Fünf Jahre nach der Zertifizierung des ersten Darmkrebszentrums in Deutschland ist
es an der Zeit, den Sinn dieser Zertifizierungen kritisch zu hinterfragen. Zu diesem
Zweck sollen zu dieser Thematik bisher publizierte Arbeiten ebenso wie weitere bislang
kaum beachtete Faktoren, die einen Einfluss auf die Qualität der Behandlung onkologischer
Patienten haben könnten, diskutiert werden. Die Komplexität der Problematik einer
bestmöglichen Versorgung unserer Patienten soll damit ansatzweise aufgezeigt werden.
Sinnvoll ist hier zunächst, die von den Befürwortern der Zertifizierung und Zentrenbildung
postulierten Ziele in Erinnerung zu rufen. Eine umfassende Übersicht zu diesem Thema
findet sich, unter Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. Berlin publiziert,
im Februarheft des Onkologen aus diesem Jahr [1]. Zentrales Anliegen ist die Verbesserung der Behandlungsqualität Krebskranker in
Deutschland. Die grundlegende Notwendigkeit der Einführung von Darmkrebszentren wird
unter anderem mit der CONCORD-Studie [2] begründet, aus der eine im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Behandlung
onkologischer Patienten in Deutschland abgeleitet wird. Weiterhin führen die Autoren
aus, dass in absehbarer Zeit alle Krebspatienten nur noch in entsprechend zertifizierten
Zentren behandelt werden sollten, um optimale Behandlungsergebnisse zu gewährleisten.
So wird behauptet, dass die Prognose von Tumorpatienten sehr von der Behandlung durch
ihre Ärzte abhängig sei. Der Bürger, zum Patienten geworden, müsse vor inadäquater
Behandlung geschützt werden: Vor Therapeuten, die den zu erwartenden Anforderungen
an die Behandlungsqualität nicht gerecht würden. Diese seien jedoch nur zu identifizieren
und zukünftig auszuschließen, wenn das Schicksal der von ihnen behandelten Patienten
zu ihnen zurückzuverfolgen sei [1]. Insofern sei die Dokumentation und Offenlegung von Behandlungsparametern notwendig.
Es wird weiterhin behauptet, dass nur eine Zertifizierung sicherstellen könne, dass
den Vorgaben von Leitlinien und den strukturellen Anforderungen sowie der Ergebnisqualität
Rechnung getragen würde. Konsequenterweise wird gefordert, dass von den derzeitigen Kriterien
der Zertifizierung in Zukunft keine Abstriche gemacht werden dürfen, wenn die Behandlungsdaten
im Quervergleich für Rezertifizierungen herangezogen werden. Dies wird in Zukunft
zu einer gewissen Zentralisierung führen, vor allem aber zum Ausschluss derjenigen
Kliniken, die sich nicht einer Zertifizierung unterwerfen [1]. Nicht zuletzt wird in dieser Arbeit auch das Thema der Mindestmengen sowie der
„High Volume Hospitals“ angesprochen, welches der Zentrenbildung gesundheitspolitisch
zugrunde liegt, und gefordert, Mindestmengen zu definieren, da zumindest die Tatsache
belegt zu sein scheint, dass „High-Volume-Kliniken“ mit Komplikationen besser umgehen
können [1].
Welche Anforderungen stellen Gesetzgebung und Rechtsprechung?
Welche Anforderungen stellen Gesetzgebung und Rechtsprechung?
Die ethisch-moralischen Grundsätze unseres ärztlichen Handelns fordern selbstverständlich
die optimale Behandlung eines jeden erkrankten Patienten. Nun bedeutet optimal das
unter gegebenen Bedingungen höchst erreichbare Ergebnis: Die Diskussion, ob eine gewissermaßen
optimale Behandlung in unserem Lande unter den bei uns gegebenen Bedingungen nicht
ohnehin vorliegt und wir nicht vielmehr an eine Optimierung hin zu einer idealen Versorgung
unserer Patienten denken, würde hier aber viel zu weit führen. Beschränken wir uns
auf die legislativen und judikativen Vorgaben, so definiert das SGB V in § 12, dass
die zu erbringenden Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen;
sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Der Bundesgerichtshof fordert für die Behandlung von Patienten lediglich das Maß an
Kenntnis und Können eines durchschnittlichen, erfahrenen Facharztes [3].
Eine optimale Behandlung von Patienten wird also weder von der Gesetzgebung noch von
der Rechtssprechung eingefordert.
Die unsererseits ethisch-moralisch begründete Forderung nach einer stets optimalen
Therapie aller Patienten erreicht hingegen ihre erste Limitierung schon in der Bereitstellung
der dafür dann prinzipiell notwendigen, optimalen Finanzierung.
Zunächst ist die Frage zu diskutieren, ob eine Krebszentrenbildung in Deutschland
überhaupt notwendig ist. Die Befürworter einer Zertifizierung von Darmkrebszentren
[1] begründen die Notwendigkeit unter anderem mit der CONCORD-Studie [2] und interpretieren diese Studie so, dass die Behandlungsqualität in Deutschland
im internationalen Vergleich nur im Mittelmaß liege. Anzumerken sind hierzu erstens,
dass in der CONCORD-Studie keine Daten für Deutschland zur Verfügung standen, sondern
lediglich das Krebsregister des Saarlandes ausgewertet wurde. Ob die im Saarland erreichten
Ergebnisse aber repräsentativ für ganz Deutschland sind, ist unbekannt und kann bezweifelt
werden. Und zweitens, dass in der CONCORD-Studie lediglich Daten von 101 Krebsregistern
aus 31 Ländern ausgewertet wurden. Ganz Afrika war nur durch ein einziges Register
aus einem algerischen Departement vertreten, Südamerika und Asien nur durch eines
aus Kuba, zwei brasilianische und drei japanische. Das mit Abstand schlechteste Überleben
der Krebspatienten wurde jeweils in Algerien erreicht. Es ist anzunehmen, dass Deutschland
bei einer Auswertung von allen 193 Ländern weltweit sicher nicht im Mittelfeld, sondern
in der Spitzengruppe zu finden wäre. Im Vergleich mit ausschließlich Industrienationen
liegen die Ergebnisse des Saarlandes allerdings in der Tat nur im Mittelfeld der ausgewerteten
Nationen (beim kolorektalen Karzinom wurde bei weiblichen Patienten der 12., bei männlichen
der 14. Platz erreicht) [2].
Stellt nur ein Zertifikat eine qualitativ hochwertige Versorgung sicher?
Stellt nur ein Zertifikat eine qualitativ hochwertige Versorgung sicher?
Der anfangs zitierten These, nur eine Zertifizierung könne sicherstellen, dass den
Vorgaben von Leitlinien und der Ergebnisqualität in der Versorgung Krebskranker Rechnung
getragen werde, kann so nicht zugestimmt werden. Zunächst basiert die Ansicht, dass
Patienten mit kolorektalen Karzinomen an Zentren besser behandelt würden, auf der
Annahme der Gültigkeit des „High Volume Hospital“ und „High Volume Surgeon Caseload“
Effekts. Wie in einer Übersichtsarbeit [4] nach ausführlicher Diskussion der Literatur festgestellt wurde, rechtfertigen die
vorliegenden Daten aber insbesondere für das kolorektale Karzinom nicht, Mindestvorgaben
oder -mengen festzuschreiben. Problematisch ist die Interpretation der vorliegenden
Daten insbesondere aufgrund der Heterogenität der Definition von „Low-Volume“- und
„High-Volume“-Kliniken respektive Chirurgen, der überwiegend fehlenden Risikostratifizierung
im untersuchten Patientengut, der retrospektiven Auswertung von weitgehend administrativen
Datensammlungen, der unterschiedlichen Einweisungspraxis (elektive vs. Notfallpatienten)
und nicht zuletzt der fehlenden Berücksichtigung weiterer Faktoren wie interdisziplinärer
Zusammenarbeit, Tumorboards und der postoperativen intensivmedizinischen Nachbehandlungsmöglichkeiten
[4]
[5]
[6]
[7]
. Die Problematik der Interpretation der vorliegenden Literatur, insbesondere für
die kolorektale Chirurgie, wurde auch von Weber und Link ausführlich diskutiert [6] und festgehalten, in der Kolon- und Rektumchirurgie sei der Unterschied im Outcome
zwischen „Low-Volume“- und „High-Volume“-Zentren deutlich geringer als in der Pankreas-
und Ösophaguschirurgie und es seien mehr prospektiv kontrollierte Studien notwendig,
um den Einfluss der verschiedenen Faktoren genauer zu definieren.
Wiederholt wurde publiziert, Kliniken mit vergleichsweise geringen Fallzahlen könnten
eine ebenso gute Ergebnisqualität wie sogenannte „High-Volume“-Zentren erzielen [7]. Auch nicht speziell als Darmkrebszentrum zertifizierte Kliniken können eine ordentliche
Ergebnisqualität abliefern, wie die [Tab. 1] mit den Daten der eigenen Klinik demonstriert.
Tab. 1 Ergebnisse der kolorektalen Chirurgie, Klinikum Fichtelgebirge, Abteilung Allgemein-
und Viszeralchirurgie (1.3.2007–18.5.2011).
Mortalität elektiver Operationen (n = 437) |
2,9 % |
Mortalität frühelektiver Operationen (n = 144) |
4,1 % |
Mortalität Notfalloperationen (n = 179) |
15,0 % |
Gesamtmortalität (n = 760) |
6,0 % |
Anastomoseninsuffizienzen (19 / 674): Gesamtinsuffizienzrate |
2,8 % |
Kolonkarzinom – Anastomoseninsuffizienzen (4 / 234) |
1,7 % |
Divertikulitisresektionen – Anastomoseninsuffizienzen (5 / 184) |
2,7 % |
andere Kolonresektionen (4 / 169) |
2,3 % |
Rektumkarzinomresektionen: Gesamtinsuffizienzrate (6 / 87) anteriore Resektionen (ohne protektives Stoma) (2 / 33) tiefe anteriore Resektionen (ohne protektives Stoma) (1 / 28) tiefe anteriore Resektionen (mit protektivem doppelläufigem Ileostoma (3 / 26) |
6,9 %
6,1 %
3,6 %
11,5 % |
Rektumkarzinome insgesamt (n = 119) davon: Rektumamputation nach Miles Hartmann-Operationen Resektion mit Anastomosen MERCURY Grad I |
17,6 % 12,6 % 69,8 % 95,7 % |
kolorektales Karzinom, R0-Resektionsrate: |
94,3 % von (n = 366 Patienten) |
Lymphknotenresektionsrate, durchschnittlich: |
23,9 / Fall Range yp10 – p65 in 99,4 % > 12 |
adjuvante Chemotherapie im UICC-III-Stadium, Häufigkeit: |
72 % |
n = 760 kolorektale Resektionen |
Weiterhin wirft der Vergleich der chirurgischen Ergebnisqualität zertifizierter deutscher
Darmkrebszentren mit den Ergebnisdaten der multizentrischen Beobachtungsstudie des
An-Instituts für Qualitätssicherung in der operativen Medizin die Frage auf, ob eine
Zertifizierung wirklich notwendig ist, eine adäquate Ergebnisqualität zu erreichen,
mithin durch die Zertifizierung überhaupt ein positiver Effekt für die flächendeckende
Versorgung der Patienten erreicht wird [8]
[9]
. So zeigen die Daten des Benchmark-Berichtes der Onkozert Darmkrebszentren für das
Jahr 2010, dass von 22 Qualitätsmerkmalen bei der Kennzahlauswertung bei 21 Qualitätsparametern
die Sollvorgabe von den zertifizierten Kliniken in einem Range von 9,9–72,7 % nicht
erfüllt wurde! Bei 17 844 primären kolorektalen Karzinomen lag die Anastomoseninsuffizienzrate
nach elektiven Eingriffen am Kolon im Mittel bei 4,9 % und damit deutlich über der
geforderten Sollvorgabe von ≤ 3 % [8]. Das flächendeckend eine Anastomoseninsuffizienzrate von 3 % bei Kolonresektionen
wegen eines Karzinoms in Deutschland aber durchaus erreichbar ist, zeigen die Daten
des An-Instituts an 28 271 Patienten mit Kolonkarzinomen [9]. Auch wenn der einfache univariate Vergleich dieser beiden Kollektive streng genommen
nicht durchgeführt werden darf, ist aufgrund der großen Fallzahl in beiden Kollektiven
davon auszugehen, dass die Behandlung von Patienten in nicht zertifizierten Kliniken
jedenfalls nicht schlechter ist als in zertifizierten Zentren.
Dies führt zur Frage, ob das primäre Ziel jeder Zentrenbildung, nämlich die qualitative
Verbesserung der Patientenversorgung, nur per Zertifizierung bzw. überhaupt durch
Zertifizierung von Zentren erreicht werden kann. In der Literatur wird immer wieder
darauf hingewiesen, dass die multidisziplinäre Versorgung onkologischer Patienten
entscheidend für das Behandlungsergebnis ist [1]
[4]
[6]
. Dies bedeutet jedoch nicht, zertifizierte Zentren führen per se eine bessere interdisziplinäre
Versorgung als nicht zertifizierte Kliniken durch. Qualitätsmängel entstehen offensichtlich
durch Missachtung der evidenzbasierten medizinischen Leitlinien [4]
[10]
, deren Befolgung aber keine Zertifizierung voraussetzt. Wiederum zeigen die vom An-Institut
erhobenen Daten, dass die Versorgungsqualität in Deutschland im zeitlichen Verlauf
durch bessere Beachtung der Leitlinienvorgaben auch ohne Zertifizierungen gesteigert
wurde [10].
Welche Faktoren beeinflussen die Leistungsfähigkeit eines Chirurgen?
Welche Faktoren beeinflussen die Leistungsfähigkeit eines Chirurgen?
Die Kenntnis und Leistungsfähigkeit eines (chirurgischen) Therapeuten werden durch
vielfältige Faktoren bestimmt, von denen etliche in der Literatur zum Teil untersucht
und beschrieben, andere jedoch bisher noch nicht ausreichend beachtet wurden ([Tab. 2]).
Tab. 2 Faktoren, welche die Ergebnisqualität eines Chirurgen mitbestimmen.
A in Studien untersuchte |
B in Studien noch nicht untersuchte |
Training und Teaching |
individuelle Begabung |
Supervision |
Arbeitsklima, beruflicher Stress |
chirurgische Spezialisierung |
persönliche Probleme |
Fallzahl des Chirurgen |
Erfolgsdruck |
Fallzahl des Klinikums |
Motivation, persönliche Einstellung |
Beispielhaft für anerkannte Faktoren ist hier die Bildung von spezialisierten „Colorectal
Cancer Units“ kurz zu diskutieren, die von einigen Autoren als letzter logischer Schritt
nach erfolgter Etablierung von speziellem Training, der Überwachung durch externe
Experten, der Ausbildung an Exzellenzzentren, der Weiterbildung in Viszeralchirurgie
und der möglichen Schaffung einer Subspezialität „Kolorektale Chirurgie“ angesehen
werden [11].
Insgesamt 3 Artikel wurden zum Thema Etablierung von speziellen „Colorectal Cancer
Units“ publiziert und werden in der Literatur zitiert, um die bessere Versorgung der
Patienten durch solche Einrichtungen beispielhaft zu belegen [11]. Alle 3 Publikationen demonstrierten eine Verbesserung des chirurgischen Ergebnisses,
in dem Patienten durch eine kleinere Anzahl von speziell trainierten Chirurgen versorgt
wurden [12]
[13]
[14]
. Hierzu muss aber kritisch angemerkt werden, dass in allen Arbeiten Patientengruppen
verglichen wurden, die vor Einführung der total mesorektalen Exzision (TME) an den
Kliniken ohne TME und, nach Training der publizierenden Chirurgen, mit TME an den
neu geschaffenen Zentren versorgt wurden. Diese Arbeiten beweisen also die Verbesserung
der Patientenversorgung durch die Einführung der TME, nicht jedoch, dass die Gründung
spezialisierter „Colorectal Cancer Units“ die Prognose der Patienten zusätzlich verbessert.
Übereinstimmend zeigen sie die Reduktion der Rektumamputationsrate nach Miles und
die der Lokalrezidivrate nach Rektumoperationen in einem Umfang, der auch schon von
Lehander Martling et al. als reiner Effekt eines chirurgischen Trainingprogramms im
Stockholm-Trial publiziert wurde [15]. Ein Vorteil von „Colorectal Cancer Units“ kann nur durch den Vergleich von TME-Operationsergebnissen
von Kliniken mit und ohne spezialisierte „Units“ nachgewiesen werden.
Bei kritischer Durchsicht der Literatur stellt sich somit die Frage, ob nicht der
Schlüssel zur verbesserten Versorgung von Patienten mit Rektumkarzinomen allein in
der Teilnahme an verpflichtenden Fortbildungen zur Etablierung der TME [15], also der operativen Fortbildung, liegt bzw. lag.
In ganz anderer Richtung beachtenswert ist aber die Aussage der spanischen Kollegen,
die in ihrer Publikation mitteilen, dass die 4 Chirurgen der Unit of Coloproctology
seit 1992 ausschließlich kolorektale Chirurgie betreiben, also bereit waren, ihre
anderen Patienten an diejenigen Kollegen abzutreten, die auf die kolorektale Chirurgie
verzichteten [14]. Diese radikal erscheinende Konsequenz ist aber auch folgerichtig, wenn man an die
Gültigkeit der Fallzahl-Effekte glaubt. Sie sollte aber auch hinsichtlich ihrer weiteren
Auswirkungen, z. B. auf die Notfallversorgung, betrachtet und kritisch hinterfragt
werden. Potenzielle Vorteile einer Zentrumsversorgung müssten im Gesamtkontext der
allgemeinen Patientenversorgung evaluiert und dokumentiert werden, um Nachteile an
anderer Stelle sicher auszuschließen; ein fast unmöglich erscheinendes Unterfangen.
Beeinflusst die Offenlegung von Behandlungsergebnissen die Qualität der Therapie?
Beeinflusst die Offenlegung von Behandlungsergebnissen die Qualität der Therapie?
Als Beispiel für einen bisher noch nicht publizierten Parameter, der die Ergebnisse
von Chirurgen mitbestimmt, soll an dieser Stelle die Auswirkung des Erfolgsdruckes,
der durch Offenlegung von Qualitätsparametern entsteht, demonstriert werden:
Die [Tab. 3] zeigt die anonymisierten Daten einer klinikinternen, operateursbezogenen Komplikationsstatistik
aus dem Bereich der kolorektalen Chirurgie, die wir am Diakonie-Krankenhaus Rotenburg / Wümme
zwischen 1998 und 2002 erhoben hatten. Aufgrund einer im Sommer 1998 aufgefallenen,
ungewöhnlich hohen Rate an Anastomoseninsuffizienzen wurden die Zirkulärstapler der
Firma I (nachfolgend wurde von der Firma ein Produktionsfehler bei einer Charge angegeben)
im September 1998 auf Zirkulärstapler der Firma II gewechselt. Die Insuffizienzrate
der Resektionen am linken Kolon und Rektum fiel in den nächsten Monaten von 16,6 %
auf 8 % ab.
Tab. 3 Operateursbezogene Komplikationsstatistik kolorektaler Anastomoseninsuffizienzen
der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie des Diakonie-Krankenhauses
Rotenburg / Wümme (1.2.1998 bis 31.12.2002).
Operateur |
Anzahl OP mit Anastomose |
Anastomoseninsuffizienzrate (%) |
Jahr |
1998–2001 |
gesamt 1998–2001 |
1998 |
1999 |
2000 |
2001 |
2002 |
A |
79 |
2,5 |
6,6 |
0,0 |
0,0 |
4,7 |
/ |
B |
127 |
7,8 |
13,0 |
5,1 |
10,0 |
6,6 |
/ |
C |
192 |
7,2 |
7,1 |
0,0 |
7,8 |
12,9 |
/ |
D |
74 |
12,1 |
14,2 |
10,5 |
20,0 |
11,5 |
/ |
E |
124 |
6,4 |
10,0 |
11,4 |
0,0 |
0,0 |
/ |
F |
13 |
0,0 |
/ |
/ |
/ |
0,0 |
/ |
Summe Klinik |
609 |
7,0 |
10,3 |
4,9 |
7,5 |
7,7 |
2,9 |
|
|
Hartmann-OP (%) |
Summe Klinik |
/ |
/ |
/ |
11,2 |
17,6 |
19,3 |
8,6 |
Ab September 1998 wurde eine operateursbezogene, prospektive Datenerhebung durchgeführt.
Im Laufe der Jahre zeigte sich bei recht stabiler Insuffizienzrate eine Zunahme der
Diskontinuitätsresektionen nach Hartmann von gut 11 % im Jahre 1999 auf 19 % im Jahre
2001. Daraufhin wurde die operateursbezogene Auswertung unterlassen und für das Jahr
2002 lediglich die Gesamtklinik-Insuffizienzrate und die Rate an Hartmann‘schen Operationen
bestimmt, wobei sich zeigte, dass sowohl die Insuffizienzrate auf 2,9 % als auch die
Rate an Hartmann‘schen Operationen auf 8,6 % abfiel. Auch wenn dies nicht risikoadjustierte,
rein deskriptive Daten sind, muss diskutiert werden, ob die durch die Offenlegung
von operateursbezogenen Komplikationsdaten entstehenden psychischen Effekte die Operateure
belastet haben und zur Vermeidung einer möglichen Insuffizienz deshalb eher auf eine
Anus-praeter-Anlage zurückgegriffen wurde. Der schlagartige Rückgang an Hartmann‘schen
Operationen zwischen 2001 und 2002 um mehr als 50 % spricht für einen gewissen „befreienden
Effekt“, der sich erstaunlicherweise auch in einer extrem niedrigen Insuffizienzrate
bei den Patienten widerspiegelte.
Auch wenn diese Daten nicht als Beweis für die Auswirkungen eines Erfolgdruckes auf
die operativen Ergebnisse von Chirurgen gewertet werden können, so ist ein gewisser
Effekt doch nicht völlig von der Hand zu weisen. Ähnlich könnten sich theoretisch
auch Faktoren wie das Arbeitsklima an einer Klinik oder privater Stress auswirken.
Niemand wird bestreiten, dass die individuelle Begabung von Chirurgen unterschiedlich
ist und ebenso wie die persönliche Motivation Einfluss auf die Arbeitsergebnisse nimmt.
Insgesamt kann man postulieren, dass die in [Tab. 2] aufgeführten Faktoren zu einer wie auch immer verlaufenden Gauß’schen Verteilungskurve
der Leistungsfähigkeit von chirurgischen Therapeuten führen ([Abb. 1]). Betrachtet man die Ergebnisse des Benchmarking-Berichtes von Onkozert für das
Jahr 2010, so wird man für viele Qualitätsparameter eine relativ breit verlaufende
Verteilungskurve erhalten (ähnlich der Kurven A und B). Es ist zu beachten, dass individuelles
Können wie Kenntnis im Spitzenbereich sicher nur von wenigen Chirurgen erreicht werden
kann.
Abb. 1 Hypothetische Verteilung der Ergebnisqualität von Chirurgen.
Die Einführung neuer, besserer Therapiekonzepte (z. B. TME) und deren flächendeckende
Verbreitung führt entsprechend den individuellen Möglichkeiten der Chirurgen zu einer
relevanten Verbesserung der Patientenversorgung, die Ergebniskurve A würde zur Kurve B
verschoben werden.
Erstaunlicherweise finden sich überhaupt keine Publikationen über einen „High-Volume“-Effekt
für Onkologen oder Strahlentherapeuten. Mutmaßlich differieren aber auch deren Behandlungsergebnisse,
schon da die Diagnose und Therapie von teils fatalen Komplikationen sicher nicht jedem
Therapeuten gleich gut gelingt. Es stellt sich die Frage, was mit Zentren geschehen
soll, an denen z. B. „gute“ Chirurgen und Onkologen (jeweils Kurve C) mit z. B. „schlechten“
Strahlentherapeuten (Kurve A statt B) zusammenarbeiten.
Die Kernfrage ist hier doch, wie weit man chirurgische Spezialisierungen vorantreiben
will und kann, wenn man bedenkt, dass die „Ressource Chirurg“ begrenzt ist und eine
qualitativ hochstehende Notdienstversorgung auch flächendeckend aufrecht erhalten
werden muss. Außerdem muss ein unterdurchschnittlicher „Kolorektalchirurg“, der fortan
keine Darmchirurgie mehr betreiben dürfte, ja nicht zwangsläufig ein guter „Ösophagus“-,
„Gallenblasen“- oder „Hernienchirurg“ sein, also in diesen Versorgungsbereichen zum
Vorteil der Gesellschaft einsetzbar sein.
Resultierend ist an dieser Stelle kritisch zu hinterfragen, wer denn nach strikter
Anwendung des vom BGH geforderten Kriteriums eines durchschnittlichen erfahrenen Facharztes
diejenigen Patienten in Zukunft versorgen soll, die von den 50 % unterdurchschnittlichen
Chirurgen bisher versorgt wurden, wenn diese von der weiteren Versorgung ausgeschlossen
würden. Welcher Spezialist verfügt über entsprechend freie Valenzen seiner Arbeitskapazität,
um die doppelte Anzahl von Patienten zu behandeln? Die Versorgungsrealität ist in
diesem Kontext zwingend zu beachten.
Im übrigen erfordert der Ausschluss von Chirurgen natürlich eine unabhängige, stringente,
risikoadjustierte Datenerhebung bezüglich einer ganzen Reihe von Qualitätsparametern
für jeden einzelnen Chirurgen bzw. eine einzelne Klinik.
Wird Benchmarking effektive Konsequenzen ermöglichen?
Wird Benchmarking effektive Konsequenzen ermöglichen?
Dies führt wiederum unweigerlich zur Frage, ob risikoadjustierte Daten für einzelne
Operateure oder Kliniken in einem signifikanten Umfang, also in justiziablem Sinne
beweisende Daten überhaupt erhoben werden können, sodass wirksame Konsequenzen gezogen
werden könnten. Eine ausführliche Diskussion zur Problematik der bisher unmöglichen
Festsetzung von Mindestfallzahlen im Rahmen der Versorgung von kolorektalen Karzinomen
findet sich bei Weber u. Link [6]. Setzt man einmal die von Onkozert geforderten 50 Resektionen jährlich bei kolorektalen
Karzinomen pro Klinik zugrunde, würde man ca. 10 Jahre benötigen, um eine statistisch
ausreichende Grunddatenmenge bezüglich der Anastomoseninsuffizienz- und Reinterventionsrate
einer Klinik zu erlangen. Um das 5-Jahres-Überleben dieser Patientengruppe sicher
zu definieren, ist ein Zeitraum von 15 Jahren zur Datenerhebung zu veranschlagen.
Berücksichtigt man, dass ggf. erst nach dieser Zeit Rückmeldungen zu Verbesserungsvorschlägen
gemacht werden können und der Klinik Gelegenheit zur Verbesserung inklusive erneuter
Datenerhebung zu gewähren ist, würden nochmals mindestens drei bis sechs Jahre vergehen,
bis ein letztendlich justiziabler Datensatz erhoben worden ist. Das Berufsleben des
verantwortlichen Chefarztes ist zu diesem Zeitpunkt in aller Regel beendet, sodass
ein Effekt für die Versorgung der Patienten so nicht zu erreichen ist.
Zur Begründung des Sinnes und des Erfolges der Zertifizierungen von Darmkrebszentren
verweisen die Befürworter unter Anderem auch auf die häufigere Durchführung einer
adjuvanten Chemotherapie im UICC-Stadium III, da an zertifizierten Darmkrebszentren
im Mittel 73,8 % der Patienten, bundesweit aber nur 61,2 % der Patienten die indizierte
adjuvante Chemotherapie tatsächlich erhalten [1]
[8]
. Ob bei diesen rein deskriptiven Daten ein statistisch signifikanter Unterschied
besteht, kann nicht beurteilt werden. Bei effektiver Verbesserung des 5-Jahres-Überlebens
von ca. 10 bis 15 % durch eine adjuvante Chemotherapie (FOGT – 1, CCA – 0,1, MOSAIC-Studien)
hätten bei 12,6 % mehr behandelten Patienten nur ca. 1,8 % der Patienten des UICC-Stadium III
eine bessere Prognose. Bei einem Anteil des UICC-Stadium III von ca. 30 % am gesamten
Patientengut würden nicht einmal 1 % aller Patienten mit kolorektalen Karzinomen von
einer Zentrumsbehandlung profitieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Patienten
trotz Empfehlung der behandelnden Ärzte nicht immer eine leitliniengerechte Therapie
durchführen lassen. So haben an der eigenen Klinik 21 % derjenigen Patienten, denen
eine adjuvante Chemotherapie im UICC-Stadium III empfohlen wurde (und für die ein
Termin beim behandelnden Onkologen schon vor Entlassung vereinbart war), diese Therapie
nicht durchführen lassen. Sieben Prozent der eigenen Patienten waren aufgrund von
Komorbiditäten oder einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand für eine adjuvante
Chemotherapie laut Beschluss der Tumorkonferenz nicht geeignet.
Haben Ärzte und Patienten differente Ansichten über Nutzen und Risiko?
In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Aspekt höchst interessant, der in der Literatur
noch nicht ausreichend gewürdigt wurde. So umfasst die leitliniengerechte Behandlung
eines Rektumkarzinoms der UICC-Stadien II und III eine neoadjuvante Radio-Chemotherapie,
die auch im zunehmenden Umfang durchgeführt wird [10], und für die Onkozert eine Sollvorgabe von ≥ 80 % für die Darmkrebszentren vorgibt:
Bei einer umfassenden Aufklärung über die Vor- und Nachteile dieser Therapie inklusive des
erreichbaren Gesamtüberlebens würden sich aber 86 % der Befragten (u. a. 93 % der
Laien, 74 % der Mediziner, 91 % der befragten Gesundheitspolitiker) gegen die Durchführung
einer neoadjuvanten Radio-Chemotherapie entscheiden [16]. Die Diskrepanz zwischen den tatsächlich applizierten Radio-Chemotherapien und den
Ergebnissen der zitierten Studie ist beachtlich. An dieser Stelle ist daran zu erinnern,
dass jeder ärztliche Eingriff einer Einwilligung des Patienten bedarf und neben den
zu erwartenden Heilungschancen auch die mit dem Eingriff verbundenen Gefahren und
Risiken wie auch die Vor- und Nachteile alternativer Behandlungsmethoden in der Aufklärung
zu erwähnen sind [17]
[18]
. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Angabe einiger der Befragten,
dass Angehörigen von ihnen, die schon an einem Rektumkarzinom erkrankt waren, diese
umfassende Information nicht zur Verfügung gestanden hatte und sie sich ggf. für eine
andere Behandlung entschieden hätten [16].
Werden die aufgestellten Kriterien der Zertifizierung stringent eingehalten?
Werden die aufgestellten Kriterien der Zertifizierung stringent eingehalten?
Da Zertifikate ein nicht unwesentliches Marketinginstrument darstellen, ist der Umgang
mit Zertifizierungsprozessen kritisch zu überwachen.
Wie oben schon ausgeführt, wollen die Befürworter von Zentrumszertifizierungen durch
wiederholte Audits und Überprüfung der Behandlungsqualität zur Verbesserung der Patientenversorgung
beitragen. Von den selbst aufgestellten Kriterien der Zertifizierung dürften keine
Abstriche gemacht werden, wenn Quervergleiche für die erfolgreiche Rezertifizierung
herangezogen werden sollen [1]. Es erstaunt daher, dass im Benchmarking-Bericht für das Jahr 2010 für den Qualitätsindikator
Anastomoseninsuffizienzen bei elektiven Kolonresektionen für Audits ab dem Jahr 2011
die Definition der Anastomoseninsuffizienz durch die Beschränkung auf reinterventionspflichtige
Insuffizienzen präzisiert und darüber hinaus die Sollvorgabe von ≤ 3 % auf ≤ 6 % verändert
werden soll [8]. Diese Entscheidung steht den Zielen der Qualitätsverbesserung der Patientenversorgung
diametral gegenüber. Hier werden in Zukunft für elektive Kolonresektionen Insuffizienzraten
in einer Größenordnung geduldet, die an anderen Kliniken für Rektumresektionen erreicht
werden [10]. Da eine Insuffizienzrate von 3 % flächendeckend in Deutschland erreichbar ist [9], ist insbesondere zu kritisieren, dass sich die DKG nicht an ihre eigene Vorgabe,
keine Abstriche von den erstellten Kriterien der Zertifikation zu dulden, hält. Folgt
man dem Zentrumsgedanken konsequent, so sollte man von den Zentren regelmäßig überdurchschnittlich
gute Ergebnisse erwarten können, damit sie ihren Titel rechtfertigen. Die Zielvorgaben
sollten entsprechend eigentlich in Richtung ≤ 2 % verändert werden, um gegenüber den
flächendeckend erreichten Ergebnissen eine Qualitätssteigerung zu erzielen.
Bei aller Fokussierung auf die operative Ergebnisqualität einzelner Chirurgen oder
Kliniken darf nicht vergessen werden, dass die Prognose des kolorektalen Karzinoms
im Wesentlichen vom primären TNM-Stadium des Tumors, dem Patientenalter und den Begleiterkrankungen
des Patienten abhängig ist [11]. Eine multivariate statistische Untersuchung von mehr als 22 400 Patienten ergab
einen nur marginalen Einfluss des Caseloads des Chirurgen auf die postoperative Mortalität
[19]. In dieser Studie konnte die Wahrscheinlich der postoperativen Mortalität (Basis-Mortalitätsrate
12 / 1000) durch einen „High-Volume“-Chirurgen um lediglich 1 / 1000 Fällen und durch
ein „High-Volume“-Hospital um knapp 2 / 1000 Fällen verringert werden. In einer kürzlich
publizierten Studie wurde festgestellt, dass bei Überprüfung der operativen Qualität
der teilnehmenden Chirurgen mittels vorzulegender Videoaufnahmen von Operationen keine
Unterschiede zwischen „Low“-, „Medium“- oder „High-Volume“-Chirurgen bezüglich der
Komplikationsrate und des onkologischen Langzeitergebnisses nachweisbar waren [20].
Dass die Unterteilung von Kliniken in „Low“-, „Medium“- und „High-Volume“-Zentren
anhand ihrer Fallzahlen generell problematisch ist, da hierfür keine ausreichende
evidenzbasierte wissenschaftliche Basis vorhanden ist, wurde auch schon für die komplexeren
Eingriffe der Pankreas- [21] und Magenkarzinomchirurgie [22] diskutiert. Statistisch signifikante Fallzahl-Schwellenwerte konnten selbst hier
ebenso wenig identifiziert werden wie auch keine einheitliche Definition von „Low“-,
„Medium“- und „High-Volume“-Kliniken erstellt werden konnte [21]
[22]
.
Dass eine per wiederkehrender Audits überprüfte Zertifizierung Arbeitsabläufe in Kliniken
und die Befolgung von medizinischen Leitlinien überprüfen und damit ggf. auch sichern
kann, steht außer Frage. Ein realer Vorteil ist aber nur dann gegeben, wenn im Vergleich
zu nicht zertifizierten Kliniken ein relevanter, sprich signifikanter Unterschied
in der Ergebnisqualität bestehen würde. In Anbetracht des letzten Benchmark-Berichtes
[8] muss ein solcher Vorteil infrage gestellt werden.
Welche Nachteile könnten durch Zertifizierungen entstehen?
Welche Nachteile könnten durch Zertifizierungen entstehen?
Schließlich muss diskutiert werden, ob die Konzentration von medizinischen Leistungen
in Zentren noch weitere nachteilige Effekte haben könnte. Theoretisch benötigten wir
in Deutschland für unsere jährlich neu diagnostizierten ca. 70 000 Patienten mit kolorektalen
Karzinomen an ca. 70 Zentren 160 bis 210 „Kolorektal-Chirurgen“, die pro Arbeitstag
zwei kolorektale Resektionen durchführen würden, wenn man den Zentrumsgedanken konsequent
umsetzen würde und an die damit verbundene Perfektion der chirurgischen Tätigkeit
glaubt. Fraglich ist, wie sich die tägliche Routine im Arbeitsalltag auf Dauer auf
die Ergebnisse der Spezialisten auswirken würde. Weiterhin ist unklar und zu diskutieren,
inwieweit die Spezialisten unser Kliniksystem verändern würden. Unterstehen die Kollegen
noch weisungsgebunden ihrem Chefarzt? Wären die Chefärzte bereit, auf diesen Teil
ihrer Arbeit zu verzichten?
Könnte die konsequente Zentralisierung der Leistungserbringung nachfolgend zu einer
Monopolisierung der Leistungserbringer im Verhältnis gegenüber den Kostenerstattern
führen?
Die kritische Sichtung der vorhandenen Literatur zeigt, dass zwar postuliert wird,
zertifizierte Krebszentren würden zu einer Qualitätsverbesserung der Behandlung Krebskranker
führen bzw. seien dafür unabdingbar. Ein Beweis wurde bisher jedoch nicht erbracht.
Die bisher vorliegenden Daten weisen für Darmkrebszentren sogar in die andere Richtung.
Insofern stellt sich abschließend die Frage, inwiefern denn das vonseiten der DKG
(Organkrebszentren, onkologische Zentren, onkologische Spitzenzentren) und der Fachgesellschaft
(Kompetenz-, Referenz-, Exzellenzzentrum) schon etablierte Zentrenranking sinnvoll
ist. Festzuhalten bleibt, dass hier finanzielle Ressourcen unseres Gesundheitssystems
verschwendet werden, wenn durch Zertifizierung von Darmkrebszentren kein positiver
Effekt für die Behandlung der Patienten nachgewiesen werden kann. Dies ist nach § 12
SGB V gesetzeswidrig.
Diskussion
Diskussion
Von verschiedener Seite aus fordern Befürworter von Zentren und deren Zertifizierungen,
dass Patienten, die an einem kolorektalen Karzinom erkrankt sind, zukünftig möglichst
nur noch an zertifizierten Zentren behandelt werden sollten, da lediglich eine Zertifizierung
die adäquate Behandlung der Patienten entsprechend den Leitlinien und den geforderten
Strukturen sicherstellen könne [1]. Andere Autoren berichten, dass die Datenlage zur chirurgischen Behandlungsqualität
in scheinbar überwältigender Weise zeige, dass Faktoren wie die Fallzahl eines Chirurgen,
das „High-Volume“-Hospital, eine spezialisierte Ausbildung in kolorektaler Chirurgie
und die Überwachung durch Experten eine große Verbesserung für den Patienten darstelle
und schließlich in der Bildung spezieller „Colorectal Cancer Units“ münden sollte
[11].
Bei kritischer Sichtung der vorliegenden Literatur ergeben sich aber selbst für die
komplexen Eingriffe der Ösophagus- und Pankreaschirurgie keine sicher definierbaren
„Volume“-Schwellenwerte [21]
[22]
[23]
. Da die Effekte eines „High-Volume“-Hospitals oder Chirurgen im Bereich der kolorektalen
Chirurgie noch weitaus geringer sind und die Datenlage inkonsistent ist, besteht zum
derzeitigen Zeitpunkt keine wissenschaftliche Basis, Mindestmengen im Bereich der
kolorektalen Chirurgie festzulegen [4]
[6]
.
Selbstverständlich wird niemand der Forderung widersprechen, dass ein Chirurg, der
einen operativen Eingriff durchführt, diesen im Rahmen seiner Weiterbildung zum Chirurgen
erlernt haben muss. Ebenso ist jeder Operateur verpflichtet, sich im Rahmen seiner
Fortbildung auch neue operative Verfahren, wie damals die TME, anzueignen, um seine
Patienten dem aktuellen wissenschaftlichen Stand gemäß bestmöglich zu behandeln. Eine
deutliche Verbesserung der Versorgungsqualität von Rektumkarzinompatienten durch Weiterbildung
der Chirurgen auch ohne die Bildung von spezialisierten „Colorectal Cancer Units“
und ohne Zertifizierung ist möglich, wie die Daten von Lehander Martling et al. gezeigt
haben [15]. Bisher fehlt in der Literatur der Nachweis, dass die arbeitsaufwändige und kostenintensive
Zertifizierung von Darmkrebszentren zu einer Verbesserung der Versorgung der Patienten
in der Breite geführt hat. Dies wird insbesondere deutlich, wenn die Ergebnisse des
Onkozert Benchmark-Berichtes für das Jahr 2010 den Ergebnissen des An-Instituts gegenübergestellt
werden [8]
[9]
[10]
. Dies ist ein ganz entscheidender Fakt, der auch für die weitere politische Diskussion
dieses Themas unbedingt beachtet werden muss, denn die wiederkehrenden Verfahren zur
Rezertifizierung verbrauchen nicht unerhebliche finanzielle Ressourcen, deren Einsatz
gemäß SGB V nur bei Sinnhaftigkeit gerechtfertigt ist. Es ist durchaus zu diskutieren
und zu erforschen, ob durch die Bildung von Krebszentren unter Androhung von Konsequenzen
bis hin zum Ausschluss von der Teilnahme an der Patientenversorgung nicht auch nachteilige
Effekte auf die chirurgische Ergebnisqualität entstehen können. Beispielhaft ist hier
die Auswirkung eines Erfolgsdruckes bei Offenlegung operateursbezogener Behandlungsergebnisse
auf Insuffizienzraten und Hartmann’sche Operationen anzuführen. Ebenso ist zu diskutieren,
welche Auswirkungen die Zentrenbildung auf die chirurgische Weiterbildung haben werden
[21].
Die gesamte Thematik einer Qualitätsverbesserung der Versorgung unserer Patienten
durch die Bildung von zertifizierten Zentren ist weitaus komplexer als bisher in der
Literatur aufgezeigt. Die begrenzt zur Verfügung stehende Anzahl von Chirurgen mit
ihren individuellen Fähigkeiten, die zukünftige flächendeckende Versorgung von Notfallpatienten,
die Erhebung justiziabler Datensätze, die Auswirkungen auf unser derzeitiges Kliniksystem
und nicht zuletzt die Vergütung von hochspezialisierten Chirurgen ist noch nicht ausreichend
diskutiert.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Zertifizierungen von Darmkrebszentren sind nur dann sinnvoll, wenn durch sie die Versorgungsqualität
der Patienten flächendeckend effektiv gesteigert werden kann. Da anhand der vorliegenden
Literatur dieser Vorteil gegenüber nicht zertifizierten Kliniken bisher nicht zu belegen
ist, ist der Sinn von Zertifizierungen derzeit zumindest zu hinterfragen. In der weiteren
Diskussion über Zentrenbildung und Zertifizierungen sollten die genannten Probleme
mit berücksichtigt werden. Die Einhaltung medizinischer Standards und Leitlinien ist
der Ärzteschaft aber auch ohne Auditoren und deren Zertifikate möglich.
Interessenkonflikt: Nein.