Der Entscheidungsprozess des Zulassungsausschusses
Zur besseren Verständlichkeit sei die Entscheidungssituation, vor der ein Zulassungsausschuss
bei Vorliegen eines Antrags auf Sonderbedarfszulassung steht, zum Ausgangspunkt genommen.
Fragen zur Feststellung des ungedeckten Sonderbedarfs
Das Urteil des BSG hat deutlich wie kaum zuvor die einzelnen Schritte des Prozesses
zur Feststellung des ungedeckten Bedarfs differenziert, und zwar hinsichtlich:
-
Tatsachenermittlung mit den richtigen Methoden
-
Festlegung der Reichweite der Ermittlung
-
Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen für die Feststellung
des ungedeckten Bedarfs
-
Berücksichtigung der Möglichkeit der (zeitnahen) Deckung des Bedarfs durch bereits
vorhandene Angebote.
Die Tiefe der Recherche im Einzelnen, um den tatsächlich zugrunde liegenden Sachverhalt
zu ermitteln, unterliegt letztlich nur begrenzt einer Kontrolle durch das BSG: "Besonderer
Versorgungsbedarf" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, d.h. der Zulassungsausschuss
(bzw. Beschwerdeausschuss) hat einen sog. "Beurteilungsspielraum". Gerichte haben
sich dann gegenüber seiner Entscheidung zurück zu halten, d.h. sie dürfen bezüglich
der in diesen Raum fallenden Entscheidungsinhalte keine eigenen Ermittlungen anstellen
und lediglich überprüfen, ob das Entscheidungsprozedere des Ausschusses korrekt war,
insbesondere ob eine vollständige Tatsachengrundlage aufgrund erschöpfender Ermittlungen
stattgefunden hat und das Ergebnis nicht offensichtlich unsachgemäß ist.
Dies bedeutet aber keineswegs, dass die Ausschüsse bei ihrer jeweiligen Entscheidung
nun "vogelfrei" wären. Das BSG-Urteil zeigt z.T. selbst die Maßstäbe einer Kontrolle
der jeweiligen Freiräume auf.
Ermittlung der relevanten Tatsachen
Methodische Fragen
Zunächst muss der Zulassungsausschuss die einschlägigen Tatsachen für seine Entscheidung
ermitteln. Hierzu muss er sich dazu geeigneter und angebrachter Methoden bedienen.
Das BSG weist darauf hin, dass die Ausschüsse, wenn sie ihre Entscheidung auf eher
subjektive Umfrageergebnisse bei Ärzten bzw. Praxen stützen, welche Leistungen sie
im Sinne der beantragten Sonderzulassung bereits erbringen bzw. erbringen können (was
regelmäßig unisono dahin lautet, der Bedarf werde ohne weiteres abgedeckt), zu objektivieren
und zu verifizieren hätten. Nach dem BSG ermöglicht dies z.B. die Zahl der im jeweiligen
Spezialbereich tätigen Ärzte und die Anzahl ihrer Behandlungsfälle.
Festlegung der Reichweite der Ermittlungen
Korrekte Entscheidungen setzen weiter voraus, dass man ihnen alle relevanten Informationen
zugrunde legt. Wenn aber – wie angesichts der rechtlichen Grundlagen für die Erteilung
der Sonderbedarfszulassung – die relevanten Informationen nicht abschließend benannt
oder definiert sind, muss man sie begrenzen, d.h. eine gewisse Mindest-, aber auch
Maximalreichweite der Ermittlungstätigkeit festlegen, oder wie das BSG formuliert:
"Das Beurteilungsergebnis muss sich auf ausreichend fundierte Ermittlungen stützen,
die sich nach pflichtgemäßem Ermessen so weit erstrecken müssen, wie sie sich als
erforderlich aufdrängen."
Eine 1. Begrenzung der Reichweite ergibt sich aus den rechtlichen Grenzen der Sonderbedarfszulassung
selbst: Die sog. Sonderbedarfszulassung i.S.v. §§ 24 bis 26 BedarfsplRiL-Ärzte (vgl.
§ 101 I 1 Nr. 3a SGB V) ist je nach dem Grund für ihre ausnahmsweise Erteilung entweder
an den Ort der Niederlassung gebunden oder wird auf bestimmte abrechnungsfähige Leistungen
des speziell definierten Versorgungsauftrags beschränkt (vgl. § 101 I Nr. 3a SGB V).
Es drängt sich daher eine sachliche wie geografische Grenze der Ermittlungstätigkeit
auf.
Die sachliche Grenze ergibt sich aus der konkret beantragten Zulassung, also der ärztlichen
Leistungsbeschreibung und damit vor allem aus der Sonderqualifikation. Zugrunde gelegt
wird also für die sachliche Ermittlungsreichweite die Beschreibung der Qualifikation
i.S.d. § 24 B BedarfsplRL; diese verweist auf die Weiterbildungsordnung: "Es liegt
besonderer Versorgungsbedarf vor, wie er durch den Inhalt des Schwerpunkts, einer
fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet
nach der Weiterbildungsordnung umschrieben ist."
Das heißt, die sachliche Ermittlungstätigkeit zum Sonderbedarf ergibt sich maßgeblich
aus der Definition der Leistungsumschreibung nach der Weiterbildungsordnung, die die
Sonderzulassung begründet. Das BSG hat diese in der BedarfsplRL enthaltene, recht
eindeutige Formulierung auch bereits als Maßstab identifiziert, und zwar für das Erfordernis
einer besonderen Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung, besondere
Fachkunde) im Sinne des § 24 Satz 1 Buchst b BedarfsplRL.
Das BSG hat aber weiter darauf hingewiesen, dass die Anwendung der Weiterbildungsordnungen
i.V.m. § der Sonderbedarfszulassung Schwierigkeiten unterliegen, seitdem die Begriffe
der heutigen Weiterbildungsordnungen (WBOen) der Landesärztekammern aufgrund ihrer
Neufassungen in Anknüpfung an die Neufassung der Muster-WBO von 2003 nicht mehr durchgängig
denjenigen des § 24 Satz 1 Buchst b BedarfsplRL entsprechen, sondern seither leicht
abweichende Termini benutzen. Während § 24 Satz 1 Buchst b z.B. von Schwerpunkten,
fakultativen Weiterbildungen und besonderen Fachkunden spricht, sehen einige Weiterbildungsordnungen
auch Zusatzbezeichnungen vor, die sich auf sog.Zusatzweiterbildungen gründen. Sachliche
Grenzen der Ermittlungen ergeben sich aber auch aus weiteren Aspekten wie der erforderlichen
technischen Ausstattung: Soweit ein Versorgungsbedarf auch Bereiche umfasst, in denen
die Leistungserbringung eine medizinisch-technische Ausstattung und/oder zusätzliche
persönliche Qualifikationen erfordert, ist zu ermitteln, ob der Bewerber darüber verfügt.
Die 2. Grenze der Ermittlung von Tatsachen mit Indizwirkung auf einen ungedeckten
Versorgungsbedarf ergibt sich dann aus der geografischen Begrenzung der Sonderzulassung.
Der Sonderbedarf muss sich z.B. nach § 24a BedarfplRL nur auf einen Teil eines großstädtischen
Planungsbereichs oder großräumigen Landkreises beziehen. Insofern ist schon einmal
anders als bei der Praxisnachfolge nicht einfach der Planungsbereich selbst die geografische
Grenze der Ermittlungstätigkeit, da die Sonderbedarfszulassung auch nur auf einen
Teil des Planungsbereichs bezogen werden kann. Auch diese geografische Grenzziehung
ist durchaus nicht ohne Wertungselement, denn wie zieht man die Grenze eines "Teils
eines großstädtischen Planungsbereichs"? Das BSG deutet dies an, in dem es eine sogennannte
"je- (spezieller)-desto-(weiter)"–Formel aufstellt: Den Versicherten sind weitere
Wege umso eher zuzumuten, je spezieller die erforderliche Qualifikation ist (vgl.
hierzu BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr. 16, Rn. 35; BSGE 104, 116 = SozR 4-2500
§ 101 Nr. 7, Rn. 15). Entsprechend hatte das BSG bereits früher befunden, dass bei
allgemeinen Leistungen Versorgungsangebote, die mehr als 25km entfernt sind, grundsätzlich
nicht berücksichtigt werden müssen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 101 Nr. 8 Rn. 24, 27).
Insofern steht die geografische Reichweite der Ermittlungen von Tatsachen zum Bedarf
in Form von Indizien vorhandener Angebotserbringung im Verhältnis zur Spezialität
des Versorgungsangebots. Je spezieller das Angebot, desto weiter die geografische
Reichweite der Ermittlungstätigkeit.
Höchst bemerkenswert ist, dass das BSG dies für vollständig überprüfbar hält: Eine
sogenannte "je-desto"-Formel ist juristisch an sich ein eindeutiges Anzeichen für
eine einzelfallabhängige Abwägungsentscheidung, die gerichtlich meist eben gerade
nur begrenzt kontrollierbar ist.
Festzuhalten ist jedenfalls, dass der sachliche Zuschnitt der beantragten Leistungserbringung
Einfluss auf die geografische Reichweite der Ermittlungstätigkeit hat.
Bewertung der Tatsachen als Indiz
Wie erläutert, stehen Ermittlung und Bewertung der entscheidungserheblichen Tatsachen
in unmittelbarem Zusammenhang. Welche Tatsachen Indizwirkung für einen ungedeckten
Sonderbedarf haben, ist bisher nur teilweise geklärt.
Anerkannt in der Indizwirkung ist die Zahl der im jeweiligen Spezialbereich tätigen
Ärzte und die Anzahl ihrer Behandlungsfälle (Anzahlstatistiken). So könne eine zu
kleine Zahl an Ärzten oder eine zu große Zahl an Behandlungsfällen die Schlussfolgerung
rechtfertigen, dass ein ungedeckter Versorgungsbedarf besteht. Aber auch die bei den
Ärzten bestehenden Wartezeiten (BSG, U.v. 02.09.2009, Az. B 6 KA 34/08 R) können ein
Indiz sein, ebenso kann sich das Vorliegen eines Sonderbedarfs indiziell daraus ergeben,
dass der einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen einen Abschnitt mit
Leistungen ausweist, die nur von dafür speziell qualifizierten Ärzten abgerechnet
werden dürfen, die sich bisher nicht unter den bereits zugelassenen Ärzten finden
(BSGE 104, 116).
Strittig war hingegen, ob ein- oder auspendelnde Patienten als Indiz in die Bedarfseinschätzung
einzubeziehen sind. Dabei ging es konkret um die Frage, ob Patienten, deren Wohnort
nicht im relevanten Planungsbereich oder Teil desselben liegt, aus der Bedarfsrechnung
herauszurechnen seien und Patienten, die "zu Unrecht auspendeln", d.h. ihren Wohnsitz
im Planungsbereich haben, aber ärztliche Leistungen in einem anderen Planungsbereich
in Anspruch nehmen, zu dem "ortsgebundenen Bedarf" eigentlich hinzuzurechnen seien.
Nach dieser Auffassung hätten die jeweils zugrunde gelegten Fallzahlen noch um ein-
und auspendelnde Patienten bereinigt werden müssen.
Das BSG befand nun unter Rückgriff auf den Wortlaut der BedarfsPlRL, dass bei der
Berechnung des Versorgungsbedarfs auch die Versorgung solcher Patienten einzurechnen
ist, die die Ärzte von außerhalb der Stadt aufsuchen (sog.einpendelnde Patienten).
Rechtlich stützte es diese Einschätzung darauf, dass Versicherten das Recht der freien
Arztwahl zusteht, was bedeutet, an jedem ihnen genehmen Ort einen Vertragsarzt aufsuchen
zu dürfen (vgl. zur freien Arztwahl: § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V; vgl. dazu BSGE 105,
10 = SozR 4-5520 § 24 Nr. 3, Rn. 26 und 50 mwN). Daher sei für den Bedarf auf die
Fallzahlen am Ort der tatsächlichen Inanspruchnahme abzustellen.
Prüfung vorhandener anderweitiger Möglichkeiten zur zeitnahen Deckung des Bedarfs
Nachdem der Prozess zur Feststellung des Sonderbedarfs abgeschlossen ist, bleibt zu
prüfen, ob der ungedeckte Bedarf durch vorhandene Angebote gedeckt werden kann oder,
wie es das BSG formuliert, ob der Versorgungsbedarf dauerhaft erscheint.
Die Dauerhaftigkeit eines Versorgungsbedarfs kann etwa dann zweifelhaft sein, wenn
andere bereits zugelassene Versorger aktuell bzw. in absehbarer Zeit den Versorgungsbedarf
decken werden, weil sie z.B. in Kürze eine entsprechende zusätzliche Schwerpunktqualifikation
erlangt haben werden oder weil sie ihr bisher nur geringes Versorgungsangebot ersichtlich
aufstocken. Spätestens hier tritt der "Konkurrenzkampf" mit anderen Fachkollegen,
die bereits an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, sehr häufig offen zutage.
An dieser Stelle ist nun insbesondere strittig, welche Angebote überhaupt als bedarfsdeckende
Angebote in Betracht gezogen werden müssen. Dies hat den Hintergrund, dass es verschiedene
Arten der Leistungserbringung gibt, die in einem unterschiedlichen Rangverhältnis
zueinander stehen. Es ist hierbei von einer Art Hierarchie der Leistungsteilnahme
zu sprechen, an dessen Spitze die reguläre Zulassung steht, neben der es aber noch
eigenständige Versorgungsalternativen gibt. Grundsätzlich vertritt das BSG die Linie,
dass gegenüber der regulären Versorgung nachrangige Versorgungsangebote außer Betracht
bleiben, der Versorgung aufgrund von Zulassung aber gleichstehende oder neben ihr
eigenständige Versorgungsangebote hingegen berücksichtigt werden müssen.
Als nachrangig außer Betracht zu bleiben, haben bereits gemäß § 24 Buchst. b Satz
5 BedarfsplRL die Leistungserbringung in Krankenhäusern. Das BSG hat dies von den
stationär erbrachten Leistungen auf die ambulanten Leistungen erweitert, soweit diese
Leistungserbringung gegenüber derjenigen der niedergelassenen Vertragsärzte nachrangig
ist (BSGE 104, 116 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 7, Rn. 18). Unberücksichtigt bleiben daher
insbesondere Versorgungsangebote wie die ambulante Behandlung von Krankenhausärzten
mit Weiterbildung, die gemäß §§ 116 SGB V, 31a Ärzte-ZV ermächtigt wurden sowie Versorgungsangebote
aufgrund von Ermächtigungen z.B. gemäß § 31 Abs 1 Buchst a Ärzte-ZV, § 116a, § 119a
SGB V (BSG, U.v. 02.09.2009, Az. B 6 KA 34/08 R).
Neben dieser Hierarchie gibt es eigenständige Leistungen aufgrund von Ermächtigungen.
Diese Ermächtigungen stehen außerhalb der Hierarchie der Leistungserbringung auf Zulassung,
da sie bedarfsunabhängig erteilt werden. Das BSG unterscheidet also zwischen sog.
nachrangigen, nicht berücksichtigungsfähigen Ermächtigungen und demgegenüber berücksichtigungsfähigen
Ermächtigungen. Letztere sind als erfolgte Bedarfsdeckung zu berücksichtigen und können
zur Ablehnung einer Sonderbedarfszulassung führen: Dies gilt z.B. für Leistungen auf
der Grundlage von § 117 SGB V, wonach Hochschulambulanzen nach Maßgabe der Erfordernisse
von Forschung und Lehre – unabhängig von einem durch die Vertragsärzte gedeckten oder
nicht gedeckten Versorgungsbedarf – zur Erbringung ambulanter vertragsärztlicher Leistungen
ermächtigt werden. Zu diesem Falltypus gehören auch die aufgrund §§ 115 a, 115 b SGB
V erbrachten ambulanten OP-Leistungen.
Ebenfalls als Bedarfsdeckung zu berücksichtigen sind nach dem BSG Leistungen, die
in Zweigpraxen angeboten werden. Grund hierfür ist nicht, dass die Leistungserbringung
in der Zweigpraxis eigenständig neben dem (Hauptbetriebsstätten-) Praxisbetrieb aufgrund
(etwa eigener) Zulassung stünde; bekanntlich erweitert die Zweigpraxisgenehmigung
nur den von der vorhandenen Zulassung umfassten Aktionsradius von der Haupt- auf diese
Nebenbetriebsstätte. Grund ist vielmehr, dass die Zweigpraxis am Status der regulären
Zulassung Teil hat und so zu bewerten ist, wie wenn der Bedarf durch Zulassung gedeckt
würde. Sie steht quasi gleichrangig neben ihr. Mindestens zu berücksichtigen seien
die bereits real erbrachten Leistungen in Zweigpraxen, aber das BSG geht sogar noch
weiter: Ein bereits aufgenommener Zweigpraxisbetrieb, der zu "realen Zahlen vor Ort"
verhelfen würde, soll aber nicht erforderlich sein, da das BSG grundsätzlich auf die
bereits erfolgte Bekanntgabe der Genehmigung (vor deren Bestandskraft) abstellt, d.h.
sogar die voraussichtliche Bedarfsdeckung durch die Zweigpraxis ist einzubeziehen.
Dabei kommt es auf den Zuschnitt der konkreten Praxis an.
Immerhin schränkte das BSG bereits vorausschauend ein, dass etwas anderes dann gelten
müsse, wenn die Zweigpraxisgenehmigung durch einen anderen (3.) Vertragsarzt bereits
"substantiiert" unter Berufung auf gravierende Rechtsverstöße angefochten sei. Letzteres
berechtige den Zulassungsausschuss, das Verfahren über die Erteilung der Sonderbedarfszulassung
auszusetzen, um die evtl. Bestandskraft der Zweigpraxisgenehmigung abzuwarten. Zu
berücksichtigen wird dann aber sein, dass die Drittanfechtung bei der Zweigpraxis
nach BSG-Rechtsprechung zur defensiven Konkurrentenklage regelmäßig an der fehlenden
Anfechtungsberechtigung scheitern dürfte (BSG, U.v. 28.10.2009, Az. B 6 KA 42/08 R).
Auswahlentscheidung
Die vor diesem Hintergrund zu treffende Entscheidung hat 2 Gegenstände: Zum einen
die Auswahl des einschlägigen Mittels (Zulassung/Ermächtigung) zur Deckung des Bedarfs
und dann die Prüfung der Person des Antragstellenden und, bei mehreren Antragstellern
in derselben Kategorie, die Auswahl aus der Vielzahl der Bewerber.
Entscheidung zur passenden Art der Deckung des Versorgungsbedarfs
Um einen festgestellten Bedarf zu decken, kommen – entsprechende Anträge unterstellt
- grundsätzlich 3 Optionen in Betracht: Die Sonderbedarfszulassung bei besonderem
Versorgungsbedarf, die Ermächtigung von Krankenhausärzten und die Zweigpraxisgenehmigung.
Diese Optionen stehen aber nicht gleichrangig zur freien Auswahl, sondern vielmehr
in einem Rangverhältnis zueinander.
Das BSG vertritt zum Rangverhältnis der Zweigpraxisgenehmigung gegenüber der Sonderzulassung,
dass die Zweigpraxisgenehmigung als Ausfluss einer regulären Zulassung an deren Status
an der Spitze der Formen der Teilnahmehierarchie an der Leistungserbringung teilnehme.
Insofern die Sonderbedarfszulassung gegenüber sog.regulären Zulassungen nachrangig
sei (vgl. BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr. 16, Rn. 21), sei sie dies dann auch
gegenüber der Zweigpraxisgenehmigung. Daraus leitet das BSG ab, dass der Zweigpraxisgenehmigung
im Kollisionsfall sogar ein gewisser Vorrang zukomme: Wenn 2 Bewerber, der eine mit
dem Antrag auf eine Zweigpraxisgenehmigung oder -ermächtigung und der andere mit dem
Antrag auf eine Sonderbedarfszulassung, um die Deckung desselben Versorgungsbedarfs
konkurrierten (Situation einer sog.offensiven Bewerberkonkurrenz), sei dem Zweigpraxisbewerber
der Vorzug zu geben, soweit damit der Bedarf gedeckt werden könne. Voraussetzung ist
natürlich, dass die Zweigpraxis auch den Anforderungen des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV entspricht,
also genehmigt werden kann, weil sie zur Verbesserung der Versorgung beiträgt. Die
Entscheidung ergänzt damit in der Sache die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den
sog. Konkurrentenklagen, also "offensiven" Mitbewerberklagen bzw. indirekt "defensivem"
Schutz vor Konkurrenz, indem sie ausgehend von der Sonderbedarfszulassung auf das
bisher noch offen gebliebene Rangverhältnis zur genehmigten Zweigpraxis eingeht.
Hinsichtlich des Verhältnisses von Ermächtigung zur Sonderbedarfszulassung ist zwischen
der oben schon angesprochenen Unterscheidung zwischen nachrangigen Ermächtigungen
und neben der Zulassung stehenden Ermächtigungen zu unterscheiden. Da die für Zulassungen
getroffenen Regelungen grundsätzlich auch Wirkkraft für Sonderbedarfszulassungen haben,
die Sonderbedarfszulassung eine Sonderform einer Zulassung im Gegensatz zu dem davon
abgesetzten Rechtsinstitut der Ermächtigung darstellt, ist sie jedenfalls gegenüber
der Gruppe der nachrangigen Ermächtigung vorrangig. So sind insbesondere Ermächtigungen
an Krankenhausärzte nachrangig gegenüber der Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzte,
sei es aufgrund regulärer Zulassung, (zusätzlicher) Zweigpraxisgenehmigung oder Sonderbedarfszulassung.
Nachrangige Ermächtigungen dürfen dann im Fall der Erteilung einer Sonderbedarfszulassung,
das ist die Konsequenz, auch nicht mehr erneuert werden (BSG-Urteil vom 2.9.2009,
B 6 KA 34/08 R).
Dennoch kann es dazu kommen, dass eine Ermächtigung erteilt wird, obwohl eine Bewerbung
auf Sonderzulassung vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Zulassungsausschuss
zu der Einschätzung kommt, dass eine Praxis auf Basis der Sonderzulassung keine Tragfähigkeit
hätte. Die Bewertung der Frage wirtschaftlicher Tragfähigkeit obliegt vorrangig den
Zulassungsgremien, die auch insoweit einen Beurteilungsspielraum haben. Eine fehlende
wirtschaftliche Tragfähigkeit ist damit Ausschlusskriterium für eine Sonderbedarfszulassung.
Das BSG begründet dies mit Erwägungen aus dem Gebot der Wirtschaftlichkeit heraus:
Wäre eine Praxis wirtschaftlich nicht tragfähig, sei die Gefahr nicht von der Hand
zu weisen, dass der Arzt sich zur Sicherung eines Mindestmaßes an Honorareinnahmen
u.U. veranlasst sehen könnte, Leistungen auch ohne medizinische Notwendigkeit zu erbringen,
was dem Wirtschaftlichkeitsgebot zuwiderliefe. Ob diese Argumentation so überzeugend
ist, sei dahingestellt. Letztlich erscheint es durchaus überzeugend, in einem System
wie der GKV durchaus auch im Interesse der Qualität der Leistungserbringung stabile
wirtschaftliche Einheiten zu schaffen. Daraus folgt dann, dass die unternehmerische
Freiheit des Arztes, das Risiko einzugehen, dass seine Praxis sich als unprofitabel
herausstellt, zugunsten einer staatlichen "Profitabilitäts"-Kontrolle eingeschränkt
werden kann. Rechtlich kann man aber auch auf einen Gedanken zurückgreifen, den das
BSG in anderem Zusammenhang zu einer immanenten Voraussetzung von Ermächtigung und
Zulassung jeweils formuliert hat. Danach läge der Zulassung die Vorstellung zugrunde,
dass diese stets auf einen gewissen Mindestumfang an vertragsärztlicher Tätigkeit
ausgerichtet sein müssen, während Ermächtigungen auf die Behebung oder jedenfalls
Reduzierung solcher Versorgungslücken gerichtet sind, die nur punktuell sind und nicht
ausreichen, um auf diese Leistungen eine Vertragsarztpraxis zu gründen (vgl. die Ermächtigungstatbestände
der § 116 SGB V, § 31, § 31a Ärzte-ZV; zur Abgrenzung vgl. BSGE 102, 21 = SozR 4-2500
§ 101 Nr. 3 Rn. 25). Eben diese Mindesttätigkeit ermöglicht ja erst als Folge eine
wirtschaftliche Tätigkeit. Ist also ärztliche Mindesttätigkeit nicht gegeben, liegt
eine der Wirtschaftlichkeitserwägung vorgelagerte, immanente Voraussetzung der Sonderzulassung
nicht vor.
Als "verhältnismäßigere" Entscheidung gegenüber der vollständigen Ablehnung einer
Sonderzulassung besteht aber die Möglichkeit, einen hälftigen Versorgungsauftrag im
Wege der Sonderzulassung zu erteilen.
Auswahl unter den Antragstellern
Die Auswahlentscheidung ist in erster Linie daran auszurichten, welcher Bewerber von
seiner Qualifikation, seinem Leistungsspektrum und vom geplanten Praxisstandort her
den Versorgungsbedarf am besten deckt. Diese Beurteilung obliegt den Zulassungsgremien.
Hinsichtlich der Qualifikation ist die Auswahlentscheidung anhand der bei der Praxisnachfolge
geltenden Kriterien und derjenigen für die Öffnung eines bisher wegen Überversorgung
für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereichs (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen
MedR 2009, 367, 368): berufliche Eignung, Approbationsalter und Dauer der ärztlichen
Tätigkeit (vgl. § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V) sowie Dauer der Eintragung in die Warteliste
(§ 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V). Die Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen
Tätigkeit sollen die angemessene Berücksichtigung eines gewisser Erfahrungsstands
und des dadurch erworbenen Standards sicherstellen. Hier begrenzt das BSG die Berücksichtigungsfähigkeit
von Erfahrung allerdings in den meisten ärztlichen Bereichen auf ca. 5 Jahre, da hier
meist bereits das volle Ausmaß erreicht sei, sodass ein darüber hinausgehendes höheres
Alter eines Bewerbers und eine noch längere ärztliche Tätigkeit keinen zusätzlichen
Vorzug mehr begründen könnten.
Als nächstes Kriterium ist zu prüfen, welcher Bewerber den bestehenden Versorgungsbedarf
von seinem Einsatzvolumen her am besten und vollständig(er) decken kann. Hier kann
der Umstand, dass ein Bewerber eine Zulassung mit nur hälftigem Versorgungsauftrag
begehrt, bei der Bewerberauswahl bedeutsam sein. Bleibt einer der Bewerber hinter
dem ausgeschriebenen Versorgungsauftrag im Umfang zurück, z.B. durch Antrag auf hälftigen,
während ein anderer Bewerber sich um den vollen Auftrag bewirbt, darf dieser bevorzugt
werden. Geht hingegen der Antrag eines Bewerbers über den ausgeschriebenen Auftrag
hinaus, steht er gleichrangig mit den anderen. Es darf nicht zum Nachteil des Bewerbers
gewertet werden, dass er sein Zulassungsbegehren nur hilfsweise reduziert hat. Allerdings
legt die BSG-Entscheidung ausdrücklich nahe, Anträge auf Sonderbedarfszulassung bei
vollem Versorgungsauftrag stets hilfsweise auf eine Sonderbedarfszulassung mit hälftigem
Versorgungsauftrag zu richten. Ein von vornherein beschränkter Antrag auf Teilzulassung
wegen Sonderbedarfs läuft bei konkurrierenden Anträgen leicht ins Leere.