Einleitung
Chronische Erkrankungen der Atmungsorgane haben neben der Einschränkung der Lungenfunktion
vor allem auch körperliche, psychische und soziale Folgeeffekte [1]. Die COPD, die als Systemerkrankung zu verstehen ist, führt zu einer stetigen Abnahme
der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit und damit auch zu Auswirkungen auf das psychosoziale
Leben. Vor allem im Hinblick auf die Verrichtungen des täglichen Lebens benötigen
Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen Unterstützung. Einschränkungen beim Treppensteigen,
Tragen oder gar beim Gehen, psychische Krankheitsfolgen in Form von Angst, Depression
und sozialer Isolation prägen das Gesamtbild der chronischen Lungenerkrankungen. Psychische
Störungen wie Depressionen und Angstzustände sind bei Patienten mit COPD und anderen
chronischen Lungenerkrankungen häufig zu finden [5].
Der Therapieansatz bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen wie der COPD ist
multimodal [1]. Neben der Symptomlinderung und Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit durch
eine antiobstruktive medikamentöse Therapie zielt eine pneumologische Rehabilitation
insbesondere auch auf eine weitestgehende Wiederherstellung von Unabhängigkeit, Selbstvertrauen
und sozialer Teilhabe ab. Ambulanter Rehabilitationssport ist bei Patienten mit chronischen
Lungenerkrankungen nachweislich therapeutisch effektiv, sowohl was die Verbesserung
des somatischen als auch des psychischen Beschwerdebildes anbelangt [4]. Die Fortführung einer ambulanten oder stationären Rehabilitation durch eine Sport-
und Bewegungstherapie in Lungensportgruppen verbessert die Nachhaltigkeit der positiven
somatischen und psychischen Effekte und ist deshalb von elementarer therapeutischer
Relevanz [3].
Inwieweit und wie die chronische Lungenerkrankung Einfluss auf die „Lebensqualität“
der Partner/Angehörigen der Patienten nimmt und wie der Effekt von Lungensport aus
Sicht der Partner/Angehörigen beurteilt wird, ist bislang nicht systematisch untersucht
worden. Die vorliegende Studie dient der Beantwortung folgender Fragestellungen: 1. Wie
ist die Lebensqualität des Partners/Angehörigen des chronisch Erkrankten durch dessen
chronische Lungenerkrankung beeinträchtigt? 2. Wie schätzt der Partner/Angehörige
die Einflussnahme der Erkrankung auf den chronisch Erkrankten ein? 3. Wie schätzt
der Partner/Angehörige den Einfluss von Lungensport auf den chronisch Erkrankten ein?
Methode
Entwicklung des Fragebogens
Für diese Pilotstudie wurde ein Fragebogen für die Angehörigen von chronisch Lungenerkrankten
konzipiert. Entwickelt wurde dieser von Experten, bestehend aus einer Gruppe von Ärzten,
Psychologen, Sporttherapeuten und Statistikern. So wurde zunächst eine erste Version
entwickelt, die anschließend in einem Probelauf bezüglich ihrer Verständlichkeit für
Studienteilnehmer getestet wurde. Im weiteren Verlauf wurde dann der endgültige optimierte
Fragebogen erstellt. Dieser besteht aus 18 Fragen und bezieht sich inhaltlich auf
die Lebensqualität der Erkrankten, deren Krankheitsverständnis bzw. Umgang mit der
Erkrankung, mögliche Persönlichkeitsveränderungen, Einschränkungen im sozialen Leben,
den Einfluss der Krankheit auf die Lebenspartner sowie auch speziell den Einfluss
der Lungensportteilnahme auf den Betroffenen und den Partner. Die Antworten sollten
zum einen nach dem Multiple-Choice-System gegeben werden, zum anderen waren den Studienteilnehmern
visuelle Analogskalen mit 9 Markierungen (Striche), deren Extrempunkte jeweils Benennungen
trugen (sehr schlecht – sehr gut, deutliche Verschlechterung – deutliche Verbesserung,
gar nicht – sehr stark usw.) vorgegeben. Auf diesen Analogskalen sollte jeweils der
am ehesten zutreffende Punkt ausgewählt werden.
Auswahl des Kollektivs
Das Studienkollektiv setzt sich aus Partnern/Angehörigen von Teilnehmern der Lungensportgruppe
eines ortsansässigen Sportvereins mit Gesundheitssportabteilung zusammen. Die Patienten
und deren Partner/Angehörige besuchen jährlich 4 bis 5 Weiterbildungsveranstaltungen
der Selbsthilfegruppe der Patientenliga Atemwegserkrankungen und haben demzufolge
ein sehr hohes Wissensniveau. Die Schulungs- und Weiterbildungsveranstaltungen werden
überwiegend von ärztlichem Personal durchgeführt.
Statistische Analyse
Zur Kollektivbeschreibung und zur Einschätzungsdarstellung auf den visuellen Analogskalen
wurden Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet. Zusammenhänge zwischen Angaben
der Angehörigen wurden mittels Spearman Rang-Korrelationskoeffizienten analysiert
und als bedeutsam angesehen, wenn die vereinbarte Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0,05
(zweiseitig) unterschritten wurde.
Ergebnisse
Beschreibung des Kollektivs
Von 25 befragten Partnern/Angehörigen der Patienten waren 14 Frauen und 11 Männer.
Die anthropometrischen Daten der Patienten, die Diagnosen sowie die Einteilung der
COPD-Schweregrade sind [Tab. 1] zu entnehmen. Die Patienten nehmen am Lungensport seit mindestens drei Jahren teil.
Tab. 1
Anthropometrische Daten der Patienten.
Patienten (n = 25)
|
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MW ± SD
|
Alter
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66,8 ± 9,2
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Größe
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166 ± 8
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Gewicht
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73,5 ± 12,9
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BMI
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26,5 ± 4,2
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FEV1
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62,7± 22,3
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Anzahl
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männlich
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14
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weiblich
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11
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COPD II
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15
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COPD III
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4
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COPD IV
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4
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Lungenfibrose
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2
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BMI: Body-Mass-Index; FEV1: Einsekundenkapazität
Einfluss der chronischen Lungenerkrankung auf den gesunden Lebenspartner
Einfluss der chronischen Lungenerkrankung auf den gesunden Lebenspartner
Im Durchschnitt fühlen sich die befragten Personen über die Krankheit ihres Partners
gut informiert mit einem Mittelwert und einer Standardabweichung (MW ± SD) von 6,96 ± 1,03
auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 9 (sehr gut). Die chronische Erkrankung
zeigt keine wesentliche Auswirkung auf die Beziehung zum Patienten, führt aber zu
einer geringen numerischen Verschlechterung des Soziallebens ([Abb. 1]). So konnte bei Betrachtung der Auswirkung der chronischen Erkrankung auf das Sozialleben
der Befragten auf einer Skala von 0 (Sozialleben deutlich verschlechtert) bis 9 (deutliche
Verbesserung) ein MW von 3,88 ± 1,83 beobachtet werden. Die Beziehung des Befragten
zum kranken Lebenspartner wird im Mittel durch die Krankheit praktisch nicht oder
wenig beeinflusst (MW 4,54 ± 1), das gleiche gilt für den Schlaf der Befragten (MW
4,8 ± 1,28).
Abb. 1 Auswirkungen der Krankheit auf den gesunden Partner.
Zwischen Veränderungen der Beziehung zum Patienten und dem sozialen Leben besteht
ein bedeutsamer positiver Zusammenhang (r = 0,425; p < 0,05). Dies bedeutet, dass
die Erkrankung des Partners als jeweils in die gleiche Richtung wirkend eingeschätzt
wird: Eine verschlechterte Beziehung zum chronisch Erkrankten geht mit einem verschlechterten
sozialen Leben, eine verbesserte Beziehung mit einer Verbesserung der Kontakte zu
Freunden und Bekannten einher. [Abb. 2] zeigt, dass die gesunden Lebenspartner den Erkrankten im täglichen Leben in moderatem
Umfang Hilfestellung leisten müssen, hierbei beträgt der MW 4,1 ± 1,98 auf einer Skala
von 0 (gar nicht) bis 9 (sehr stark). Auch das Leiden der Gesunden unter der Erkrankung
des Lebenspartners ist erkennbar (MW 4,25 ± 1,89), es wird als moderat eingeschätzt.
Abb. 2 Einfluss der Krankheit auf den Befragten.
Je stärker die Befragten unter der Erkrankung des Partners leiden, desto eher wird
eine Verschlechterung des sozialen Lebens berichtet (r = − 0,6; p < 0,05). Auch bei
gesteigerter Notwendigkeit für Hilfestellungen wird eine Beeinträchtigung des sozialen
Lebens des Befragten (r = − 0,44; p < 0,05) berichtet.
Einflüsse der chronischen Lungenerkrankung auf den Erkrankten
Einflüsse der chronischen Lungenerkrankung auf den Erkrankten
Die Befragten wurden gebeten, Fragen zur Persönlichkeitsveränderung, zur allgemeinen
Stimmung, zum Umgang des chronisch Erkrankten mit der Krankheit und zur Einschränkung
dessen körperlicher Leistungsfähigkeit zu beantworten. Eine moderate Änderung der
Persönlichkeit seit Beginn der Krankheit wird berichtet (MW 4,1 ± 2,09 auf einer Skala
von 0 (keine Veränderung) bis 9 (ausgeprägte Veränderung)) ([Abb. 3a]). Eine ausgeprägtere Veränderung der Stimmungslage wurde nicht beobachtet (MW 4,11 ± 1,58;
(0 = deutliche Verschlechterung bis 9 = deutliche Verbesserung)) ([Abb. 3b]). Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungseinschätzung korrespondieren recht eng
miteinander: Stimmungsverschlechterungen gehen mit ausgeprägteren Persönlichkeitsveränderungen
einher, bei geringen Persönlichkeitsveränderungen wird eine eher gute Stimmung des
Patienten berichtet (r = − 0,549; p < 0,05). Die Krankheitseinschätzung der Patienten
wurde auf einer Skala von „verleugnend“ bis „realistisch“ (0 – 9) fast ausschließlich
realistisch bewertet (MW: 7,77 ± 1,12) ([Abb. 3c]). Beim Umgang mit der Krankheit von „sehr schlecht“ bis „sehr gut“ (0 – 9) wird
ein eher guter Umgang geschildert (MW: 6,3 ± 1,4) ([Abb. 3 d]). Auch hier gibt es einen tendenziellen Zusammenhang mit Persönlichkeitsveränderungen
– guter Umgang mit der Erkrankung korrespondiert mit geringer Persönlichkeitsveränderung
(r = − 0,365; p < 0,1).
Abb. 3 a, b Einschätzung von Persönlichkeits und Stimmungsveränderungen, c, d Krankheitseinschätzung und Umgang mit der Erkrankung.
18 Angehörige bekundeten eine deutliche Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit
des Patienten seit Krankheitsbeginn, 6 keine Einschränkungen, und ein Befragter konnte
dazu keine Aussage treffen ([Abb. 4]).
Abb. 4 Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Auswirkungen der Lungensport-Teilnahme auf den chronisch Erkrankten
Auswirkungen der Lungensport-Teilnahme auf den chronisch Erkrankten
Hier wurden Fragen zu den Einflüssen des Lungensports auf das Gesamtbefinden, die
körperliche Belastbarkeit, die Stimmung und das Sozialverhalten des kranken Lebenspartners
gestellt. Die Ergebnisse sind in [Abb. 5] dargestellt. Demnach sind in allen Rubriken auf einer Skala von 0 (deutlich verschlechtert)
bis 9 (deutlich verbessert) eher positive Einflüsse zu erkennen.
Abb. 5 Auswirkungen des Lungensports.
In Bezug auf das Gesamtbefinden der Erkrankten konnten Anzeichen für eine Verbesserung
aufgezeigt werden (MW = 7,15 ± 1,32). Auch die körperliche Belastbarkeit nahm nach
Angaben der Befragten mit einem MW von 6,71 ± 1,31 zu. Die Stimmung des Kranken verbesserte
sich ebenso (MW = 7,05 ± 1,19) wie auch das Sozialverhalten (MW = 6,76 ± 1,23). Wie
zu erwarten, zeigen sich deutlich positive Zusammenhänge zwischen diesen Variablen.
Verbesserungen der körperlichen Belastbarkeit gehen mit Stimmungsverbesserungen und
Verbesserungen der sozialen Situation einher (Interkorrelationen zwischen 0,74 und
0,82; p je < 0,05). Bezüglich der Wirkmechanismen schätzten die Angehörigen der Patienten
den sozialen Aspekt des Lungensports, das Zusammensein mit anderen Betroffenen und
den Erfahrungsaustausch als sehr wirksam (MW 7,66 ± 1) und vom Absolutwert her sogar
noch etwas höher ein als den naheliegenden Trainingseffekt der körperlichen Aktivität
(7,16 ± 1,22; vgl. [Abb. 6]).
Abb. 6 Was ist beim Lungensport wirksam?
Diskussion
Anhand der Ergebnisse unserer Pilotstudie wird deutlich, dass die chronische Lungenerkrankung
auch die Lebensqualität der Lebenspartner/Angehörigen beeinflusst. Interessanterweise
werden hinsichtlich der Beziehung Patient – Lebenspartner/Angehöriger keine „deutlichen“
Probleme angegeben, obwohl die Erkrankten die Unterstützung der Lebenspartner vermehrt
in Anspruch nehmen müssen und die Krankheit Einfluss auf das soziale Leben von Patient
und Lebensparter nimmt. Die Patienten gehen sehr gut mit ihrer Krankheit um, allerdings
sind durch die Lebenspartner in Einzelfällen Persönlichkeitsveränderungen und natürlich
oft krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der körperlichen Leistungsfähigkeit beobachtet
worden. Eigene Schlafstörungen werden von den Partnern/Angehörigen der Patienten selten
beschrieben. Dies mag dadurch erklärbar sein, dass in der Studie überwiegend Patienten
mit einer COPD mäßiggradigen Ausmaßes (GOLD II) vertreten sind und vergleichsweise
wenig Hilfestellungen – insbesondere auch nachts – seitens der Partner/Angehörigen
geleistet werden müssen. Angehörige von Patienten mit schwergradiger, insbesondere
sauerstoffbedürftiger, chronischer Lungenerkrankung beklagen sich deutlich häufiger
über Beziehungsprobleme und auch nächtliche Durchschlafstörungen.
Dass die Partner/Angehörigen unserer Lungensportpatienten sich vergleichsweise nur
wenig durch die chronische Erkrankung ihrer Partner belastet fühlen, hängt, nach unserer
Einschätzung, ganz wesentlich damit zusammen, dass die Verzahnung von Lungensport
und wiederholter theoretischer Wissensvermittlung für die Patienten und deren Partner/Angehörige
eine ideale Form der Informations- und Kommunikationsvermittlung darstellt. Patienten
und Partner/Angehörige besuchen jährlich 4 bis 5 Weiterbildungsveranstaltungen der
Selbsthilfegruppe der Patientenliga Atemwegserkrankungen am Klinikum und haben ein
sehr hohes Wissensniveau. Lungensport und kontinuierlich reproduzierte Wissensvermittlung
führen somit zu folgenden Effekten: 1. Verbesserung und Stabilisierung des kardiorespiratorischen
Status des Patienten, 2. Etablierung eines Forums zum Informations- und Problemaustausch
unter Betroffenen mit vergleichbarem Krankheitsbild und 3. mehr Verständnis von Partnern/Angehörigen
für den Erkrankten sowie eine Entlastung der Partner/Angehörigen hinsichtlich der
Funktion des „Ersthelfers“.
Auffällig ist die positive Einschätzung des Lungensporteffektes im Hinblick auf das
Gesamtbefinden, die körperliche Belastbarkeit, das soziale Leben sowie auch die Stimmung
der Erkrankten. Die Teilnahme am Lungensport führt nach Angaben der Partner/Angehörigen
beim Patienten zu einer Verbesserung der Belastbarkeit, der Stimmung sowie der Teilhabe
am sozialen Leben. Die Trainingstherapie spielt somit sowohl in somatischer als auch
psychosozialer Hinsicht eine bedeutsame Rolle. Die COPD als systemische Erkrankung
hat langfristig eben nicht nur pulmonale Auswirkungen mit Einschränkung der Lungenfunktion,
sondern auch muskuläre, kardiale, ossäre und insbesondere psychosoziale Folgen [2]. Das Ausmaß der körperlichen Aktivität von Patienten mit COPD hat einen engen Bezug
zu Morbidität und Mortalität der Erkrankung. So ist das Risiko der Hospitalisierung
sowie der Mortalität bei körperlich aktiven Patienten mit COPD signifikant geringer
[3]. Ambulanter Rehabilitationssport ist nachweislich therapeutisch effektiv!
Bei dieser Studie handelt es sich um ein Pilotprojekt. Die Patientenzahl ist vergleichsweise
klein, die Patientengruppe ist heterogen (23 Patienten mit COPD, 2 mit Lungenfibrose) bei einem deutlichen Überwiegen von Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung
im Stadium 2 nach GOLD. In weiterführenden Untersuchungen sollten eine Kontrollgruppe,
bestehend aus Angehörigen von chronisch Lungenerkrankten, die an keiner Lungensportgruppe
teilnehmen, sowie größere Patientenkollektive mit COPD-Schweregraden GOLD III und
IV sowie Patienten mit Sauerstoffbedürftigkeit berücksichtigt werden. Parallel zur
Beantwortung der Fragen unseres Fragebogens durch die Partner/Angehörigen sollten
auch die Patienten ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensqualität mit Hilfe des
CAT-Scores (COPD assessment test) oder des „St. George’s Repiratory Questionaire (SGRQ)“
beurteilen, um unterschiedliche Wahrnehmungen bzw. Einschätzungen zu verifizieren.