vergessen
die diversen Kameras (Intraoral, Fluoreszenzanalytik, digitales Röntgen)! Moderne
Elektronik und Software machen die Integration technisch möglich. Aus ergonomischen
Gesichtspunkten ist darauf zu achten, dass der "Kabelsalat" drumherum nicht stört
und die Greifwege zu allen Geräten kurz ausfallen.
Neben der Hand- spielt selbstverständlich auch die Fußarbeit eine Rolle. Bewährt hat
sich dafür das Schwebestuhl-Konzept mit motorischer Horizontalverschiebung des Patientenstuhls.
Diese Kombination gewährt Behandler und Assistenz die maximale Beinfreiheit. Dabei
ist das Arztelement seitlich und oberhalb des Patienten angebracht. Optimalerweise
wählt man dazu einen funkgesteuerten Fußanlasser. Damit können Kabel komplett vermieden
werden.
Für die Höhe gilt: Die Sitzfläche sollte so tief wie möglich und auch so hoch wie
möglich eingestellt werden können. Das gewährt Anpassungsmöglichkeiten, wenn größere
und kleinere Behandler daran arbeiten sollen. Darüber hinaus erleichtert es den Patienten
den Einstieg. Selbst bei körperlichen Einschränkungen, wie zum Beispiel allgemein
bei Senioren oder speziell bei Hohlkreuz oder Rundrücken, findet sich dafür eine gute
Position. Dies ermöglicht die motorische Sitzbankanhebung (z. B. KaVo ESTETICA E80).
Auf ein Detail, das über Design und moderner Technik zuweilen vergessen wird, sollte
bei der Anschaffung einer Behandlungseinheit besonders geachtet werden: die Rückenlehne.
Kleinere Behandler wählen bevorzugt eine schmale Version; damit wird ein extremes
Herüberbeugen über den Patienten vermieden.
Eine unterschätzte ergonomische Bedeutung kommt der richtigen Beleuchtung zu. Die
zeitgemäße LED-Lampe sollte mindestens nach vorne und hinten schwenkbar sein, idealerweise
aber auch nach links und rechts ("3-D-Gelenk"). So lassen sich selbst schwer einsehbare
Bereiche gut ausleuchten, auch für die bukkale Präparation des besagten 2. Molaren
im Oberkiefer. Beim späteren Legen der Füllung darf die Wellenlänge nicht die Aushärtung
des Adhäsivs bzw. Komposits initiieren. Sonst verkürzt sich überraschend die Modellierzeit,
was dann zu hektischem Arbeiten und letztlich auch zu ergonomisch ungünstigen Bewegungen
führt. Die Farbtemperatur der LED-Lampe lässt sich bei modernen Geräten individuell
einstellen, auch auf Tageslicht ohne den früher einmal üblichen "Blaustich". Bei der
Bedienung ist aus ergonomischen Gesichtspunkten eine kontaktlose Sensorschaltung am
Leuchtenkopf wünschenswert.
Fazit: Linderung braucht Geduld, Vorbeugung Köpfchen
Fazit: Linderung braucht Geduld, Vorbeugung Köpfchen
Wer bei sich bereits einen hohen Muskeltonus feststellt (Musculus masseter und Musculus
temporalis), sollte einen Physiotherapeuten um Rat fragen. Sowohl die klassische als
auch die manuelle Therapie können helfen. Dabei gilt es, mit sich selbst Geduld zu
haben! Denn wie die Beschwerden sich über längere Zeit einschleichen, so wird auch
die Linderung erst nach Wochen oder Monaten spürbar – dann aber nachhaltig. Beim zusätzlichen
Ausgleichssport gilt im Allgemeinen: weniger Tennis, mehr Golf.
Zur Vorbeugung empfiehlt es sich aber insbesondere beim Erwerb einer Behandlungseinheit
die vorstehend aufgeführten Punkte zu beachten. Immerhin arbeitet der Zahnarzt bzw.
die Zahnärztin im Durchschnitt mindestens 7–8 h pro Tag daran – bei vielen ist es
sogar mehr. Neben der guten Nachricht, dass die Weiterentwicklung evolutiv erfolgt,
gibt es übrigens eine 2. positive zu vermelden: Unabhängige Institutionen bewerten
inzwischen Zahnarztstühle (z. B. AGR, Aktion Gesunder Rücken e. V.). Dabei gehen viele
Aspekte ein, denn gerade hier gilt: Jede Kleinigkeit und der richtige "Gesamt-Mix"
machen eine gute Behandlungseinheit aus. Erhält sie bei der externen Begutachtung
unterm Strich Top-Noten, sollte das zahnärztliche Team damit ergonomisch sicher im
grünen Bereich liegen.
Korrespondenzadresse
Marcel Meurer
dNA – dentale Nachrichten-Agentur GmbH
m.meurer@d-n-a.eu