Psychiatr Prax 2011; 38(06): 310
DOI: 10.1055/s-0031-1287698
Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuer Schritt im Datenschutz – Pfortenauskunft an Besucher erst nach Einwilligung des Patienten?

Further Information

Publication History

Publication Date:
01 September 2011 (online)

 

Möglicherweise entwickelt sich derzeit eine neue Datenschutzproblematik für psychiatrische Kliniken: Bisher wurde davon ausgegangen, dass die meisten Patienten damit rechnen, dass ihre Angehörige oder andere Besucher an der Pforte Auskunft über ihren Aufenthalt erhalten – solange sie selbst einer Auskunft nicht widersprochen hatten.

Diese Widerspruchsregelung wird nun von Datenschützern angezweifelt. Sie sei, so ein Datenschutzbeauftragter, bei bestimmten Erkrankungen, insbesondere bei "Erkrankungen, deren Bekanntwerden regelmäßig zu einer gesellschaftlichen Benachteiligung (Ausgrenzung, Ächtung) der Patienten führt, nicht ausreichend verhältnismäßig". Dies gelte z.B. bei psychischen Erkrankungen, insbesondere soweit diese mit freiheitsentziehenden Unterbringungen nach dem Gesetz verbunden seien. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Patienten solle daher für den Bereich der Psychiatrie an die Stelle der Widerspruchsregelung eine Einwilligungsregelung treten, d.h. Auskunft erst nach aktiver Zustimmung durch den Patienten.

Wie ist die aktuelle Praxis? Eine kleine Umfrage unter 16 psychiatrischen Kliniken unterschiedlicher Träger in Hessen ergab, dass derzeit überall die Widerspruchsregelung gilt. Nirgends wird eine Einwilligungserfordernis diskutiert.

Die Forderung, vor Pfortenauskunft o.Ä. eine Einwilligung des Patienten einzuholen, dürfte in der Akutpsychiatrie aus verschiedenen Gründen erhebliche Unruhe auslösen – bei Angehörigen und bei Mitarbeitern. Mit der neuen Regelung wäre ein erhöhter Aufwand für die Behandler verbunden, die über die Einwilligung, ihre Notwendigkeit und Konsequenzen aufklären, Unklarheiten ausräumen und über die Frage der Unterschrift diskutieren müssten – z.B. mit psychotischen oder dementen Patienten. Bei diesen ist eine Willensbildung (vorübergehend oder dauerhaft) oft nicht machbar. Rein rechtlich müsste z.B. bei einem Demenzpatienten zunächst eine Betreuung eingerichtet werden, bevor eine Pfortenauskunft erteilt wird. Nicht zuletzt drängt der Datenschutz psychiatrische Patienten damit auch wieder in eine Sonderrolle, denn für internistische oder chirurgische Patienten soll weiter die Widerspruchsregelung gelten. Die informationelle Selbstbestimmung erscheint Datenschützern bezüglich einer psychiatrischen Behandlung als besonders schützenswert.

Hinter diesen juristischen und den ganz praktischen Fragen steht ein ethisches Dilemma – letztlich eine Abwägung von Werten.

Mit erheblichem Unverständnis, Ärger und Enttäuschung, insbesondere vonseiten der Angehörigen, ist zu rechnen. Wie schwer wiegt ihre Sorge, wenn sie auf der Suche nach verschollenen Menschen mit psychiatrischer Vorgeschichte die regionalen Kliniken abklappern? Welche berechtigten Auskunftswünsche hat ein gesetzlicher Betreuer, der (noch) nicht für Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge zuständig ist, aber z.B. Wohnung oder Vermögen schützen soll?

Die Einwilligungsregelung ist als weiterer Schritt zur Umsetzung der Patientenrechte nachvollziehbar – aber ist sie auch im Sinne des Patienten? Meine Frage an die Leser: Wo wurden schon Erfahrungen mit der Einwilligungsregelung gemacht?

Martin Hambrecht, Darmstadt
E-Mail: hambrecht.martin@eke-da.de