DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2012; 10(01): 1
DOI: 10.1055/s-0031-1280390
DO | editorial
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Editorial

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Publication Date:
09 February 2012 (online)

 

Entwicklungslinien der Osteopathie

Liebe Leserinnen und Leser,

die DO wird 10 Jahre alt und begeht diesen Anlass mit einer Jubiläumsausgabe zu den Entwicklungslinien der Osteopathie. Wir haben Beiträge zusammengestellt, die Vergangenheit, Gegenwart und mögliche oder wünschenswerte Zukunft der Osteopathie beleuchten.

Die Nullnummer der DO erschien 2002; das Geburtsjahr der Osteopathie in der BRD lässt sich dagegen nur ungefähr angeben. Ende der 80er-Jahre entstanden die ersten berufsbegleitenden 5-jährigen Ausbildungsprogramme. In Berlin fand die erste Kursreihe im Herbst 1989 in einem Gebäude statt, das direkt an der – bald nicht mehr stehenden – Mauer stand. Offenbar war die Zeit reif für einen Neuanfang. In den folgenden Jahren begann die osteopathische Welt langsam Form anzunehmen; erste politische Institutionen entstanden zu Beginn der 90er-Jahre, anfangs noch kontrolliert durch die Schulen, dann sich emanzipierend. In diese Zeit fällt die Geburt der Osteopathie in der BRD.

Lange blieb Osteopathie ein Insidertipp, eine Zufluchtstätte der vom Gesundheitssystem Ausgestoßenen. Erst boomten die Praxen, dann die Schulen, später sprossen postgraduierende Programme aus dem Boden und mit ihnen kam die Titelflut. Es folgten Jahre der Prosperität, dann die wirtschaftliche Flaute und Verunsicherung; Osteopathie anzubieten ist keine Garantie mehr für einen vollen Praxisplan. Viele Kollegen trauen sich den letzten Schritt in die osteopathische Praxis nicht mehr zu.

Berufspolitisch wurde vieles bewegt. Bewegung tut gut, ist aber nicht die Lösung. Osteopathie spielt eine Rolle, wird wahrgenommen und anerkannt; aber die Frage, wie sie sich selbst gesellschafts- und gesundheitspolitisch einordnet, ist nach wie vor unbeantwortet. Die Verstrickung in das physiotherapeutische und ärztliche Handlungsschema dominiert weiterhin das Gesamtbild der Osteopathie. Jetzt ruht die Hoffnung vieler auf der akademischen Hintertür: Was studierbar ist und einen akademischen Titel trägt, muss doch ein anerkannter Beruf sein. Ob diese Gleichsetzung von Studium und Berufsbild in einer gesellschaftlichen Anerkennung eines eigenständigen Berufs des Osteopathen aufgeht, steht in den Sternen. Weiterhin werden die abstrusesten Behauptungen über Reichweite und Substanz akademischer Würden in die Welt gesetzt – und geglaubt. Das unterstreicht, dass die Einfügung der Osteopathie in einen breiten Wissenschaftsdiskurs und in die wissenschaftlichen Institutionen hierzulande längst überfällig ist.

Manche Entwicklungslinie ist an der DO selbst abzulesen. Im Editorial der Nullnummer wurde noch die Alternative von brutalem, evidenzbasiertem Positivismus und schwelgerischer, hinterwäldlerischer Philosophie angeboten. Dagegen zeigt die vorliegende Ausgabe, dass sich ein weites und noch zu bestellendes Feld zwischen diesen Extremen auftut. Liegt die wissenschafts- und gesundheitspolitische Aufgabe der Osteopathie möglicherweise darin, diese Extreme zu vermeiden? Ist es nicht die osteopathische Herausforderung, an der Vermittlung von Natur- und Humanwissenschaft, von Körper-Wissen und Leib-Erleben, von biochemischer und biomechanischer Krankheitslehre zu arbeiten sowie diese Vermittlung im Rahmen der Behandlungssituation, der therapeutischen Beziehung und im wissenschaftlichen Diskurs erneut zu Wege zu bringen?

Die Herausgeber


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