Einleitung
Einleitung
Epidemiologie
Patienten mit depressiven Störungen stellen einen sehr großen Teil der Behandelten
sowohl in ambulanter als auch in stationärer Psychotherapie. Das große persönliche
Leid der Patienten, aber auch die gesellschaftlichen Folgekosten, unterstreichen die
Bedeutung der Behandlung von Depressionen. Nach Schätzung der WHO wird die Depression
2020 weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe
des Lebens eine Depression zu erleiden, liegt bei bis zu 12 % für Männer und bis zu
26 % für Frauen. Häufig wird in den letzten Jahren deshalb von der „Volkskrankheit
Depression“ gesprochen.
Ergebnisse epidemiologischer Forschung zeigen, dass die Depression meist eine wiederkehrende
Störung ist, die für eine beträchtliche Anzahl von Patienten (10–30 %) chronisch wird.
Zudem ist die Überlappung mit anderen Störungen, insbesondere mit Angststörungen,
somatoformen Störungen und Persönlichkeitsstörungen sehr hoch; die Leitlinie Depressionsbehandlung
spricht von 75–90 % Komorbidität [1]. Screeninguntersuchungen in Allgemeinarztpraxen und Kliniken verweisen auf erhebliche
Quoten von depressiven Störungen, die hinter anderen Beschwerden verborgen sind und
oft unerkannt bleiben [2].
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Die Depression nimmt für 10–30 % der Patienten einen chronischen Verlauf mit häufig
hoher Komorbidität.
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Auch sind die Rückfallquoten für jede Form von Kurzpsychotherapie erschreckend hoch
[3], was zu einem neuen Interesse an psychodynamischen Langzeitbehandlungen geführt
hat. In der psychodynamischen Psychotherapie stellt die Depression die größte Krankheitsgruppe
dar. Rudolf beschreibt, dass bei 80 % der Patienten in ambulanter psychodynamischer
Psychotherapie depressive Symptome vorliegen [4].
Diagnose und Differenzialdiagnose
Typische Beschwerden einer Depression sind depressive Stimmung, Antriebsminderung,
Interessenverlust, Freudlosigkeit, Dysphorie, Energielosigkeit, Unruhe, Konzentrationsstörungen,
vermindertes Selbstwertgefühl, Selbstzweifel, Schuldgefühle, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit
und Sinnlosigkeit sowie Suizidideen, Appetitstörung, Gewichtsverlust, Libidoverlust,
Schlafstörung und körperliche Missempfindungen. Wenngleich viele der genannten Gefühlszustände
und Beschwerden allen Menschen bekannt sind, liegt bei Überschreiten einer bestimmten
Intensität bzw. Dauer ein depressives Syndrom vor, das dann die Kriterien für die
Diagnose einer Depression erfüllt.
Mit psychodynamischer Psychotherapie werden hauptsächlich Patienten mit den folgenden
Diagnosen behandelt:
-
depressive Episode (F32)
-
rezidivierende depressive Störung (F33)
-
Dysthymia (F34.1)
-
rezidivierende kurze depressive Störung (F38.1)
-
Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion (F43.21)
Es handelt sich also um Patienten aus den diagnostischen Kategorien F3: affektive
Störungen und F4: neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen im ICD-10.
Bei der depressiven Episode und der rezidivierenden depressiven Störung wird jeweils
zwischen leichter, mittelgradiger und schwerer depressiver Episode unterschieden.
Die Dysthymia ist durch leichtere Symptome als die depressive Episode gekennzeichnet,
aber auch durch langdauernde depressive Verstimmung (mindestens 2 Jahre), d. h. durch
einen chronischen Verlauf. Wenn die Kriterien für eine depressive Episode erfüllt
sind, muss nach ICD-10 diese Diagnose gestellt werden, auch wenn gleichzeitig eine
Dysthymia vorliegt; im DSM-IV besteht die Möglichkeit, eine „Double Depression“ zu
diagnostizieren – dies hat insofern Bedeutung, als diese Form der Depression als die
am schwersten behandelbare gilt [3].
Die Depressiven, die in die psychotherapeutischen Ambulanzen oder Praxen kommen, haben
in aller Regel eine jahrelange Vorgeschichte von depressivem Leiden und verschiedenen
Behandlungsversuchen hinter sich. Oft ist ihnen durch antidepressive Medikation oder
Kurzzeitpsychotherapie vorübergehend geholfen worden, doch die Beschwerden sind wiedergekehrt.
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Das typische Klientel der analytischen Psychotherapie leidet an chronifizierten Krankheitsbildern.
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Nach Leuzinger-Bohleber et al. sind es die besonders schweren, chronifizierten und
behandlungsresistenten („difficult-to-treat“) Depressionen, an denen sich die analytische
Psychotherapie beweisen sollte [5].
Tipp für die Praxis
Es hat sich in der psychodynamischen Diagnostik durchgesetzt, neben einer Symptom-
auch eine Strukturdiagnose (also eine Einschätzung des Niveaus der Persönlichkeitsorganisation)
zu stellen. In einer bundesweiten Standardisierung von psychodynamischen Diagnosen
mit dem Operationalisierten Psychodynamischen Diagnosesystem OPD-2 wurde auch die
Strukturdiagnose als Achse-IV-Struktur miteinbezogen [6].
Die Nationale Versorgungsleitlinie
Da die Behandlung der Depression ein sehr wichtiges Thema geworden ist, liegt seit
2009 nunmehr eine S3-Leitlinie bzw. die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zur Behandlung
der unipolaren Depression Erwachsener vor [1]. Diese NVL wurde in einem mehrjährigen Prozess von über 30 ärztlichen und psychologischen
Fachgesellschaften und Berufsverbänden erarbeitet.
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Diese Leitlinien übernehmen zunehmend die Funktion eines zu erfüllenden Mindestqualitätsstandards
bei der Behandlung depressiver Patienten.
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Der Geltungsbereich der NVL ist auf die unipolare depressive Störung Erwachsener,
d. h. depressive Episoden, rezidivierende depressive Störungen, anhaltende affektive
Störungen (hier nur: Dysthymia) und sonstige affektive Störungen (hier nur: rezidivierende
kurze depressive Störung) beschränkt. Die Aussagen der Leitlinien beziehen sich auf
Ätiologiemodelle, diagnostische Vorgehensweisen, allgemeine Behandlungsgrundlagen
sowie Pharmako- und Psychotherapie einschließlich Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe.
Darüber hinaus wird das Management bei Suizidgefahr beschrieben.
Rolle der Psychotherapie
Fazit der Leitlinie:
Es wird explizit darauf hingewiesen, dass Psychotherapien einen deutlich höheren „Carry-over“-Effekt
haben, also eine längerfristige Wirkung noch nach beendeter Behandlung. Auch belegen
Studien, dass die beste Rückfallprophylaxe, auch nach einer erfolgreich abgeschlossenen
Pharmakotherapie, eine anschließende Psychotherapie ist.
Zusammengefasst lauten die Empfehlungen der Leitlinie:
Leichte depressive Episoden. Es wird davon ausgegangen, dass bei leichten depressiven Episoden eine Pharmakotherapie
nicht Mittel der ersten Wahl ist, es sei denn, es besteht ein entsprechender Wunsch
des Patienten, ausgesprochen positive Vorerfahrungen oder eine Restsymptomatik nach
anderen Interventionen bzw. aus der Anamnese bekannte mittelgradige oder schwere Depressionen.
Ansonsten gilt Psychotherapie als Mittel der ersten Wahl.
Mittelgradige Depressionen. Bei mittelgradigen Depressionen wird im akuten Stadium von einer gleichen Wertigkeit
von antidepressiver Medikation und Psychotherapie ausgegangen. Die Empfehlungen sehen
beide Behandlungsmöglichkeiten vor.
Schwere Depressionen. Bei schweren Depressionen wird dezidiert empfohlen, sowohl Psychopharmakotherapie
als auch Psychotherapie anzubieten. Alle Antidepressiva können als äquivalent wirksam
angesehen werden. Im Bereich der Psychotherapie werden alle in Deutschland in der
Richtlinienpsychotherapie verankerten Therapieverfahren empfohlen.
Tipp für die Praxis
Es wird empfohlen, sich vor der Behandlung von depressiven Patienten mit der S3-Leitlinie
Depression vertraut zu machen.
Psychodynamisches Ätiologiekonzept
Psychodynamisches Ätiologiekonzept
Der depressive Grundkonflikt und seine Verarbeitung als psychische Disposition einer
späteren depressiven Erkrankung ist durch folgende psychodynamische Konstellation
charakterisiert: Die zentrale Beziehungserfahrung des Verlassenwerdens und / oder
des Verlustes mit dem charakteristischen Gemisch aus Objektbedürftigkeit und Objektenttäuschung
ist aufgrund struktureller Unreife des Depressiven emotional unerträglich. Starke
Bemühungen, sich dem Objekt anzubieten, um es zurückzugewinnen, sind die Folge. Alles
was die Beziehung zum Objekt gefährden könnte, wird vermieden. Stattdessen wird versucht,
ein ideales Bild des Objekts aufrechtzuerhalten (Idealisierung) und die Wahrnehmung
der emotional heftigen Objektenttäuschung wird vermieden. Diese Vorgänge sind verbunden
mit einer extremen Anstrengung und bedeuten psychophysiologisch permanenten Stress
durch die ständigen Bindungsbemühungen, Verlustängste, Anpassungsbereitschaft und
andrängende Enttäuschungswut.
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Der depressive Grundkonflikt beinhaltet Verlust des Objekts oder die Enttäuschung
am Objekt. Das typische Bewältigungsmuster (Abwehr) ist die Wendung der Aggression
gegen das Selbst.
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Rudolf stellt beim depressiven Grundkonflikt die folgenden 3 Aspekte in den Mittelpunkt
[4]:
-
die Internalisierung von konflikthaften Beziehungsmustern (Beziehungskonflikte, Bindungsprobleme),
-
die Entwicklung struktureller Vulnerabilität und
-
die Ausbildung spezifischer dysfunktionaler Bewältigungsmuster.
Am Beispiel der depressiven Störungen verdeutlicht er, wie Konflikt und Struktur beide
Aspekte einer früheren Bindungserfahrung darstellen. Auf der Grundlage der frühen
Verluste bzw. Defiziterfahrung besteht ein ausgeprägtes Bedürfnis nach nur guter Beziehung.
Bei einerseits Sehnsucht nach dem idealisierten Objekt und andererseits der Unfähigkeit,
Aggression direkt gegen das enttäuschende Objekt zu richten, wird, als Hauptabwehrmechanismus
der Depressiven, die Aggression gegen das eigene Selbst gewendet. Rudolf betont, dass
bei der Entwicklung der Depression sowohl der konflikthafte Beziehungsmodus als auch
die strukturelle Vulnerabilität eine Rolle spielen. Die strukturelle Vulnerabilität
betrifft Schwierigkeiten der Selbst-Objekt-Differenzierung und ganzheitlichen Objektwahrnehmung
sowie der Loslösung von Objekten, der Selbstwertregulierung, der Affektsteuerung und
Affektdifferenzierung.
Psychodynamische Psychotherapie
Psychodynamische Psychotherapie
Da der Begriff der psychodynamischen Psychotherapie unterschiedlich gebraucht wird,
wollen wir im Folgenden darstellen, welche Definition wir zugrunde legen. Es setzt
sich zunehmend durch, psychodynamische Psychotherapie als Überbegriff für die in der
Richtlinienpsychotherapie definierten Therapieverfahren zu verstehen:
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Psychodynamische Psychotherapie ist der Oberbegriff für analytische Psychotherapie
und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.
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Analytische Psychotherapie. Die analytische Psychotherapie, mit in der Regel 3 Wochenstunden und meist im Liegen
durchgeführt, gewinnt ihr Material v. a. durch die freien Assoziationen des Patienten,
denen der Therapeut seine „gleichschwebende“ Aufmerksamkeit gegenüberstellt. Die aktuellen
Konflikte und strukturellen Defizite werden vor dem Hintergrund der pathogenetisch
bedeutsamen Beziehungen zu den primären Bezugspersonen erhellt. Die interpersonellen
Probleme, die den Symptomen und Beziehungsstörungen zugrunde liegen, werden an den
intrapsychischen, unbewussten Selbst- und Objektrepräsentanzen bearbeitet, wobei die
Wiederholung dieser Beziehungsmuster in der Übertragung auf den Therapeuten die zentrale
therapeutische Strategie ist, um sie im Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung
effektiv bearbeiten zu können.
Gemäß den Psychotherapierichtlinien übernehmen die Krankenkassen bei nachgewiesener
Indikation und ausreichend guter Prognose die Kosten der analytischen Psychotherapie
derzeit bis max. 240 Behandlungsstunden.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bezeichnet eine Behandlungsform,
die sich an der psychoanalytischen Krankheitstheorie und Behandlungstechnik orientiert.
Sie unterscheidet sich aber durch ihre inhaltliche Schwerpunktsetzung sowie durch
die niedrigere Anzahl und Frequenz der Therapiesitzungen als externes Kriterium von
der psychoanalytischen Behandlungsmethode. Auch sie gewinnt ihr Material durch die
freien Assoziationen des Patienten, die aber durch Frequenz und Dauer der Therapie
als auch durch die Fokussierung als technisches Kriterium eingeschränkt sind. Zentrales
Merkmal der Theorie der Technik ist die Fokussierung auf innere, meist unbewusste
Konflikte, die als auslösend bzw. bedingend für eine aktuelle psychische Symptomatik
gesehen werden (Aktualkonflikte) und damit auf eine Begrenzung regressiver Prozesse.
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Die Technik der Fokussierung auf innere Konflikte ist ein zentrales Merkmal der tiefenpsychologisch
fundierten Psychotherapie.
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Thematisch konzentriert sich die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie besonders
auf die pathogene Beziehungsgestaltung der Patienten zu wichtigen Bezugspersonen meistens
der frühen Kindheit. Die interpersonellen Probleme, die den Symptomen und Beziehungsstörungen
zugrunde liegen, werden im interpersonellen Raum bearbeitet, ohne dass eine vertiefte
Analyse der unbewussten Selbst- und Objektrepräsentanzen stattfindet. Wie in der analytischen
Psychotherapie wird davon ausgegangen, dass sich die pathogenen Konflikte und Probleme
in der therapeutischen Beziehung reproduzieren; in der Regel dient ihre Kenntnis aber
nur der Orientierung des Therapeuten und sie werden nicht zusammen mit dem Patienten
analysiert. Eine direkte Arbeit an und mit der Übertragung im Rahmen der therapeutischen
Beziehung erfolgt, wenn sie nötig ist, z. B. bei der Widerstandsanalyse, sie ist aber
nicht die bevorzugte Behandlungsstrategie.
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Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen
Leben: den auslösenden Konflikten und den aktuellen beruflichen, sozialen, familiären
und Beziehungsproblemen.
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Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wird in der Regel mit einer Wochenstunde
und im Sitzen durchgeführt; die Krankenkassen übernehmen die Kosten derzeit bis zu
80 Behandlungsstunden.
Im Folgenden werden die beiden Verfahren der psychodynamischen Psychotherapie näher
erläutert.
Therapie der akuten Depression
Therapie der akuten Depression
Allgemeine Prinzipien
Der Umgang mit der akuten Depression, der häufig krisenhaft und dramatisch abläuft,
wird von vielen psychotherapeutischen und psychiatrischen Schulen ähnlich gesehen
und wird im Folgenden in 13 Punkten überblicksartig dargestellt. Die Ausführungen
sind angelehnt an Schauenburg [7].
-
Das unaufdringliche Zuhören und die Bereitstellung von Zeit und Raum stellt eine erste Beruhigung des depressiven Patienten dar.
-
Da depressive Patienten im bewussten Erleben davon ausgehen, dass ihnen Aufmerksamkeit
nicht zusteht, empfiehlt es sich, sie darin zu bestärken, dass sie sich Hilfe gesucht haben.
-
Eine genaue Erhebung des Ausmaßes der depressiven Symptomatik ist nicht nur zu diagnostischen, sondern auch zu therapeutischen Zwecken gut, da
sie Verständnis signalisiert.
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Die diagnostische Klärung dient nicht nur der eigenen Orientierung, sondern ist oft
ein direkter Weg, den Betroffenen Akzeptanz und Verständnis zu vermitteln.
-
Das Suizidrisiko muss als unabdingbarer Bestandteil der initialen Diagnostik auf jeden Fall aktiv
erfragt und ggf. müssen Maßnahmen ergriffen werden.
-
Selbst wenn nach klinischer Einschätzung eine langfristige Therapie angezeigt ist,
kann es anfangs sinnvoll sein, zunächst nur einen kürzeren Behandlungsabschnitt (ca. 20 Stunden) zu vereinbaren, um evtl. Abhängigkeitsängste nicht zu sehr zu stimulieren.
-
Es empfiehlt sich, eine evtl. nötige Begleitmedikation und deren Nebenwirkungen auch schon am Anfang zu besprechen, damit der Patient nicht unter der Therapie den Eindruck erhält, der Therapeut wisse
mit psychotherapeutischen Methoden nicht mehr weiter.
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Es ist empfehlenswert, dem Patienten möglichst viel Information über Symptomatik und Erkrankung zu vermitteln.
-
Es sollte möglichst am Anfang auch nach den Therapieerwartungen des Patienten gefragt werden.
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Klare Absprachen am Beginn einer Behandlung sind unbedingt erforderlich.
-
Es kann sehr hilfreich sein, mit dem Patienten gemeinsam sog. antidepressive Strategien zu erarbeiten wie Sport oder Aufnahme sozialer Kontakte.
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Der Therapeut kann durchaus seine eigene Wahrnehmung im Sinne eines Hilfs-Ichs zur Verfügung stellen.
-
Der Therapeut sollte einen Behandlungsfokus erstellen, beispielsweise ein problematisches Beziehungsmuster, wie altruistische Abtretung
oder strukturelle Einschränkungen, wie gestörte Affektregulation. Den ausgewählten
Fokus kann man sowohl als innere Richtschnur des Therapeuten im Verlaufe der Psychotherapie
benennen als auch als eine Hypothese dem Patienten mitteilen – beides kann sehr entlastend
wirken.
Insgesamt hat der Therapeut im Umgang mit akut Depressiven keine leichte Aufgabe,
denn er muss einerseits eine betreuende und schützende Funktion ausüben, andererseits
die erlebte Hilflosigkeit, den Pessimismus und die Distanz zum inneren Erleben aushalten
und damit den Patienten stützen.
Tipp für die Praxis
Zur Stabilisierung des Therapieerfolgs sowie zur Senkung des Rückfallrisikos soll
im Anschluss an eine Akutbehandlung eine angemessene psychotherapeutische Nachbehandlung
(Erhaltungstherapie) angeboten werden. Dies empfiehlt auch die Nationale Versorgungsleitlinie
Unipolare Depression.
Analytische Psychotherapie
Die analytische Psychotherapie Depressiver ist auf mehrere Jahre angelegt und findet
in der Regel mit 3 Stunden pro Woche im Liegen auf der Couch statt. Bei Depressiven
mit gering oder mäßig integriertem Strukturniveau nach OPD-2 empfiehlt es sich, mit
2 Wochenstunden im Sitzen zu arbeiten. Durch die Dauer und Intensität der analytischen
Arbeit können Effekte erzielt werden, die weit über eine symptomatische Veränderung
hinausgehen und zu einer strukturellen Veränderung, d. h. zu einer Veränderung der
Konflikte und strukturellen Störungen führen, die der Symptomatik zugrunde liegen.
Die strukturelle Veränderung wird als therapiespezifisches Ergebnis von psychoanalytischen,
und in einem geringeren Umfang von tiefenpsychologisch fundierten Therapien angesehen.
Die pathogenen Beziehungsmuster der Depressiven werden in der Übertragung auf den
Therapeuten dargestellt und können dadurch im Hier und Jetzt verstanden, gedeutet
und durchgearbeitet werden.
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Als Faustregel gilt: Je chronischer die Erkrankung, je konfliktreicher das Leben und
je differenzierter die Innenwelt des Patienten, desto klarer ist die Indikation für
eine analytische Psychotherapie zu stellen.
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Bei Depressiven, deren Symptomatik auf tiefgehenden Konflikten und auf Persönlichkeitsstörungen
basiert, wird ausreichende Veränderung folgendermaßen ermöglicht [8]:
-
durch das Setting geförderte regressive Prozesse
-
Inszenierung der pathologischen Beziehungsmuster in der Übertragung
-
Umwandlung der Charakterabwehr in aktuelle und bearbeitbare Widerstände
-
Aktualisierung frühkindlicher, präverbaler Traumata und damit zusammenhängender Handlungsmodelle
-
Veränderung durch die „neue Erfahrung“ mit dem Analytiker
-
Behandlungstechnik, bei der auf der Basis des empathischen Zuhörens die Analyse der
aktuellen Beziehung zwischen Analytiker und Patient, das Wissen um die Übertragung,
die Verwendung der Gegenübertragung und die deutende Tätigkeit (inkl. der Übertragungsdeutung)
im Vordergrund stehen.
Übertragung. Der zentrale unbewusste Konflikt wird dabei allmählich aktiviert, bestimmt eine Zeit
lang die Übertragung – für beide Beteiligte oft schwer erträglich – und wird dadurch
der Deutungsarbeit zugänglich. Das wesentliche Material, anhand dessen sich die Übertragung
konkretisiert, können die Beziehungen zum Partner, zur Familie und am Arbeitsplatz,
das Selbsterleben, Hindernisse und Hemmungen, verdrängte Wünsche in Träumen und Tagträumen
usw. sein.
Veränderungsrelevanter Faktor. Als veränderungsrelevanter Faktor in der analytischen Behandlung wirkt weniger die
kognitive Einsicht in die unbewusst motivierte und automatisierte Verhaltenspathologie
und ihre lebensgeschichtliche Entwicklung, als das Erleben und die affektiv geladene
Erinnerung der schmerzlichen Ursprungssituationen.
Durcharbeiten. Schließlich folgt das Durcharbeiten, d. h. das immer wieder neue „Durchkauen“ der
zentralen Konflikte in ihren verschiedensten Erscheinungsformen, bis eine stabile
Veränderung des Erlebens und Verhaltens des Depressiven erreicht ist. In aller Regel
kommt es dann zu einer anhaltenden Auflösung der Symptomatik.
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Insgesamt sollen durch die Arbeit in der analytischen Psychotherapie an und in der
Übertragung mit depressiven Patienten deren typische Konflikt- und Beziehungsmuster
erkannt und „verflüssigt“ werden.
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Analytische Psychotherapie
Wichtige Ziele
-
negative Beziehungserwartungen in der Übertragungsbeziehung aktualisieren (Analyse
der „negativen Übertragung“)
-
destruktive Fantasien erlebbar machen und dadurch die in ihnen liegenden potenziell
positiven Kräfte freilegen
-
Vermeidung bzw. altruistische Abtretung eigener Bedürfnisse in wahrnehmbare Triebwünsche
und Bedürfnisse verändern
-
aus der chronischen Enttäuschung die Enttäuschungswut befreien
-
die Hoffnungslosigkeit in eine offen zugelassene Hilfesuche transformieren
-
destruktive Schuldgefühle in eine zunehmende Fähigkeit zur aktiven Beziehungsgestaltung
umwandeln
Cave
Eine besondere Gefahr in der analytischen Psychotherapie Depressiver ist das zu frühe
Ansprechen der Aggressivität, ohne dass der Abwehrmechanismus der Wendung der Aggression
gegen das eigene Selbst ausreichend bearbeitet wurde. Dann nämlich kann es zu Schuldgefühlen
und zur Suizidalität kommen und im weiteren Verlauf auch durch die zunehmende negative
Übertragung zum Therapieabbruch.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Zeitbegrenzung. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie von depressiven Patienten findet
mit einer Wochenstunde im Sitzen statt und basiert prinzipiell auf der gleichen Theorie
der Technik wie die analytische Psychotherapie. Die Zeitbegrenzung bewirkt aber auf
der Seite des Patienten, dass die freien Assoziationen in der Regel weder so weit
vernetzt noch so tiefreichend wie in der analytischen Psychotherapie sein werden,
auf der Seite des Therapeuten, dass seine gleichschwebende Aufmerksamkeit durch eine
aktivere, fokussierte Haltung eingeschränkt ist. Dies hat Auswirkungen v. a. auf die
Bearbeitung der gegen das eigene Selbst gewendeten Aggressivität, die von vielen psychoanalytischen
Schulen als pathognomonisch angesehen wird.
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Die Zeitbegrenzung beeinflusst die Möglichkeiten der Übertragung durch den Patienten
und deren Deutung durch den Therapeuten.
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Durch die zeitliche Limitierung wird die Aggressivität häufig nicht an und in der
Übertragung auf den Therapeuten bearbeitet werden können, und damit entfällt die Übertragungsdeutung
als Intervention, die seit langem als veränderungsrelevant angesehen wird [9], was für die strukturell gestörten Patienten empirisch belegt werden konnte [10]. Stattdessen wird ein adäquaterer Umgang mit der Aggressivität mehr durch die primäre
Identifizierung mit dem Therapeuten erworben werden und durch die korrigierenden emotionalen
Erfahrungen mit ihm; ein Weg, der auch zu stabilen, strukturellen Veränderungen führen
kann, wie die Ergebnisse der Menningerstudie zeigen [11].
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Adäquater Umgang mit der Aggressivität wird durch eine primäre Identifizierung mit
dem Therapeuten und durch korrigierende emotionale Erfahrungen erworben.
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Ein alternativer Weg ist die Arbeit an der Aggressivität in der Außenübertragung,
bei der allerdings das zwingende Evidenzgefühl des Hier und Jetzt fehlen kann, das
durch ein Dort und Damals nicht zu ersetzen ist. Grundlegend bleibt das therapeutische
Dilemma, dass die Zeitspanne, um eine positive Übertragung für ein stabiles Arbeitsbündnis
sich entwickeln zu lassen, benötigt wird und dass sie durch keine Manipulation des
Therapeuten abzukürzen ist, und dass andererseits dann die Zeit für die Bearbeitung
der Aggressivität nicht ausreicht. Darin ist eine Ursache für die empirisch belegte
geringere Effektivität der tiefenpsychologisch fundierten gegenüber der analytischen
Psychotherapie zu sehen [12].
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Häufig wird in der tiefenpsychologischen Psychotherapie die Aggressivität in der Außenübertragung
bearbeitet.
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Arbeit mit Emotionen. Ein weiteres Problem der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie bei depressiven
Patienten kann darin bestehen, dass der Patient zwar intellektuelle Einsichten gewinnt,
deren Umsetzung in Veränderungen des Selbsterlebens und Verhaltens im Bereich der
für Depressive so wichtigen negativen Emotionen aber nur unzureichend gelingt, weil
die ganze Skala der aggressiven Gefühle nicht in das Selbst integriert werden konnte.
Die dann erreichten Veränderungen sind nicht stabil, da Emotionalität und Erleben
zu kurz gekommen sind, und sie halten der wirklichen Prüfung auf Stabilität durch
die Konfrontation mit den zentralen Konflikten nicht stand.
Von besonderer therapeutischer Bedeutung in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
von depressiven Patienten ist der Umgang mit den positiven Selbstanteilen, den Ressourcen
und den Bewältigungsstrategien [4]. Aus den unterschiedlichsten Motiven muss der Depressive sie verbergen und damit
unbrauchbar machen (z. B. durch Entwertung). Hier ist es wichtig, vor dem stets mitzudenkenden,
unbewussten Hintergrund, diesen Bereich therapeutisch nicht als Abwehr infrage zu
stellen, sondern als Leistung des Patienten anzuerkennen. Die Verarbeitungs-/Bewältigungsmuster
dienen dazu, sich selbst und die Beziehung zum anderen so zu modifizieren, dass die
depressiven Affektspannungen erträglich werden.
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Wichtig ist der Umgang mit den positiven Selbstanteilen, den Ressourcen und Bewältigungsstrategien.
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Tipp für die Praxis
Es ist wichtig sich klar zu machen, dass nicht das depressive Symptom behandelt wird,
sondern die Psychodynamik des interpersonellen Verhaltens, d. h. die dysfunktionalen
Beziehungen bzw. unsicheren Bindungen, die den Symptomen zugrunde liegen.
Haltung des Therapeuten. Rudolf beschreibt die therapeutische Haltung, die als Hintergrund für die Interventionen
des tiefenpsychologisch fundiert arbeitenden Therapeuten dienen soll [4]. Er sollte:
-
als ausreichend gutes Objekt, d. h. als zuverlässiges Gegenüber zur Verfügung stehen;
-
als Hilfs-Ich dienen, welches bei der Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung
unterstützt, zur Affekttoleranz anleitet und im Ertragen der nicht erfüllten Bedürftigkeit
begleitet (Frustrationstoleranz);
-
auch als Hilfs-Über-Ich dienen, welches sich gegen die Selbstentwertung stellt und
bei der adäquaten Selbstbewertung unterstützt;
-
sich als antwortendes Gegenüber verhalten, das sich getrennt vom Patienten verhält
und erlebt (Selbst-Objekt-Differenzierung);
-
sich als interessiert an den Mitteilungen des Patienten zeigen, an der Weiterentwicklung
des Patienten und an der Unterbindung von Selbstschädigungstendenzen;
-
interessiert an einer gemeinsamen therapeutischen Zielsetzung sein.
Fazit für die Praxis
Insgesamt ist das therapeutische Vorgehen in der tiefenpsychologisch orientierten
Psychotherapie fokussiert auf die der Symptomatik zugrunde liegenden Konflikte und
strukturellen Defizite. Die spezifische therapeutische Haltung erlaubt es, speziell
den interpersonellen Bereich spiegelnd, stützend und konfrontierend zu bearbeiten
und beim Aufbau neuartiger Beziehungserfahrungen zu unterstützen.
Cave
Fehler bei der Behandlung der akuten Depression bzw. am Beginn der analytischen und
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie:
-
Es gilt, sowohl Überengagement als auch Distanzierung zu vermeiden.
-
Durch die Hilflosigkeit, die Therapeuten häufig im Kontakt mit depressiven Patienten
erleben, kann es leicht geschehen, dass sie, manchmal unausgesprochen, auf Besserung
drängen, was aber einen erhöhten Gewissensdruck bei den Patienten zur Folge haben
und damit beispielsweise zum Verschweigen von Symptomen führen kann.
-
Die suggestive Aufforderung zu positiven Sichtweisen stellt eine Überforderung des
Patienten dar.
-
Spiegelung von Aggressivität kann dazu führen, dass sich der Patient noch hilfloser
fühlt und auf diesem Weg Schuldgefühle und Autoaggression verstärkt werden.
-
Besonders vorsichtig muss man bei der Suche nach auslösenden Ereignissen und problematischen
biografischen Konstellationen vorgehen, da auch hier ein zu konfrontatives Vorgehen,
ohne Anpassung an Befinden und Möglichkeiten des Patienten, zu erheblichen Schuldgefühlen
und zum Verlust von als gut erlebten inneren Objekten führen kann.
Stationäre psychodynamische Psychotherapie
Stationäre psychodynamische Psychotherapie
Schwere (v. a. suizidale) und chronische, insbesondere therapierefraktäre Depressionen
sind oft nicht mehr ambulant zu behandeln und bedürfen einer stationären psychotherapeutischen
Betreuung. Wir wollen die stationäre psychoanalytisch orientierte Therapie am Beispiel
der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Städtischen Klinikum
München-Harlaching darstellen, da beide Autoren mit dem dortigen Vorgehen vertraut
sind und es gut vergleichbar ist mit anderen psychodynamisch orientierten Kliniken.
Dort sind depressive Patienten mit etwa 40 % die deutlich größte Patientengruppe.
Depression als komorbide Störung bei anderen Erkrankungen liegt bei etwa 80 % vor.
Kein spezifisches Setting. Wir behandeln depressive Patienten nicht in einem eigenen Setting, sondern auf allen
Stationen und in unserer Tagesklinik. Selbstverständlich wird auf die für Depressive
typischen Konflikte und Probleme (wie z. B. der Individuations-/Abhängigkeitskonflikt,
Trennungs- und Aggressionsprobleme) in der Behandlung fokussiert, aber nicht im Rahmen
einer Depressionsstation bzw. eines spezifischen Settings, so wie wir es für andere
Störungsgruppen (z. B. Spezialsetting für Borderline-Persönlichkeitsstörung, für Essstörung,
für Traumafolgestörung, vgl. [13]) tun.
Da bei einer stationären Aufnahme die Depression meistens besonders schwer und akut
ist, bewähren sich hier zunächst die Behandlungsprinzipien, wie sie unter Behandlung
der akuten Depression dargestellt wurden.
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In der stationären Behandlung werden zunächst die Behandlungsprinzipien für die akute
Depression angewandt.
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Behandlungselemente. Formal handelt es sich um ein Behandlungssetting mit folgenden Behandlungselementen:
-
2-mal in der Woche psychodynamische Einzelgespräche
-
2–4 psychodynamische Gruppensitzungen pro Woche
-
Milieutherapie in der Gruppe
-
Bezugspflegegespräche
-
allgemeinärztliche Betreuung
-
Visiten
-
Gestaltungstherapie in Gruppen- und Einzelsitzungen
-
konzentrative Bewegungstherapie in Gruppen- und Einzelsitzungen
-
Training der sozialen Kompetenz in der Gruppe
-
Sport- und Kreativangebote
-
verhaltenstherapeutische und übende Techniken wie Entspannungstherapie, Fertigkeitentraining
und sozialpädagogische Beratung bei sozialen und beruflichen Problemen
-
Paar-/Familiengespräche bei einem Großteil der Patienten
-
Erstellung eines persönlichen Therapieplans für jeden Patienten
Gruppendynamik. Stationäre Psychotherapie wird sehr von Aspekten der Gruppendynamik mitbestimmt,
da die Patienten einen großen Teil der Zeit mit Mitpatienten in einer Großgruppe verbringen.
Der therapeutische Prozess auf der Station wird daher immer von der Gesamtgruppe,
also den Mitpatienten und dem therapeutischen Team, mitgetragen. Daraus ergibt sich,
dass neben der zentralen Bedeutung der Beziehung zum Einzeltherapeuten der Gruppenaspekt
eine wichtige Rolle im therapeutischen Setting spielt.
Pflegeteam. Das Pflegepersonal ist ein sehr wichtiger Teil des therapeutischen Teams; der pflegerische
Ansatz liegt im Symptommanagement, in der Förderung der kommunikativen Kompetenz,
der Aktivierung von Ressourcen und in der Hilfestellung bei Schwierigkeiten in der
Alltagsbewältigung. Jedem Patienten wird für die Dauer seines Aufenthaltes eine Bezugsperson
aus dem Pflegeteam zugeteilt. In täglichen Teamsitzungen wird der fachliche Austausch
zwischen den einzelnen Berufsgruppen gewährleistet.
Zeitlicher Rahmen. Die Aufenthaltsdauer liegt bei Patienten mit mittelschweren oder schweren Depressionen
bei 8–12 Wochen. Damit sind 16–24 Einzelpsychotherapiesitzungen möglich, die mit einer
mindestens gleichen Anzahl von Gruppentherapiesitzungen kombiniert werden.
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Bei gut 80 % der stationären Patienten ist es erforderlich, die Psychotherapie mit
dem Ziel der Rezidivprophylaxe ambulant fortzuführen.
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Im Sinne der Sicherung der Ergebnisqualität werden die Patienten zu Beginn und am
Ende des stationären Aufenthaltes mit Selbsteinschätzungsfragebögen zu ihren psychischen
Symptomen und ihren interpersonellen Problemen befragt. Die psychische Symptomatik
verbessert sich dabei mit einer Effektstärke von 0,97, was in der Psychotherapieforschung
als eine hohe Effektstärke gilt, also einem großen Effekt entspricht. Die Effektstärke
für den Gesamtwert interpersoneller Probleme beträgt 0,55, das gilt als ein mittlerer
Effekt [14].
Stand der Psychotherapieforschung zur Depressionsbehandlung
Stand der Psychotherapieforschung zur Depressionsbehandlung
Für die psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie zeigt die Metaanalyse von Driessen
et al. für den Prä-/Postvergleich eine hohe Effektstärke, für den Vergleich mit einer
Warteliste-Kontrollgruppe oder „Care as usual“-Gruppe eine mittlere Effektstärke [15]; beides weist die psychodynamische Kurztherapie als eine wirksame Behandlungsform
aus. Darüber hinaus gibt es empirische Hinweise, dass die Kurzpsychotherapien Rückfälle
und Wiedererkrankungen nicht verhindern können. So zeigten Westen und Morrison in
einer Metaanalyse von Kurzzeittherapien, dass nur etwa die Hälfte aller depressiven
Patienten sich symptomatisch besserte und dass diese Besserung nur bei etwa einem
Drittel in einem Zeitraum von 12–18 Monaten stabil blieb [16].
Vergleich Kurz-/Langzeittherapie. Das Problem der bleibenden Veränderung nach einer Psychotherapie, im Falle der depressiven
Störung die Reduktion oder das Ausbleiben von weiteren depressiven Episoden, ist in
das Zentrum der empirischen Psychotherapieforschung gerückt. Interessant in diesem
Zusammenhang ist die Helsinki Psychotherapy Study, weil sie Ergebnisse von psychodynamischer
und lösungsorientierter Kurzpsychotherapie mit denen einer psychodynamischen Langzeittherapie
über mehrere Messzeitpunkte hinweg vergleicht [17]. Ein Jahr nach Behandlungsbeginn zeigten die beiden Kurzpsychotherapien deutlich
geringere Werte in den Depressionsmaßen als die Langzeitpsychotherapie, 3 Jahre nach
Behandlungsbeginn aber war die Langzeitpsychotherapie den Kurzzeitpsychotherapien
statistisch signifikant überlegen, denn nur sie führte zu einer weiteren deutlichen
Reduktion der depressiven Symptomatik.
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Nach 3 Jahren zeigt sich in Studien eine Überlegenheit der Langzeitpsychotherapie
gegenüber der Kurzzeittherapie.
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Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Münchner Psychotherapiestudie, die die Effektivität
von analytischer Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und
Verhaltenstherapie mit einem prospektiven, teilweise randomisierten, kontrollierten
Prozess-Outcome-Design bei depressiven Patienten untersuchte [12]
[18]. Alle 3 Behandlungsformen waren sehr effektiv in der Behandlung der depressiven
Störung. Im direkten Gruppenvergleich war die analytische Psychotherapie in der Besserung
der sozialen Beziehungen, bei der strukturellen Veränderung und bei der Anzahl der
noch vorhandenen Diagnosen zum 1-Jahres-Katamnesemesszeitpunkt der tiefenpsychologisch
fundierten Psychotherapie und der Verhaltenstherapie statistisch signifikant überlegen;
letztere zusätzlich noch in der Erreichung der individuellen Therapieziele. Im subjektiven
Symptommaß fand sich ein Jahr nach Therapieende kein deutlicher Unterschied zwischen
den 3 Therapieformen, zur 3-Jahres-Katamnese war aber die analytische Psychotherapie
den anderen beiden auch in der Symptombesserung überlegen.
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Ein direkter Vergleich 3 Jahre nach Therapieende zeigte die Überlegenheit der analytischen
Psychotherapie gegenüber der tiefenpsychologischen Psychotherapie und der Verhaltenstherapie.
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„Erhaltungspsychotherapie“. All diese Befunde und das durch epidemiologische Studien gut abgesicherte Wissen,
dass die Depression nicht eine benigne Erkrankung ist, die auch ohne Behandlung einen
günstigen Verlauf nähme, sondern eine meist rezidivierend oder chronisch verlaufende
Erkrankung ist [19], haben zu der Schlussfolgerung geführt, eine langfristige, niederfrequente „Erhaltungspsychotherapie“,
analog der Erhaltungsdosis bei der psychopharmakologischen Behandlung, einzuführen.
Speziell einer Risikogruppe von depressiven Patienten, z. B. denen mit erheblicher
Restsymptomatik, insbesondere mit Schlafstörungen, oder mit mehr als 3 vorausgegangenen
depressiven Episoden, mit ausgeprägter Persönlichkeitsstörung u. a., sollte nach einer
Kurzzeittherapie diese „Erhaltungspsychotherapie“ prinzipiell angeboten werden, statt
erst dann zu reagieren, wenn es bereits zu einem Rückfall gekommen ist [20].
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Aufgrund des chronischen Charakters der Depression bietet sich nach einer Kurzzeittherapie
eine langfristige niederfrequente „Erhaltungspsychotherapie“ als Rezidivprophylaxe
an.
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Eine andere Konsequenz ist, depressive Patienten mit Langzeitpsychotherapien zu behandeln,
die im Sinne eines „Carry-over“-Effektes Rückfälle verhindern können, indem sie die
Patienten für das Erkennen typischer Anlasssituationen sensibilisieren und sie mit
besseren Bewältigungsmechanismen ausstatten. Einen ausführlicheren Überblick zum Stand
der Psychotherapieforschung in der Depressionsbehandlung geben Klug u. Huber [21].
Kernaussagen
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Die Depression ist eine prinzipiell rezidivierende, oft chronische Erkrankung.
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Psychodynamische Psychotherapie gilt als Oberbegriff für analytische Psychotherapie
und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.
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Bei der analytischen Psychotherapie stehen die Analyse der aktuellen Beziehung zwischen
Analytiker und Patient, das Wissen um die Übertragung, die Verwendung der Gegenübertragung
und die deutende Tätigkeit (inklusive der Übertragungsdeutung) im Vordergrund.
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Hauptfokus der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist der Aktualkonflikt;
regressive Prozesse werden begrenzt, Bewältigungsstrategien unterstützt und es wird
vorwiegend auf der interpersonellen Ebene gearbeitet.
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Kurztherapien, die lediglich auf eine Beseitigung der aktuellen Symptome abzielen,
verlieren an Bedeutung.
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Die psychodynamischen Psychotherapien als Langzeitpsychotherapien haben sich auch
bei schwierigem Krankheitsverlauf in der Depressionsbehandlung als sehr effektiv herausgestellt.
Über die Autoren
Über die Autoren
Dorothea Huber
Prof. Dr. med. Dr. phil. Chefärztin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie, Klinikum München-Harlaching. Engagiert in Forschung und Lehre sowohl
am Klinikum rechts der Isar, TUM, als auch an der International Psychoanalytic University
Berlin. Sie hat die Münchner Psychotherapiestudie an Depressiven durchgeführt und
ist an der DPG-Praxisstudie sowie der DGPT-Angststudie beteiligt. Sie ist Mitglied
der DPG-Forschungskommission und der DGPT-Forschungskonferenz.
Günther Klug
Dr. med. Er war Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Klinikum München-Harlaching und ist Mitarbeiter am Klinikum rechts der Isar, TUM.
Er hat die Münchner Psychotherapiestudie an Depressiven durchgeführt und ist Kontrollanalytiker
für psychoanalytisch-modifizierte Verfahren an der Akademie für Psychoanalyse in München.