Der Klinikarzt 2011; 40(09): 386-388
DOI: 10.1055/s-0031-1287740
Medizin & Management
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der archaische Weg ins Projektmanagement

Von Bauern, Jägern, Wirten und Schamanen
Nicole Krüttgen
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Korrespondenz

Nicole Krüttgen
Ruhl Consulting AG
Strategy & Realisation EASTSITE II
Harrlachweg 1
68163 Mannheim

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Publication Date:
23 September 2011 (online)

 
 

Zu den häufigsten Gründen, warum Projekte scheitern, gehören mangelnde Kommunikation, Wertschätzung und Konfliktfähigkeit im Team. In unserer Projektarbeit im Krankenhaus erleben wir immer wieder, dass Vorbehalte, alte Rollenbilder und Vorurteile der Berufsgruppen aber auch der einzelnen Fachdisziplinen untereinander zu Abwertung, Abgrenzung und Konflikten führen. Ein interdisziplinäres und -professionelles Team zu steuern birgt daher eine besondere Herausforderung für ein erfolgreiches Projektmanagement. Gleichzeitig ist eine abteilungs- und berufsgruppenübergreifende Besetzung ein Erfolgsgarant für ganzheitliche, kreative und insbesondere von allen getragene Lösungen.

Grundlage für ein echtes gemeinsames Denken bilden der "Dialog" und die Fähigkeit der Teammitglieder, eigene Annahmen aufzuheben. Dazu gehört auch, dass ein Team bestimmte Interaktionsmuster erkennt und z. B. gegenseitige Abgrenzungs- oder Abwertungsmechanismen abbaut, sodass die vielseitigen Perspektiven und die unterschiedlichen Expertisen erfolgreich eingebracht werden können [1]. Daher geht es in einem ersten Schritt oft erst einmal darum, die Dialogfähigkeit im Projektteam zu fördern und für ein besseres Verständnis der verschiedenen Stärken und Sichtweisen zu werben. Doch wie kann eine solche Marketingaktion gelingen? Eine kleine Teamübung hilft hier zur gegenseitigen Verständigung. Sie bedarf nur einer gewissen Experimentierfreudigkeit des Projektleiters und ein klein wenig Mut, sich auf neue Methoden einzulassen.

STAB-Modell besticht durch Einfachheit

Persönlichkeitsmodelle in den Mittelpunkt von Teamübungen zu stellen ist nichts Neues. Gerade im Projektmanagement werden diese Modelle herangezogen, um zu identifizieren, wo die Stärken der einzelnen liegen und welche Teamrollen sie daher bekleiden sollten. Doch Modelle wie die Teamrollen nach Belbin oder die Biostrukturanalyse sind komplex und mit mehr oder weniger aufwendigen Tests verbunden. Zudem sind sie in ihren Typenaussagen nicht greifbar, denn ein Typ blau oder rot zu sein, kommt unsere Denkweise nicht wirklich nahe. Wir wollen daher im folgenden ein Modell vorstellen, dass sich spielerisch und mit Spaß im Team ableiten lässt und durch seine Einfachheit besticht. Das STAB-Modell entführt uns in eine Zeit, als Berufe noch klar abgegrenzt und auf die wesentlichen Tätigkeiten fokussiert waren. Es spielt mit archaischen Berufsbildern und was läge näher als im berufsgruppengesteuerten Krankenhaus, genau so ein Modell zu verwenden?

Im STAB-Modell[ 1 ] besteht die Typologie der Persönlichkeiten aus den Berufen des Jägers, des Wirts, des Bauern und des Schamanen. Am Flipchart ist das Modell schnell entwickelt. Beginnend mit dem Jäger lässt man das Team erarbeiten, welche Eigenschaften es braucht, um in dem jeweiligen Beruf erfolgreich zu sein. Dabei sollte der Projektleiter darauf achten, dass die Eigenschaften positiv, also stärkenorientiert formuliert sind. So könnte der Steckbrief für einen Jäger lauten: zielsicher und zielklar, ausdauernd und schnell, konsequent, seinem Instinkt vertrauend, den Abschluss im Auge. Der Wirt dagegen ist kommunikativ, ein Netzwerker, gesellig und genussorientiert, er ist empathisch, vielleicht eher der Schlichter, kundenorientiert und unterhaltsam. Ein guter Bauer ist geduldig, beständig mit dem Blick für Traditionen, er ist diszipliniert und bewusst im Umgang mit Ressourcen, er ist bescheiden und achtsam. Der Schamane verlässt sich auf seine Intuition, er ist visionär, ein Impulsgeber, er ist charismatisch und besitzt Begeisterungsfähigkeit.

Sinn der gemeinsamen Erarbeitung im Team ist weniger die genaue Definition der Eigenschaften als viel mehr die Diskussion über die unterschiedlichen Fähigkeiten, die den verschiedenen Berufsbildern zugesprochen werden. Es geht darum, sich in den Beruf hineinzuversetzen und einmal gedanklich sowohl Jäger, Wirt, Bauer und Schamane zu sein. Um diese Systematik noch etwas zu verfestigen, kann man das Team einladen, mit konkreten Alltagshandlungen zu spielen. Was machen unsere 4 archetypischen Berufsvertreter z. B. wenn sie Hunger haben und essen gehen. Wo isst jemand mit Jägerqualitäten, was steht auf der Speisekarte und wie läuft das Essen ab? Der Jäger wird nicht lange für die Menüauswahl benötigen und sich schnell entscheiden. Es geht ihm darum seinen Hunger zu stillen, das Essen ist da eher Nebensache. Der Wirt dagegen wird sich vielleicht erst mal am Nachbartisch erkundigen, was es da denn Leckeres gibt. Der Bauer bevorzugt seine Stammkneipe und einfaches aber gutes Essen. Der Schamane ist experimentierfreudig sucht neue Impulse und exotische Restaurants. Langsam beginnen so unsere 4 Archetypen lebendig zu werden. All das dient dazu, eine Charakterbeschreibung zu liefern und die Teammitglieder ausreichend auf das Modell einzustimmen.


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Selbst- und Fremdeinschätzung anhand der Archetypen

Für den darauf basierenden Teamentwicklungsprozess gibt es verschiedene "Inszenierungsmöglichkeiten". Eine kleine Aufstellarbeit verdeutlicht die Konstellationen im Team. Dazu werden die 4 Berufe im Raum abgebildet und jeder Ecke ein Berufsbild zugeordnet. Diese werden gedanklich mit Linien verbunden (Abb. [1]).

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Abb. 1 Teamkonstellationen.

Nun sind die Teammitglieder gefragt sich zu positionieren. Sie stellen sich reihum zuerst dort hin, wo sie sich selbst sehen. Entweder direkt bei einem Berufsbild oder zwischen 2 Berufen, z. B. ein bisschen mehr Jäger mit einem Schuss Schamanen. Dann wird das Fremdbild abgefragt: wie nehmen mich die anderen im Team wahr? Der im Raum Stehende bittet ein anderes Teammitglied, ihn entsprechend seiner Wahrnehmung aufzustellen. Vielleicht sieht ihn der Kollege ja doch eher als Schamanen denn als Jäger.

Nach Abschluss dieser Übung positionieren sich alle Mitarbeiter gemäß ihrem Selbstbild im Raum. Anhand des so entstehenden Gesamtbildes lassen sich nun die verschiedenen Aufgaben der einzelnen Teammitglieder diskutieren und gleichzeitig Verständnis für die unterschiedlichen Arbeitsweisen schaffen. Folgende Fragestellungen bilden die Leitlinien für den Projektmanager:

  • Ergibt sich ein ausgewogenes Gesamtbild, sind alle Fähigkeiten vertreten?

  • Fehlen Berufsvertreter, was bedeutet das für das Team und wer kann ihre Rolle einnehmen?

  • Gibt es nur einzeln besetzte Positionen, was bedeutet das für dieses Teammitglied – ist es eher Außenseiter oder aufgrund seiner "Einzigartigkeit" eine Schlüsselperson im Team?

  • Gibt es bekannte Konflikte zwischen den einzelnen Gruppen?

Der Projektleiter kann von Ecke zu Ecke wandern und die Stärken der einzelnen Teammitglieder hervorheben und zum Dialog mit den anderen Berufsvertretern einladen. Er moderiert indem er hinterfragt und aufzeigt, was die Fähigkeiten in Bezug auf mögliche Rollen im Team aussagen. Er arbeitet mit dem Team heraus, was die Chancen oder die guten Gründe sind, dass es die einzelnen Berufsvertreter gibt und welche Gefahr der Abgrenzung die Verschiedenheit beinhaltet.


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Bestehende Denkweisen aufbrechen

Die Bauern haben z. B. im Team oft die Funktion darauf zu achten, dass die Prozesse gut eingehalten werden. Sie schauen auf die Details und schaffen Routinestrukturen. Manchmal werden die Bauern von den Jägern als Bremsklötze wahrgenommen. Die Jäger wollen schnell voran, das Ziel vor Augen. Der Projektleiter kann dieses Konfliktpotenzial aufnehmen und im Team nachfragen, wie es den Bauern im Kontakt mit den Jägern geht.

Während der Jäger die Aufgaben und Inhalte im Auge behält, schaut der Wirt mehr auf die Personen. Er sorgt für die gute Teamatmosphäre, achtet darauf, dass alle Teammitglieder einbezogen sind und jeder auf dem Weg der Zielerreichung mitgenommen wird. Mit seinem Fokus auf Personen kann es schon mal passieren, dass er das Ziel aus den Augen verliert. Zum Glück gibt es hier die Jäger.

Mit den Schamanen kommt Innovation ins Team. Wenn es mal nicht weiter geht, tragen die Schamanen dazu bei, querzudenken und neue Impulse ins Team zu geben. Die Herausforderung bei Schamanen besteht darin, dass sie sich mitunter rar machen und keinen Spaß daran haben an Routinetätigkeiten mitzuwirken. Das führt insbesondere dazu, dass Schamane und Bauer sich sehr stark polarisieren können. Der Schamane sieht in dem Bauern den Pedanten während der Bauer den Schamanen für einen Chaoten hält. Diese Denkweise aufzulösen und die Herangehensweise des jeweils anderen als sinnvolle Ergänzung zu sehen, ist Ziel der Teamübung.


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Auflösung der Abgrenzungen als Ziel

Friedemann Schulz von Thun hat mit seinem Wertequadrat ein gutes, unterstützendes Meta-Modell zur Auflösung der Abgrenzungen entworfen [2]. In seinem Wertequadrat existiert zu jedem Wert ein Gegenwert. Der Gegenwert ist also auch eine Qualität. Das sieht jedoch der "Wert-Träger" meistens nicht so. Wenn man einen Wert hat, hat man den Gegenwert in der Regel nicht. Daher ergänzen sich die beiden. Zu Wert und Gegenwert gibt es nach Schulz von Thun eine negative Übertreibung (Abb. [2]). Nehmen wir hier noch mal das Beispiel vom Bauern und Schamanen.

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Abb. 2 Wertequadrat nach [2].

Der Bauer ist strukturiert und detailgenau. Der Schamane dagegen eher kreativ und inspirierend. Gesamt gesehen sind das also sich ergänzende Eigenschaften. In der negativen Übertreibung, wirft der Bauer dem Schamanen jedoch vor, er sei chaotisch und der Schamane hält den Bauern für pedantisch.

Die Kombination von STAB-Modell und Wertequadrat bietet auch im fortlaufenden Projekt durch Anknüpfen an die Teamübung immer wieder die Möglichkeit, die Teammitglieder in Konfliktsituationen zu einer Umdeutung ihrer Haltung einzuladen und sich auf den Gegenwert zu besinnen anstatt in der negativen Übertreibung zu verharren. Ein schönes und einfaches Instrument, um Berufsgruppen- und Abteilungsgrenzen in der Projektarbeit aufzulösen.


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Nicole Krüttgen

1 STAB steht für Spirituell, Treue, Aktion, Beziehung; die Darstellung der Übung erfolgt frei nach Andreas Kannich, Lehrtrainer am Systemischen Institut für Beratung


  • Literatur

  • 1 Ruhl S, Marre R, Ruoff M. Auf dem Weg zur lernenden Organisation. Changemanagement am Universitätsklinikum Ulm. Klinikarzt 2011; 40: 226-228
  • 2 Schulz von Thun Friedemann. Miteinander reden 3: Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek; 1998

Korrespondenz

Nicole Krüttgen
Ruhl Consulting AG
Strategy & Realisation EASTSITE II
Harrlachweg 1
68163 Mannheim

  • Literatur

  • 1 Ruhl S, Marre R, Ruoff M. Auf dem Weg zur lernenden Organisation. Changemanagement am Universitätsklinikum Ulm. Klinikarzt 2011; 40: 226-228
  • 2 Schulz von Thun Friedemann. Miteinander reden 3: Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek; 1998

 
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Nicole Krüttgen
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Abb. 1 Teamkonstellationen.
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Abb. 2 Wertequadrat nach [2].