Nosokomiale Infektionen erhöhen die Morbidität und Mortalität, verlängern den Klinikaufenthalt
und sind mit Mehrkosten verbunden. Dabei gilt die wachsende Zahl multiresistenter
Erreger als Hauptursache für Therapieversagen bei schweren Infektionen. Innovative
Antibiotika werden dringend benötigt, wie Priv.-Doz. Dr. Christian Eckmann, Chefarzt
der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, Klinikum Peine, betont.
? Herr Privat-Dozent Dr. Eckmann, welche Erreger sind es, die die Antibiotikatherapie
erschweren, und welchen Stellenwert haben diese Erreger bei Ihren Patienten?
PD Dr. Eckmann: Im chirurgischen Krankengut sind es speziell Patienten mit schweren intraabdominellen
Infektionen, bei denen die adäquate chirurgische Versorgung und die frühzeitig einsetzende,
kalkulierte Antibiotikatherapie für das Überleben der Patienten entscheidend ist.
Vor allem Patienten mit postoperativer oder tertiärer Peritonitis, die bereits im
Vorfeld mit Antibiotika behandelt wurden, haben ein erhöhtes Risiko der Infektion
durch resistente Erreger. Bei den grampositiven Bakterien bereiten Enterokokken mit
oder ohne Vancomycin-Resistenz (VRE) besondere Therapieprobleme. Besorgniserregend
ist weiterhin die Zunahme der Multiresistenz bei gramnegativen Erregern durch ESBL-bildende
Enterobacteriaceae. Diese sind mittlerweile ubiquitär und nicht nur in Universitätskliniken
zu finden. Darüber hinaus ist es auch in Deutschland schon zu Ausbrüchen von Infektionen
gekommen, die durch Carbapenem-resistente Erreger verursacht wurden.
? Welche geeigneten Therapieoptionen existieren und wie sollten diese eingesetzt werden?
Eckmann: Bei intraabdominellen Infektionen verfügt Tigecyclin über eine gute Wirksamkeit bei
Enterokokken inklusive VRE. Bei Infektionen durch ESBL-Bildner werden häufig Carbapeneme
eingesetzt. Der Einsatz von Tigecyclin im Wechsel mit Carbapenemen (sog. Mixing-Strategie
oder "antibiotische Vielfalt") bei ESBL-Patienten soll den Selektionsdruck für Carbapenem-resistente
Erreger verringern. Das Prinzip der antibiotischen Vielfalt ist einer von vielen Einzelschritten
eines als "Antibiotic Stewardship" bezeichneten evidenzbasierten Maßnahmenbündels,
das uns die noch wirk-samen Antibiotika längerfristig erhalten soll. Denn insbesondere
zur Behandlung von Infektionen, die durch resistente gramnegative Erreger ausgelöst
werden, werden auf absehbare Zeit keine neuen Antibiotika zugelassen werden.
? Wie bewerten Sie die kürzlich erfolgten Stellungnahmen von FDA und EMA?
Eckmann: Die Stellungnahmen beruhen auf der Auswertung von 13 klinischen Studien in zugelassenen
und nicht zugelassenen Indikationen, die eine erhöhte Gesamtmortalität von 4 % bei
den mit Tigecyclin behandelten Patienten im Vergleich zu 3 % bei den Vergleichsantibiotika
ergab. Es sollte betont werden, dass es bei den in Deutschland für Tigecyclin zugelassenen
Indikationen der komplizierten intra-abdominellen (cIAI) Infektionen sowie Haut- und
Weichgewebsinfektionen (cSSTI) keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtsterblichkeit
gab.Die europäische Arzneimittelbehörde EMA schlussfolgert, dass der Nutzen von Tigecyclin
weiterhin größer ist als die Risiken. Die Ärzte werden darauf hingewiesen, dass Tigecyclin
nur in den zugelassenen Indikationen (cIAI und cSSTI) anzuwenden ist und auch nur,
wenn andere Medikamente "not suitable" (nicht verfügbar, nicht angemessen) sind. Eine
Aussage über eine generelle Aufforderung zur "second line"-Therapie ist hieraus nicht
zu entnehmen.
? Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen zum Einsatz von Tigecyclin bei Patienten mit schweren
nosokomialen Infektionen?
Eckmann: Dr. K.-F. Bodmann, Prof. W. R. Heizmann und ich haben eine prospektive Beobachtungsstudie
zur Behandlung schwerer Infektionen mit Tigecyclin geleitet. In einer mittlerweile
publizierten Auswertung von 656 Patienten, deren mittlerer APACHE-II-Score mit 19
sehr hoch lag, konnten klinische Erfolgsraten von fast 80 % erreicht werden, was bei
dem Schweregrad der Infektionen ein sehr guter Wert ist. Bei 50 % der Patienten wurde
eine Kombinationstherapie von Tigecyclin mit einem anderen Antibiotikum durchgeführt.
Wegen der Wirklücke gegenüber Pseudomonaden wurde Tigecyclin meist mit einem gegen
Pseudomonas spp. wirksamen Medikament kombiniert.
? Wann und bei welchen Patienten sollten Antibiotika wie Tigecyclin aus Sicht des
Chirurgen eingesetzt werden?
Eckmann: Die Frage des "wann" ist einfach zu beantworten: so früh wie möglich. Bei Patienten
mit septischem Schock, welcher vielen Statistiken zufolge zu ca. 30 % durch cIAI ausgelöst
wird, steigt die Letalität bei Verzögerung einer adäquaten Antibiotikatherapie stündlich
an. Es sind vor allem Patienten mit postoperativer (z. B. Nahtinsuffizienz nach Rektumresektion)
oder tertiärer Peritonitis (z. B. persistierende Infektion der Peritonealhöhle trotz
Herdsanierung), die von einer Therapie mit Antibiotika profitieren, deren Spektrum
auch resistente Erreger mit einschließt. Carbapeneme und Tigecyclin sind daher Medikamente,
die in den unlängst publizierten Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft genau
bei diesen intraabdominellen Krankheitsbildern zur empirischen Therapie empfohlen
werden. Bakterien sind klein, aber nicht dumm, wie kürzlich in einem Übersichtsbeitrag
zu Recht betont wurde. Infektionen, die durch resistente Erreger verursacht sind,
werden in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Wir brauchen Substanzen wie Tigecyclin,
um diesen "intelligenten" Gegnern etwas entgegen setzen zu können.
! Herr Dr. Eckmann, wir bedanken uns für das Gespräch.