Klin Padiatr 2011; 223(4): 205-206
DOI: 10.1055/s-0031-1277223
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die seröse Meningoenzephalitis im Kindesalter

Non-Purulent Meningoencephalitis in Children▪H.-M. Straßburg
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Publication Date:
04 July 2011 (online)

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Die möglichst frühzeitige Diagnose einer eitrigen Meningitis bei Fieber und/oder akut auftretenden neurologischen Symptomen, vor allem zerebralen Anfällen, ist ein unumstößliches Paradigma der Pädiatrie. Wir wissen aber aus vielen Erhebungen der letzten Jahre, dass z. B. ein erster zerebraler Anfall bei Fieber heute nur noch sehr selten in Folge einer bakteriellen Meningitis auftritt [8] [10]. Wir wissen auch, dass sich das Spektrum der klinischen Symptome einer Meningoenzephalitis einerseits und der diese verursachenden Erreger andererseits in den vergangenen 20 Jahren deutlich gewandelt haben [7] [9] [12].

Heute muss bei jedem Kind mit chronischen Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Wesensveränderungen, Schlafstörungen, Schwindel und vor allem Hirnnervenausfälle auch bei nur diskretem Meningismus an eine entzündliche Erkrankung der Hirnhäute und des Gehirns gedacht werden [2] [3] [4] [7]. Darüber hinaus ist bei allen akuten schlaffen Lähmungen im Kindes- und Jugendalter eine Liquordiagnostik indiziert, um ein Guillain-Barré-Syndrom oder eine transverse Myelitis zu differenzieren, nicht zuletzt aber auch, um eine Poliovirusinfektion auszuschließen [Reinheimer C et al. Enterovirusdiagnostik bei aseptischer Meningitis im Kindesalter mit Liquor und/oder Stuhl: Zellkulturgestützte Virusisolierung oder PCR? In diesem Heft: S. 221â226]. Die große Bedeutung von Borrelieninfektionen bei zirkumskripten Hirnnervenausfällen und transverser Myelitis ist sehr gut bekannt [3]. Weniger bekannt ist, dass diese Symptome auch durch Mycoplasma-pneumoniae-Infektionen ausgelöst werden können [Meyer Santeur PM et al. Mycoplasma pneumoniae-associated encephalitis in childhood-nervous system disorder during or after a respiratory tract infection. In diesem Heft: S. 209â213], offensichtlich spielen diese Erreger bei zunehmend mehr Patienten mit Symptomen einer Enzephalomyelitis eine Rolle [4] [7] [11] [12]. Dabei ist es noch unklar, ob die Pathophysiologie durch die direkte Infektion oder indirekte immunologische Mechanismen zu erklären ist. Auch der Zusammenhang einer ADEM-Erkrankung bzw. einer sich daraus entwickelnden Enzephalomyelitis disseminata (=multipler Sklerose) mit vorangegangenen Infektionen (z. B. durch Epstein-Barr-Virus) ist ebenso unklar wie Zusammenhänge zwischen einer Devic-Erkrankungen oder einer NMDA-Rezeptor-Enzephalopathie und vorausgehenden Entzündungen [7] [12].

In jedem Fall ist für diese immer größer werdende Gruppe von post- und parainfektiösen Erkrankungen die ausführliche Liquoruntersuchung mit differenzierter Bestimmung von verschiedenen Entzündungsparametern sowohl für die Diagnostik als auch für die Wahl der Therapie von wesentlicher Bedeutung. Noch immer ist nicht geklärt, wann Antibiotika (Cephalosporine, Makrolide u. a.), wann Kortikoide oder Immunglobuline und wann andere immunmodulierende Therapien indiziert sind [4] [7] [11] [12]. Darüber hinaus sollte immer wieder daran gedacht werden, dass verschiedene maligne Erkrankungen, u. a. Leukämien und Lymphome, primär durch Hirnnervenparesen auffällig werden [2].

Leider besteht heute bei vielen Eltern und Kindern eine große Abwehr, wenn eine Lumbalpunktion zur Liquorgewinnung vorgeschlagen wird. Immer noch bestehen Vorurteile gegenüber der „Rückenmarkspunktion”, der angeblich so schmerzhaften und traumatisierenden Untersuchung, den nach der Punktion auftretenden Rücken- und Kopfschmerzen mit Übelkeit und anderen angeblich lang dauernden postpunktionellen Gesundheitsstörungen [5] [6].

Um dem entgegenzuwirken, setzt sich zu Recht zunehmend durch, dass vor allem geplante Lumbalpunktionen bei Kindern und auch bei Jugendlichen heute, wenn möglich oder gewünscht, in Kurznarkose, z. B. auch mit Lachgas, durchgeführt werden. Darüber hinaus sollten möglichst dünnlumige „pencil point”-Nadeln oder Spezialnadeln wie die „Sprotte-Nadel” verwendet werden, um eine größere Liquorleckage am Punktionsort zu vermeiden [1] [5] [6].

Auch in der Zukunft wird bei vielen entzündlichen und nicht-entzündlichen Krankheitsbildern in der Pädiatrie eine Liquorgewinnung notwendig sein. Es ist wichtig, dass diese möglichst wenig traumatisierend für das Kind und von den Untersuchungen so effektiv wie möglich gestaltet werden.

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Literatur

  • 1 Arendt K, Demaerschalk BM, Wingerchuk DM. et al . A traumatic lumbar puncture needles: After all these years, are we still missing the point?.  Neurology. 2009;  15 17-20
  • 2 Bernbeck, B Wüller D, Janssen G. et al . Symptoms of childhood acute lymphoblastic leukemia: red flags to recognize leukemia in daily practice.  Klin Padiatr. 2009;  221 369-373
  • 3 Brunner J, Moschovakis G, Prelog M. Lyme neuroborreliosis: etiology and diagnosis of facial palsy in children from tyrol.  Klin Padiatr. 2010;  222 302-307
  • 4 Christie LJ, Honarmand S, Perlkinton DF. et al . Pediatric encephalitis: What is the role of myocoplasma pneumoniae?.  Pediatrics. 2007;  120 305-313
  • 5 Ebinger F, Kosel C, Pietz J. et al . Head ache and back ache after lumbar puncture in children and adolescent: A prospective study.  Pediatrics. 2004;  113 1588-1592
  • 6 Fein D, Avner JR, Khine A. Pattern of pain management during lumbar puncture in children.  Padiatr Emerg Care. 2010;  26 357-360
  • 7 Glaser CA, Honarmand S, Anderson LJ. et al . Beyond viruses: clinical profiles and etiologies associated with encephalitis.  Clin Infect Dis. 2006;  43 1565-1577
  • 8 Kimia AA, Kapraro AJ, Hummel D. et al . Utility of lumbar puncture for first simple febrile seizures among children 6th to 18th month of age.  Pediatrics. 2009;  123 6-12
  • 9 Meyer S, Gortner L, Gottschling S. Cardiogenic shock in a neonate with enterovirus myocarditis.  Klin Padiatr. 2009;  221 444-447
  • 10 Shaked O, Pena BM, Linares MY. et al . Simple febrile seizures: are the AAP guide lines regarding lumbar puncture being followed?.  Pediatr Emerg Care. 2009;  25 8-11
  • 11 Völter C, Helms J, Weissbrich B. et al . Frequent detection of myocoplasma pneumoniae in Bellâs palsy.  Eur Arch Otorhinolaryngol. 2004;  261 400-404
  • 12 Yis U, Kurul SH, Cakmakci H. et al . Myocoplasma pneumoniae: Nervous system complications in childhood and review of the literature.  Eur J Pediatr. 2008;  167 973-978
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Literatur

  • 1 Arendt K, Demaerschalk BM, Wingerchuk DM. et al . A traumatic lumbar puncture needles: After all these years, are we still missing the point?.  Neurology. 2009;  15 17-20
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