Zwischen der Serumkonzentration des Bilirubins und dem Risiko für respiratorische
Erkrankungen wird ein inverser Zusammenhang vermutet, doch lagen zu diesem Aspekt
bisher keine aussagekräftigen epidemiologischen Studien vor. Diese Lücke haben L.
J. Horsfall et al. vom University College London nun geschlossen.
JAMA 2011; 305: 691-697
Um zu klären, welchen Einfluss der Serumbilirubin-Wert auf das Risiko hat, an COPD
bzw. Lungenkrebs zu erkranken, nutzten die Autoren der Longitudinalstudie ein englisches
Datenregister (The Health Improvement Network). Im Beobachtungszeitraum von 10 Jahren
wurde neben den COPD- und Lungenkrebsinzidenzen auch die Gesamtmortalität erfasst.
Bei allen insgesamt 504 206 erwachsenen Probanden lagen die Bilirubinwerte zu Studienbeginn
im Normbereich. Patienten mit krankhaft erhöhten Werten oder genetisch bedingten Bilirubinveränderungen
(z. B. Crigler-Najjar-Syndrom) wurden zur Studie nicht zugelassen.
Im Beobachtungszeitraum erkrankten 5863 Patienten an einer COPD, bei 1341 trat ein
Lungenkarzinom auf. Insgesamt wurden 23 103 Todesfälle registriert. Bei allen 3 Aspekten
zeigte sich eine deutliche inverse Korrelation zwischen Bilirubinwert im Serum und
dem entsprechenden Risiko. Nach statistischer Angleichung der gängigen Zusatzrisiken
(z. B. Gewicht, Nikotinabusus und sozialer Status) ergab sich: Mit jedem Anstieg des
Bilirubins im Serum um 0,1 mg/dl verminderte sich die Neuerkrankungsrate (Inzidenz)
für Lungenkarzinome im Beobachtungszeitraum für Männer um 8 % und für Frauen um 11
%. Bei der COPD führte die gleiche Veränderung zu einer geschlechtsunabhängigen Inzidenzabnahme
um 6 %. Ein Anstieg des Bilirubins in gleicher Größenordnung reduzierte die Mortalität
um 3 %, ebenfalls unabhängig vom Geschlecht.
Der inverse Zusammenhang zwischen dem Serumbilirubin-Spiegel und dem Risiko respiratorischer
Erkrankungen wurde mit dieser Studie erstmalig epidemiologisch gesichert und eröffnet
eine interessante therapeutische Perspektive. Die Autoren weisen darauf hin, dass
medikamentöse Konzepte zur Verfügung stehen, mit denen sich der Serumbilirubin-Spiegel
artifiziell anheben lässt - eine solche Intervention könnte genutzt werden, um bei
entsprechenden Patienten die Risikoausprägung zu minimieren.
Bilirubin wirkt aufgrund seiner chemischen Eigenschaften antioxidativ und zytoprotektiv.
Auch die im Bilirubinstoffwechsel involvierte Hämoxygenase hat einen antioxidativen
Effekt. Bisherige Studien weisen darauf hin, dass dies günstige respiratorische Folgen
hat. Hieraus abgeleitet wurde die Hypothese, dass ein leicht erhöhter Bilirubinwert,
über die vermehrte oxidative Potenz, das respiratorische Erkrankungsrisiko vermindern
könnte.
Dr. Horst Gross, Berlin