Anmerkungen zum Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom
17.08.2009, Az. VgK-36/2009
Einführung
Einführung
Das Vergaberecht ist − sowohl durch die sich ständig wandelnde Rechtsprechung als
auch durch gesetzgeberische Neuerungen − rasanten Änderungen unterworfen. Mit Inkrafttreten
des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts als 2. Stufe der Vergaberechtsreform
gelten seit 2009 veränderte Vorschriften im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(GWB) sowie seit 2010 veränderte Vorschriften der Verdingungsordnungen, die für alle
Vergabeverfahren zu beachten sind. Auch im öffentlichen Gesundheitswesen findet das
Vergaberecht immer größere Berücksichtigung. Mittlerweile unstreitig ist, dass gesetzliche
Krankenkassen als „öffentliche Auftraggeber“ im Sinne des Vergaberechts anzusehen
sind. Sie müssen ihre Aufträge daher öffentlich ausschreiben (vgl. EuGH, Vorabentscheidung
v. 11.06.2009, Az. C-300/07; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2007, Az. VII-Verg 51/07,
Verg 51/07, PharmaR 2008, 153).
Vergaberecht und Krankenhauskooperation
Vergaberecht und Krankenhauskooperation
Bisher nicht abschließend geklärt ist die Frage, in welchem Umfang auch Kooperationen
zwischen öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten dem Vergaberecht
unterliegen. Gerade in der Radiologie hat der Abschluss von Kooperationsverträgen
mit Krankenhäusern eine langjährige Tradition und einen besonderen Stellenwert. Dies
hängt insbesondere damit zusammen, dass sich gerade die Radiologie durch eine hohe
Schnelllebigkeit in der Medizintechnik auszeichnet; stichwortartig zu nennen sind
insoweit die Bereiche MRT, CT, PET-CT oder auch RIS/PACS. Damit in unmittelbarem Zusammenhang
stehen einerseits die hohen Investitionen (Anschaffungs- und Investitionskosten),
andererseits aber auch der hohe Verfallswert. Daher machte es nicht nur aus wirtschaftlichen
Gründen, sondern auch zur Verbesserung der Patientenversorgung an der Schnittstelle
der Versorgungssektoren Sinn, dass gerade zwischen Krankenhäusern und radiologischen
Praxen Kooperationen geschlossen werden.
Mit der durch das Fallpauschalengesetz vom 23.04.2002 (BGBl. I S. 1412) geänderten
Krankenhausfinanzierung hat der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser weiter
zugenommen. Insbesondere in Funktionsabteilungen ohne eigenen Abteilungspflegesatz
und mit teurer technischer Ausstattung wird die Frage der Reduzierung von Fixkosten
auch in Zukunft immer wichtiger werden. Vor diesem Hintergrund haben „Outsourcing-Maßnahmen“
unter dem Stichwort der Privatisierung von Krankenhausabteilungen weiter zugenommen.
Zweck der Privatisierung ist die bessere Ausnutzung von teurer Medizintechnik durch
Behandlung von ambulanten und stationären Patienten in einer im Krankenhaus errichteten
Vertragsarztpraxis. Die Krankenhausabteilung wird aufgelöst und die Versorgung der
stationären Patienten erfolgt durch die im Krankenhaus niedergelassenen Vertragsärzte.
Das Krankenhaus und der Vertragsarzt können hierdurch eine bessere Ausnutzung der
Fixkosten und damit eine Kostenentlastung erreichen. Die ärztliche Praxis hat zudem
einen Imagegewinn und Wettbewerbsvorteile durch die Anbindung an den „Großkunden“
Krankenhaus. Die gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 sprechen
zudem für eine verstärkte Verlagerung und Zentralisierung der Leistungserbringung
an den Standort Krankenhaus.
Bei den Krankenhäusern ist grundsätzlich zwischen öffentlichen, freigemeinnützigen
und privaten Krankenhausträgern zu unterscheiden. Vom Vergaberecht betroffen sein
können grundsätzlich nur öffentlich-rechtlich getragene Krankenhäuser. Öffentliche
Krankenhausträger sind Bund (z.B. Bundeswehrkrankenhaus), Länder (z.B. psychiatrische
Einrichtungen) und Kommunen (z.B. Kreiskrankenhaus); trotz privatrechtlicher Gesellschaftsform
eingeschlossen ist insoweit auch die kommunale Krankenhaus-GmbH.
Unter dem Begriff „Vergaberecht“ ist die Gesamtheit der Regeln und Vorschriften zu
verstehen, die ein Träger öffentlicher Gewalt bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln
und Leistungen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, zu beachten hat, denn
öffentliche Aufträge stellen zweifellos einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Das
Vergaberecht ist daher ein spezieller Teil des Haushaltsrechts, welches Vorschriften
zur Aufstellung und zur Abwicklung des Etats des Staates, seiner Behörden und seiner
Institutionen beinhalten. Die allgemeinen gesetzlichen haushaltsrechtlichen Vorschriften
(vgl. z.B. § 55 BHO, LHO, SVHV), die die öffentlichen Institutionen durchweg nur ganz
allgemein verpflichten, im Wettbewerb und nach Ausschreibungen zu beschaffen, werden
ergänzt und ausgefüllt durch sog. Verdingungsordnungen. In den 3 aktuell vorhandenen
Verdingungsordnungen (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen [VOB], Verdingungsordnung
für Leistungen [VOL] und Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen [VOF]) sind
Regeln enthalten, die die Auftraggeber bei der Anbahnung und dem Abschluss von Abschlüssen
zu beachten haben. Außer den Bestimmungen über das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren
in den Teilen A enthalten die Verdingungsordnungen in ihren Teilen B Allgemeine Geschäftsbedingungen
(nicht VOF), die beim Abschluss des Vertrags zugrunde gelegt werden müssen. Die VOB
enthält außerdem noch einen Teil C mit technischen Vorgaben für das Bauen. Mit Abschluss
des Vertrags werden sie Vertragsgegenstand. Die staatlichen Normen ergeben sich aus
dem im Wesentlichen europarechtlich geprägten 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(§§ 97 ff. GWB). Bei der Vergabe sind u.a. der Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz,
der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verhandlungsverbot und das Gebot der Wirtschaftlichkeit
zu beachten. Zum System des Vergaberechts wird auf Abb. 1 verwiesen.
Die rechtlichen Problembereiche, die sich aus Krankenhauskooperationen ergeben, sind
sehr vielschichtig; das Vergaberecht ist insoweit nur einer dieser Bereiche. Nach
Auffassung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg haben auch öffentlich-rechtlich
getragene Krankenhäuser ordnungsgemäße, geregelte Vergabeverfahren über die Übernahme
radiologischer Leistungen durchzuführen. Wenn sie dieses Verfahren nicht oder nicht
ordnungsgemäß anwenden, laufen sie Gefahr, dass ihnen untersagt wird, die Auswahl
eines Kooperationspartners für die radiologische Versorgung ihrer Patienten vorzunehmen.
Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg
Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg
In dem zugrunde liegenden Verfahren betreibt ein Städtisches Krankenhaus eine eigene
Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin. Im Rahmen der Umsetzung ihres Strukturkonzeptes
„Medizinisches Zentrum“ strebt sie zur Unterstützung und Erweiterung des Behandlungsspektrums
und zur umfassenden Versorgung der Bevölkerung die Ansiedlung einer niedergelassenen
radiologischen Praxis am Krankenhaus an, um mit dieser zu kooperieren und radiologische
Leistungen zur angemessenen Versorgung der Patienten des Krankenhauses und Beratungsleistungen
in Fragen der radiologischen Diagnostik zu beschaffen.
Der Vertragsentwurf sah vor, dass der Kooperationspartner geeignete Räume innerhalb
des Krankenhaus anmietet, von der Auftraggeberin zur Verfügung gestelltes Personal
der vorhandenen Röntgenabteilung gegen Kostenerstattung einsetzt sowie die vorhandene
technische Ausstattung der Auftraggeberin ankauft und unter diesen Bedingungen eine
radiologische Praxis betreibt. Diese soll den ausschließlichen radiologischen Versorgungsauftrag
für das Krankenhaus erhalten. Das Krankenhaus soll auf die dort zu erbringenden Versorgungsleistungen
im Rahmen genauer vereinbarter Kooperationsmodalitäten Zugriff nehmen können. Gegenstand
des Vertragsentwurfs ist zudem u.a. die Verpflichtung des Kooperationspartners zur
kurzfristigen Anschaffung und zum Betrieb eines Kernspintomografen (MRT), welchen
das Klinikum gegen ein zu vereinbarendes Entgelt mitbenutzen will. Gemäß § 5 des Entwurfs
zum Kooperationsvertrag, überschrieben „Budgetierung/Entgelte“, will die Auftraggeberin
die nicht wahlärztlichen radiologischen Leistungen der Praxis nach Maßgabe der GOÄ
vergüten und – im Rahmen eines zu überwachenden Budgets – hierfür zu vereinbarende
fixe monatliche Abschlagszahlungen an den Kooperationspartner leisten. Die Entgelte
für wahlärztliche Leistungen an stationären Patienten soll der Kooperationspartner
gemäß § 6 des Vertragsentwurfes selbst bei den Patienten liquidieren. Der Kooperationsvertrag
soll auf unbestimmte Zeit geschlossen werden und frühestens 10 Jahre nach Vertragsschluss
kündbar sein.
Insgesamt wurde mit 3 denkbaren Kooperationspartnern verhandelt. Neben der Radiologie-Praxis
A waren dies 2 weitere Radiologie-Praxen. Nach Abwägung der vorgelegten Kriterien
hat sich das Krankenhaus für die Radiologie-Praxis A als Kooperationspartner entschieden.
Nachdem die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung im vertragsärztlichen Genehmigungsverfahren
Kenntnis von der Entscheidung für eine Kooperation mit der Radiologie-Praxis A erhalten
hatte, wandte sie sich mit einem Nachprüfungsantrag an die zuständige Vergabekammer.
Die Antragstellerin beanstandete die nicht ordnungsgemäße vergaberechtliche Behandlung
der Kooperation. Das Krankenhaus habe die beabsichtigte Kooperation nicht gemäß den
Vorgaben der VOL/A bzw. VOF oder übergeordneten europarechtlichen Vorschriften ausgeschrieben.
Es habe keine Zuschlagskriterien bekannt gegeben und das Transparenzgebot und das
Gleichbehandlungsgebot verletzt.
Weiter verweist die Antragstellerin auf die Entscheidung der Vergabekammer Saarbrücken
vom 19.05.2006, Az.: 3 K 03/2006, und deren Bestätigung durch das Saarländische OLG
vom 20.09.2006, Az.: 1 Verg 3/06. Nach diesen Entscheidungen beinhaltet die Vergabe
eines Kooperationsvertrags im Bereich der Labormedizin nicht prioritäre Dienstleistungen,
die eine Ausschreibungspflicht nach Maßgabe des 1. Abschnitts der VOL/A begründeten.
Die hiesige angestrebte Kooperationsvereinbarung gleiche jener in allen vergaberechtlich
relevanten Gesichtspunkten. Auch die vorliegende Kooperation beinhalte im vergaberechtlichen
Sinne nachrangige Dienstleistungen, die gemäß § 3 VOL/A öffentlich auszuschreiben
seien, da sie vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden können. Eine freihändige
Vergabe gemäß § 3 Nr. 4 h VOL/A sei nicht zulässig. Selbst wenn man zu dem Schluss
käme, dass im vorliegenden Fall lediglich die VOF zur Anwendung kommen könne, sei
festzustellen, dass die Auftraggeberin vergaberechtswidrig gehandelt habe, da sie
gegen Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsätze verstoßen habe. Als potenzielle
Kooperationspartner käme eine Vielzahl von Radiologen in Betracht. Vertragsarztrechtliche
Genehmigungserfordernisse dürften nicht ausschlaggebend für die vergaberechtliche
Beurteilung des Sachverhalts sein. Die von dem Krankenhaus getroffene Auswahlentscheidung
und die von ihr in Aussicht genommene Zuschlagsentscheidung seien willkürlich und
ermessensfehlerhaft und verletzten die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Auftraggeberin
habe nicht dokumentiert, dass das Verfahren für alle Bieter gleich gestaltet wurde.
Die der getroffenen Auswahlentscheidung des Aufsichtsrates zugrunde liegenden Informationen
über die mit ihr geführten Verhandlungen enthielten zahlreiche unrichtige Behauptungen.
Sie gäben Verlauf und Inhalt dieser Verhandlung unzutreffend wieder. Nach dem tatsächlichen
Verlauf habe die Auftraggeberin keinen Anlass für die Annahme, dass mit der Antragstellerin
eine Einigung über einen Kooperationsvertrag nicht zu erreichen sei. Dass sie in einem
Vergabeverfahren keine Chance auf den Zuschlag habe, sei reine Spekulation.
Das Krankenhaus hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, hilfsweise auch für unbegründet.
Zu seinem Auswahlverfahren trägt es vor, nach dem Vertragsarztrecht sei zunächst nur
die Antragstellerin als einzige ortsansässige niedergelassene Radiologie-Praxis für
eine Kooperation infrage gekommen. Daher sei über längere Zeit nur mit der Antragstellerin
verhandelt worden. Diese Verhandlungen seien schließlich daran gescheitert, dass die
Antragstellerin nicht über das vorgegebene, bundesweit typische Vertragsmodell verhandeln,
sondern eigene Vertragsinhalte vorgeben wollte. Nach dem Scheitern der Verhandlungen
mit der Antragstellerin habe man vor dem Hintergrund der Änderung des Vertragsarztrechtes
Anfang 2007 in Erwägung gezogen, mit einer nicht ortsansässigen Radiologie-Praxis
zu kooperieren, die hierzu eine Zweigpraxis einzurichten hätte. Eine solche Kooperationsmöglichkeit
habe sich erst durch die Änderung des vertragsarztrechtlichen Rahmens ergeben. Man
habe in der Radiologie-Praxis A einen geeigneten Verhandlungspartner gefunden, mit
dem man einen Kooperationsvertrag eingehen wolle.
Unterstellt man eine Anwendbarkeit des Vergaberechts, so ist nach Auffassung des Krankenhauses
festzustellen, dass die Antragstellerin die Rügeobliegenheit des § 107 GWB verletzt
hat. Zudem fehle der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin
habe über lange Zeit verhandelt und sei in dieser Zeit auch anwaltlich beraten worden.
Ihre vergaberechtliche Rüge habe sie aber erst erhoben, nachdem sie bemerkt habe,
dass sie mit ihren Vorstellungen nicht zum Zuge kommen werde. Im Übrigen sei die Antragstellerin
an einer Kooperation offenbar gar nicht interessiert. Denn es bestünden bezüglich
verschiedener Forderungen unvereinbar gegensätzliche Positionen. Damit sei nicht davon
auszugehen, dass es zu einer Einigung zwischen Krankenhaus und Antragstellerin über
das der Antragstellerin angebotene Kooperationsmodell kommen werde; wegen ihrer erheblich
abweichenden Vorstellungen über die Bedingungen der Kooperation habe die Antragstellerin
keine Chance auf einen eventuellen Zuschlag. Daher drohe ihr auch kein Schaden zu
entstehen. Der Auftraggeberin sei zudem bekannt, dass die Antragstellerin bis zum
Jahr 2012 anderweitig gebunden sei und sie diese Bindung nicht gefährden wolle. Da
die Antragstellerin gar kein wirkliches Interesse an der angebotenen Kooperation habe,
sei ihre Berufung auf das Vergaberecht als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen.
Soweit sich die Antragstellerin mit ihrer Forderung nach einem förmlichen Vergabeverfahren
auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Saarbrücken und des OLG Saarbrücken berufe,
sei darauf hinzuweisen, dass sich das hier streitbefangene Kooperationsmodell deutlich
von den dort entschiedenen Sachverhalten unterscheide. Unterstelle man im vorliegenden
Fall eine vergaberechtliche Relevanz und versuche man eine vergaberechtliche Einordnung,
so sei festzustellen, dass wegen der für die möglichen Partner höchst unterschiedlichen
Gegebenheiten Art und Umfang der Leistungen vor einer Vergabe nicht eindeutig und
erschöpfend beschrieben werden können und auch keine vergleichbaren Angebote zu erwarten
seien. Die VOF sehe in solchen Fällen ein Verhandlungsverfahren vor. Faktisch sei
gerade dieses auch durchgeführt worden.
Die Auftraggeberin treffe indes überhaupt keine Verpflichtung, einen Kooperationspartner
im Wege eines vergaberechtsförmigen Verfahrens auszuwählen. Hier gehe es nämlich gerade
nicht um die Vergabe einer Dienstleistung in Form einer freiberuflichen Tätigkeit,
sondern um die Ausgestaltung einer besonderen Zusammenarbeit zwischen einer radiologischen
Praxis niedergelassener Ärzte und dem Klinikum. Die möglichen Kooperationspartner
stünden nicht miteinander im Wettbewerb, auch habe der Vorgang keinen Beschaffungscharakter
i.S.d. § 99 GWB. Man könne einen radiologischen Kooperationspartner nicht durch eine
europäische Ausschreibung gewinnen.
Mit ihrem Auswahlverfahren habe sie sich an der einschlägigen Fachliteratur orientiert,
nach welcher bundesweit verfahren werde. Auswahl und Entscheidung orientierten sich
allein an den Regelungen des Vertragsarztrechtes in den §§ 95 ff. SGB V. Für eine
Anwendung des Vergaberechtes bestehe auch deshalb kein Anlass, weil über die Zulassung
einer Zweigpraxis nicht sie als Auftraggeberin im Sinne des § 98 GWB, sondern die
Kassenärztliche Vereinigung nach Maßgabe der Ärztezulassungsverordnung entscheiden
werde.
Kein vergaberechtsförmiges Verfahren
Kein vergaberechtsförmiges Verfahren
Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg stellte zunächst fest, dass ein
vergaberechtsförmiges Verfahren vorliegend bisher nicht eingeleitet worden sei. Insbesondere
wäre von einem vergaberechtsförmigen Verfahren gänzlich abgesehen und die Vergabe
eines öffentlichen Auftrags gleichsam informell betrieben worden, mithin seien keine
vergaberechtlichen Vorschriften angewandt worden. Eine bewusste Nichtdurchführung
des Vergabeverfahrens läge jedoch nicht vor, weil das Krankenhaus dies mit Blick auf
die Ausnahmeregelungen des GWB für entbehrlich gehalten habe.
Städtisches Krankenhaus ist öffentlicher Auftraggeber
Städtisches Krankenhaus ist öffentlicher Auftraggeber
Das städtische Krankenhaus ist nach Auffassung der Kammer öffentlicher Auftraggeber
im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB. Nach dieser Vorschrift wären öffentliche Auftraggeber
unter anderem solche juristischen Personen des privaten Rechts, die im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, wenn Gebietskörperschaften sie überwiegend
finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der
Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt
haben. Als gemeinnützige GmbH wäre die Auftraggeberin Trägerin eines städtischen Krankenhauses,
deren Betrieb eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sei (vgl. § 1 Nds. KHG).
Einzige Gesellschafterin der Auftraggeberin sei eine Stadt; ihre Finanzierung erfolge
nach Maßgabe der §§ 2 ff. KHG aus Mitteln des Landes und der Stadt.
Sachliche Anwendbarkeit des GWB
Sachliche Anwendbarkeit des GWB
Der 4. Teil des GWB (§§ 97 bis 129b GWB) ist nach Auffassung der Vergabekammer sachlich
anwendbar. Die von der Auftraggeberin angestrebte Kooperation mit einer radiologischen
Arztpraxis habe den Charakter eines öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 GWB. Die
Auftraggeberin würde tätig, um sich gegen Entgelt eine Dienstleistung zu beschaffen,
an deren Erbringung ein Bedarf schon deshalb bestehe, weil die Versorgung der Bevölkerung
mit Gesundheitsleistungen ein Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge ist (vgl. §
1 Nds. KHG). Sobald ein Auftraggeber einen tatsächlich bestehenden Bedarf erkenne,
den er nicht selbst decken wolle, komme ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99
Abs. 1 GWB in Betracht.
Kooperation als Leistung, für die ein Markt besteht
Kooperation als Leistung, für die ein Markt besteht
Spätestens durch das zum 01.01.2007 in Kraft getretene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz
handelt es sich nach Auffassung der Vergabekammer Lüneburg bei der vorliegenden Kooperationsform
auch um eine Leistung, für die ein Markt besteht. Wären zuvor Zweigniederlassungen
von Vertragsarztpraxen in anderen vertragsärztlichen Zulassungsbezirken als in dem
Bezirk der Stammpraxis häufig unmöglich gewesen, sei es durch diese Gesetzesänderung
zu weit reichenden Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber gekommen, unter mehreren
Arztpraxen einen Kooperationspartner auszuwählen. Gerade das vorliegende Verfahren,
in dem – allein nach der bereits einschränkenden Vorauswahl der Auftraggeberin – zwischenzeitlich
bis zu 3 Arztpraxen als Partner infrage gekommen wären und um eine Kooperation konkurriert
hätten, zeige das Bestehen eines Marktes auf. Dem stehe auch nicht entgegen, dass
für die Realisierung einer Kooperation Zustimmungsvorbehalte der Kassenärztlichen
Vereinigungen bestehen würden. Öffentlich-rechtliche Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalte
würden in zahlreichen Wirtschaftsbereichen existieren, für regulierungsbedürftige
Märkte seien sie geradezu typisch. Nach Meinung der Vergabekammer sind sie deshalb
Element einer wirtschaftsbereichsspezifischen Marktordnung. Sie seien aber nicht geeignet,
das Bestehen eines Marktes überhaupt in Abrede zu stellen.
Übersteigen des Schwellenwertes
Übersteigen des Schwellenwertes
Der streitbefangene öffentliche Auftrag übersteigt nach Ansicht der Vergabekammer
auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß
§ 100 Abs. 1 GWB. Der 4. Teil des GWB würde nur für solche Aufträge gelten, die die
Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127
GWB festgelegt seien. Maßgeblich sei vorliegend ein Schwellenwert von 206 000,00 €
gemäß § 2 Nr. 3 VgV.
Kooperation als Dienstleistungsauftrag
Kooperation als Dienstleistungsauftrag
Bei der in Streit stehenden medizinischen Kooperation handelt es sich nach Ansicht
der Vergabekammer um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB. Im
Vordergrund stünde dabei nicht die bloße Lieferung eines Kernspintomografen an die
Auftraggeberin. Die Einbringung eines vom Kooperationspartner selbst beschafften Kernspintomografen
in die Räumlichkeiten der Auftraggeberin diene lediglich unterstützend für eine ordnungsgemäße
Erbringung der medizinischen Leistungen, funktional stehe mithin die Leistungserbringung
im Vordergrund.
Bei der geplanten Kooperation handele es sich nicht um eine Dienstleistungskonzession.
Zwar handelt es sich bei den in Rede stehenden Tätigkeiten um eine Dienstleistung
im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB. Doch würde der Entwurf des Kooperationsvertrags weder
vorsehen, dass der Antragstellerin das Recht zur Erbringung der Dienstleistung zur
unternehmerischen und eigenverantwortlichen Ausnutzung übertragen würde, noch dass
die Gegenleistung für die Nutzung lediglich darin bestehen würde, die Möglichkeit
zur Dienstleistungserbringung wirtschaftlich auszunutzen. Denn der Partner der Auftraggeberin
würde im Rahmen der in Aussicht gestellten Kooperation räumlich und in die organisatorischen
Strukturen des Krankenhauses eingebunden werden. So sehe der Entwurf des Kooperationsvertrags
spezifische und detaillierte Betriebsorganisationspflichten für den Kooperationspartner
vor, es solle eine Integration der medizinischen Informationstechnik (RIS, PACS) in
diejenige der Auftraggeberin stattfinden. Ferner würde die Auftraggeberin den Kooperationspartner
für radiologische Untersuchungen an stationären Patienten vergüten, die keine wahlärztlichen
Leistungen in Anspruch nehmen würden, gemäß der GOÄ. Die Einkünfte des Kooperationspartners
würden damit von der Auftraggeberin selbst herrühren, nicht aber von Dritten (hier:
den Krankenhauspatienten), die von der Erbringung der Dienstleistung faktisch profitieren
würden. Dass die Auftraggeberin ihrerseits mit den Krankenkassen hinsichtlich der
erbrachten Dienstleistungen abrechnen würde, sei für diese Betrachtung unschädlich,
denn es sei nicht vertraglich vorgesehen, dass Leistungsstörungen im Verhältnis zwischen
Krankenkasse und Auftraggeberin rechtliche Konsequenzen im Verhältnis zwischen Auftraggeberin
und Kooperationspartnerin haben sollen.
Förmlichkeit des Vergabeverfahrens
Förmlichkeit des Vergabeverfahrens
In den genannten, die Zulässigkeit eröffnenden und näher regelnden Bestimmungen des
GWB ist nach Auffassung der Vergabekammer Lüneburg von einer bestimmten Förmlichkeit
der angesprochenen Vergabe nicht die Rede. Es sei ausreichend, wenn überhaupt ein
Vorgehen infrage steht, an dem ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB
und mindestens ein außen stehender Dritter als Marktteilnehmer beteiligt seien. Ferner
müsse das Vorgehen begonnen worden sein, um einen entgeltlichen Vertrag im Sinne des
§ 99 GWB abzuschließen, der nicht nach § 100 Abs. 2 GWB von den Regelungen des 4.
Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen ist und dessen Wert
den nach § 100 Abs. 1 GWB festgelegten Schwellenwert erreicht oder übersteigt. Schon
nach dem Wortlaut der § 102 und § 107 GWB möge man in diesem Fall einen Nachprüfungsantrag
für zulässig halten. Denn das Beschaffungsverhalten eines öffentlichen Auftraggebers
stelle faktisch eine Vergabe dar, und eine „Nichtbeachtung von Vergabevorschriften“
läge erst recht dann vor, wenn die Vorschriften des Vergaberechts insgesamt im Vergabevorgang
außer Acht gelassen würden. Jedenfalls aber nach Sinn und Zweck der vergaberechtlichen
Rechtsschutzmöglichkeit vor den Vergabekammern müsse ein Nachprüfungsantrag auch dann
statthaft sein, wenn er sich auf die Nichtdurchführung eines vergaberechtsförmigen
Verfahrens stützen würde. Dies gebiete der Grundsatz gemeinschaftsrechtskonformer
Auslegung nationalen Rechts, der eingreife, wenn der Wortlaut der einschlägigen nationalen
Norm oder Normen einen Entscheidungsspielraum eröffnen würde. Denn nach Gemeinschaftsrecht
dürften die Mitgliedsstaaten die vergaberechtliche Nachprüfungsmöglichkeit nicht von
der Einleitung und Durchführung eines bestimmten Vergabeverfahrens abhängig machen.
Art. 1 der „Richtlinie 89/665/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer-
und Bauaufträge“ würde bestimmen, dass die Entscheidungen der Vergabebehörde hinsichtlich
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht
im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften
nachgeprüft werden können. Nach der Auslegung, die diese Regelung durch den Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften erfahren habe, würde bereits dann eine Entscheidung
vorliegen, die der Nachprüfung zugänglich sein müsse, wenn ein öffentlicher Auftraggeber
beschließen würde, kein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten, weil der zu erteilende
Auftrag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften
des Gemeinschaftsrechts bzw. des diese umsetzenden nationalen Rechts fallen würde
(vgl. EuGH, Urt. v. 11.01.2005, Az. C-26/03, dort Rn. 33). Auch im vorliegenden Streitfall
müsse nach Auffassung der Vergabekammer deshalb das in Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben nach § 102 GWB vorgesehene Nachprüfungsverfahren eröffnet sein.
Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge
Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht nach Auffassung der Vergabekammer die
Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 GWB nicht entgegen. Nach
den genannten Ziffern des § 107 würde es der Antragstellerin obliegen, Verstöße gegen
Vergabevorschriften unverzüglich gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Dabei würden
die Nummern 2 und 3 der Vorschrift an Verstöße gegen Vergabevorschriften anknüpfen,
die aufgrund der Bekanntmachung bzw. erst in den Vergabeunterlagen erkennbar wären,
und würden den spätestmöglichen Rügezeitpunkt bestimmen. Die Nummer 1 fordert bei
den übrigen Verstößen gegen Vergabevorschriften eine unverzügliche Rüge. In Sachverhaltskonstellationen
wie der hier zugrunde liegenden wäre es damit nach Ansicht der Vergabekammer sehr
zweifelhaft, ob eine Rügeobliegenheit nach der genannten Vorschrift überhaupt besteht.
Denn die Vorschrift ließe sich durch die Verwendung der Rechtsbegriffe des „Vergabeverfahrens“,
der „Bekanntmachung“ und der „Vergabeunterlagen“ ohne Weiteres so verstehen, dass
sie lediglich innerhalb eines vergaberechtsförmigen Verfahrens Rügeobliegenheiten
statuieren würde, im Falle einer Vergabe unter gänzlicher Außerachtlassung des Vergaberechts
jedoch keine Anwendung finden würde.
Jedenfalls aber habe hier die Antragstellerin nach Auffassung der Vergabekammer die
Nichtanwendung des Vergaberechts unverzüglich gerügt, nachdem sie die rechtliche Problematik
erkannt hat. § 107 Satz 1 Nr. 1 GWB würde nach seinem Wortlaut positive Kenntnis des
späteren Antragstellers voraussetzen. Zwar wären der Antragstellerin vorliegend die
tatsächlichen Umstände, auf die sich die Rüge dann stützte, bereits seit geraumer
Zeit bekannt gewesen. Erforderlich sei aber zudem eine zumindest laienhaft und durch
vernünftige Beurteilung hervorgebrachte rechtliche Wertung, dass das Handeln der Auftraggeberin
vergaberechtlich zu beanstanden sein könnte. Vorliegend habe es sich nach Auffassung
der Vergabekammer um einen Sachverhalt gehandelt, dessen vergaberechtliche Relevanz
nicht ohne weiteres erkennbar sei bzw. dem man eine solche Relevanz, wie seitens der
Auftraggeberin geschehen, mit nachvollziehbaren Argumenten auch absprechen könne.
Zugleich fehle es an exemplarischen Fällen, anhand derer in dem Tätigkeitsbereich
der Antragstellerin die denkbare vergaberechtliche Relevanz des in Streit stehenden
Vorgangs nachvollzogen werden könnte. Da ein Antragsteller zudem bis zur Grenze eines
mutwilligen Sich-Verschließens vor der Rechtslage nicht verpflichtet sei, vergaberechtlichen
Rat einzuholen, könne von einem laienhaften Nachvollzug der Rechtslage durch die Antragstellerin
vor dem Zeitpunkt ihrer Rüge nicht ausgegangen werden.
Der Nachprüfungsantrag ist nach Ansicht der Vergabekammer nicht wegen § 107 Abs. 3
Satz 1 Nr. 4 GWB unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag dann
unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers,
einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind, bevor er den Nachprüfungsantrag
stellt. Es könne hier dahingestellt bleiben, ob einem Antragsteller die Einhaltung
dieser Frist auch dann obliegen würde, wenn eine Rüge des Antragstellers gar nicht
erforderlich wäre, er aber dennoch den Verstoß gegen Vergabevorschriften gegenüber
dem Auftraggeber gerügt habe. Denn vorliegend habe sich der Antragsteller jedenfalls
rechtzeitig an die Vergabekammer gewandt, womit auch eine 15-Tagesfrist gewahrt gewesen
wäre.
Pflicht zur Einleitung eines geregelten Vergabeverfahrens
Pflicht zur Einleitung eines geregelten Vergabeverfahrens
Aus § 97 Abs. 1 GWB ergibt sich nach Auffassung der Vergabekammer vorliegend eine
Pflicht der Auftraggeberin, zur Beschaffung der streitgegenständlichen Dienstleistung
ein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten.
Die Pflicht der Auftraggeberin aus § 97 Abs. 1 GWB würde nicht allein im haushälterischen
Interesse der öffentlichen Hand an einem geordneten und rationalen Verfahren bestehen.
Sie würde auch im Interesse potenzieller Vertragspartner der öffentlichen Hand bestehen.
Denn durch die Eröffnung eines Vergabeverfahrens sollen die Grundsätze von Wettbewerb,
Transparenz und Gleichbehandlung gewährleistet werden. Hierdurch solle den Bietern
die Chance eröffnet werden, am Maßstab der Wirtschaftlichkeit ihres Angebots gemessen
und entsprechend behandelt zu werden. Damit wäre nach Ansicht der Vergabekammer auch
hinsichtlich der Einleitung eines geregelten Vergabeverfahrens ein durchsetzbarer
Anspruch zugunsten interessierter Unternehmen anzuerkennen. Erst dieser Anspruch eröffne
den umfassenden Rechtsschutz, der nach den europarechtlichen Vorgaben gemeinschaftsrechtlich
geboten sei. Diesen Anspruch der Regelung des § 97 Abs. 7 GWB zu entnehmen, sei auch
mit dem Wortlaut dieser Vorschrift in Einklang zu bringen. Denn auch die Vorschrift
des § 97 Abs. 1 GWB gehöre zu den „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“.
Die Auftraggeberin könne sich nicht darauf berufen, faktisch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren
gemäß § 5 Satz 1 VgV in Verbindung mit § 5 VOF (oder gemäß § 5 Abs. 1 VgV in Verbindung
mit § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF, Kat. 25 Anh. I B) der VOF durchgeführt zu haben. Dabei
könne dahinstehen, ob die Vergabe der streitgegenständlichen Dienstleistung nach diesen
Vorschriften überhaupt erfolgen könnte, oder ob hier nicht § 5 Satz 2 VgV etwas anderes
bestimmen würde, indem dort die VOL zur Anwendung berufen werde. Denn die Auftraggeberin
würde nicht behaupten, entsprechende Erwägungen im Zeitpunkt der Kooperationsverhandlungen
angestellt zu haben, sondern rekonstruiere in der Rückschau ihr Verhalten anhand dieser
Vorschriften. Dementsprechend fehle es auch an jeglicher Dokumentation, anhand derer
die vergaberechtlichen Erwägungen der Auftraggeberin nachvollzogen werden könne. Dies
genügt indes dem Gebot der Transparenz gemäß § 97 Abs. 1 GWB nicht. Es sei nicht ausreichend,
dass der Vergabevermerk erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens und bei Zuschlagserteilung
vorliegen würde. Vielmehr müsse die Dokumentation aus Gründen der Transparenz und
Überprüfbarkeit laufend fortgeschrieben werden. Die Gründe für die Wahl einer bestimmten
Verfahrensart – auch einer solchen, die sehr voraussetzungsarm ist – wären aktenkundig
zu machen. Zu fordern wären wenigstens dokumentierte Erwägungen zu der Frage, in welchem
Umfang auf eine Dokumentation bspw. wegen § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF verzichtet werden
könne, denn auch diese Vorschrift entbinde einen öffentlichen Auftraggeber nicht von
jeder Förmlichkeit.
Kritik und Fazit
Kritik und Fazit
Die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 17.08.2009
verdeutlicht, dass beim Abschluss von Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlich
getragenem Krankenhaus und radiologischen Arztpraxen das Vergaberecht zu berücksichtigen
ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein Mitbewerber eine Kooperation entweder
ganz zum Scheitern bringt oder zumindest für eine erhebliche zeitliche Verzögerung
sorgt, die ein Vergabeverfahren stets mit sich bringt.
Inhaltlich ist von der Vergabekammer Lüneburg nur unzureichend bedacht worden, dass
neben den vergaberechtlichen Vorschriften auch die sozialrechtlichen bzw. vertragsarztrechtlichen
Vorschriften zu beachten sind. Zwar ist es richtig, dass öffentlich-rechtliche Zustimmungs-
oder Genehmigungsvorbehalte in zahlreichen Wirtschaftsbereichen existieren und für
regulierungsbedürftige Märkte geradezu typisch sind. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer
sind diese Vorbehalte sehr wohl geeignet, das Bestehen eines Marktes überhaupt in
Abrede zu stellen, insbesondere, wenn die Zustimmung oder Genehmigung aus Gründen,
die nicht mit dem Vergaberecht im Zusammenhang stehen, rechtmäßig versagt wird. In
dem Fall hätte eine radiologische Praxis zwar einen vergaberechtlichen Zuschlag erhalten,
dürfte die Kooperation mangels Zustimmung oder Genehmigung aber nicht umsetzen. Dies
hätte möglicherweise zur Folge, dass das Krankenhaus das Vergabeverfahren – mit erneut
ungewissem Ausgang – nochmals durchführen müsste und die Praxis in Regress nehmen
würde. Es dürfte einleuchten, dass die Schaffung eines solchen Zustands sowohl für
die Krankenhäuser als auch für Radiologen zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit
führt und damit untragbar ist.
Weiter hat die Vergabekammer Lüneburg ohne inhaltliche Begründung darauf abgestellt,
dass ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren gemäß § 5 Satz 1 VgV in Verbindung mit §
5 VOF (oder gemäß § 5 Abs. 1 VgV in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF, Anhang I
B, Kategorie 25: „Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen“) der VOF mangels Dokumentation
nicht durchgeführt worden ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die im Anhang
I B genannten Kategorien „privilegiert“ sind, d.h. dass nach § 1a Nr. 2 VOL/A a.F.
lediglich die §§ 8a (a.F.; Technische Spezifikationen) und 28a (a.F.; Bekanntmachungen
vergebener Aufträge), nicht aber die übrigen a-§§ anzuwenden waren; dementsprechend
galten für die Vergabe der in Anhang I B zur VOF genannten Leistungen nach § 2 Abs.
1 VOF nur die § 8 Abs. 2 bis 7 VOF und § 17 VOF. Das ist ein erheblicher Vorteil,
da das Vergabeverfahren abgesehen von den Ausnahmen der §§ 8 a, 28 a VOL/A „national“
durchgeführt wird.
Schließlich hat sich die Vergabekammer Lüneburg nicht mit einer Abgrenzung zwischen
VOL und VOF auseinandergesetzt, wie es das Saarländische OLG (Beschl. v. 10.09.2006,
Az. 1 Verg 3/06, GesR 2006, S. 558-562) getan hat, dessen Rechtsprechung die Vergabekammer
Lüneburg in weiten Teilen übernommen hat, ohne auf mögliche Unterschiede hinzuweisen.
Dies wäre jedoch geboten gewesen, da dem Anwender, d.h. vorliegend dem Krankenhaus,
mit Blick auf das komplexe Vergabeverfahren im Rahmen eines bürgerfreundlichen Verhaltens
mitgeteilt werden sollte, wie grundsätzlich vorzugehen ist. Der insoweit maßgebliche
Ansatz, welches Verfahren berücksichtigt werden könnte, ergibt sich aus § 5 VgV, der
wie folgt lautet:
„1Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 und 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
haben bei der Vergabe von Dienstleistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit
erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten werden, sowie bei
Auslobungsverfahren, die zu solchen Dienstleistungen führen sollen, die Vergabeordnung
für freiberufliche Leistungen (VOF) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. November
2009 (BAnz. Nr. 185a vom 8. Dezember 2009) anzuwenden. 2Dies gilt nicht für Dienstleistungen,
deren Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben
werden kann.“
Daraus folgt, dass für eine Dienstleistung, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit
erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten wird, sowie bei
Auslobungsverfahren, die zu solchen Dienstleistungen führen sollen ,die VOF anzuwenden
ist. Die VOL/A ist hingegen anzuwenden für Dienstleistungen, deren Gegenstand eine
Aufgabe ist, deren Lösung vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann.
Eine vorab eindeutig und erschöpfend beschreibbare Lösung im Sinne von § 5 VgV liegt
dann vor, wenn die Leistung so genau beschrieben werden kann, dass sie Gegenstand
eines offenen oder nicht-offenen Verfahrens sein kann (Saarländisches OLG, Beschl.
v. 20.09.2006, Az. 1 Verg 3/06, juris Rdnr. 29). § 5 Satz 2 VgV verlangt insoweit
nicht, dass ein bestimmter Lösungsweg im Einzelfall vorgegeben werden kann oder dass
das Arbeitsergebnis von vornherein feststeht. Eindeutig und erschöpfend beschreibbar
ist eine Lösung vielmehr auch dann, wenn auf verschiedene in Betracht kommende Lösungswege
Bezug genommen wird und wenn lediglich vorgegeben wird, dass ein Arbeitsergebnis festzuhalten
ist. Andernfalls verbliebe für die Vorschrift praktisch kein Anwendungsbereich, weil
die meisten Lösungen wenigstens im Detail auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden
können und ein Arbeitsergebnis in vielen Fällen nicht von vornherein feststehen wird.
Die VgV ist umgesetzt in § 1 VOF und § 1 VOL/A. Eine Definition der freiberuflichen
Tätigkeit findet sich weder in der VgV, noch in der VOF. Eine Fußnote zu § 1 VOL/A
verweist hingegen auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, dessen Satz 2 wie folgt lautet:
„... Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche,
künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die
selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare,
Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer,
Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten,
Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher,
Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.“
Die Vergabeentscheidungen der Vergabekammer Lüneburg und des OLG Saarbrücken beschränken
sich auf den radiologischen Bereich und den Laborbereich. Bisher noch ungeklärt ist
die Frage, ob auch andere ärztliche- und auch psychotherapeutische Kooperationen mit
öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern dem Vergaberecht unterliegen, was zur Folge
hätte, dass auch diese öffentlich ausgeschrieben werden müssten. Dies würde bei allen
Beteiligten zu einer weiteren Verunsicherung führen. Zu einer Förderung der Kooperationen
mit öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern führt eine derartige Rechtsprechung sicherlich
nicht.
RA Dr. Michael Ossege
Rechtsanwälte Wigge
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