3. Konsentierte und abgestimmte Empfehlungen
3.1. Risikofaktoren
3.1.1. Helicobacter pylori
1. Statement
Helicobacter pylori ist ein wesentlicher Risikofaktor für das distale Magenkarzinom.
Level of Evidence: 1
de Novo: [4 ]
[5 ]
[6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Das Magenkarzinom ist eine multifaktorielle Erkrankung, bei der die Infektion mit
H. pylori den wichtigsten Risikofaktor darstellt. Seit 1994 ist H. pylori durch die
Weltgesundheitsorganisation als Klasse-I-Karzinogen anerkannt und wurde 2009 als solches
bestätigt [4 ]. Die Belege für das Risiko gibt es aus epidemiologischen, histologischen und molekularbiologischen
Untersuchungen sowie aus Tiermodellen und Therapiestudien [5 ]. Die ursprüngliche Einschätzung gründete sich auf epidemiologische Studien, die
ein um den Faktor 2 – 3 erhöhtes Risiko für ein Magenkarzinom durch die Infektion
mit H. pylori gezeigt haben. Eine Metaanalyse von 19 Studien an 2491 Patienten und
3959 Kontrollen erbrachte ein OR (Odds Ratio) von 1,92 (95 %-KI [Konfidenzintervall],
1,32 – 2,78) für die Entwicklung eines Magenkarzinoms in H.-pylori-infizierten Patienten.
In einer weiteren Metaanalyse von 16 Fallkontrollstudien wurde gezeigt, dass die Infektion
mit einem cag-A(cytotoxin-associated antigen A)-positiven Stamm das Risiko um das
2,28- bis 2,87-fache erhöht. Später konnte durch populationsbasierte Fallkontrollstudien
gezeigt werden, dass das OR von 2,2 (95 %-KI, 1,4 – 3,6) für Nicht-Kardia-Karzinome
bei H.-pylori-positiven Patienten auf 21 (95 %-KI, 8,3 – 53,4) ansteigt, wenn ein
spezieller Immunoblot gegen Cag-A-Antikörper, die nach einer Infektion länger persistieren,
mit in die Analyse einbezogen wird [9 ]
[10 ]. So sind 70 % der Nicht-Kardia-Karzinome auf die Infektion zurückzuführen.
Die Infektion mit H. pylori induziert immer eine chronisch aktive Gastritis. Bei einem
Teil der Patienten kommt es in Abhängigkeit von Wirts- und Umweltfaktoren zu einer
Progression, die über eine atrophische Gastritis und eine intestinale Metaplasie zu
einem Magenkarzinom führen kann. Diese idealisierte Sequenz ist als Correa-Hypothese
bekannt [9 ]. H. pylori stellt gleichermaßen einen Risikofaktor für das Magenkarzinom vom diffusen
Typ dar. Im Tiermodell (mongolische Wüstenrennmaus) konnte die Induktion gut differenzierter
Magenkarzinome durch die Infektion mit H. pylori erstmals gezeigt [6 ]
[9 ] und später durch eine Reihe von Studien bestätigt werden. Schließlich beobachtete
eine prospektive Follow-up-Studie an 1526 Patienten, von denen 1246 mit H. pylori
infiziert waren, die Entwicklung eines Magenkarzinoms nur bei Infizierten. Bei Patienten
mit ausgeprägter Atrophie, Korpus-prädominanter Gastritis oder intestinaler Metaplasie
zeigte sich dabei ein signifikant erhöhtes Risiko [6 ]. Eine Reihe weiterer auch prospektiver Therapiestudien hat diesen Sachverhalt erhärtet
(siehe Frage 3, [7 ]
[10 ]). Der Nachweis von Epstein-Barr-Virus in Magenkarzinomgewebe fällt in bis zu 9 %
der Tumorpatienten positiv aus. Diese EBV-positiven Tumoren scheinen eine eigene ätiologische
Entität darzustellen. Weitere Schlussfolgerungen bei EBV-positiven Magenkarzinomen
sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich [8 ].
2. Konsensbasierte Empfehlungen
Die H.-pylori-Eradikation mit dem Ziel der Magenkarzinomprophylaxe kann bei Risikopersonen
durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die Häufigkeit der Pan-Gastritis und/oder Corpus-dominanten H.-pylori-Gastritis innerhalb
einer Population korreliert mit dem Magenkarzinomrisiko [11 ] und dem Status einer Hochrisikopopulation [12 ]. Die Pan-Gastritis und Corpus-dominante H.-pylori-Gastritis weisen dabei das höchste
Risiko für die Entstehung des Magenkarzinoms im Vergleich zu intestinaler Metaplasie
und Atrophie auf [13 ]. Die Corpus-dominante H.-pylori-Gastritis kommt signifikant häufiger bei Magenkarzinom-Patienten
[14 ], bei Verwandten 1. Grades von Patienten mit Magenkarzinom [15 ] sowie bei Patienten mit Adenomen [16 ] und hyperplastischen Polypen [17 ]
[18 ] vor. Die Eradikation von H. pylori hat das Potenzial, die Entstehung eines Magenkarzinoms
zu verhindern [19 ]. Erst kürzlich wurde in einer Metaanalyse das relative Risiko für die Entstehung
eines Magenkarzinoms nach Eradikation von H. pylori mit 0,65 (95 %-KI, 0,43 – 0,98)
berechnet [20 ]. Bislang wird die genaue Einschätzung dieser Zusammenhänge durch die Inhomogenität
der entsprechenden Interventionsstudien erschwert [21 ]. Derzeit wird angenommen, dass der Zeitpunkt der Behandlung entscheidend ist für
die Effizienz der H.-pylori-Eradikation zur Prävention des Magenkarzinoms [22 ]
[23 ]
[24 ]. Diese sollte zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem noch keine präneoplastischen
Veränderungen entstanden sind. Allerdings konnte in einer vor Kurzem erschienenen
großen, randomisierten, placebokontrollierten Studie gezeigt werden, dass auch sehr
spät in dem Prozess der malignen Transformation (nach endoskopischer Therapie eines
Magenfrühkarzinoms) noch ein positiver Effekt durch eine H.-pylori-Eradikation zu
verzeichnen ist [25 ]. Aufgrund der geringeren Prävalenz der H.-pylori-Infektion und der geringen Inzidenz
des Magenkarzinoms in Deutschland ist es fraglich, ob ein Massenscreening zur Umsetzung
einer generellen „Screen-and-eradicate”-Strategie kosteneffektiv ist oder eine Eradikation
nur gezielt bei Risikopersonen durchgeführt werden sollte [26 ]
[27 ]
[28 ]
[29 ]. Eine Studie, die die Kosteneffizienz explizit unter den Bedingungen in Deutschland
prüft, wurde allerdings bislang noch nicht durchgeführt. Bezüglich einer Impfung gegen
Helicobacter wurden bereits mehrere Impfstoffe getestet. Bislang gibt es jedoch noch
keinen, der sich für die klinische Anwendung eignet und generell empfohlen werden
kann.
3.1.2.Weitere Risikofaktoren
3. Statement
Wichtige Risikofaktoren für das distale Magenkarzinom sind Alter, niedriger sozioökonomischer
Status, Tabakrauchen, Alkoholkonsum, familiäre Belastung, vorangegangene Magenoperationen,
perniziöse Anämie, Leben in einer Hochrisikopopulation sowie Ernährungs- und Umweltfaktoren.
Level of Evidence: 2
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Das Magenkarzinom entsteht vor allem bei Menschen im Alter über 55 Jahren; das mediane
Erkrankungsalter liegt bei 72 Jahren [4 ]. Ein niedriger sozioökonomischer Status ist ein Risikofaktor für die Entstehung
des Magenkarzinoms [4 ]. Tabakrauchen erhöht das Risiko für ein Karzinom des ösophagogastralen Übergangs
und für ein distales Magenkarzinom [5 ]
[31 ]
[32 ]. Das Magenkarzinom ist mit dem Konsum von Alkohol assoziiert [31 ]
[32 ]
[33 ]
[34 ]
[35 ]. Es kann familiär gehäuft auftreten [6 ]
[9 ]
[36 ]
[37 ], was darauf hinweist, dass eine gehäufte familiäre Belastung ein Risikofaktor ist.
Insgesamt leisten genetische Faktoren jedoch nur einen kleinen Beitrag zum Auftreten
des Magenkarzinoms [38 ]
[39 ]
[40 ]
[41 ]. Ein vorangegangenes peptisches Ulkus und eine vorangegangene Magenoperation begünstigen
die Entwicklung eines Magenkarzinoms [10 ]
[42 ]
[43 ]
[44 ]. Eine perniziöse Anämie prädisponiert zum Magenkarzinom [7 ]
[45 ]. Das Leben in einer Hochrisikopopulation, wie z. B. Japan, erhöht das Magenkarzinomrisiko
[11 ]
[12 ]
[13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ]
[20 ]
[46 ]
[47 ]
[48 ]
[49 ]
[50 ]
[51 ]
[52 ]
[53 ]
[54 ]
[55 ]. Die Beziehungen zwischen Ernährungsfaktoren und dem Magenkarzinomrisiko sind komplex
[21 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ]
[25 ]
[26 ]. Im Allgemeinen ist eine an pflanzlichen Bestandteilen reiche Ernährung mit einem
niedrigeren Risiko assoziiert, eine an tierischen Bestandteilen reiche Ernährung mit
einem höheren Risiko [54 ]. Erhöhte Nahrungsfaseraufnahme ist mit einem reduzierten Risiko assoziiert, insbesondere
für Karzinome des ösophagogastralen Übergangs [55 ]. Diäten mit einem hohen Gehalt an Antioxidantien wie Vitamin C, Vitamin E und Beta-Karotin
sind mit einem reduzierten Magenkarzinomrisiko assoziiert [56 ]
[57 ]
[58 ]. In den USA wurde ein unterdurchschnittlicher Konsum von Obst und Gemüse als Risikofaktor
für das Ösophagus-, nicht aber für das Magenkarzinom identifiziert [32 ], während in einer brasilianischen Fallkontrollstudie eine obst- und gemüsearme Ernährung
ein Risikofaktor für das Magenkarzinom war [59 ]. Insgesamt ist damit ein gesunder Lebensstil (Verzicht auf Tabakrauchen und übermäßigen
Alkoholkonsum; Vermeiden von Übergewicht; an Fasern, Obst und Gemüse reiche Ernährung)
mit einem reduzierten Magenkarzinomrisiko assoziiert.
4. Statement
Übergewicht ist ein gesicherter Risikofaktor für Karzinome des ösophagogastralen Übergangs.
Für das distale Magenkarzinom stellt das Übergewicht keinen signifikanten Risikofaktor
dar.
Level of Evidence: 2a
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die primäre Literatursuche bestätigt die Aussagen der SIGN-Leitlinie [30 ]. In einer Metaanalyse prospektiver Kohortenstudien (Studienteilnehmer insgesamt
= 3 097 794] war für Personen mit einem BMI ≥ 25 das Magenkarzinomrisiko signifikant
um 22 % erhöht (OR 1,22; 95 %-KI, 1,06 – 1,41, [60 ]). Die Subgruppenanalyse für Kardiakarzinome ergab eine Risikoerhöhung um 55 % (OR
1,55; 95 %-KI, 1,31 – 1,84). Eine Metaanalyse von Beobachtungsstudien (größtenteils
Fall-Kontroll-Studien) zeigte für einen BMI ≥ 25 eine 50 %ige Risikoerhöhung für Kardiakarzinome
(OR 1,5; 95 %-KI, 1,3 – 1,8) bei selektiver Betrachtung westlicher Populationen (USA,
Europa, [61 ]). Ein ansteigender BMI scheint das Risiko eines Karzinoms des ösophagogastralen
Übergangs kontinuierlich zu erhöhen [62 ]. Eine Metaanalyse prospektiver Beobachtungsstudien, in denen der Zusammenhang zwischen
Übergewicht und Krebserkrankungen verschiedener Lokalisationen untersucht wurde, konnte
keine signifikante Assoziation zwischen BMI und Magenkarzinom (eine nähere Differenzierung
der Tumorlokalisation wurde nicht vorgenommen) nachweisen (relatives Risiko 0,97;
95 %-KI, 0,88 – 1,06 bei Männern; relatives Risiko 1,04; 95 %-KI, 0,90 – 1,20 bei
Frauen, [63 ]). Die Subgruppenanalyse der Metaanalyse prospektiver Kohortenstudien ergab keine
signifikante Assoziation zwischen BMI ≥ 25 und dem Risiko für distale Magenkarzinome,
d. h. Nicht-Kardia-Karzinome (OR 1,18; 95 %-KI, 0,96 – 1,45, [60 ]).
5. Statement
Es gibt Hinweise auf eine Assoziation zwischen einer gastroösophagogealen Refluxkrankheit
(GERD) und der Entstehung eines Adenokarzinoms des Magens (AEG II und III).
Level of Evidence: 2b
de Novo: [64 ]
[65 ]
[66 ]
[67 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
In einer schwedischen Fallkontrollstudie [64 ] lag bei Personen mit rezidivierenden Refluxsymptomen im Vergleich mit Personen ohne
solche Symptome das Odds Ratio (OR) für das Kardiakarzinom bei 2,0, für das Adenokarzinom
des distalen Ösophagus bei 7,7. Je häufiger, schwerer und länger dauernd die Symptome
waren, umso größer war das Risiko. In einer Fallkontrollstudie aus den U. S. A. [65 ] fand sich eine höhere Prävalenz GERD-assoziierter Symptome bei Patienten mit einem
Karzinom des gastroösophagogealen Übergangs als bei Kontrollpatienten gleichen Alters
und gleichen Geschlechts. In einer weiteren bevölkerungsbasierten Fallkontrollstudie
aus den USA [66 ] fand sich nach Berücksichtigung demografischer Faktoren ein 3-fach erhöhtes Risiko
für ein Ösophaguskarzinom bei Refluxsymptomen (OR 3,61; 95 %-KI, 2,49 – 5,25); bei
Vorliegen einer Hiatushernie war das Risiko 6-fach (OR 5,85; 95 %-KI, 3,18 – 10,75)
und bei Refluxsymptomen und Hiatushernie 8-fach (OR 8,11; 95 %-KI, 4,75 – 13,87) erhöht.
Eine weniger starke, jedoch noch immer signifikante Assoziation errechnete sich für
das Kardiakarzinom. In einer Studie aus den USA [67 ] wurden Patienten, bei denen endoskopisch ein Adenokarzinom des Ösophagus oder der
Kardia oder ein Long-Segment-Barrett-Ösophagus festgestellt worden war, nach ihren
Refluxsymptomen befragt. 61 % der Patienten mit Adenokarzinom des Ösophagus, 38 %
derer mit Kardiakarzinom und 70 % derer mit Barrett-Ösophagus berichteten über chronische
Refluxsymptome über mehr als 5 Jahre vor der Diagnosestellung.
3.2. Risikogruppen
3.2.1. Familiäres Risiko
6. Statement
Verwandte 1. Grades von Patienten mit einem Magenkarzinom haben ein im Vergleich zur
Normalbevölkerung erhöhtes Risiko, ebenfalls an einem Magenkarzinom zu erkranken.
Level of Evidence: 3b
de Novo: [19 ]
[68 ]
[69 ]
[70 ]
[71 ]
[72 ]
[73 ]
[74 ]
[75 ]
[76 ]
[77 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Für Verwandte 1. Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) eines Patienten mit Magenkarzinom
ist das Magenkarzinomrisiko um das 2- bis 3-fache erhöht [68 ]
[69 ]
[70 ]
[71 ]
[72 ]
[73 ]. Ursache des erhöhten Risikos könnten gemeinsame Umweltbedingungen bzw. Lebensgewohnheiten,
eine gemeinsame genetische Veranlagung oder eine Kombination beider Faktoren sein.
Obwohl eine positive Korrelation zwischen einer Familiengeschichte und einer Helicobacter-Infektion
besteht [69 ]
[74 ]
[75 ], scheinen beide voneinander unabhängige Risikofaktoren zu sein [69 ]
[74 ]
[76 ]
[77 ]. Möglicherweise führt das gleichzeitige Vorliegen beider Faktoren zu einem synergistischen
Effekt [69 ]. Es wird empfohlen, bei Verwandten ersten Grades von Magenkarzinom-Patienten eine
Eradikation von H. pylori durchzuführen [19 ]
[75 ] (siehe auch die Eradikations-Empfehlung bei Risikopersonen). Ist mehr als ein Verwandter
ersten Grades an einem Magenkarzinom erkrankt, so ist das Risiko etwa 10-fach erhöht
[69 ]. Eine Empfehlung zu Screening-Untersuchungen (Gastroskopie) bei Personen mit positiver
Familienanamnese kann dennoch nicht gegeben werden. Es existiert derzeit keine wissenschaftliche
„Evidenz” für einen Nutzen spezieller vorsorgender Maßnahmen bei nahen Verwandten
von Patienten mit Magenkarzinom.
7. Statement
Ein frühes Erkrankungsalter, das Vorliegen eines diffusen Magenkarzinoms und eine
familiäre Häufung sind Hinweise auf das Vorliegen eines hereditären diffusen Magenkarzinoms.
Level of Evidence: 3b
de Novo: [40 ]
[78 ]
[79 ]
[80 ]
[81 ]
[82 ]
[83 ]
[84 ]
[85 ]
[86 ]
[87 ]
[88 ]
[89 ]
[90 ]
[91 ]
[92 ]
[93 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
8. Konsensbasierte Empfehlung
In diesem Fall soll eine genetische Beratung erfolgen. Bei Nachweis einer Keimbahnmutation
des CDH-1-Gens soll eine prophylaktische Gastrektomie dem Patienten nach Aufklärung
geraten werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Das hereditäre diffuse Magenkarzinom [78 ] ist eine seltene autosomal dominante Erkrankung, welche für ca. 1 % aller Magenkarzinome
verantwortlich ist [79 ]. Heterozygote inaktivierende Keimbahnmutationen im Gen für E-Cadherin (CDH1) – ein
kalziumabhängiges Adhäsionsmolekül epithelialer Zellen und ein Tumorsuppressorprotein
– sind die Ursache der Erkrankung [79 ]
[80 ]. Träger der Mutation haben ein ca. 40 – 70 %iges (Männer) bzw. ca. 60 – 80 %iges
(Frauen) Lebenszeitrisiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms, Frauen zusätzlich
ein ca. 40 – 50 %iges Risiko für die Entstehung eines lobulären Mammakarzinoms [81 ]
[82 ]. Klinische Kriterien zur Selektion von Familien für die Mutationsanalyse sind formuliert
worden. Eine E-Cadherin-Keimbahnmutationsdiagnostik sollte Familien angeboten werden,
für die eines der folgenden Kriterien zutrifft: 1. 2 oder mehr Verwandte 1. Grades
sind an einem Magenkarzinom erkrankt, wobei in mindestens einem der Fälle ein diffuses
Magenkarzinom vorliegt, das vor dem Alter von 50 Jahren aufgetreten ist; 2. drei oder
mehr Verwandte 1. oder 2. Grades sind an einem diffusen Magenkarzinom erkrankt (ohne
Altersbeschränkung); 3. ein Familienmitglied hat vor dem Alter von 35 Jahren ein diffuses
Magenkarzinom entwickelt; 4. in der Familie sind sowohl ein diffuses Magenkarzinom
als auch ein lobuläres Mammakarzinom aufgetreten, in mindestens einem der Fälle vor
dem Alter von 50 Jahren [40 ]
[80 ]
[83 ]
[84 ]
[85 ]. Die molekular-genetische Diagnostik sollte entsprechend den „Richtlinien zur Diagnostik
der genetischen Disposition für Krebserkrankungen” der Bundesärztekammer erfolgen
[86 ].
Der Nutzen einer gastroskopischen Vorsorge hinsichtlich einer Reduzierung der Mortalität
bei CDH1-Mutationsträgern ist bisher nicht belegt. Experten empfehlen eine halbjährliche
bis jährliche Chromoendoskopie-Untersuchung, beginnend im Alter von 16 Jahren [87 ]
[88 ] oder alternativ beginnend mit dem Lebensalter, das 10 Jahre vor dem Erkrankungsalter
des jüngsten angehörigen Indexpatienten liegt [80 ]. Aufgrund des hohen Magenkarzinomrisikos bei CDH1-Mutationsträgern und wegen der
geringen Sensitivität des endoskopischen Screenings für frühe Magenkarzinome [80 ]
[89 ]
[90 ]
[91 ] ist eine prophylaktische totale Gastrektomie indiziert [83 ]
[84 ]
[85 ], wobei der optimale Zeitpunkt der Gastrektomie noch nicht feststeht. Die meisten
Autoren empfehlen, den Eingriff in der 3. Lebensdekade durchzuführen [88 ]
[92 ]. Ein alternativer Vorschlag lautet, die prophylaktische Gastrektomie in einem Alter
durchzuführen, das 5 Jahre vor dem Erkrankungsalter des jüngsten angehörigen Indexpatienten
liegt [80 ]. In den meisten Fällen ist die Gastrektomie nicht prophylaktisch, sondern therapeutisch,
da sich in Resektaten bereits kleine Herde eines diffusen Magenkarzinoms finden lassen;
oft treten diese multifokal auf [89 ]
[90 ]
[91 ]
[93 ]. Wird eine prophylaktische Gastrektomie abgelehnt, so sollte eine gastroskopische
Überwachung erfolgen.
3.2.2. Hereditäres nonpolypöses kolorektales Karzinom (HNPCC)
9. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten mit hereditärem kolorektalem Karzinom ohne Polyposis (HNPCC, Lynch-Syndrom)
sollten über ihr erhöhtes Lebenszeitrisiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms
aufgeklärt werden. Eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie kann angeboten werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
HNPCC ist eine autosomal-dominant vererbbare Karzinomprädisposition, die durch Keimbahnmutationen
in einem der Mismatch-Repair(MMR)-Gene verursacht wird. HNPCC ist charakerisiert durch
das frühe Auftreten von syn- und metachronen kolorektalen Karzinomen sowie von Karzinomen
anderer Organlokalisationen, darunter Magenkarzinome. Informationen zur klinischen
und molekulargenetischen Diagnostik des HNPCC finden sich auf der Internetseite des
Verbundprojekts „Familiärer Darmkrebs” (http://www.hnpcc.de ). Das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms bei Patienten mit
HNPCC variiert zwischen 2 % und 30 % in Abhängigkeit von der Patientenpopulation [94 ]. In westlichen Ländern beträgt das Risiko für Mutationsträger etwa 2 – 9 % [95 ]
[96 ]
[97 ] – im Vergleich zu 1,5 % bei der Allgemeinbevölkerung. In Ländern mit hoher Magenkarzinominzidenz
liegt das Lebenszeitrisiko der Entwicklung eines HNPCC-assoziierten Magenkarzinoms
bei 30 % [98 ]. Das mittlere Erkrankungsalter variiert bei Patienten mit HNPCC zwischen 47 und
56 Jahren [94 ], während sporadische Magenkarzinome meist nach dem 55. Lebensjahr auftreten [99 ]. Meist liegt ein intestinaler Typ des Magenkarzinoms mit Mikrosatelliteninstabilität
vor [100 ]. Obgleich keine prospektiv randomisierten Daten oder ein allgemeiner Konsens bezüglich
der Effizienz einer Überwachungsstrategie mittels ÖGD vorliegen, wird diese häufig
empfohlen. So befürwortet das deutsche HNPCC-Konsortium eine jährliche Untersuchung
ab dem Alter von 35 Jahren, unabhängig davon, ob bereits Magenkarzinome in der Familie
aufgetreten sind. Grundlage hierfür ist eine Untersuchung der deutschen HNPCC-Studiengruppe
mit 281 Familien, in der das Magenkarzinom 5 % der Tumoren ausmachte, 98 % dieser
Erkrankungen nach dem Alter von 35 Jahren aufgetreten sind und keine familiäre Häufung
beobachtet wurde [101 ]. Der Zusammenhang zwischen Familiengeschichte und Magenkarzinomrisiko bei HNPCC
ist unklar, die Daten sind widersprüchlich [96 ]
[101 ]. Manche Autoren empfehlen Früherkennungsuntersuchungen nur in HNPCC-Familien, in
denen mehr als ein Familienmitglied an einem Magenkarzinom erkrankt ist oder in Ländern
mit hoher Magenkarzinominzidenz [94 ]
[102 ]. Einige europäische Kollegen sehen bei nicht signifikant erhöhtem Magenkarzinomrisiko
bei Patienten mit HNPCC keinen Stellenwert einer Überwachungs-ÖGD [103 ]. Wird eine ÖGD durchgeführt, sollte diese immer bis zum Treitz’schen Band erfolgen,
da 50 % der HNPCC-assoziierten Dünndarmtumoren im Duodenum lokalisiert sind [104 ]. Eine ggf. bestehende Helicobacter-pylori-Infektion bei HNPCC-Patienten sollte in
jedem Fall behandelt werden [94 ].
3.3. Screening und Prävention
3.3.1. Screening
10. Empfehlung
Ein serologisches Screening der asymptomatischen Normalbevölkerung sollte nicht durchgeführt
werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2b
de Novo: [105 ]
[106 ]
[107 ]
[108 ]
[109 ]
[110 ]
[111 ]
[112 ]
[113 ]
[114 ]
[115 ]
[116 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Das Magenkarzinom wird häufig erst in einem bereits fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert.
Die späte Diagnosestellung ist somit mit einer schlechten Prognose verbunden. Nicht
invasive Testmethoden wären hilfreich, das Magenkarzinom in einem frühen Stadium zu
diagnostizieren. Bisher gibt es keinen verlässlichen Biomarker, der eine Früherkennung
erlaubt. Allerdings entstehen sowohl der intestinale als auch der diffuse Typ des
(distalen) Magenkarzinoms aus einer chronischen gastralen Entzündung durch die Helicobacter-pylori-Infektion.
Der intestinale Typ des (distalen) Magenkarzinoms ist mit einer atrophischen Gastritis
und intestinalen Metaplasie vergesellschaftet. Das Risiko an einem Magenkarzinom zu
erkranken ist sowohl mit der Ausdehnung und als auch dem Schweregrad der Atrophie
verbunden [105 ]
[106 ]. Serologische Marker wie Pepsinogen (PG) I und II, Gastrin 17 (G-17) und H.-pylori-IgG-Antikörper
geben Hinweise auf Grad und Lokalisation der Atrophie [107 ]. Durch die Kombination dieser Marker ist eine Identifikation von Hochrisikopatienten
möglich. Watabe et al. nahmen 9293 Teilnehmer, welche für H.-pylori-Antikörper und
PG gescreent wurden, in ein Follow-up von 4,7 Jahren. In dieser Studie stellte die
Kombination der genannten Serummarker eine gute Prädiktion für die Entstehung des
Magenkarzinoms dar [108 ]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Langzeitstudie mit 2446 Teilnehmern, in
der ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem PG-Level und der Entwicklung eines
Magenkarzinoms nachgewiesen wurde, der unabhängig von einer H.-pylori-Infektion war
[109 ]. In Ländern mit hoher Inzidenz kann das Serum-PG-Screening asymptomatischer Personen
die Detektionsrate für Magenkarzinome deutlich erhöhen, mit hohem Anteil früher Stadien
[111 ]. In einer kleineren Fallkontrollstudie (41 Fälle/ 123 Kontrollen) wurde errechnet,
dass ein PG-Screening jedes Jahr bzw. alle 2 Jahre die Magenkarzinom-Mortalität in
einer Hochrisikopopulation um 76 bzw. 62 % reduzieren kann [112 ]. Ob Studienergebnisse aus Ländern mit hoher Inzidenz auf die Verhältnisse in Deutschland
übertragbar sind, ist unklar. Aufgrund einer nicht ausreichenden Evidenz können die
oben genannten Screeningmethoden derzeit nicht zur Früherkennung des Magenkarzinoms
in der asymptomatischen deutschen Bevölkerung empfohlen werden [115 ]. Die genannten Testmethoden dienen allerdings als sinnvolle Screening-Methode für
eine atrophische Gastritis und somit zur Erkennung von Hochrisikopatienten [106 ]
[110 ]
[113 ]
[114 ]
[116 ].
11. Konsensbasierte Empfehlung
Die fokale Atrophie und intestinale Metaplasie müssen nicht endoskopisch überwacht
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Atrophie und intestinale Metaplasie sind histologische Diagnosen und stellen Indikatorläsionen
für ein erhöhtes Risiko der Karzinomentstehung – auch an anderer Stelle der Magenschleimhaut
– dar. Patienten mit Pan-Gastritis oder Corpus-dominanter H.-pylori-Gastritis sollten
Helicobacter eradiziert werden, insbesondere wenn zusätzlich noch Atrophie oder Metaplasie
nachgewiesen werden. Eine regelmäßige endoskopisch-bioptische Überwachung wird bei
fokaler Atrophie und intestinaler Metaplasie nicht empfohlen, da das Magenkarzinomrisiko
bei Atrophie und intestinaler Metaplasie auch nach 10 Jahren zu gering ist (< 1,8
%, [117 ]
[118 ]). Bei ausgeprägter Atrophie und Metaplasie kann es sinnvoll sein, Risiko-Patienten
zu identifizieren, allerdings liegen diesbezüglich keine prospektiven Studien vor
[119 ]. Es besteht der Eindruck, dass Patienten mit flächenhafter Atrophie bei Autoimmungastritis
nicht immer klar von Betroffenen mit fokaler Atrophie und Metaplasie in der Literatur
abgegrenzt werden. Obwohl es Konzepte gibt, die davon ausgehen, dass durch Stammzellen
bzw. Transdifferenzierungen intestinale Metaplasien und Atrophien entstehen, wurde
die eigentliche Vorläuferzelle von Magenkarzinomen noch nicht sicher identifiziert
[120 ]. Mittlerweile ist klar, dass die fokale intestinale Metaplasie und Atrophie eher
ein parakanzeröses als ein präkanzeröses Phänomen darstellen [121 ].
12. Konsensbasierte Empfehlung
Ein bevölkerungsbezogenes endoskopisches Screening zum Nachweis von Magenfrühkarzinomen
wird für Deutschland nicht empfohlen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Derzeit wird ein populationsbezogenes Screening einer asymptomatischen Bevölkerung
lediglich in 3 Ländern mit sehr hoher Inzidenz des Magenkarzinoms durchgeführt (Korea,
Japan, Taiwan). In Japan werden ab dem 40. Lebensjahr eine Gastroskopie oder eine
Bariumkontrastdarstellung angeboten. In Korea besteht ebenfalls das Angebot, eine
Gastroskopie durchzuführen, während in Taiwan zunächst der Serumpepsinogenspiegel
bestimmt wird. Im Falle niedriger Spiegel wird endoskopiert [75 ]
[122 ].
13. Konsensbasiertes Statement
Bezüglich einer möglichen endoskopischen Überwachung von Patienten mit reseziertem
Magen lässt sich aus den existierenden Daten keine Empfehlung ableiten.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Nach einer Operation am Magen (insbesondere Ulkuschirurgie) ist das Risiko für die
Entstehung eines Magenstumpfkarzinoms ab dem 15. – 20. postoperativen Jahr erhöht
[123 ]
[124 ]
[125 ]
[126 ]
[127 ]. Das relative Risiko liegt 2 Metaanalysen zufolge im Bereich zwischen 1,5 und 3,0,
abhängig von der Art der Operation und v. a., der Zeitdauer seit der Operation [126 ]
[127 ]. Eine Billroth-II-Resektion (Gastrojejunostomie) scheint mit einem größeren Risiko
verbunden zu sein als eine Billroth-I-Resektion (Gastroduodenostomie). Ursächlich
für das erhöhte Magenkarzinomrisiko wird ein alkalischer Galle- und Pankreassaftreflux
verantwortlich gemacht (der ausgeprägter nach einer Billroth-II- als nach einer Billroth-I-Resektion
ist). Aufgrund des erhöhten Karzinomrisikos wird häufig eine regelmäßige Gastroskopie
– beginnend nach 15 Jahren – empfohlen, ohne dass sich der Nutzen einer solchen Strategie
belegen lässt. Aufgrund der weitgehenden Bedeutungslosigkeit der Ulkuschirurgie im
Gefolge einer effizienten Pharmakotherapie mit zunächst H2 -Blockern und jetzt Protonenpumpenhemmern wird das postoperative Magenstumpfkarzinom
bald ein historisches Phänomen sein.
3.3.2. Prävention
14. Konsensbasiertes Statement
Es gibt keine gesicherten klinischen Hinweise, dass Protonenpumpeninhibitoren (PPI)
das Risiko für ein Magenkarzinom erhöhen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die profunde Säuresuppression im Magen durch die Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren
(PPI) führt zu einer erhöhten Sekretion von Gastrin. Bei vielen Patienten, die eine
Therapie mit einem PPI erhalten, lässt sich ein leichter Anstieg der Gastrin-Serumkonzentration
nachweisen [128 ]
[129 ]. Gastrin hat einen trophischen Effekt auf die Magenschleimhaut. Es wird von einem
erhöhten Risiko für die Entstehung von neuroendokrinen Tumoren des Magens sowie von
Magen- und Kolonkarzinomen durch eine Hypergastrinämie berichtet [130 ]
[131 ]
[132 ]
[133 ]
[134 ]. Bei Patienten unter einer lang dauernden PPI-Therapie konnte eine Hyperplasie von
Enterochromaffin-like-Zellen (ECL-Zellen) beobachtet werden [128 ]
[129 ]. Zusätzlich zeigen klinische Studien bei Patienten mit H.-pylori-Infektion eine
erhöhte Inzidenz einer atrophischen Gastritis unter einer lang dauernden PPI-Therapie
[134 ], die als Risiko für Adenokarzinome des Magens angesehen werden muss [6 ]
[45 ]. Nur wenige epidemiologische Studien haben die Assoziation einer PPI-Einnahme mit
der Entstehung von Adenokarzinomen des Magens untersucht. Zwei Untersuchungen aus
Großbritannien belegten ein erhöhtes Risiko für Magenkarzinome bei Patienten unter
PPI-Therapie, was aber auf die Tatsache zurückgeführt wurde, dass die Symptome eines
Magenkarzinoms mit dyspeptischen Beschwerden häufig Ursache für die Einleitung einer
PPI-Therapie darstellen. Dies muss als Confounder angesehen werden [135 ]
[136 ], weil die Symptombefreiung die Krankheit maskiert und so zu einer verspäteten Diagnose
führt. Eine populationsbasierte Kohorten-Studie aus Dänemark, die eine Verzögerungsphase
von einem Jahr in die Analyse miteinbezog, um einen solchen Effekt zu minimieren,
untersuchte 15 065 Patienten, die einen PPI verschrieben bekommen hatten, und 16 176
Patienten, für die ein H2 -Rezeptor-Blocker ordiniert wurde. Die Studie konnte keinen Unterschied in der IRR
(incidence rate ratio) für ein Magenkarzinom zwischen beiden Patientengruppen zeigen
(1,2 [95 %-KI, 0,8 – 2,0] vs. 1,2 [95 %-KI, 0,8 – 1,8), [137 ]).
15. Empfehlung
ASS oder NSAR sollten nicht zur Prophylaxe des Magenkarzinoms angewendet werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2b
de Novo: [138 ]
[139 ]
[140 ]
[141 ]
[142 ]
[143 ]
[144 ]
[145 ]
[146 ]
[147 ]
[148 ]
[149 ]
[150 ]
[151 ]
[152 ]
[153 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In molekularen Analysen von Gewebeproben wurde eine Induktion der Cyclooxygenase-2
(COX-2) in Magenkarzinomen gezeigt [140 ]
[141 ]
[142 ]. In den letzten Jahren wurde in einer Vielzahl von Beobachtungs- und Kohortenstudien
der protektive Effekt von ASS, NSAR oder selektiven COX-2-Inhibitoren auf die Magenkarzinogenese
untersucht [143 ]. In einer Analyse an 650 000 Patienten, die über einen Zeitraum von mehr als 10
Jahren Aspirin eingenommen haben, wurde eine Risikoreduktion für die Entstehung gastraler
Adenokarzinome von beinahe 50 % gezeigt [144 ]. Dieser Effekt bestand allerdings nur unter regelmäßiger Einnahme von ASS, nicht
jedoch anderer NSAR, vergleichbar mit den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen [145 ]
[146 ]. In einer anderen Untersuchung fand sich bei regelmäßiger Einnahme von COX-2-Inhibitoren
eine Regression mukosaler Alteration wie intestinaler Metaplasie und Atrophie, wobei
dieser Zusammenhang in der Literatur nicht eindeutig belegt ist und in anderen Studien
nicht bestätigt werden konnte [138 ]
[139 ]
[147 ]. Metaanalysen belegen eine Risikoreduktion nicht nur für die Entstehung von Magenkarzinomen,
sondern auch von Adenokarzinomen des distalen Ösophagus. Der protektive Einfluss war
auch hier ausgeprägter unter Einnahme von ASS als von einer alternativen NSAR, inklusive
eines positiven Zusammenhangs mit der Einnahmefrequenz [148 ]
[149 ]
[150 ]. Die jüngst publizierte Metaanalyse zeigte vergleichbare Risikoreduktionen für nicht
kardiale (HR: 0,64; 95 %-KI, 0,52 – 0,80 vs. HR: 0,68; 95 %-KI, 0,57 – 0,81), kardiale
(HR: 0,82; 95 %-KI, 0,65 – 1,04 vs. 0,80; 0,67 – 0,95) und distal-ösophageale Adenokarzinome
(HR; 95 %-KI, 0,64; 0,52 – 0,79 vs. HR: 0,65; 95 %-KI, 0,50 – 0,85) jeweils für ASS
und andere NSAR. Generelle Probleme bei der Datenerhebung bestehen in der Inhomogenität
der erfassten Studien, insbesondere im Hinblick auf die definierten Endpunkte und
abweichenden Ein- und Ausschlusskriterien. In den meisten Fällen handelt es sich um
epidemiologisch-retrospektive, fragenbogenbasierte Erhebungen [151 ]. Weiteren Aufschluss werden die Daten der AspECT-Studie geben, bei der insbesondere
der Einfluss von ASS/NSAR in Kombination mit Esomeprazol auf Ösophaguskarzinome evaluiert
wird. Eine Interimsanalyse wird 2011 erwartet [152 ]. Hinweise auf einen protektiv-antikanzerogenen Effekt von ASS/NSAR im oberen Gastrointestinaltrakt
wurden bislang nicht in die klinische Routine übertragen, da das Risiko für eine NSAR-induzierte
Ulkusblutung erhöht wird. Auch bei selektiven COX-2-Inhibitoren ist der Einfluss auf
das kardiovaskuläre Risikoprofil umstritten [153 ].
3.4. Primärdiagnostik
3.4.1. Endoskopische Untersuchung
16. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten mit einem oder mehreren der folgenden Alarmsymptome im klinischen Zusammenhang
mit einem V. a. Ösophagus- oder Magenkarzinom sollen zu einer frühzeitigen Endoskopie
mit Entnahme von Biopsien überwiesen werden:
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
17. Konsensbasiertes Statement
Die vollständige endoskopische Untersuchung von Ösophagus und Magen stellt das Standardverfahren
zur Detektion der Tumoren dar. Diese Untersuchung besitzt die höchste Sensitivität
und Spezifität für den Nachweis von Neoplasien des oberen Gastrointestinaltrakts.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
18. Konsensbasiertes Statement
Der Einsatz neuer endoskopischer Verfahren (NBI, Chromoendoskopie, konfokale Lasermikroskopie)
über eine Videoendoskopie hinaus in der Primärdiagnostik von Ösophagus- und Magenkarzinom
ist routinemäßig nicht notwendig.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Diese Statements sind ein Expertenkonsens, der durch weitere internationale Leitlinien
unterstützt wird [30 ]
[154 ]. Die endoskopische Untersuchung des Ösophagus und Magens ist das Standardverfahren
zur Detektion von Neoplasien des Ösophagus und Magens. Sie erlaubt die gleichzeitige
Entnahme von Biopsien und vermeidet eine Strahlenexposition, die mit anderen (bildgebenden)
Verfahren verbunden ist. Die endoskopische Untersuchung erlaubt die Bestimmung der
Lokalisation der Neoplasie und ist in aller Regel mit großer Sicherheit durchführbar.
Die untersuchungsabhängige Letalitätsrate liegt unter 1 von 10 000 Fällen und Komplikationen
(in aller Regel in Zusammenhang mit der Sedierung) treten in ca. 1 von 1000 Fällen
auf. Wenngleich keine Vergleichsstudien dieser Methodik zu anderen Verfahren in den
letzten Jahren durchgeführt wurden und damit zur Analyse vorliegen, ist aufgrund der
oben aufgeführten Vorteile diese Methode als das Standardverfahren anzusehen und sollte
bei klinischem Verdacht als Erstes eingesetzt werden.
19. Empfehlung
Es sollen Biopsien aus allen suspekten Läsionen genommen werden, um eine sichere Diagnostik
von malignen Veränderungen im Ösophagus und im Magen zu gewährleisten.
Empfehlungsgrad: A
Level of Evidence: 2
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
3.4.2. Staging
20. Konsensbasiertes Statement
Intraepitheliale Neoplasien (Dysplasien) des Magens werden nach WHO in Low-Grade und
High-Grade unterschieden.
Level of Evidence: GCP
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
21. Konsensbasierte Empfehlung
Bei High-Grade intraepithelialen Neoplasien sollte eine externe Zweitbefundung durch
einen in der gastrointestinalen Onkologie erfahrenen Pathologen durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In Deutschland wird bei jeder Endoskopie die Durchführung von Biopsien empfohlen.
Bei V. a. auf ein Malignom des Magens sollte ein Minimum von 8 Biopsien aus allen
suspekten Arealen entnommen werden. Ein Minimum von 10 Biopsien ist indiziert bei
Patienten mit großen Läsionen, 4 Biopsien (2 Antrum und 2 Corpus) zusätzlich zu den
suspekten Läsionen. Bei Lymphomverdacht sind mindestens 15 Biopsien aus befallenen
und unauffälligen Arealen zu entnehmen. Biopsien aus normaler Schleimhaut werden nicht
generell empfohlen, können im Einzelfall zur Erfassung einer Risikokonstellation (Atrophie,
IM, Corpus-dominant, HP) erwogen werden.
3.4.3. Histologie
22. Konsensbasierte Empfehlung
Nach negativer Histologie bei makroskopisch tumorverdächtiger Läsion oder V. a. Linitis
plastica sollen kurzfristig erneut multiple Biopsien aus dem Rand und dem Zentrum
der Läsion oder eine diagnostische endoskopische Resektion durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
23. Konsensbasierte Empfehlung
In Fällen, in denen, trotz hochgradigem klinischem und endoskopischem Verdacht auf
ein Adenokarzinom des Magens bzw. ein AEG, ausgiebige Biopsien die Sicherung der Diagnose
nicht erlauben, kann der EUS zur primären Diagnosesicherung beitragen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Klinisch besteht immer wieder die Problematik der histologischen Sicherung einer makroskopisch
verdächtigen Läsion im Magen bzw. bei V. a. Linitis plastica. Hier werden wiederholt
Biopsien entnommen, die dann histologisch ohne Tumornachweis sind. Daher besteht die
klinische Frage, wie oft und wann erneut Biopsien entnommen werden sollen bzw. wann
ein invasiveres Verfahren zur histologischen Sicherung eingesetzt werden soll. Wissenschaftliche
Untersuchungen zu dieser Fragestellung liegen nicht vor. Generell sollte ein differenziertes
Vorgehen bei a) frühen Läsionen mit potenziell kurvativem Ansatz von b) makroskopisch
groß imponierenden bzw. fortgeschrittenen oder symptomatischen Läsionen unterschieden
werden. Bei frühen Läsionen ist eine erneute Diagnostik innerhalb 1 – 2 Wochen mit
Biopsieentnahme angezeigt. Sollten auch diese Biopsien ohne histologischen Tumornachweis
bleiben, kann eine endoskopische Resektion bzw. Schlingenresektion von Falten durchgeführt
werden. Vor einer invasiveren Diagnostik sollte dieses Vorgehen bei frühen Läsionen
wiederholt werden. Bei großen Läsionen, die auch in der erneuten Biopsie ohne Tumornachweis
bleiben, kann neben der endoskopischen Resektion bzw. Schlingenresektion von Falten,
insbesondere bei symptomatischen Läsionen direkt ein kombiniert endoskopisch-laparoskopisches
oder chirurgisches Vorgehen in Betracht gezogen werden [155 ]
[156 ]
[157 ]
[158 ]
[159 ]. Übereinstimmend haben mehrere operativ-histologisch kontrollierte Fallserien zeigen
können, dass eine echoarme Verdickung der tiefen Schichten der Magenwand, insbesondere
der M. propria bei Patienten mit dem endoskopischen Befund verdickter Magenfalten
(„Riesenfalten”) einen hohen Voraussagewert für Malignität und insbesondere für ein
szirrhöses Magenkarzinom hat, wohingegen eine Verdickung nur der mukosalen Schichten
stark für eine benigne Ursache der Riesenfalten spricht [160 ]
[161 ]
[162 ]
[163 ]
[164 ]
[165 ]
[166 ]
[167 ]
[168 ]
[169 ]
[170 ]. In einer Untersuchung, in die 61 Patienten mit „Riesenfalten” und fehlendem histologischem
Nachweis einer malignen Magenerkrankung in der endoskopischen Biopsie eingeschlossen
worden sind, erwies sich die endosonografische Verdickung der tiefen Schichten der
Magenwand mit einer Sensitivität von 95 % und einer Spezifität von 97 % als der einzige
unabhängige Prädiktor für Malignität. Bei Patienten mit einer Magenwandverdickung
in der Computertomografie ist ein pathologisches Ergebnis der Endosonografie jedoch
nur dann zu erwarten, wenn auch der endoskopische Magenbefund pathologisch ist [171 ]. Bleiben bei Patienten mit hochgradigem klinischem Verdacht auf ein Magenkarzinom
und endosonografisch nachgewiesener Magenwandverdickung endoskopische Biopsien auch
wiederholt ohne erklärenden Befund, kann die endosonografische Biopsie der Magenwand
oder von pathologischen Lymphknoten zur Diagnosesicherung herangezogen werden [172 ]
[173 ]
[174 ]
[175 ]
[176 ]. Die endosonografisch geführte Trucut-Biopsie (EUS-TCB) erwies sich in einer Studie
mit 31 Patienten mit klinischen Alarmsymptomen, fehlendem Malignitätsbeweis in endoskopischen
Biopsien und endosonografisch detektierbarer Wandverdickung des Ösophagus oder Magens
als effektiv. Daher wird die EUS-TCB aufgrund von Expertenmeinung als eine mögliche
sinnvolle Methode zum Nachweis oder Ausschluss einer malignen Ursache der Wandverdickung
angesehen [174 ].
3.5. Staging
3.5.1. Ultraschalldiagnostik
24. Konsensbasierte Empfehlung
Eine Fernmetastasierung soll mittels konventioneller B-Bild-Sonografie, CT-Thorax
und CT-Abdomen ausgeschlossen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
25. Konsensbasierte Empfehlung
Die B-Bild-Sonografie sollte als erstes bildgebendes Verfahren zum Ausschluss von
Lebermetastasen eingesetzt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
26. Konsensbasierte Empfehlung
Die B-Bild-Sonografie des Halses kann beim Magenkarzinom bei klinischem Verdacht und
sollte bei AEG-Tumoren ergänzend im Staging eingesetzt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die B-Bild-Sonografie ist in der klinischen Praxis breit verfügbar und hat eine Sensitivität
von etwa 53 – 81 % sowie eine Spezifität von 59 – 98 % zum Nachweis von Lebermetastasen
[177 ]. Untersuchungen zur Genauigkeit des sonografischen Nachweises von Lebermetastasen,
in die nur Patienten mit Karzinomen des Magens und des ösophagogastralen Übergangs
eingeschlossen worden sind, liegen nicht vor. Eine Metaanalyse, in die Ergebnisse
von 9 bis zum Jahr 1996 publizierten Studien zur sonografischen Detektion von Lebermetastasen
gastrointestinaler Tumoren eingegangen sind, fand eine gepoolte Sensitivität von 66
% (95 %-KI, 54 – 77 %, [178 ]). Neuere Studien berichten über eine Sensitivität von 77 % [179 ] und 81 % [180 ] für den Nachweis von Lebermetastasen gastrointestinaler Tumoren durch die B-Bild-Sonografie.
Durch Einsatz eines Ultraschallkontrastverstärkers wird eine mit kontrastverstärkter
Multi-Detektor-Computertomografie (MDCT) und Magnetresonanztomografie (MRT) vergleichbar
hohe diagnostische Genauigkeit zum Nachweis und Ausschluss von Lebermetastasen gastrointestinaler
Tumoren erreicht [179 ]
[180 ]
[181 ]
[182 ]. Die Abgrenzung von Metastasen gegenüber primären malignen und benignen Tumoren
der Leber gelingt mittels kontrastverstärkter B-Bild-Sonografie mit einer im Vergleich
zur Computertomografie (CT) identischen Genauigkeit von mehr als 90 % [183 ]
[184 ]
[185 ]
[186 ]. Der isolierte Befall zervikaler Lymphknoten ist beim Magenkarzinom eine Rarität
[187 ]. Die B-Bild-Sonografie ist der Computertomografie im Nachweis von Halslymphknoten-Metastasen
bei Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs gleichwertig oder geringfügig
überlegen [188 ]
[189 ]
[190 ]. Die ultraschallgestützte Feinnadelaspirationsbiopsie ist geeignet, den metastatischen
Lymphknotenbefall morphologisch zu sichern [189 ]
[191 ]
[192 ]
[193 ].
Hintergrund
Die Literaturanalyse findet sich im Evidenzbericht des ÄZQ. Die Endosonografie hat
eine hohe Treffsicherheit in der Beurteilung der lokalen Infiltrationstiefe von Adenokarzinomen
des Magens und des ösophagogastralen Übergangs.
T-Staging: In einer systematischen Übersichtsarbeit (Review) bewerteten Kwee et Kwee [194 ] 23 Studien zur diagnostischen Genauigkeit des EUS im T-Staging von Magenkarzinomen
und verzichteten aufgrund der Inhomogenität der Studien auf ein Pooling der Ergebnisse.
Die diagnostische Genauigkeit des T-Stagings variierte zwischen 65 % und 92 %. Für
die Beurteilung einer Serosabeteiligung lagen Sensitivität und Spezifität des EUS
zwischen 78 % und 100 % bzw. zwischen 68 % und 100 % [194 ]. In einer Metaanalyse von 22 Studien fanden Puli et al. [195 ] eine gepoolte Sensitivität bzw. Spezifität für das endosonografische T-Staging von
88,1 bzw. 100 % (T1), 82,3 bzw. 95,6 % (T2), 89,7 bzw. 94,7 % (T3) und 99,2 bzw. 96,7
% (T4, [195 ]). Einschränkungen der Treffsicherheit für das endosonografische T-Staging ergaben
sich bei der Beurteilung der Serosabeteiligung, bei Siewert-Typ-III-Tumoren, bei nicht
passierbaren Stenosen, bei ulzerierenden Tumoren, bei undifferenzierten Karzinomen
bzw. diffusem Tumortyp nach Lauren sowie mit zunehmendem Tumordurchmesser [194 ]
[195 ]
[196 ]
[197 ]
[198 ]
[200 ]
[229 ]. Die T-Kategorie wird im EUS ähnlich wie in der CT etwas häufiger (median EUS 10,6
%; CT 9,4 %) überschätzt als unterschätzt (median EUS 7,6 %; CT 6,7 %, [194 ]).
N-Staging: Die diagnostische Genauigkeit des endosonografischen Lymphknotenstagings ist unbefriedigend.
Dies beruht sowohl auf einer unzureichenden Detektion kleiner Lymphknoten mit maligner
Infiltration als auch auf einer fehlenden sicheren Diskriminierungsmöglichkeit zwischen
entzündlich vergrößerten und maligne infiltrierten Lymphknoten [195 ]
[201 ]. In der Metaanalyse von Puli et al. [195 ] fand sich für die endosonografische Diagnose eines N 1-Stadiums eine gepoolte Sensitivität
von 58,2 % bei einer Spezifität von 87,2 %, für die endosonografische Diagnose eines
N 2-Stadiums von 64,9 bzw. 92,4 % [195 ]. Bei Nachweis von nach endosonografischen Kriterien malignitätstypischen Lymphknoten
[202 ]
[203 ]
[204 ] kann vor Entscheidung zu einer perioperativen Therapie eine EUS-FNA durchgeführt
werden. Die EUS-FNA ist den endosonografischen Kriterien überlegen [205 ] und hat eine hohe diagnostische Sensitivität und nahezu uneingeschränkte Spezifität
für den Nachweis bzw. Ausschluss von Lymphknotenmetastasen [176 ]
[206 ]. Eine Nadelpassage durch den Tumor muss vermieden werden.
Fernmetastasen: Die Endosonografie hat für die Diagnose von Fernmetastasen einen begrenzten Stellenwert
[195 ]. Zusätzlich zur Bestimmung der lokalen Infiltrationstiefe und zum Lymphknotenstaging
können EUS und EUS-FNA durch Nachweis von Peritonealmetastasen, „okkulter” Lebermetastasen
und von mediastinalen Lymphknotenmetastasen einen zur Computertomografie komplementären
Beitrag leisten. In einer kürzlich publizierten Studie führte das Ergebnis der EUS-FNA
bei 15 % der Patienten mit einem Magenkarzinom zu einer Veränderung des therapeutischen
Konzepts [207 ]. Die Möglichkeiten der Beurteilung von möglichen Fernmetastasenlokalisationen im
Rahmen der endosonografischen Staginguntersuchung sollten daher konsequent genutzt
werden.
Aszites: Der EUS ist im Nachweis geringer Aszitesmengen sensitiver als Computertomografie,
abdominelle Sonografie und Magnetresonanztomografie [205 ]
[208 ]
[209 ]
[210 ]. Übereinstimmend zeigen mehrere Studien, dass der endosonografische Nachweis von
Aszites bei gesichertem Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs
ein Indikator für das Vorliegen einer Peritonealkarzinose, für das Fehlen einer kurativen
Resektionsoption und für eine ungünstige Prognose ist [209 ]
[211 ]
[212 ]. Die EUS-FNA von Aszites kann eine Peritonealkarzinose sichern [208 ]
[210 ]
[213 ]. Eine für Malignität negative Asziteszytologie schließt eine Peritonealkarzinose
jedoch nicht sicher aus [208 ]. Eine Nadelpassage durch den Primärtumor muss vermieden werden.
Leber und mediastinale Lymphknoten: Der EUS kann in den einsehbaren Leberabschnitten kleine, computertomografisch nicht
detektierbare („okkulte”) metastasenverdächtige Läsionen darstellen und diese durch
EUS-FNA mit sehr hoher diagnostischer Genauigkeit zytologisch und histologisch charakterisieren
[214 ]
[215 ]
[216 ]
[217 ]
[218 ]
[219 ]. Darüber hinaus ist die EUS-FNA zum Nachweis mediastinaler Lymphknotenmetastasen
bei malignen gastrointestinalen Tumoren geeignet [176 ]
[206 ]
[220 ]
[221 ]
[222 ] und den bekannten B-Bildkriterien für maligne Lymphknoten überlegen [205 ].
Zusammenfassend sollte der EUS komplementär zur Computertomografie für die Selektion von Patienten
für eine perioperative Therapie eingesetzt werden. Ungeachtet der in mehreren Studien
insbesondere durch ein Overstaging von T 2-Karzinomen eingeschränkten Genauigkeit
des EUS in der Differenzierung zwischen T 2- und T 3-Tumoren und des Lymphknotenstagings
erlauben die endosonografische Stratifizierung in Risikogruppen (Serosainfiltration,
Lymphknotenbefall) und der Nachweis minimaler Aszitesmengen mit hoher Trennschärfe
zwischen Patienten mit einer relativ günstigen Prognose (hohe Wahrscheinlichkeit einer
R 0-Resektion und günstige 5-Jahres-Prognose) und Patienten mit einer ungünstigen
Prognose (eingeschränkte Wahrscheinlichkeit einer R 0-Resektion und ungünstige 5-Jahres-Prognose)
zu diskriminieren [211 ]
[212 ]
[223 ]
[224 ]
[225 ]. Es konnte gezeigt werden, dass die vergleichende und interdisziplinäre Interpretation
der Ergebnisse von EUS und Computertomografie im klinischen Kontext die Stagingaussage
gegenüber den Einzelbefunden verbessert und zur Optimierung therapeutischer Entscheidungen
führt [226 ]
[227 ]
[228 ]. Weitere Literatur finden Sie im Leitlinienreport.
3.5.2. Röntgendiagnostik
28. Empfehlung
Bei Patienten mit kurativem Therapieansatz sollte ein CT des Thorax und Abdomens mit
i. v. Kontrastmittel und Distensionen des Magens mit oralem Kontrastmittel oder Wasser
durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2
de Novo: [178 ]
[190 ]
[194 ]
[230 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Literaturanalyse findet sich im Evidenzbericht des ÄZQ. Die Computertomografie
(CT) sollte grundsätzlich als kontrastmittelverstärkte Untersuchung von Thorax und
Abdomen durchgeführt werden, wobei eine portalvenöse Kontrastmittelphase für die Leber
gefordert wird. Die Computertomografie sollte dabei als Multidetektor-Computertomografie
(MDCT) mit einem zumindest biphasischen Protokoll durchgeführt werden (Nativphase
und portalvenöse Phase). Eine eindeutige Empfehlung zur Durchführung einer arteriellen
Phase kann nicht gegeben werden. Die Schichtdicke sollte ≤ 3 mm betragen.
Die Distension des Magens mit (negativem) Kontrastmittel (z. B. Wasser als sog. „Hydro-CT”)
ist in der aktuellen Literatur durchgehend empfohlen, da ohne zusätzliche Kosten der
Lokalbefund wesentlich besser abgrenzbar ist und eine Infiltration in Nachbarorgane/-strukturen
bzw. die Abgrenzung von anatomischen Strukturen jenseits der Magenwand wesentlich
besser möglich ist. In optimierter Technik ist somit ein korrektes T-Staging mit der
CT von 77,1 – 89 % möglich [178 ]. Für die Beurteilung der Serosainfiltration mit der MDCT werden Sensitivitäten zwischen
82,8 % und 100 % erreicht, Spezifitäten von 80 – 96,8 %. Die Endosonografie kann vergleichbare
Ergebnisse liefern: T-Staging-Korrektheit von 65 – 92,1 %, Sensitivitäten für die
Serosainfiltration von 77,8 – 100 %, Spezifitäten von 67,9 – 100 %.
Die Verwendung der Lymphknotengröße als Indikator einer Lymphknotenmetastasierung
ist ein unzuverlässiger Parameter, was für alle morphologischen bildgebenden Verfahren
gilt. In einer aktuellen systematischen Metaanalyse von Kwee et al. [194 ] konnte kein Verfahren (abd. Ultraschall, EUS, CT, MRT) eine verlässliche Aussage
zum Befall/Nichtbefall von Lymphknoten beim Magenkarzinom leisten. Bezüglich Fernmetastasen
ist die Sensitivität der Computertomografie gesamt 70 % (95 %-KI, 0,63 – 0,77), die
Spezifität: 72 % (95 %-KI, 0,63 – 0,80). Das CT zeigt bei höherer Spezifität einen
nicht signifikanten Trend zu besserer Sensitivität. Spiral-CT versus Nicht-Spiral-CT
zeigt keine signifikanten Unterschiede [178 ]. Die morphologischen Zeichen eines Rundherds in der Lunge sind nicht ausreichend
genau, um die Diagnose eines malignen Rundherds sicherzustellen. Insgesamt ist die
Sensitivität der CT in der Entdeckung von Läsionen sehr hoch, während die Spezifität
gering ist [190 ]
[230 ]. Die Thorax-CT ist damit das sensitivste Verfahren zur Detektion von Lungenmetastasen
gerade in der Detektion von kleinen Läsionen (< 3 mm) und daher dem konventionellen
Röntgen-Thorax vorzuziehen. Auch für das Staging mittels CT konnte ein signifikanter
Zusammenhang zwischen der Erfahrung des Radiologen, der Qualität der CT-Untersuchung
und einem korrekten Stagingergebnis nachgewiesen werden [190 ]
[230 ]. Das computertomografische Staging sollte daher nur von ausreichend erfahrenen Untersuchern
mit adäquater Untersuchungstechnik durchgeführt werden.
29. Empfehlung
Die MRT sollte Patienten vorbehalten sein, bei denen keine CT durchgeführt werden
kann oder sollte, falls erforderlich nach Vorliegen von CT- und/oder EUS-Befunden
genutzt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2a
de Novo: [194 ]
[231 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die MRT sollte mit einer Feldstärke von mindestens 1,5 Tesla und Standardwichtungen
(T1 und T 2) durchgeführt werden. Die Schichtdicke sollte analog zur CT erfolgen.
Eine sequenzspezifische Empfehlung kann aufgrund der heterogenen Untersuchungsprotokolle
in der Literatur aktuell nicht gegeben werden. Auf eine KM-Gabe mit gadoliniumhaltigen
Kontrastmitteln sollte nicht verzichtet werden. Neuere Studien zeigen, dass die MRT,
in Hydro-Technik durchgeführt, Sensitivitäten bis 80 % gerade in den höheren T-Stadien
erreichen kann und damit nicht statistisch signifikant unter den erreichten Ergebnissen
für die MDCT liegt [194 ]. Inwieweit der Einsatz spezifischer MRT-Kontrastmittel (hepato-biliäre Kontrastmittel
o. Ä.) sinnvoll ist z. B. zur genaueren Detektion von Lebermetastasen, ist derzeit
Gegenstand aktueller Studien. Auch diesbez. kann noch keine abschließende Empfehlung
ausgesprochen werden [194 ]
[231 ].
30. Konsensbasiertes Statement
Eine Knochenszintigrafie im Rahmen des Stagings ist ohne entsprechende klinische Symptomatik
nicht indiziert.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
31. Empfehlung
Für Patienten mit Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs und kurativer Therapieoption
kann nach konventionellem Staging mit CT/EUS eine PET-CT für das Staging von loko-regionär
und nicht loko-regionär gelegenen Lymphknoten und zum Nachweis/Ausschluss anderer
Fernmetastasen in Betracht gezogen werden.
Empfehlungsgrad: 0
Level of Evidence: 2b
Leitlinienadaptation: [154 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
32. Konsensbasierte Empfehlung
Das PET-CT wird nicht routinemäßig für das Staging von Magenkarzinomen empfohlen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Das PET-CT wird nicht routinemäßig für das Staging von Magenkarzinomen empfohlen.
Es kann jedoch bei Vorliegen von lokal fortgeschrittenen Tumoren („mass-forming tumours’)
des intestinalen Typs bzw. beim nicht Siegelring-zelligem Magenkarzinom bei kurativer
Therapieoption in Betracht gezogen werden. Das PET-CT als Prognosemarker bei Magenkarzinom
oder zum Monitoring des Therapieansprechens bei neoadjuvanter Chemotherapie ist Gegenstand
aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen und ist damit auch außerhalb klinischer
Studien kein Standardvorgehen.
3.5.3. Laparoskopie
33. Konsensbasierte Empfehlung
Eine Staging-Laparoskopie kann zur Verbesserung der Staging-Genauigkeit, zum Aussschluss
von Lebermetastasen und zum Ausschluss von Peritonealmetastasen in den fortgeschrittenen
Stadien (insbesondere cT3, cT4) durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
34. Empfehlung
Eine Peritoneallavage mit Zytologie kann zur Ergänzung des Stagings durchgeführt werden.
Das Ergebnis korreliert mit der Prognose, hat aber keinen Einfluss auf die weitere
Therapie.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2 – 3
de Novo: [232 ]
[233 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Der Stellenwert der Laparoskopie ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Sicher
ist, dass die Laparoskopie nur in fortgeschrittenen Stadien (T3, T 4) sinnvoll ist
[225 ]. Eine Laparoskopie kann auch bei fortbestehendem klinischem V. a. ein Karzinom trotz
negativer Biopsien und negativem EUS-Befund als Ultima Ratio sinnvoll sein, insbesondere
zum Nachweis/Ausschluss einer endoskopischen unsicheren Linitis plastica. Für die
derzeit laufenden Studien zur neoadjuvanten Therapie des lokal fortgeschrittenen Magenkarzinoms
ist ein genaues prätherapeutisches Staging äußerst wichtig. So finden sich auch nach
umfangreicher präoperativer radiologischer Diagnostik zum Staging von Magentumoren
bei einer Reihe von Patienten unerwartet nicht resektable Erkrankungen im Rahmen der
Exploration (z. B. Differenzierung cT3 vs. cT4) oder mitunter ausgedehnte Wandinfiltrationen
trotz endoskopisch/endosonografisch unauffälligen Befunden (Linitis plastica). Hier
vermag die diagnostische Laparoskopie auch bildgebend unentdeckte Peritonealmetastasen
zu detektieren und damit einen Einfluss auf die weitere Therapie zu nehmen. In diesen
Fällen könnte eine Laparoskopie zu einem genaueren Staging bei Magenkarzinomen verhelfen
und zu einer adäquaten Behandlung führen, ohne die Risiken einer explorativen Laparotomie
in Kauf nehmen zu müssen [234 ]. Der Einsatz der Laparoskopie sollte bei Ösophagustumoren mit Übergreifen auf den
Magen und bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Magenkarzinom, bei denen eine
Resektion geplant ist, in Betracht gezogen werden. Die französische Leitlinie geht
am detailliertesten auf die Laparoskopie ein [233 ]. Hier wird die Untersuchungstechnik genauer beschrieben. Dabei ist die Laparoskopie
als Vergleich zur offenen diagnostischen Laparatomie klar überlegen [233 ].
Die publizierten Ergebnisse des Vorteils der peritonealen Zytologie sind nicht schlüssig
[30 ]. Für eine Empfehlung zum Einsatz des laparoskopischen Ultraschalls gibt es derzeit
keine verlässlichen Daten.
35. Statement
Breischluck-Untersuchungen sind für das Staging von Tumoren des Magens oder ösophagogastralen
Übergangs nicht geeignet. Die Fragen der Höhenlokalisation des Tumors kann durch Endoskopie
und CT-Rekonstruktionstechniken hinreichend beantwortet werden.
Level of Evidence: 2 – 3
Leitlinienadaptation: [30 ]
[154 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Barium-Breischluck-Untersuchungen können nützlich sein, um die Ausdehnung eines Tumors
zu bestimmen, das Vorliegen einer Tracheo-Ösophageal-Fistel zu bestätigen oder um
eine komplette Lumenobstruktion zu dokumentieren [154 ]
[235 ]. Mit Barium-Breischluck-Untersuchungen können prämaligne Läsionen nicht zuverlässig
diagnostiziert werden [30 ].
3.5.4. Laborchemische Parameter
36. Konsensbasiertes Statement
Es gibt keine Evidenz für einen Nutzen der Bestimmung von Tumormarkern.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
37. Konsensbasierte Empfehlung
Molekulare Prognosemarker sollen für die Primärdiagnostik außerhalb klinischer Studien
nicht bestimmt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die Frage nach der Bedeutung von Tumormarkern für die Primärdiagnostik von Adenokarzinomen
des Ösophagus und Magens ist Gegenstand zahlreicher Studien. Viele verschiedene Arbeiten
untersuchten die Bedeutung verschiedener Marker, von den bekannten Markern CEA, Ca19
– 9 und Ca72 – 4 bis hin zu neueren Markern, die auch Hinweise auf den Tumormetabolismus
oder pathophysiologische Veränderungen des Magens im Rahmen der Karzinogenese (Pepsinogen)
erlauben sollen [116 ]
[236 ]
[237 ]. Für alle diese Marker muss festgestellt werden, dass die berichtete Sensitivität
und Spezifität für die Primärdiagnostik nicht ausreicht; oft beträgt die Sensitivität
weniger als 60 %. Zudem sind die meisten Marker nicht an großen Kollektiven prospektiv
validiert, sondern retrospektiv an Fallkontrollstudien untersucht worden. Daher kann
zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Einsatz serologischer Marker im Rahmen der Primärdiagnostik
nicht empfohlen werden. Verschiedene molekulare Marker korrelierten mit der Prognose
der Magenkarzinomerkrankung. Diese erlangten bislang in der Praxis keine klinische
Relevanz für Therapieentscheidungen. Auch zum Nutzen serieller Markerbestimmung z.
B. zur Diagnose eines Rezidivs oder zur Verlaufsbeurteilung gibt es keine validierten
Daten.
3.6. Histopathologie
38. Konsensbasierte Empfehlung
Die Stadieneinteilung und histologische Klassifikation der Karzinome des gastroösophagealen
Übergangs und des Magens soll nach der jeweils aktuellen TNM-Klassifikation der UICC
erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
39. Konsensbasierte Empfehlung
Die pathol.-anat. Begutachtung soll vollständig und in standardisierter Form vorgenommen
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
40. Konsensbasierte Empfehlung
Die Anzahl untersuchter und die Anzahl befallener regionärer Lymphknoten ist anzugeben.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
41. Konsensbasierte Empfehlung
Bei Patienten mit undifferenzierten Tumoren werden immunhistologische Untersuchungen
zur weiteren Spezifizierung empfohlen.
Level of Evidence:GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Prognostisch relevante Faktoren des Adenokarzinoms des Magens sind die Tumorlokalisation,
die lokale Tiefeninfiltration und der lokoregionäre Lymphknotenbefall. Zur Beurteilung
des Nodalstatus gehören die Präparation aller Lymphknoten und die Bestimmung der Anzahl
befallener Lymphknoten im Verhältnis zur Anzahl der untersuchten Lymphknoten. Die
Resektionslinien sollen untersucht und beschrieben werden (R0, R 1, R 2). Weiterhin
sind prognostisch relevant das Vorhandensein von Fernmetastasen, die Gefäßinvasion
und die Tumorzelldissoziation an der Invasionsfront. Die Gefäßinvasion ist ein unabhängiger
Prognosefaktor der Kardiakarzinome und der distalen Magenkarzinome [238 ]
[239 ]
[240 ]. Die Tumorzelldissoziation an der Invasionsfront und die Gefäßinvasion konnten als
unabhängige Prognosefaktoren validiert werden [239 ]
[240 ]
[241 ]
[242 ].
Details zur pathol.-anat. Begutachtung sind auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft
für Pathologie www.dgp.de zu finden.
3.7. Endoskopische Therapie
3.7.1. Resektion
42. Empfehlung
Oberflächliche Magenkarzinome, die auf die Mukosa begrenzt sind (T1a N 0 M 0), können
unter Berücksichtigung folgender Kriterien mit einer endoskopischen Resektion behandelt
werden (basierend auf der japanischen Klassifikation der Magenkarzinome):
Läsionen von < 2 cm Größe in erhabenen Typen,
Läsionen von < 1 cm Größe in flachen Typen,
histologischer Differenzierungsgrad: gut oder mäßig (G1 /G2),
keine makroskopische Ulzeration,
Invasion begrenzt auf die Mukosa,
keine restliche invasive Erkrankung nach ER,
Empfehlungsgrad: 0
Level of Evidence: 2
Leitlinienadaptation: [30 ]
[154 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die oben genannten Kriterien wurden aus der belgischen Referenzleitlinie übernommen
und entsprechen den bereits durch zahlreiche Studien bestätigten Kriterien [633 ]. Sie stellen in Deutschland die Standardindikationen für die endoskopische Therapie
dar. Die sog. „Expanded Criteria” ([Abb. 1 ]) sind in Japan bereits ausgiebig evaluiert, in Deutschland sollen sie aufgrund der
viel geringeren Fallzahl an Frühkarzinomen derzeit nur im Rahmen von Studien zum Einsatz
kommen [243 ]. Gotoda zeigte an über 5000 Magenfrühkarzinomen, dass unter Berücksichtigung der
Expanded Criteria mit 95 %-KI keine LK-Metastasen auftraten [244 ]. Isomoto et al. fanden bei Patienten mit Magenfrühkarzinomen, die die „Guideline
Criteria” bzw. die „Expanded Criteria” erfüllten und mittels ESD behandelt wurden,
keinen Unterschied im Überleben. Dennoch lag die En-bloc-Resektionsrate in der „Guideline-Gruppe”
höher und das Perforationsrisiko war niedriger als in der „Expanded-criteria-Gruppe”
[245 ]. Yamaguchi et al. fanden ebenfalls keinen Unterschied hinsichtlich des Überlebens.
Die En-bloc- und R 0-Resektionsraten waren jedoch signifikant besser in der „Guideline-Gruppe”
(98,6 % und 97,1 %) im Vergleich zur „Expanded-criteria-Gruppe” (93 % und 91,1 %,
[246 ]). Auch die Studie von Hitomi et al. zeigte, dass die En-bloc-Resektionsrate und
die R 0-Resektionsrate in der „Guideline-Gruppe” höher als in der „Expanded-criteria-Gruppe”
war [247 ]. In einer kürzlich publizierten Studie von Gotoda kam man ebenfalls zu dem Ergebnis,
dass kein Unterschied im Überleben vorliegt, unabhängig davon, ob man Patienten mit
den klassischen „Guideline Criteria” oder bei Vorliegen der „Expanded Criteria” endoskopisch
behandelt [248 ].
Abb. 1 Leitlinien und erweiterte Kriterien für Magenfrühkarzinome [243 ].
43. Konsensbasiertes Statement
Der Endoskopiker arbeitet mit dem Ziel, den Tumor als Ganzes zu entfernen, ohne residuales
Tumorgewebe zurückzulassen. Daher ist immer eine Mukosaresektion mit kurativer Intention
und R 0-Resektion anzustreben.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
44. Konsensbasierte Empfehlung
Die endoskopische Resektion von Magenfrühkarzinomen soll als komplette En-bloc-Resektion
erfolgen, die eine vollständige histologische Beurteilung der lateralen und basalen
Ränder erlaubt.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
45. Konsensbasierte Empfehlung
Die ER und ESD von Magenfrühkarzinomen soll nur durch Endoskopiker mit entsprechender
Expertise in der endoskopischen Therapie von gastrointestinalen Frühkarzinomen durchgeführt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In kurativer Intention ist immer eine En-bloc-Resektion anzustreben. Im Fall einer
makroskopisch kompletten Piece-meal-Resektion soll ein regelmäßiges Follow-up mit
multiplen Biopsien erfolgen, um residuales Tumorgewebe frühzeitig zu erkennen. Die
lokale Rezidivrate nach Piece-meal-ER liegt bei 10 – 15 %, während sie bei erfolgter
ESD bei < 1 % liegt. Wird residuales Tumorgewebe nachgewiesen, sollte eine endoskopische
Resektion mit kurativer Zielsetzung erfolgen. Eine erneute, kurativ intendierte endoskopische
Resektion mit dem Ziel einer R 0-Resektion nach initialer En-bloc-Resektion mit lateraler
R 1-Situation ist gerechtfertigt und in ca. 90 % der Fälle möglich [249 ]
[250 ]. Zusätzlich sollte der Endoskopiker die Grenzen seiner therapeutischen Maßnahmen
einschätzen können. Gelingt eine R 0-Resektion nach einer 2. endoskopischen Resektion
nicht, ist ein chirurgisches Vorgehen indiziert, obwohl bekannt ist, dass nach operativer
Nachresektion nur in 50 % aller Resektate ein Residualtumor nachweisbar ist [251 ]. Allerdings sind bei Submukosa-, Lymph- oder Blutgefäßinvasion in bis zu 25 – 30
% Lymphknoten-Metastasen nachweisbar, sodass hier die operative Resektion anzustreben
ist [252 ]
[253 ]. Zuvor sollte der Patient erneut im interdisziplinären Tumorboard besprochen werden.
Eine weitere Komplikation des nicht erfahrenen Endoskopikers ist die Perforation.
Die Perforation bei der ER/ESD stellt mit die schwerwiegendste Komplikation bei der
endoskopischen Therapie von Frühkarzinomen dar. Tanaka et al. zeigten bspw., dass
mit steigender Fallzahl an ESD-Eingriffen die Perforationsrate am Kolon von 20 auf
0 % reduziert werden konnte [249 ]. Yamamoto et al. zeigten, dass man als „Anfänger” für ESD-Eingriffe nach ca. 30
Prozeduren bei Magenfrühkarzinomen („Guideline Criteria”) unter Supervision eine En-bloc-Resektionsrate
von über 93 % und eine Komplikationsrate von unter 4,4 % (2,2 % Blutung bzw. 2,2 %
Perforation) erreichen kann [254 ]. Probst et al. zeigten, dass neben einer Reduktion der Komplikationsrate auch die
Geschwindigkeit der ESD-Prozedur mit steigender Fallzahl zunimmt [255 ].
Unter den endoskopischen Therapieverfahren sind die resezierenden den destruktiven
Verfahren vorzuziehen, da nur sie eine histologische Beurteilung erlauben. Die detaillierte
Technik (ER/ESD) soll entsprechend der Zielsetzung einer En-bloc-Resektion ausgewählt
werden. Mukosa-destruktive Verfahren sollten für die Behandlung von rückständigen
Veränderungen nach ER vorbehalten bleiben und nicht zur initialen Therapie bei bestehender
invasiver Erkrankung von Patienten, deren Gesundheitszustand problemlos eine Operation
zuließe, angewendet werden. Obwohl keine prospektiv randomisierten Studien zum Vergleich
ESD, ER oder chirurgische lokale Resektion von Magenfrühkarzinomen vorliegen [256 ], weisen mehrere retrospektive Analysen darauf hin, dass die häufig nur mit ESD zu
erzielende En-bloc-Resektion mit einer höheren Rate an kurativen Resektionen und niedrigeren
Rezidivraten einhergeht, verglichen mit der häufig in Piece-meal-Technik durchgeführten
ER [257 ]
[258 ]
[259 ]. In einer großen multizentrischen Analyse wurde mit der ESD-Technik eine En-bloc-Resektionsrate
von 93 % erzielt, verglichen mit 56 % mit ER [257 ]. Nachteilig sind die längeren Eingriffszeiten bei der ESD und die höheren Komplikationsraten
(Blutung, Perforation), welche aber nahezu immer endoskopisch beherrschbar sind [257 ]
[258 ]
[259 ]. Lediglich für Läsionen < 1 cm werden in den meisten Studien vergleichbare En-bloc-Resektionsraten
erzielt [258 ]
[259 ]. Bei den durch Piece-meal-ER gewonnenen Resektaten kann aufgrund ihrer Fragmentierung
histologisch die Tumorfreiheit der lateralen Ränder nicht beurteilt werden, sehr wohl
jedoch die der basalen Abtragungsflächen. Diese entscheidet darüber, ob eine chirurgische
Resektion bzw. Gastrektomie sekundär erforderlich wird [252 ]. Aufgrund endoskopischer und chirurgischer Salvage-Therapien haben die höheren Tumorfreiheitsraten
der ESD gegenüber der ER (3 Jahre 98 vs. 93 % bzw. 5 Jahre nach ESD 100 %, [245 ]) bisher nicht zu höheren Überlebensraten geführt [257 ]. Das krankheitsspezifische 5- und 10-Jahres-Überleben nach ER ist mit jeweils 99
% [260 ] auch durch die ESD nicht zu übertreffen.
Eine Endosonografie ist vor geplanter endoskopischer Therapie eines endoskopisch als
Frühkarzinom eingeschätzten Adenokarzinoms des Magens oder des ösophagogastralen Übergangs
nicht zwingend erforderlich. Die Endosonografie kann allerdings mit dem Ziel erfolgen,
fortgeschrittenere T-Kategorien als T 1 nachzuweisen sowie mögliche Lymphknotenmetastasen
zu identifizieren [196 ]
[261 ]
[262 ]
[263 ] und ggf. durch EUS-FNA zu sichern [263 ]. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde die Trennschärfe des EUS zur Unterscheidung
zwischen mukosalen (T1a) und fortgeschritteneren Karzinomen untersucht. Aufgrund der
geringen methodischen Qualität der 18 analysierten Studien und der Heterogenität der
Ergebnisse kam die Analyse nicht zu einer definitiven Aussage, ob der EUS zur sicheren
Differenzierung zwischen mukosalen und fortgeschritteneren Stadien geeignet ist [264 ]. Auch unter Nutzung hochfrequenter Minisonden kann endosonografisch nicht sicherer
zwischen Mukosakarzinomen (T1a) und Submukosakarzinomen (T1b) differenziert werden
als mit der hochauflösenden Videoendoskopie [265 ]
[266 ]
[267 ].
Verschiedene Untersuchungen haben eine Abhängigkeit der diagnostischen Genauigkeit
des endosonografischen Stagings von Magenfrühkarzinomen von deren Lokalisation (schlechter:
proximales Magendrittel [196 ]
[266 ], Differenzierungsgrad (schlechter: gering differenziert, undifferenziert; [229 ]
[266 ]
[268 ]
[269 ], Typ nach Laurén (schlechter: diffuser Typ [196 ]), Größe (schlechter: ab 20 bzw. 30 mm [196 ]
[229 ]
[266 ]
[268 ]) und Wuchsform (schlechter: Ulzeration und expressed type [268 ]
[270 ] zeigen können.
Die klinische Vorbereitung des endoskopischen Resektats soll entsprechend der aktuellen
„Anleitung zur pathologisch-anatomischen Diagnostik des Magenkarzinoms” des Berufsverbands
Deutscher Pathologen e. V.© und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie e. V.© erfolgen.
3.7.2. Rezidiv
46. Konsensbasierte Empfehlung
Lokalrezidive nach ER eines Magenfrühkarzinoms können erneut endoskopisch behandelt
werden, wenn ein mukosaler Befall (rT1a N 0 M 0) vorliegt. Alternativ soll ein chirurgisches
Vorgehen gewählt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Rezidive treten nach größeren Studien in ca. 10 – 15 % aller ER-Fälle auf. Piece-meal-Resektionen
haben das größte Risiko. Rezidive treten in ca. 50 % aller Fälle bereits innerhalb
der ersten 3 Monate nach Initialtherapie auf. Lokalrezidive können endoskopisch behandelt
werden, ca. 90 % aller Rezidive infiltrieren max. die Mukosa. Insgesamt kann erwartet
werden, dass ca. 90 % aller Rezidive kurativ und sicher erneut endoskopisch therapiert
werden können [250 ]
[271 ]. Bei unzureichender endoskopischer Therapie ist aufgrund der fehlenden Alternativen
ein chirurgisches Vorgehen zu wählen.
3.7.3. Komplikationen
47. Konsensbasiertes Statement
Blutung und Perforation sind typische Komplikationen nach endoskopischer Resektion
von Magenfrühkarzinomen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Blutung und Perforation treten unmittelbar während des operativen Eingriffs oder mit
abnehmender Häufigkeit mit einer Latenz von bis zu 10 Tagen auf. Die Häufigkeitsangaben
schwanken zwischen 2 % und 23 % für Blutung und 0,5 – 10 % für Perforation, wobei
beide Komplikationen deutlich häufiger nach ESD als nach klassischer ER gesehen werden
[245 ]
[246 ]
[247 ]
[250 ]
[257 ]
[258 ]
[271 ]
[272 ]
[273 ]
[274 ]
[275 ]
[276 ]
[277 ]
[278 ]
[279 ]
[280 ]
[281 ]
[282 ]
[283 ]. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Komplikationshäufigkeit und der Größe, aber
auch mit der proximalen Lokalisation der behandelten Läsionen. Unmittelbar auftretende
Komplikationen werden überwiegend sofort endoskopisch diagnostiziert. Zur frühzeitigen
Erkennung späterer Komplikationen sollten spezifische Nachsorgeanweisungen gegeben
werden. Die notwendigen diagnostischen Maßnahmen bei V. a. eine Komplikation nach
endoskopischer Resektion von Magenfrühkarzinomen unterscheiden sich nicht von anderen
therapeutischen Eingriffen in der Endoskopie. Abgesehen von einer perioperativen Säuresuppression
liegen über spezifische Maßnahmen zur Komplikationsvermeidung derzeit keine Erkenntnisse
vor [284 ]
[285 ]
[286 ]
[287 ]. Eine perioperative Säuresuppression mit Pantoprazol oder Omeprazol ist dabei einer
Therapie mit Famotidin überlegen [288 ]
[289 ], wobei eine ausschließlich postinterventionell durchgeführte p. o. Protonenpumpeninhibitor-Therapie
eine ausreichende Effizienz hat [287 ].
Aufgrund der Häufigkeit von Blutungskomplikationen , deren gelegentlich hohem Schweregrad sowie der hohen Effektivität der endoskopischen
Blutstillung beispielsweise durch Koagulation oder Clip [245 ], soll eine endoskopische Resektion ausschließlich in Zentren durchgeführt werden,
die über eine 24-Stunden-Rufbereitschaft für Notfall-Endoskopie verfügen. Aus denselben
Gründen soll eine endoskopische Resektion ausschließlich unter stationären Bedingungen
durchgeführt werden.
Aufgrund der Häufigkeit von Perforationen und deren potenziell vitalen Konsequenzen soll eine endoskopische Resektion ausschließlich
in Zentren durchgeführt werden, die einen unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang
zur Viszeralchirurgie haben und wo die onkologischen Besonderheiten der endoskopischen
Therapie von Frühkarzinomen interdisziplinär berücksichtigt werden. Insbesondere scheint
eine Perforation nach endoskopischer Resektion am Magen nicht mit einem Risiko für
einer peritoneale Aussaat assoziiert zu sein [275 ].
3.7.4. Nachsorge
48. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten, die mit endoskopischer Resektion behandelt wurden, sollten eine endoskopische
Überwachung erhalten. Eine Nachsorge-Endoskopie sollte alle 3 Monate im ersten Jahr,
danach alle 6 Monate im zweiten Jahr und dann jährlich erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In der aktualisierten japanischen Leitlinie liegen Ergebnisse von knapp 3100 Patienten
mit kurativer ER vor [154 ]
[290 ]. Ein lokales Rezidiv trat bei 11,9 % auf, detektiert wurde dieses Rezidiv in 46
% aller Fälle innerhalb der ersten 3 Monate nach ER. Nur bei 16 % der Patienten trat
das Rezidiv > 12 Monate nach erfolgter ER auf. Die aktualisierte belgische Leitlinie
gibt ebenfalls im ersten Jahr nach Intervention 3-monatige Kontrollintervalle mit
Biopsie an, gefolgt von 6-monatlichen Kontrollen im 2. Jahr. Von mehreren Arbeitsgruppen
werden Kontrollintervalle zwischen 3 und 6 Monaten im 1. Jahr nach Resektion angegeben,
eine evidenzbasierte, valide Empfehlung auf der Basis harter Daten ist diesbez. nicht
möglich. Um ein frühzeitiges Rezidiv und damit eine zeitgerechte Sekundärtherapie
zu ermöglichen, sollte das folgende standardisierte Vorgehen erfolgen: Nachsorge-Endoskopien
alle 3 Monate im 1. Jahr, danach alle 6 Monate im 2. Jahr und danach in jährlichen
Abständen. Zum Vorgehen bei Nachweis von Helicobacter pylori wird auf die aktuelle
Leitlinie der DGVS aus 2009 verwiesen [75 ]. Eine Testung auf H. pylori sollte erfolgen. Bei positivem Nachweis von H. pylori
sollte eine Eradikationstherapie durchgeführt werden [75 ]
[277 ], da so die Anzahl der metachronen Tumore reduziert werden kann [25 ].
3.8. Chirurgische Therapie
3.8.1. Resektion
49. Konsensbasiertes Statement
Die chirurgische Resektion stellt die einzige Möglichkeit zur kurativen Behandlung
und damit die Standardtherapie für alle potenziell resektablen Magenkarzinome dar.
Eine Ausnahme bilden die auf die Mukosa begrenzten Karzinome (T1a N 0 M 0), wenn sie
endoskopisch komplett R 0 reseziert werden können.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
50. Statements
Das Ziel der Resektion ist die vollständige Entfernung des Karzinoms (oral, aboral
und in der Zirkumferenz) zusammen mit den regionären Lymphknoten.
Level of Evidence: 1b
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
51. Konsensbasiertes Statement
Um tumorfreie Resektionsränder (R0) zu erzielen, ist außer bei Mukosakarzinomen (T1a
N 0 M 0) in der Regel ein proximaler Sicherheitsabstand am Magen von 5 cm (intestinaler
Typ n. Laurén) bzw. 8 cm (diffuser Typ n. Laurén) in situ einzuhalten.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
52. Konsensbasiertes Statement
Das Resektionsausmaß wird bestimmt durch Tumorlokalisation, TNM-Kategorien und histologischen
Typ (intestinaler versus diffuser Typ nach Laurén-Klassifikation).
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Angaben zu den proximalen Sicherheitsabständen basieren auf Arbeiten von Hermanek
et al. [291 ]
[292 ] aus den 80er- und 90er-Jahren. Sie beruhen auf der Beobachtung, dass diffuse Magenkarzinome
gelegentlich eine diskontinuierliche Ausbreitung in der Magenwand nach proximal zeigen
können. Es wurde nachgewiesen, dass bei einem Sicherheitsabstand zum proximalen Resektionsrand
von 5 – 8 cm in situ (entsprechend > 5 cm am frischen Präparat ohne Zug und Spannung)
mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit ein Tumornachweis am Resektionsrand erfolgt.
Für die intestinalen Magenkarzinome wurde eine derartige diskontinuierliche Ausbreitung
nicht nachgewiesen, deswegen wurde ein Sicherheitsabstand nach proximal von 4 – 5
cm (entsprechend 2 – 3 cm am frischen Präparat ohne Zug und Spannung) als ausreichend
empfunden. Die Beachtung dieser nach proximal einzuhaltenden Sicherheitsabständen
bedeutet für Patienten mit diffusen Karzinomen, dass nur bei Karzinomen des unteren
Magendrittels eine subtotale distale Magenresektion infrage kommt. Bei Karzinomen
des oberen und mittleren Drittels wird in der Regel eine Gastrektomie vorzunehmen
sein, da sonst die Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können. Bei Patienten
mit Karzinomen des intestinalen Typs kann neben dem unteren Drittel auch eine subtotale
distale Magenresektion bei Karzinomen des mittleren Drittels möglich sein. Die Richtigkeit
dieser Angaben bezüglich des notwendigen Abstands nach proximal wurde in keiner weiteren
Studie überprüft. Für Karzinome im oberen Drittel des Magens und Karzinome des ösophagogastralen
Übergangs vom Typ AEG II und III sollte das Resektionsausmaß eine erweiterte Gastrektomie
mit distaler Ösophagusresektion umfassen [293 ].
53. Statements
Es liegen deutliche Hinweise dafür vor, dass in Kliniken mit hoher Fallzahl die perioperative
Letalität geringer ist als in Kliniken mit niedriger Fallzahl.
Level of Evidence: 2b
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Einige Studien konnten einen Zusammenhang zwischen Patientenoutcome (30-Tage-Letalität)
und dem Fallzahlvolumen des Chirurgen bzw. der behandelnden Einrichtungen für Magenkarzinomresektionen
nachweisen. Obgleich dieser Vorteil für Zentren mit hoher Fallzahl im Zusammenhang
mit der Magenchirurgie weniger deutlich ist als nach Ösophaguschirurgie, sollte dennoch
auf der Grundlage dieser Studien die Durchführung der Magenkarzinomchirurgie in Einrichtungen
mit hoher Fallzahl und von erfahrenen Chirurgen empfohlen werden [294 ]
[295 ]
[296 ]. Die zusätzliche Profilierung an der Magenchirurgie beteiligter assoziierter Fachabteilungen
ist tendenziell mit einer geringeren postoperativen Letalität verbunden. Allerdings
lässt sich für diese Beziehung kein statistisch relevantes Niveau nachweisen [297 ]
[298 ].
54. Statement
Ziel der kurativen Chirurgie des Magenkarzinoms ist die vollständige Entfernung des
Tumors und der regionären Lymphknoten mit histologisch bestätigt tumorfreien proximalen,
distalen und zirkumferenziellen Resektionsrändern (R0).
Level of Evidence: 1b
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Bei proximalen Tumoren bedarf es in der Regel einer Gastrektomie. Bei einem Adenokarzinom
des ösophagogastralen Übergangs (Kardiakarzinom, AEG Typ II und III) wird zusätzlich
zur Gastrektomie eine distale Ösophagusresektion notwendig. Gegebenenfalls ist aufgrund
der luminalen Tumorausdehnung auch eine subtotale Ösophagektomie mit proximaler Magenresektion
bzw. eine Ösophagogastrektomie zum Erreichen einer R 0-Resektion erforderlich. Bei
distalen Tumoren kann ohne Verschlechterung der Prognose der proximale Magen erhalten
werden. Ein ausreichender Resektionsabstand von 5 cm (intestinaler Typ n. Lauren)
bzw. 8 cm (diffuser Typ n. Laurén) ist dabei anzustreben. Wenn möglich sollten an
dem Tumor adhärente Strukturen (z. B. Zwerchfell, Milz) en bloc mit dem Tumor entfernt
werden. Eine Routine-Splenektomie soll vermieden werden [30 ].
Laparoskopische Verfahren können zur kurativen Chirurgie des Magenkarzinoms derzeit
nicht generell empfohlen werden, auch wenn erste Arbeiten die Möglichkeit der laparoskopischen
Magenresektion zeigen [299 ]
[300 ].
Das Ziel der kurativen Chirurgie sollte bei allen funktionell operablen Patienten
mit T 1- bis T 4-Tumoren [301 ] angestrebt werden. Bei Patienten mit T 4b-Tumoren, die nicht resektable Strukturen
betreffen, und solche mit Fernmetastasen sollten keiner radikalen Chirurgie unterzogen
werden.
Es liegen derzeit keine ausreichenden Daten darüber vor, ob und wie häufig nach neoadjuvanter
Therapie mit Tumorregression ein primär inoperabler Tumor (z. B. mit Peritonealmetastasen)
sekundär kurativ operiert werden kann. Im Einzelfall kann eine kurative Resektion
angestrebt werden. Ebenso liegen keine ausreichenden Daten darüber vor, ob im Falle
einer R 1-Resektion eine Nachresektion in einer weiteren Operation kurativ ist. In
Abhängigkeit von der Lokalisation der vorausgegangenen R 1-Resektion und der funktionellen
Operabilität sollte der Versuch einer Nachoperation mit dem Ziel der R 0-Resektion
unternommen werden.
55. Statement
Es gibt keinen allgemein anerkannten Standard zur Rekonstruktion nach Gastrektomie
oder subtotal distaler Magenresektion.
Level of Evidence: 1
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Das Rekonstruktionsverfahren kann individuell nach der Erfahrung des Operateurs gewählt
werden. Weltweit am häufigsten kommt die Wiederherstellung der Kontinuität nach Gastrektomie
durch eine ausgeschaltete Jejunumschlinge nach Roux-Y zur Anwendung. Die Verwendung
eines Pouches geht nach Literaturangaben mit einer möglicherweise früheren und höheren
Gewichtszunahme und einer Verbesserung der frühpostoperativen Lebensqualität einher
[302 ]. Auch eine Interposition von Jejunum (ggf. Kolon) zur Herstellung der Duodenalpassage
ist möglich. Die Rekonstruktion nach subtotaler distaler Magenresektion sollte durch
eine ausgeschaltete Jejunumschlinge nach Roux-Y erfolgen.
56. Statement
Die Entfernung der regionären Lymphknoten von Kompartiment I und II (D2-Lymphadenektomie)
stellt den Standard für die operative Behandlung in kurativer Intention dar.
Level of Evidence: 1
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
57. Statement
Bei der D 2-Lymphadenektomie ohne Splenektomie/Pankreaslinksresektion werden in der
Regel mehr als 25 regionäre Lymphknoten entfernt und histopathologisch untersucht.
Level of Evidence: 1
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
58. Konsensbasiertes Statement
Für die Klassifikation von pN0 ist die Entfernung und histologische Untersuchung von
mindestens 16 regionären Lymphknoten erforderlich.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Das Konzept der therapeutischen Lymphadenektomie (LAD) beruht auf der Annahme, dass
die regionären Lymphknoten (LK) als Filterstation für Tumorzellen wirken und eine
systemische Tumorzellausbreitung für eine gewisse Zeit verhindern können. Die Befunde
an den regionären LK stellen daher einen entscheidenden Faktor für die Prognose dar
und sind somit unerlässlich für die Analyse der Therapieergebnisse.
Die Bedeutung der Lymphadenektomie für das exakte postoperative Tumorstaging ist allgemein
unumstritten. Dieses gilt insbesondere für den pN-Status, wobei für das Magenkarzinom
eine Mindestanzahl von 16 untersuchten Lymphknoten für eine zuverlässige Beurteilung
des pN-Status gefordert wird. Der therapeutische Effekt der Lymphadenektomie bezieht
sich zum einen auf eine Verbesserung der Langzeitprognose und zum anderen auf eine
Verminderung der lokoregionalen Rezidive. In verschiedenen nicht randomisierten Studien
konnten bei niedriger Morbidität und Letalität 5-Jahres-Überlebensraten für die D
2-LAD zwischen 43 % und 64 % erreicht werden. Im Vergleich zur D 1-LAD zeigte die
Mehrzahl der nicht randomisierten Studien bei ebenfalls geringer Morbidität und Letalität
einen Prognosevorteil der radikalen D 2-LAD gegenüber der D 1-LAD. In der Deutschen
Magenkarzinomstudie konnte insbesondere für die UICC-Stadien II und IIIA ein Prognosevorteil
der D 2-LAD festgestellt werden [239 ]
[303 ]. Zwei aktuellere prospektive Beobachtungsstudien bestätigen die Ergebnisse aus nicht
randomisierten Studien der 90er-Jahre [304 ]
[305 ]. Die randomisierten Studien aus den Niederlanden und aus Großbritannien bestätigen
die in früheren Arbeiten gefundene geringere Rate an lokoregionären Rezidiven nach
D 2-LAD [306 ]. In beiden randomisierten Studien mit einem hohen Anteil von Splenektomien/Pankreaslinksresektionen
im D 2-LAD-Studienarm konnte kein Prognosegewinn nach D 2-LAD nachgewiesen werden
[306 ]
[307 ]. In beiden Studien war die kombinierte Splenektomie/Pankreaslinksresektion mit einer
deutlichen Erhöhung der Morbidität und der Letalität verbunden. Ursächlich hierfür
wurden die nach Resektion des Pankreasschwanzes in 20 – 25 % der Fälle aufgetretenen
septischen Komplikationen angeführt (Pankreasfisteln und -abszesse). In der multivariaten
Analyse konnte die kombinierte Splenektomie/Pankreaslinksresektion als unabhängiger
negativer Prognosefaktor evaluiert werden. Aufgrund dieser Ergebnisse wird aktuell
von einer Pankreaslinksresektion, wenn immer möglich, abgeraten und die Indikation
zur Splenektomie sehr zurückhaltend gestellt. Die Publikation der 10-Jahres-Ergebnisse
sowie der 15-Jahres-Ergebnisse der niederländischen Magenkarzinomstudie [308 ]
[309 ]
[310 ] zeigte demgegenüber eine reduzierte Magenkarzinom-bezogene Sterblichkeit nach D
2-LAD sowie eine geringere Rate an lokoregionären Rezidiven.
Eine Cochrane-Übersichtsarbeit [311 ] bestätigt diese Ergebnisse, lässt jedoch eine abschließende Bewertung der Lymphadenektomie
beim Magenkarzinom nicht zu. Insgesamt unterstreichen die vorliegenden Arbeiten sowie
3 randomisierte Studien zum Vergleich einer D 2- versus D 2 + -LAD, dass eine D 2-LAD
ohne Splenektomie und Pankreaslinksresektion in Zentren mit entsprechender Erfahrung
nicht zu einer Erhöhung der Letalität führt [310 ]. Für diese Fälle ist auch ein Prognosegewinn gegenüber der eingeschränkten LAD zu
erwarten. Da die Patientengruppe, die von der erweiterten LAD profitieren wird, bislang
weder präoperativ noch intraoperativ identifiziert werden kann, bleibt die D 2-LAD
das Standardverfahren bei lokal fortgeschrittenen Magenkarzinomen.
Eine Ausweitung der LAD z. B. auf die paraaortalen Lymphknoten führt nicht zu einer
weiteren Prognoseverbesserung [310 ]. Aufgrund der Ergebnisse von 2 randomisierten Studien wird daher eine D 2 + -, D
3- oder D 4-LAD beim Magenkarzinom nicht empfohlen.
Definitionen
Eine D 1-Lymphadenektomie umfasst die regionären LK direkt am Magen (Kompartiment
I mit den LK-Stationen 1 – 6 [[Abb. 2 ]]).
Abb. 2 Lymphknotenstationen nach der Japanese Gastric Cancer Association. Zeichnung mit freundlicher
Genehmigung von Springer Science, Business Media und dem Autor Siewert et al. [312 ].
Eine D 2-Lymphadenektomie umfasst zusätzlich zu den LK von Kompartiment I (D1) die
LK im Kompartiment II mit den Stationen 7 – 11 ([Abb. 2 ]). Bei verdächtigen Lymphknoten im Milzhilus sollte eine Splenektomie unter Pankreaserhalt
erfolgen.
In einer anatomischen Studie wurden im Kompartiment I und II (D2-Lymphadenektomie)
im Mittel 27 (Bereich: 17 – 44) Lymphknoten gefunden. Aufgrund dieser Arbeit sowie
den Ergebnissen der Deutschen Magenkarzinomstudie wurde als Richtzahl für eine adäquate
D 2-Lymphadenektomie die Entfernung und histopathologische Untersuchung von 25 LK
festgelegt ([303 ], [Abb. 2 ]).
59. Konsensbasierte Empfehlung
Eine Resektion des Primärtumors bei asymptomatischen, nicht blutenden Patienten sollte
in der Palliativsituation nicht durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Derzeit existiert keine Evidenz für den Vorteil einer palliativen Resektion des Primärtumors
bei asymptomatischen Patienten in der fernmetastasierten Situation. Die Ausnahme-Indikation
zur palliativen Chirurgie ist vom Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung, vom Ernährungszustand,
dem Alter, den zur Verfügung stehenden therapeutischen Optionen und der Lebenserwartung
abhängig. Eine palliative Resektion hat eine vergleichbare oder niedrigere 30-Tage-Mortalität
als eine Bypassoperation. Vergleicht man das Gesamtüberleben mit und ohne palliative
Resektion, könnte es bei Patienten mit Resektion verlängert sein. Diese Befunde stammen
allerdings aus Studien ohne Berücksichtigung der Lebensqualität als Endpunkt und sind
somit mit Vorsicht zu interpretieren. Das Überleben nach palliativer Resektion hängt
ab vom Tumorstadium, dem Ausmaß der Peritonealmetastasierung und dem Tumortyp. Während
eine limitierte En-bloc-Resektion mit Omentektomie einen Vorteil erbringen könnte,
erbringt eine ausgedehnte Lymphadenektomie keinen Vorteil [233 ]
[313 ]
[314 ]
[315 ]
[316 ].
60. Konsensbasierte Empfehlung
Die Peritonektomie bei Peritonealmetastasen kann außerhalb klinischer Studien nicht
empfohlen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Bei lokalisierten Peritonealmetastasen (P1) ist Gegenstand der Diskussion, ob eine
Peritonektomie (mit anschl. Chemotherapie) die Prognose verbessern kann. Prospektive
randomisierte Studien liegen nicht vor. Zwei internationale Arbeitsgruppen haben hierzu
Fallserien veröffentlicht, zum einen die Gruppe um Sugarbaker (Magenkarzinom in geringer
Anzahl) und zum anderen die Gruppe um Yonemura et al. Die japanische Studie konnte
bei insgesamt 107 Patienten eine 5-Jahres-Überlebensrate von 27 % nach kompletter
Tumorentfernung und intraoperativer hyperthermer intraperitonealer Chemotherapie(HIPEC)-Therapie
aufzeigen [317 ]. Vergleichbare Ergebnisse konnte eine französische AG publizieren [318 ]. Aus Deutschland liegt eine Serie der Berliner AG vor [319 ], die einen signifikanten Überlebensvorteil nach radikaler Operation und nachfolgender
CTx im Fall von lokalisierter (P1) versus fortgeschrittener Peritonealkarzinose zeigt.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf den Abschnitt intraperitoneale Chemotherapie
sowie das Kapitel zur palliativen Therapie.
61. Konsensbasierte Empfehlung
Nach R 1-Resektion beim Adenokarzinom des Magens und des ösophagogastralen Übergangs
soll zunächst die Möglichkeit einer kurativen Nachresektion geprüft werden. Falls
dies nicht möglich ist, kann eine postoperative Radiochemotherapie nach Konsens in
der interdisziplinären Tumorkonferenz durchgeführt werden. Eine alleinige postoperative
Chemotherapie soll nicht durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Fragestellung ist nicht in prospektiven Studien untersucht worden bzw. das Ergebnis
von Subgruppen mit R 1-Resektion wurde nicht getrennt berichtet. Hier stellt sich
zusätzlich das Problem, dass R 1-endoluminal und R 1-peritumoral möglicherweise prognostisch
unterschiedlich sind. Dies wurde in den vorliegenden Daten nicht getrennt untersucht.
Hier besteht dringender Bedarf zur Klärung der Frage innerhalb klinischer Studien.
62. Konsensbasierte Empfehlung
Nach inkompletter Resektion (lokale R 2-Resektion) ohne Nachweis von Fernmetastasen
soll zunächst die Möglichkeit einer kurativen Nachresektion geprüft werden. Falls
diese nicht möglich ist, kann eine postoperative Radiochemotherapie nach Konsens in
der interdisziplinären Tumorkonferenz durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In einer Phase-II-Studie untersuchten Henning et al. ein Kollektiv von 60 Patienten
mit Adenokarzinom des Magens und des ösophagogastralen Übergangs mit primär nicht
resezierbaren Tumoren, lokalen Rückfällen oder makroskopischen Resttumoren nach inkompletter
Resektion [320 ]. Die Patienten erhielten eine externe Strahlentherapie mit Dosen zwischen 36 und
50,4 Gy in konventioneller Fraktionierung in Kombination mit einer 5-FU-Chemotherapie.
Ein Teil der Patienten erhielt zusätzlich eine intraoperative Strahlentherapie mit
Einzeit-Dosen zwischen 10 und 20 Gy. Das 4-Jahres-Überleben dieser Kollektive betrug
20 %. Die lokoregionale Tumorfreiheit nach 4 Jahren lag bei 36 % bei den nur extern
bestrahlten Patienten und bei 70 % bei den extern und intraoperativ bestrahlten Patienten.
Die Daten weisen darauf hin, dass auch bei makroskopischem Tumor(rest) durch die Kombination
von Strahlen- und Chemotherapie für einen kleinen Teil der Patienten ein kurativer
Therapieansatz mittels Radiochemotherapie (± intraoperativer Strahlentherapie) möglich
ist. Sind weder Nachresektion noch Radiochemotherapie durchführbar, gelten die Empfehlungen
für die palliative Therapie.
3.8.2. Rezidiv
63. Konsensbasierte Empfehlung
Beim (isolierten) Lokalrezidiv kann ggfs. erneut eine Operation durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die meisten Publikationen betreffen Rezidive nach Lokaltherapie früher Karzinome bei
asiatischen Patienten oder Karzinomrezidive im Restmagen nach Magenteilresektion.
Die Behandlung des Lokalrezidivs soll für jeden Patienten individuell (auch abhängig
von der Primärtherapie) in der interdisziplinären Diskussion (Tumorkonferenz) festgelegt
werden. In der Literatur liegen mehrere Fallserien vor, in denen ein erneutes operatives
Vorgehen nach Rezidiven des Magens oder der ÖGÜ gewählt wurde, die initial auch operativ
behandelt worden waren [252 ]
[321 ]
[322 ]
[323 ]. In diesen Serien konnten 10 – 25 % der Rezidive erneut reseziert werden. Diese
Patienten lebten median 18 – 26 Monate rezidivfrei und damit signifikant länger als
Patienten, bei denen keine Resektion erfolgte.
3.8.3. Definitive Radiochemotherapie
64. Konsensbasierte Empfehlung
Bei funktioneller Inoperabilität eines Patienten oder Irresektabilität eines lokal
begrenzten Adenokarzinoms des Magens oder ösophagogastralen Übergangs kann eine definitive
Radiochemotherapie in potenziell kurativer Absicht durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Aktuelle Daten zur alleinigen definitiven Radiochemotherapie liegen aus randomisierten
Studien nicht vor. Eine Indikation kann in Analogie zur Therapie des Adenokarzinoms
des Ösophagus gesehen werden, zumal Metaanalysen keinen Unterschied in der Radiochemotherapie
des Adenokarzinoms und des Plattenepithelkarzinoms im Bereich des Ösophagus zeigen
[324 ]. Ferner zeigte eine retrospektive Analyse bei Patienten, die im neoadjuvanten Therapieansatz
mit einer Radiochemotherapie (und damit niedrigerer Enddosis) behandelt wurden, und
meist aufgrund frühzeitiger Fernmetastasieung nicht operiert wurden, ein höheres medianes
Überleben als vergleichbare Patienten mit alleiniger Chemotherapie (10,1 Mon. zu 6
– 8,7 Mon., [325 ]). Auch eine Subgruppenanalyse aus einer randomisierten chinesischen Studie zur neoadjuvanten
Strahlentherapie versus alleinigen Operation zeigt bei nicht durchgeführter Operation
einen Überlebensvorteil für die zusätzlich bestrahlten Patienten (7 Mon. vs. 4 Mon.
p = 0,008, [326 ]). Der Allgemeinzustand und entsprechende Funktionsparameter der Patienten müssen
dafür geeignet sein. Die Chemotherapie parallel zur Bestrahlung ist platinbasiert,
i. d. R. in Kombination mit 5-FU. Die Strahlentherapie soll konventionell fraktioniert
in Shrinking-field-Technik beim Magen bis zu einer Dosis von 55 – 59 Gy bei den AEG
I–II bis 64 Gy unter der Berücksichtigung der Grenzdosen für die entsprechenden Risikoorgane
durchgeführt werden.
3.9. Multimodale Therapie
3.9.1. Perioperative Chemotherapie
65. Empfehlung
Bei lokalisierten Adenokarzinomen des Magens oder ösophagogastralen Übergangs mit
Kategorie uT2 kann eine präoperative Chemotherapie durchgeführt und postoperativ fortgesetzt
werden.
Empfehlungsgrad: 0
Level of Evidence: 1b
de Novo: [327 ]
[328 ]
[329 ]
[330 ]
[331 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Derzeit liegt nur die Studie von Cunningham (sog. MAGIC-Studie, [327 ]) voll publiziert als hinreichend valide in Bezug auf die erzielten Ergebnisse für
eine perioperative Chemotherapie beim Magenkarzinom vor. Diese weist nach 4 Jahren
eine Verbesserung des Gesamtüberlebens um 7,4 % und eine extrapolierte Verbesserung
des Gesamtüberlebens nach 5 Jahren um 12,5 % (36 vs. 23 %) aus. Die Hazard Ratio für
Tod ist in der Interventionsgruppe statistisch signifikant niedriger mit 0,75 % (95
%-KI, 0,6 – 0,93, p = 0,009). Als Chemotherapie wurde eine Kombination aus infusionalem
5-Fluorouracil (5-FU), Cisplatin und Epirubicin (ECF-Regime) verwendet. Vor und nach
OP waren jeweils 3 Kurse vorgesehen. Defizite dieser Studie lagen in einer hohen Heterogenität
der Einschlusskriterien (Magen-, Kardia- und distale Ösophaguskarzinome) und dass
sie weder eine chirurgische noch pathologische Qualitätskontrolle beinhaltete. Es
fehlen Angaben zum Staging. Es gibt nur ungenaue Vorgaben zum Resektionsausmaß und
ungenaue histopathologische Aufarbeitungen der Resektate ohne Nennung der R-Klassifikation.
In dieser Studie fanden sich lediglich 30 % pT2-Karzinome der Klassifikation für Magen-
und Ösophaguskarzinome. Der überwiegende Anteil der Patienten hatte ein fortgeschrittenes
Tumorstadium. Nur 41,6 % der für eine präoperative Chemotherapie und operationrandomisierten
Patienten erhielten das komplette Schema der postoperativen Chemotherapie [327 ].
Die Daten der Studie von Cunningham werden von den Ergebnissen einer weiteren randomisierten
Studie mit 224 Patienten unterstützt, die bisher nur als Abstract publiziert ist (FNLCC
ACCORD07-FFCD 9703 Studie [328 ]). Hier hatte der Großteil der Patienten ein Adenokarzinom des ösophagogastralen
Übergangs, nur 25 % der Patienten hatten ein Magenkarzinom. Von Bedeutung ist, dass
das Ausmaß der Verbesserung des Gesamtüberlebens identisch zur MAGIC-Studie ist. Für
die perioperative Chemotherapie mit Cisplatin und infusionalem 5-FU fand sich ein
signifikanter Vorteil nach 5 Jahren hinsichtlich des erkrankungsfreien Überlebens
(34 vs. 21 %, Hazard Ratio: 0,68, p = 0,0033) und für das Gesamtüberleben (38 vs.
24 %, Hazard Ratio: 0,69, p = 0,021) zugunsten der perioperativen Chemotherapie [328 ]. Schwachpunkt der Studie ist die bisher nicht vorliegende Vollpublikation. Defizite
dieser Studie waren außerdem fehlende klare Einschlusskriterien und eine fehlende
oder nicht publizierte chirurgische und pathologische Qualitätskontrolle. Die postoperative
Chemotherapie konnte bei nur 50 % der Patienten gegeben werden.
Zum unterschiedlich starken Empfehlungsgrad zwischen lokal fortgeschrittenen (uT3
– 4) und weniger ausgedehnten (uT2) Tumoren ist eine nähere Analyse der Literatur
notwendig. Folgt man den Einschlusskriterien der jüngst vollständig publizierten Studien
zur neoadjuvanten Chemotherapie bei Adenokarzinomen des Ösophagus bzw. des ösophagogastralen
Übergangs [327 ]
[329 ], findet man, dass Patienten in den klinischen Stadien II und III eingeschlossen
wurden. Eine Studie mit negativem Ergebnis [330 ] erlaubte auch den Einschluss von Patienten im Stadium I. Unlösbar bleibt das Dilemma,
dass alle genannten Studien Patienten mit Adenokarzinomen des Ösophagus, des ÖGÜ oder
des Magens einschlossen, der Anteil der einzelnen Lokalisationen oft unklar bleibt
und die Ergebnisse bei den einzelnen Lokalisationen nicht getrennt berichtet werden.
Dies bedeutet, dass nach der bis 2010 gültigen Stadiengruppierung für Patienten mit
uT2 N 0 klassifizierten Tumoren keine Studienergebnisse aus randomisierten Phase-III-Studien
vorliegen. Die prätherapeutische Festlegung des Nodalstatus ist aus oben dargestellten
Gründen (siehe Kapitel Staging) methodisch mit großen Unsicherheiten behaftet und
kann in der Regel nicht als verlässliche Entscheidungsgrundlage betrachtet werden.
Insgesamt ist bei Vorliegen einer T 2-Kategorie in etwa 40 % der Fälle mit einem nodalen
Tumorbefall zu rechnen. Etwa 60 % der T 2-klassifizierten Karzinome weisen keine nodale
Beteiligung auf und entsprechen damit dem klinischen Stadium IB. Im Stadium IB wurde
eine neoadjuvante oder perioperative Chemotherapie bislang nicht geprüft, der mögliche
Benefit oder mögliche Nachteile sind deshalb unklar. Aus diesem Grund wird die Empfehlung
zur neoadjuvanten Chemotherapie bei Vorliegen einer Tumorkategorie uT2 mit entsprechender
Zurückhaltung als „Kann-Empfehlung” ausgesprochen.
Die o. g. Empfehlungen werden auch deshalb ausgesprochen, weil voll publizierte Studien
belegen, dass durch die neoadjuvante Chemotherapie die Rate der postoperativen Morbiditat
und Letalität meist nicht erhöht wird (Cunningham [327 ], 5,6 vs. 5,9 %; Allum [329 ] bzw. MRC 2002: 10,0 vs. 10,0 %; Kelsen [330 ]: 5,9 vs. 5,8 %). Lediglich in einer Studie [331 ] steigt die postoperative Letalität von 1,5 auf 4,3 % an.
Hinweise für die Praxis
Bei der Durchführung der perioperativen Chemotherapie sollte berücksichtigt werden,
dass der Anteil der über 70-jährigen Patienten in allen bisher publizierten Studien
gering ist. Die Datenlage für Patienten über 70 Jahre ist bisher also sehr dünn. Grundlage
der perioperativen Therapie ist das ECF-Regime der MAGIC-Studie [327 ]. Darüber hinaus ist hinsichtlich der Art der Chemotherapie ein Blick auf Studien
bei fortgeschrittenen Karzinomen sinnvoll. Hier liegen Daten aus 2 randomisierten
Studien und einer gemeinsamen Metaanalyse vor, die eine Äquivalenz von infusionalem
5-FU und Capecitabin zeigen [332 ]
[333 ]
[334 ]. Der Austausch von 5-FU durch das orale Fluoropyrimidin Capecitabin in der neoadjuvanten
Chemotherapie erscheint daher vertretbar (Cisplatin/Capecitabin [XP-Regime] oder Epirubicin,
Cisplatin, Capecitabin [ECX-Regime]). Bei Kontraindikationen bzw. Unverträglichkeiten
(Niereninsuffizienz) von Cisplatin ist der Ersatz durch Oxaliplatin möglich. Oxaliplatin
zeigt in der palliativen Therapie vergleichbare Wirksamkeit wie Cisplatin [333 ]
[335 ]. Weitere Studien, die eine perioperative Chemotherapie als Kontrollarm einsetzen,
werden aktuell durchgeführt. Patienten sollte die Teilnahme an solchen Studien dringend
angeboten werden.
66. Empfehlung
Bei lokalisiertem Magenkarzinom der Kategorien uT3 und resektablen uT4a-Tumoren „sollte/soll”
eine perioperative Chemotherapie durchgeführt, d. h. präoperativ begonnen und postoperativ
fortgesetzt werden.
Empfehlungsgrad: A/B
Level of Evidence: 1b
de Novo: [239 ]
[327 ]
[328 ]
[329 ]
[330 ]
[331 ]
[332 ]
[333 ]
[334 ]
[335 ]
[336 ]
Abstimmung im Plenum: Kein Konsens
Hintergrund
Die Datenlage zur neoadjuvanten und perioperativen Therapie hat sich in den letzten
Jahren geändert. Abweichend von älteren S 3-Leitlinien anderer europäischer Länder
würdigen die Experten daher mit der Empfehlung „sollte/soll” für die perioperative
Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Tumoren die Tatsache, dass dieses Therapiekonzept
einen signifikantem Überlebensvorteil erzielt, der bisher durch keine andere multimodale
Therapie im Vergleich zu alleiniger Chirurgie erreicht wurde. Im Plenum und in der
abschließenden Delphi-Runde konnte jedoch kein abschließender Konsens bezüglich der
Stärke des Empfehlungsgrads („soll = A, „sollte” = B”) erreicht werden. Im Hintergrundtext
werden daher nach der Evidenz alle ausgetauschten Argumente aufgeführt.
Evidenz
Derzeit liegt die Studie von Cunningham et al. 2006 (sog. MAGIC-Studie, [327 ]) voll publiziert als valide in Bezug auf die erzielten Ergebnisse für eine neoadjuvante
Chemotherapie beim Magenkarzinom vor. Diese weist nach 4 Jahren eine Verbesserung
des Gesamtüberlebens um 7,4 % und eine extrapolierte Verbesserung des Gesamtüberlebens
nach 5 Jahren um 12,5 % (36 vs. 23 %) aus. Die Hazard Ratio für Tod ist in der Interventionsgruppe
statistisch signifikant niedriger mit 0,75 % (95 %-KI 0,6 – 0,93 p = 0,009). Als Chemotherapie
wurde eine Kombination aus infusionalem 5-FU, Cisplatin und Epirubicin (ECF-Regime)
verwendet. Vor und nach OP waren jeweils 3 Kurse vorgesehen. Defizite dieser Studie
lagen in einer hohen Heterogenität der Einschlusskriterien (Magen-, Kardia- und distale
Ösophaguskarzinome) und in der fehlenden chirurgischen und histopathologischen Qualitätskontrolle.
Es fehlen klare Angaben zum präoperativen Staging. Es gibt ungenaue Vorgaben zum Resektionsausmaß
und ungenaue histopathologische Aufarbeitungen der Resektate ohne Nennung der R-Klassifikation.
Nur 41,6 % der für eine präoperative Chemotherapie und operationrandomisierten Patienten
konnten die postoperative Chemotherapie komplett erhalten.
Die Daten der Studie von Cunningham werden von den Ergebnissen einer weiteren randomisierten
Studie mit 224 Patienten unterstützt, die bisher nur als Abstract publiziert ist (FNLCC
ACCORD07-FFCD-9703-Studie, [328 ]). Hier hatte der Großteil der Patienten ein Adenokarzinom des ösophagogastralen
Übergangs, nur 25 % der Patienten hatten ein Magenkarzinom. Von Bedeutung ist, dass
das Ausmaß der Verbesserung des Gesamtüberlebens identisch zur MAGIC-Studie ist. Für
die perioperative Chemotherapie mit Cisplatin und infusionalem 5-FU fand sich ein
signifikanter Vorteil nach 5 Jahren hinsichtlich des erkrankungsfreien Überlebens
(34 vs. 21 %, Hazard Ratio: 0,68, p = 0,0033) und für das Gesamtüberleben (38 vs.
24 %, Hazard Ratio: 0,69, p = 0,021) zugunsten der perioperativen Chemotherapie [328 ]. Schwachpunkt der Studie [328 ] ist die bisher nicht vorliegende Vollpublikation. Defizite dieser Studie waren außerdem
fehlende oder nicht publizierte chirurgische und pathologische Qualitätskontrollen.
Die postoperative Chemotherapie konnte bei nur 50 % der Patienten gegeben werden.
Die Patienten mit einem Karzinom der Kategorie uT3 – 4 oder mit uT1 – 4 N + „sollen/sollten”
auf dem Boden der o. g. Phase-III-Studien perioperativ behandelt werden. So verwenden
alle derzeit laufenden Phase-III-Studien in Europa die präoperative Chemotherapie
als Vergleichsarm. Die o. g. Empfehlung „soll/sollte” wird auch ausgesprochen, weil
die voll publizierte MAGIC-Studie [327 ] und weitere voll publizierte Studien, die auch AEG-II-III-Karzinome einschlossen,
durch die neoadjuvante Chemotherapie keine erhöhte Rate in der postoperativen Morbiditat
und Letalität zeigten (Cunningham 2006 [327 ]: 5,6 vs. 5,9 %; Allum 2009 [329 ] bzw. MRC 2002: 10,0 vs. 10,0 %; Kelsen 1998: 5,9 vs. 5,8 %, [330 ]). Lediglich in einer publizierten Studie steigt die postoperative Letalität von
1,5 auf 4,3 % an [331 ].
Allen Experten lagen die Evidenz und der dazu vorbereitete Hintergrundtext vor, über
den im Delphi-Prozess abgestimmt wurde. Die Daten wurden hier in einzelnen Punkten
unterschiedlich für soll/sollte interpretiert.
Empfehlungsgrad A („soll”)
Die Experten (50,7 % von 63 Stimmen) für „soll” (Empfehlungsgrad A) interpretierten
die Ergebnisse der MAGIC-Studie als so bahnbrechend und eindeutig, dass auch die Argumente
einer verbesserten chirurgischen Qualitätskontrolle diese Daten nicht wesentlich beeinflussen
würden. Dies auch deshalb, weil es keine publizierten Daten gibt, die belegen, dass
eine chirurgische und pathologische Qualitätskontrolle per se zu einer Verbesserung
der Prognose führt. Die Publikation der „Deutschen Magenkarzinom-Studie” [239 ] von vor über 20 Jahren (1986 – 1989) mit erstmals in Deutschland durchgeführten
konkreten Absprachen zur Qualitätskontrolle zeigte zwar ein gutes Gesamtüberleben,
jedoch nur für die 1654 R 0-resezierten Patienten mit komplett histopathologisch aufgearbeiteten
Resektaten. Es gibt keine genauen Aussagen über eine gesamte Intent-to-treat-Population
(2139 Patienten), d. h. unter Einschluss von Daten für ausgeschlossene Patienten (140
mit inkompletter pathologischer Aufarbeitung und 345 mit unvollständiger R 0-Resektion).
Die MAGIC-Studie dagegen berichtet über alle eingeschlossenen Patienten, unabhängig
davon, ob die Therapie komplett erfolgte oder ob die Patienten überhaupt eine Operation/Chemotherapie
erhielten. Es fehlt auch der Beleg, dass das in der EORTC-Studie mit nur 2 beteiligten
großen deutschen Zentren erzielte gute mediane Überleben im chirurgischen Kontrollarm
dem Standard an chirurgischen Schwerpunktkliniken oder der breiten Versorgung in Deutschland
entspricht [331 ]. Gegenwärtig belegt damit keine Studie sicher, dass durch eine verbesserte chirurgische
Resektion auf eine perioperative Therapie verzichtet werden könnte.
Empfehlungsgrad B („sollte”)
Die Empfehlung für „sollte” (Empfehlungsgrad B) wurde von Experten (49,3 % von 63
Stimmen) damit begründet, dass die chirurgischen und pathologischen Qualitätskriterien
in den perioperativen Studien nicht klar definiert waren und der Gesamtüberlebensvorteil
nach qualitativ hochwertiger Chirurgie weniger deutlich ausfallen könnte [336 ]. Dabei wird auf die jüngste EORTC-Studie von Europäischen „High-volume-Zentren”
verwiesen [331 ], die eine hohe chirurgische und pathologische Qualitätskontrolle hatte, jedoch vorzeitig
wegen mangelnder Rekrutierung abgebrochen werden musste. Patienten wurden entweder
einer präoperativen Chemotherapie und Chirurgie oder einer alleinigen Operation zugeteilt.
Die Rate an R 0-Resektion konnte durch die präoperative Therapie signifikant verbessert
werden (81,9 vs. 66,7 %, p = 0,036). Das progressionsfreie Überleben nach Chemotherapie
war länger (HR 0,76 [0 ]
[16 ]), ohne dass das statistische Signifikanzniveau erreicht wurde. Das mediane Überleben
war 36 Monate in beiden Armen. Außerdem lasse die durchgeführte „Deutsche Magenkarzinom-Studie”
ein besseres Überleben bei qualitätskontrollierter Chirurgie in deutschen Schwerpunktkliniken
vermuten [239 ]. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung der möglichen Toxizitäten und der, wenn auch
sehr geringen Gefahr, Patienten im frühen Progress unter Chemotherapie nicht mehr
in kurativer Absicht operieren zu können, wird die präoperative Chemotherapie nicht
als der generelle Standard bei jedem Patienten angesehen. Das Alter wird unter den
Hinweisen für die Praxis diskutiert.
Hinweise für die Praxis
Bei der Durchführung der perioperativen Chemotherapie sollte berücksichtigt werden,
dass der Anteil der über 70-jährigen Patienten in allen bisher publizierten Studien
gering ist, obwohl die Subgruppe der > 70-Jährigen einen gleichen Nutzen von der perioperativen
Therapie zu haben scheint. Die Datenlage für Patienten über 70 Jahre ist bisher also
sehr dünn. Grundlage der perioperativen Therapie ist das ECF-Regime der MAGIC-Studie
[327 ]. Darüber hinaus ist hinsichtlich der Art der Chemotherapie ein Blick auf Studien
bei fortgeschrittenen Karzinomen sinnvoll. Hier liegen Daten aus 2 randomisierten
Studien und einer gemeinsamen Metaanalyse vor, die eine Äquivalenz von infusionalem
5-FU und Capecitabin zeigen [332 ]
[333 ]
[334 ]. Der Austausch von 5-FU durch das orale Fluoropyrimidin Capecitabin in der neoadjuvanten
Chemotherapie erscheint daher vertretbar (Cisplatin/Capecitabin [XP-Regime] oder Epirubicin,
Cisplatin, Capecitabin [ECX-Regime]). Bei Kontraindikationen bzw. Unverträglichkeiten
(Niereninsuffizienz) von Cisplatin ist der Ersatz durch Oxaliplatin möglich. Oxaliplatin
zeigt in der palliativen Therapie vergleichbare Wirksamkeit, wie Cisplatin [333 ]
[335 ]. Weitere Studien, die eine perioperative Chemotherapie als Kontrollarm einsetzen,
sind aktiviert. Patienten sollte die Teilnahme an solchen Studien empfohlen werden.
Eine qualitätskontrollierte Chirurgie und pathologische Aufarbeitungen nach der neuen
UICC-Klassifikation sind in der Breite und in Studien anzustreben.
67. Empfehlung
Beim lokalisierten Adenokarzinom des ösophagogastralen Übergangs der Kategorien uT3
und resektablen uT4-Tumoren soll/sollte eine perioperative Chemotherapie oder eine
neoadjuvante Radiochemotherapie durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: A/B
Level of Evidence: 1b
perioperative Chemotherapie
de Novo: [239 ]
[324 ]
[327 ]
[328 ]
[329 ]
[331 ]
[334 ]
[337 ]
[338 ]
[339 ]
Level of Evidence: 1a-LOE1b LOE1b- LOE 2b
neoadjuvante Radiochemotherapie
de Novo: [324 ]
[326 ]
[336 ]
[338 ]
[340 ]
[341 ]
[342 ]
[343 ]
[344 ]
[345 ]
[346 ]
[347 ]
[348 ]
[349 ]
[350 ]
[351 ]
Abstimmung im Plenum: Kein Konsens
Hintergrund
Die Evidenz zur perioperativen Therapie wurde in den zurückliegenen Jahren verändert.
Abweichend von oft älteren S 3-Leitlinien anderer europäischer Länder würdigen die
Experten mit der Empfehlung für die perioperative Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen
Tumoren die Tatsache, dass dieses Therapiekonzept einen signifikanten Überlebensvorteil
erreicht hat. Im Plenum und der abschließenden Delphi-Runde konnte jedoch kein abschließender
Konsens bezüglich der Stärke des Empfehlungsgrads („soll = A, „sollte” = B”) erreicht
werden. Im Hintergrundtext werden daher nach der Evidenz alle ausgetauschten Argumente
aufgeführt.
Perioperative Chemotherapie
Evidenz
Die Evidenz entspricht im großen Teil dem Magenkarzinom (s. o.). Unlösbar bleibt jedoch
das Dilemma, dass alle genannten Studien Patienten mit Adenokarzinomen des Ösophagus,
des ÖGÜ oder des Magens einschlossen, der Anteil der einzelnen Lokalisationen oft
unklar bleibt und die Ergebnisse bei den einzelnen Lokalisationen nicht getrennt berichtet
werden. Zur neoadjuvanten Chemotherapie liegen Daten aus 5 randomisierten Studien
vor, die auch oder überwiegend Patienten mit Adenokarzinomen des ÖGÜ und unteren Ösophagus
einschlossen [327 ]
[328 ]
[329 ]
[331 ]
[337 ]. Die letzte dieser Studien ist noch nicht vollständig publiziert. Teilweise wird
die Chemotherapie auch postoperativ fortgesetzt, was aber in den Studien nur bei etwa
50 % der Patienten im multimodalen Therapiearm möglich war. Obwohl die beiden positiven
Studien von Cunningham und Boige zum Teil nicht berücksichtigt wurden, zeigen mehrere
Metaanalysen einen statistisch signifikanten Vorteil für die neoadjuvante Chemotherapie
[324 ]
[339 ]
[352 ]
[353 ]. Zur Evidenz für die neoadjuvante Chemotherapie trägt auch die EORTC-Studie 40 954
bei, in der auch Patienten mit AEG-Tumoren eingeschlossen wurden [331 ]. Die Chemotherapie (PLF-Regime) wurde hierbei lediglich präoperativ eingesetzt.
144 Patienten wurden in präoperative Chemotherapie versus alleinige Operation randomisiert.
Die Studie musste jedoch wegen mangelnder Rekrutierung vorzeitig abgebrochen werden.
Die Rate an R 0-Resektionen (81,9 vs. 66,7 %, p = 0,036) konnte signifikant verbessert
werden. Dies ist von Bedeutung, weil ohne eine R 0-Resektion keine kurative Therapie
des Magenkarzinoms möglich ist. Das progressionfreie Überleben war mit Chemotherapie
deutlich länger (HR 0,76 [0 ]
[16 ]), die mediane Überlebenszeit lag in beiden Armen bei über 36 Monaten.
Empfehlungsgrad A (= „sollen”)
Insgesamt würdigen 50 % der 66 Experten, die mit „sollen” gestimmt haben (33 / 66
Stimmen), mit der starken Empfehlung für die perioperative Chemotherapie bei lokal
fortgeschrittenen Tumoren die vorliegenden Evidenzen und die Tatsache, dass dieses
Therapiekonzept auch international als Standard angesehen wird. So verwenden alle
derzeit aktivierten Phase-III-Studien in Europa die perioperative Chemotherapie als
Vergleichsarm. Der Empfehlungsgrad wird auch ausgesprochen, da fast alle voll publizierten
Studien belegen, dass durch die neoadjuvante Chemotherapie die Rate der postoperativen
Morbiditat und Letalität nicht erhöht wird (Cunningham 2006: 5,6 vs. 5,9 %; Allum
2009 bzw. MRC 2002: 10,0 vs. 10,0 %; Kelsen 1998: 5,9 vs. 5,8 %). Lediglich in einer
Studie [331 ] steigt die postoperative Letalität von 1,5 auf 4,3 % an. Die Aufteilung in Untergruppen
des AEG bzw. die Trennung der AEG-II-III-Karzinome ist klinisch nicht möglich und
nicht sinnvoll.
Empfehlungsgrad B (= „sollte”)
Die 50 % der Experten, die mit „sollte” gestimmt haben, begründeten den schwächeren
Empfehlungsgrad so, dass es keine voll publizierte Einzelstudie mit ausreichender
Patientenzahl gibt, die einen signifikanten Vorteil für die perioperative Therapie
alleine für AEG-Tumoren belegt. Die o. g. positiven Metaanalysen werden in ihrer Wertigkeit
abgeschwächt, weil sie Studien mit gemischten Patientenkollektiven aus Karzinomen
des Ösophagus, des ÖGÜ und des Magens enthalten. Post-hoc-Analysen aus den Studien
des Medical Research Council zeigen jedoch, dass die Wirksamkeit der Chemotherapie
bei Adenokarzinomen des Ösophagus, des Übergangs und Magens nicht unterschiedlich
ist [334 ]. Die Experten räumen ein, dass sich der Empfehlungsgrad verstärken kann, wenn die
Studie zum AEG [328 ] voll publiziert ist und die bisherigen Abstract-Ergebnisse bestätigt werden. Die
mittelstarke Empfehlung für die präoperative Chemotherapie wird auch deshalb ausgesprochen,
weil – wie beim Magenkarzinom ausgeführt – die neoadjuvante Chemotherapie nicht die
perioperative Morbidität und Letalität erhöht. Die Experten kommen auch deshalb zu
einer weniger starken Empfehlung für die präoperative Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenen
Tumoren, da dieses Therapiekonzept beim Magenkarzinom zwar zu einem statistisch signifikanten
Überlebensvorteil geführt hat, allerdings die chirurgischen und pathologischen Qualitätskriterien
im MAGIC-Trial [327 ] nicht klar definiert waren und in der französischen Studie [328 ] eine Inhomogenität des Patientenkollektivs mit Einschluss von Ösophaguskarzinomen
vorlag. Im rein chirurgischen Arm gab es möglicherweise einen relevanten Unterschied
zu den (besseren) Ergebnissen deutscher Schwerpunktkliniken [239 ]. Daher ist nicht klar, inwieweit das Ergebnis nach optimalem chirurgischem Standard
durch neoadjuvante Therapie weiter verbessert werden kann. Die Hinweise für die Praxis
sind in der Empfehlung beim Magenkarzinom dargestellt.
Neoadjuvante Radiochemotherapie
Evidenz
Zur neoadjuvanten Radiochemotherapie (RCT) versus alleinige Resektion wurden bisher
4 randomisierte Studien beim lokalisierten Ösophaguskarzinom voll publiziert, die
überwiegend Patienten mit Adenokarzinomen einschlossen, auch solche des AEG ([340
– 343, LOE 1b, LOE 1b-, LOE 2b1 ). Zwei dieser Studien ([340 ], LOE 2b[1 ], [343 ], LOE 1b-) zeigten einen statistisch signifikanten Vorteil für die neoadjuvante RCT
gegenüber einer alleinigen OP im Hinblick auf eine Verbesserung der Mortalität. Zwei
Studien zeigen keinen statistisch signifikanten Vorteil für die RCT [341 ]
[342 ], davon weist eine Studie einen nicht signifikanten Trend zugunsten der neoadjuvanten
RCT auf. Eine dieser Studien fällt für Adenokarzinome negativ aus und zeigt im progressionsfreien
Überleben einen Vorteil nur für Plattenepithelkarzinome. Mehrere Metaanalysen [344 ]
[345 ]
[346 ]
[347 ]
[348 ], zuletzt die von Gebski et al. [324 ], bestätigten die Ergebnisse der o. g. Studien für Adenokarzinome. Die Metaanalyse
von Gebski erbrachte sowohl für die neoadjuvante Chemotherapie (Einschluss von 8 Studien,
davon 2 mit Adenokarzinomen: Überlebensvorteil nach 2 Jahren 7 %) als auch für die
neoadjuvante Radiochemotherapie (Einschluss von 10 Studien, davon die 3 o. g. Studien
mit Adenokarzinomen: Überlebensvorteil nach 2 Jahren 13 %) einen statistisch signifikanten
Benefit in Bezug auf die Gesamtmortalität (Hazard Ratio für die Chemotherapie 0,78
[95 %-KI, 0,64 – 0,95], d. h. 22 % absolute Risikoreduktion; Hazard Ratio für die
Radiochemotherapie 0,75 [95 %-KI, 0,59 – 0,95], d. h. 25 % absolute Risikoreduktion).
Eine Metaanalyse der Subgruppen mit Adenokarzinomen zeigte einen Benefit für diese
Gruppe. Die Ergebnisse, soweit sie sich auf Adenokarzinome beziehen, geben keine Spezifizierung
zur Lokalisation. Der Benefit war für die Adenokarzinome gleich groß wie der Benefit
durch eine neoadjuvante Chemotherapie. Zu bedenken ist, dass es sich dabei um einen
indirekten Vergleich von Post-hoc-Subgruppenanalysen handelt. Der Stellenwert der
alleinigen präoperativen Strahlentherapie bei Adenokarzinomen des ösophagogastralen
Übergangs und überwiegend lokal fortgeschrittenen Tumoren wurde in einer randomisierten
Studie mit 370 Patienten im Vergleich zur alleinigen Operation untersucht ([326 ], LOE 1b). In der „Intent-to-treat”-Analyse wurde ein Überlebensvorteil von 10 %
nach 5 Jahren und 7 % nach 10 Jahren beobachtet (p = 0,009). Das Ergebnis im Kontrollarm
mit alleiniger Chirurgie entspricht etwa den Ergebnissen aus Studien im europäischen
Raum. Die perioperative Mortalität wurde durch die präoperative Strahlentherapie in
dieser Studie nicht erhöht. Zur o. g. Fragestellung liegt darüber hinaus eine randomisierte
Studie bei lokal fortgeschrittenen (uT3 – 4 N alle M 0) Adenokarzinomen des AEG vor,
die eine präoperative Radiochemotherapie versus präoperativer Chemotherapie geprüft
hat [354 ]. Die erforderliche Patientenzahl für eine valide Studie konnte nicht rekrutiert
werden. Es zeigte sich ein nicht signifikanter Trend zu einem höheren Gesamtüberleben
nach Radiochemotherapie (p = 0,07; Überlebensrate nach 3 Jahren 47,4 vs. 27,7 %).
Die postoperative Letalität war in dieser Studie höher (10,2 % [5 / 49] vs. 3,8 %
[2 / 52] p = 0,21], es zeigte sich jedoch kein signifikanter Unterschied in der therapiebedingten
Letalität zwischen beiden Armen. Die zusätzliche Radiotherapie führte zu einem signifikant
besseren histologischen Ansprechen (Rate an pT0N0 und pT1 – 3N0). In der Tat wiesen
in dieser Studie Patienten mit einem histologischen Ansprechen (pT0N0 vs. R 0-Resektion
mit Tumorrest im Resektat oder pT alle N 0 vs. pT alle N+) eine signifikant bessere
Langzeitprognose auf.
Empfehlungsgrad A: Soll (50 % der 66 Experten)
Die genannte Metaanalyse von Gebski [324 ] macht deutlich, dass die Patienten von der neoadjuvanten RCT umso mehr profitieren,
je schlechter die Prognose mit alleiniger OP, also je fortgeschrittener das Tumorstadium
ist (LOE 1a-). Die Experten sehen eine Gleichwertigkeit der präoperativen Chemotherapie
und Radiochemotherapie für lokal fortgeschrittene Tumoren. Sie leiten dies aus der
Metaanalyse von Gebski et al. ab. Danach profitieren Patienten in gleichem Ausmaß
von einer präoperativen Radiochemotherapie (HR 0,75 [0,59 – 0,95; p = 0,02]) wie von
einer präoperativen Chemotherapie (HR 0,78 [0,64 – 0,95; p = 0,014, [324 ]). Analysiert man die postoperative Letalität der 10 Studien zur präoperativen Radiochemotherapie
genauer, so zeigt sich eine erhöhte Letalität nach Radiochemotherapie + Resektion
lediglich für Patienten mit Plattenepithelkarzinomen (8,6 vs. 4,3 %; bedingt durch
die Studien von Nygaard 1992 und Bosset 1997 und nicht für solche mit Adenokarzinomen
(3,9 vs. 4,1 %). Studien mit vorwiegend Adenokarzinomen hatten keine erhöhte [342 ] oder sogar etwas geringere Letalität [341 ]
[343 ]. Entsprechend führt nach der Metaanalyse von Fiorica 2003 [344 ] die Radiochemotherapie in Studien mit Adenokarzinomen lediglich in der Studie von
Walsh 1996 [340 ] zu einer erhöhten postoperativen Letalität (Hazard Ratio 2,88 [95 %-KI, 0,53 – 15,56]).
Es ist nahe liegend, dass diese erhöhte Toxizität auf die veraltete Form der Strahlentherapie
(2,76 Gy je Fraktion mit entsprechend hoher Akuttoxizität) zurückzuführen ist. Die
gleichwertige Empfehlung von Chemotherapie und Radiochemotherapie in der präoperativen
Phase ist daher auch unter dem Gesichtspunkt der Toxizitäten vertretbar. Gerade die
irische Studie [340 ] wird oft kritisiert, weil das Ergebnis im Arm der alleinigen OP inadäquat sei (Überlebensrate
nach 3 Jahren 6 %). Es muss aber berücksichtigt werden, dass diese Studie eine pragmatische
Versorgungsstudie aus den 90er-Jahren auf dem Boden limitierter Staging-Möglichkeiten
darstellt. Es ist daher davon auszugehen, dass in beiden Therapiearmen eine hohe Zahl
an Patienten mit nicht erkannter metastasierter Erkrankung behandelt wurde, was den
steilen Abfall der Überlebenskurven in der Intent-to-treat-Analyse erklärt. Ein Vergleich
mit aktuellen Daten aus Einzelzentren ist daher nicht sinnvoll. Weiterhin wird kritisiert,
dass in dieser und in anderen älteren Studien kein chirurgischer Standard definiert
war und daher keine Qualitätskontrolle stattfand. Dazu muss berücksichtigt werden,
dass es zum Zeitpunkt der Studien keinen chirurgischen Standard gab und dass es gerade
für Adenokarzinome vom Typ Siewert II auch heute keinen international akzeptierten
Standard im chirurgischen Vorgehen gibt.
Empfehlungsgrad B: Sollte (50 % der 66 Experten)
Für eine abgeschwächte Empfehlung spricht nach Ansicht der Experten, dass das Fehlen
von chirurgischen und histopathologischen Qualitätskriterien (standardisierte OP-Technik
und histopathologische Aufarbeitung) problematisch ist und ggfs. zu einer Überschätzung
der Effekte führt. Methodisch können außerdem die Ergebnisse der Einzelstudien und
der Metaanalysen nicht ohne Weiteres auf das Adenokarzinom des ösophagogastralen Übergangs
allein übertragen werden, weil die Studien und Metaanalysen vorwiegend Misch-Kollektive
von Ösophagus- und Kardiakarzinomen behandelten und teils nicht die AEG-Klassifikationen
oder unterschiedliche Operationstechniken (transhiatal oder transthorakal) angegeben
haben. Die überwiegende Mehrzahl der Studien hatte überwiegend Ösophaguskarzinome
und nicht Tumoren des ösophagogastralen Übergangs als Studienkollektive [336 ]. Daher ist die Empfehlung zu einer neoadjuvanten Radio-Chemotherapie der AEG-II-III-Karzinome
sehr zurückhaltend zu stellen. Subgruppenanalysen sind hinsichtlich ihrer Aussagekraft
als nicht so sicher einzuschätzen, dass daraus ein für alle geltender Standard abzuleiten
wäre, zumal nur zwei der Einzelstudien einen statistisch signifikanten Effekt zeigen.
Weiterhin geben die Experten die möglicherweise erhöhte Toxizitäte der RCT zu bedenken,
insbesondere die etwas erhöhte postoperative Letalität in einer Studie mit Adenokarzinomen
[340 ] und in 2 Studien und 1 Metaanalyse, allerdings vorwiegend mit Plattenepithelkarzinomen
[344 ]
[349 ]
[350 ]. In einer französischen Übersichtsarbeit empfehlen Crehange et al. [352 ] die präoperative Chemotherapie unter Einbeziehung der randomisierten Studien von
Stahl, Cunningham und Boige [327 ]
[328 ]
[354 ] und der Metaanalyse von Gebski [324 ] für AEG II und III. Eine präoperative Radiochemotherapie wird dort nicht empfohlen.
Als Begründung wird eine Unsicherheit in Bezug auf die höhere Rate an Nebenwirkungen
gegeben.
Hinweise für die Praxis
Die Chemotherapie während der kombinierten Radiochemotherapie ist Cisplatin-basiert.
Kombinationspartner sind 5-FU, Taxane oder Topoisomeraseinhibitoren. Bei der Bestrahlungsplanung
ist ein besonderes Augenmerk auf eine geringe Lungenbelastung zu legen, weil dadurch
wahrscheinlich das postoperative Risiko reduziert werden kann [351 ]. Patienten mit erhöhtem pulmonalem oder kardialem OP-Risiko erfordern die Behandlung
in einem erfahrenen Team (Zentrum), um die postoperative Letalität niedrig zu halten.
Patienten sollte die Teilnahme an Studien empfohlen werden.
3.9.2. Präoperative Radiochemotherapie
68. Konsensbasierte Empfehlung
Eine präoperative Radiochemotherapie soll beim Magenkarzinom nicht durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die vorliegenden Fallserien erlauben aufgrund der unterschiedlich applizierten Radiochemotherapie-Schemata,
der mangelnden Kontrollgruppen und der kleinen Fallzahlen keine validen Aussagen bez.
des Einsatzes der präoperativen Radiochemotherapie. Insbesondere im Hinblick auf die
beschriebenen Nebenwirkungen und Progressionsraten ist eine präoperative Radiochemotherapie
nicht indiziert [355 ]
[356 ].
3.9.3. Präoperative Antikörper-Therapie
69. Konsensbasierte Empfehlung
Antikörper und „small molecules” sollen in der präoperativen Therapie nicht eingesetzt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In der palliativen Behandlung fortgeschrittener Magenkarzinome wurden vorläufige Daten
publiziert, die einen Überlebensvorteil für Patienten mit HER-2-positiven Tumoren
nachweisen, wenn sie zur Chemotherapie aus Cisplatin und einem Fluoropyrimid den Antikörper
Trastuzumab erhielten [357 ]. Es ist aber unklar, ob dieser Antikörper auch die Ergebnisse einer präoperativen
Therapie bei lokalisierten, HER-2-positiven Karzinomen verbessert. Der Einsatz zielgerichteter
Substanzen ist daher außerhalb klinischer Studien nicht indiziert. Die Ergebnisse
laufender randomisierter Studien müssen abgewartet werden.
3.9.4. Restaging nach neoadjuvanter Therapie
70. Konsensbasiertes Statement
Die Genauigkeit des Restaging von lokal fortgeschrittenen Magenkarzinomen und AEG
nach neoadjuvanter Therapie ist in Bezug auf den Primärtumor sowohl mit der Endosonografie
als auch mit der Computertomografie gering.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Schwacher Konsens
71. Konsensbasierte Empfehlung
Ein routinemäßiges Restaging des Lokalbefunds ist nicht erforderlich. Ein erneuter
Ausschluss von Fernmetastasen soll erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Schwacher Konsens
Hintergrund
Zwei Studien für das Restaging nach neoadjuvanter Therapie bei Ösophagus-, Magen-
und Rektumkarzinomen [358 ]
[359 ] zeigen übereinstimmend eine Ungenauigkeit des endosonografischen und des computertomografischen
Stagings nach erfolgter neoadjuvanter Therapie. Allerdings erwiesen sich ein endosonografisch
nachweisbares Downstaging der T- und N-Kategorie [358 ] sowie eine Verminderung der Tumordicke von mehr als 50 % [359 ] als Indikatoren für eine Verbesserung der Prognose durch neoadjuvante Therapie.
Die endosonografisch nach neoadjuvanter Radiochemotherapie bestimmte TN-Kategorie
erwies sich bei Adenokarzinomen des Magens und des ösophagogastralen Übergangs (n
= 74) als ein besserer Prädiktor für die Prognose des Patienten nach in kurativer
Intention durchgeführter Operation als die vor Einleitung der neoadjuvanten Theapie
erhobene endosonografische TN-Kategorie [358 ]
[359 ]
[360 ]. Unabhängig von der Reevaluation des Primärtumors sollen unmittelbar präoperativ
Fernmetastasen mittels Schnittbildgebung erneut ausgeschlossen werden, um eine unnötige
Operation zu vermeiden. Patienten mit Fernmetastasen sind keine Kandidaten für eine
kurative Behandlung [316 ].
72. Konsensbasierte Empfehlung
Falls im Verlauf der neoadjuvanten Therapie klinische Hinweise auf eine Tumorprogression
bestehen (Verschlechterung tumorbedingter Symptome oder des Allgemeinzustands), soll
eine symptomadaptierte Diagnostik erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
73. Konsensbasierte Empfehlung
Bei Nachweis eines allgemeinen Tumorprogresses soll die Entscheidung über die weitere
Therapie interdisziplinär erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
74. Konsensbasierte Empfehlung
Im Falle eines lokalen Tumorprogresses unter neoadjuvanter Therapie sollte eine frühzeitige
Operation durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Falls im Verlauf der neoadjuvanten Therapie klinische Hinweise auf einen Tumorprogress
bestehen (Verschlechterung tumorbedingter Symptome oder des Allgemeinzustands), erscheint
es sinnvoll, eine symptomorientierte Diagnostik durchzuführen. Im Falle eines lokalen
Tumorprogresses unter neoadjuvanter Therapie sollte eine frühzeitige Operation durchgeführt
werden, da Patienten mit einer lokalen Tumorprogression unter Therapie wahrscheinlich
nicht von einem Fortsetzen dieser Therapie profitieren [361 ]. Zudem gibt es keine Daten, die eine Therapieumstellung oder Therapieintensivierung
rechtfertigen würden. Die präoperative Therapie sollte jedoch nicht abgebrochen werden,
wenn keine Tumorprogression vorliegt. In den Phase-III-Studien zur neoadjuvanten Therapie
erfolgte bei fehlendem Hinweis auf Tumorprogress die neoadjuvante Therapie planmäßig
und führte in dieser Form für die gesamte Patientengruppe zu einer Verbesserung des
Überlebens [327 ]
[354 ].
75. Konsensbasiertes Statement
Bislang können noch keine Empfehlungen zum Einsatz von prädiktiven Biomarkern für
die Lenkung der neoadjuvanten Therapie des Magenkarzinoms ausgesprochen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
76. Konsenbasiertes Statement
Der Stellenwert der histologischen Bestimmung des Tumorregressionsgrads nach neoadjuvanter
Chemotherapie ist zur Beurteilung der Prognose nicht gesichert.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Prognostisch relevante Faktoren des Adenokarzinoms des Magens sind die Tumorlokalisation,
die lokale Tiefeninfiltration und der Lymphknotenbefall. Zur Beurteilung des Nodalstatus
gehören die Präparation aller Lymphknoten und die Bestimmung der Anzahl befallener
Lymphknoten im Verhältnis zur Anzahl der untersuchten Lymphknoten. Die Resektionslinien
des Resektats sollten untersucht und beschrieben werden (R0, R 1, R 2). Weiterhin
sind prognostisch relevant das Vorhandensein von Fernmetastasen, die Gefäßinvasion
und die Tumorzelldissoziation an der Invasionsfront. Die Gefäßinvasion ist ein unabhängiger
Prognosefaktor der Kardiakarzinome und der distalen Magenkarzinome. Nur bei Patienten
mit HER-2-überexprimierenden nicht operablen und metastasierten Magenkarzinomen belegte
eine randomisierte klinische Studie die Wirksamkeit einer Therapie mit Trastuzumab
[357 ]. Der diagnostische Algorithmus für die Definition einer HER-2-Überexpression mittels
Immunhistochemie und HER-2-Genamplifikation wird derzeit validiert und kann nicht
präoperativ oder unter neoadjuvanter Therapie eingesetzt werden, da hierzu noch keine
validen Studien vorliegen [362 ]. Andere gewebebasierte Marker sind bislang ebenso nicht als prädiktive Marker etabliert
oder erlangten in der Praxis klinische Relevanz für Therapieentscheidungen [241 ]
[357 ]
[363 ]
[364 ]
[365 ].
Bislang liegen nur 2 Studien vor, die den Stellenwert der histologischen Bestimmung
des Tumorregressionsgrads nach neoadjuvanter Chemotherapie beim Magenkarzinom untersucht
haben. Insgesamt wurden 66 Patienten untersucht. Die Ergebnisse der Korrelation zwischen
histologisch bestimmter Tumorregression und Patientenüberleben waren nur in der Studie
von Becker et al. signifkant [363 ]
[364 ]. Bei lokal fortgeschrittenen Adenokarzinomen des ösophagogastralen Übergangs konnte
in der Deutschen Phase-III-Studie (POET-Studie) an 100 operierten Patienten gezeigt
werden, dass das histologische Ansprechen nach Chemo- oder Radiochemotherapie mit
der Prognose der Patienten korreliert (Subgruppenanalayse [354 ]
[366 ]).
3.9.5. Postoperative Therapie
77. Konsensbasierte Empfehlung
Nach präoperativer Chemotherapie und anschließender Operation sollte die Chemotherapie
postoperativ fortgesetzt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In den vorliegenden Phase-III-Studien wurde der Vorteil der perioperativen Therapie
gegenüber einer alleinigen Operation belegt. Da in den Studien lediglich etwa 50 %
der Patienten eine postoperative Chemotherapie erhalten konnten, ist allerdings derzeit
unklar, welche Rolle die postoperative Therapie in der Verbesserung der Prognose spielt
bzw. welche Patienten von der postoperativen Therapie profitieren [327 ].
78. Konsensbasierte Empfehlung
Vor Einleitung einer postoperativen Chemotherapie sollte mit einfachen Mitteln (Röntgen-Thorax,
Sonografie Abdomen) eine Metastasierung ausgeschlossen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Im Falle des Nachweises einer Metastasierung ist es nicht sinnvoll, das in kurativer
Intention präoperativ begonnene Chemotherapiekonzept fortzusetzen (GCP). In der veröffentlichten
Phase-III-Studie zur perioperativen Chemotherapie wurde die Chemotherapie bei Metastasennachweis
beendet [327 ]. Auch vor Beginn einer adjuvanten Radiochemotherapie ist das Fortbestehen der kurativen
Therapieintention zu überprüfen und Fernmetastasen sind auszuschließen (GCP). Die
positiven Ergebnisse der Phase-III-Studie zur adjuvanten Radiochemotherapie gelten
nur für Patienten ohne Fernmetastasen [367 ]. Im Falle von Fernmetastasen ist ein Radiochemotherapiekonzept nicht mehr sinnvoll.
79. Statement
Für Patienten mit R 0-Resektion und adäquater D 2-Lymphadenektomie ist die postoperative
Radiochemotherapie kein Standard.
Level of Evidence: 2
de Novo: [367 ]
[368 ]
[369 ]
[370 ]
[371 ]
[372 ]
[373 ]
[374 ]
[375 ]
[376 ]
[377 ]
[378 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
80. Empfehlung
Bei einer Lymphadenektomie < D2 oder in begründeten Risikosituationen kann eine adjuvante
Radiochemotherapie bei nicht neoadjuvant behandelten Patienten nach interdisziplinärer
Entscheidung im Tumorboard durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: 0
Level of Evidence: 2
de Novo: [367 ]
[368 ]
[369 ]
[370 ]
[371 ]
[372 ]
[373 ]
[374 ]
[375 ]
[376 ]
[377 ]
[378 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In einer Metaanalyse von insgesamt 9 Studien mit zusammen 2025 Patienten [368 ] konnte insgesamt ein signifikanter Überlebensvorteil für den Einsatz einer peri-
oder intraoperativen Radiotherapie nachgewiesen werden. In 4 dieser 9 Studien wurde
der Stellenwert der postoperativen Radiotherapie untersucht, wobei in 2 Studien eine
parallele Chemotherapie mit 5-FU eingesetzt wurde. Die beiden älteren Studien, die
die alleinige Strahlentherapie nach kurativ intendierter Resektion [369 ]
[370 ] getestet haben, zeigten keinen Vorteil im Gesamtüberleben, allerdings eine Reduktion
der lokoregionären Rückfallrate. Bei Allum [369 ] lag bei der Hälfte der Patienten eine R 1-Resektion vor. Die Qualität des chirurgischen
Eingriffs ist in beiden Studien unklar. Erste Hinweise, dass eine postoperative simultane
Radiochemotherapie die Prognose verbessert, gingen aus der kleinen Studie von Moertel
[371 ] hervor. Obwohl nur 66 Patienten randomisiert wurden, zeigte sich ein statistisch
signifikanter Überlebensvorteil zugunsten der Radiochemotherapie (nach 5 Jahren: 4
vs. 23 %). Angaben über das Ausmaß der durchgeführten Lymphknotenresektion fehlen
in dieser Studie. Basierend auf den Erfahrungen von Moertel [371 ] testete die South-West Oncology Group (SWOG) in einer wesentlich größeren Studie
(n = 556) den Stellenwert einer adjuvanten Radiochemotherapie bestehend aus 4 Zyklen
5FU + Leukovorin in Kombination mit 45 Gy (5 × 1,8 Gy pro Woche) Strahlentherapie
appliziert zum 2. + 3. Zyklus der Chemotherapie [367 ]. Eingeschlossen waren alle Tumorstadien außer Frühkarzinome (T1 N 0), wobei es sich
mehrheitlich um Hochrisikopatienten (70 % T3 – T4, 85 % N + ) und in etwa 80 % um
Karzinome des Magenantrums und -corpus handelte. Zielvolumen war das Tumorbett sowie
die regionären Lymphknoten (etwa entsprechend dem Kompartiment II) inklusive 2 cm
Abstand zu den proximalen und distalen Anastomosen. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit
von 5 Jahren ergab sich ein signifikanter Vorteil für die adjuvante Radiochemotherapie
mit einer signifikanten Verlängerung des medianen Überlebens um 9 Monate (27 vs. 36
Monate) sowie einem Vorteil bez. des rezidivfreien Überlebens und der lokalen Tumorkontrolle.
Die Fernmetastasierungsrate wurde nicht beeinflusst. Die Toxizität des Regimes war
insgesamt tolerabel, jedoch konnten nur 64 % aller Patienten die intendierte Therapie
vollständig erhalten. Bei etwa der Hälfte der Patienten trat eine hämatologische Toxizität
> CTC Grad 2 (meist Leukopenie), in einem Drittel eine gastrointestinale Toxizität
> Grad 2 auf. In 17 % bedingte dies einen Therapieabbruch, 3 Patienten verstarben.
Obwohl in der Studie eine D 2-Lymphknotendissektion empfohlen wurde, erfolgte laut
Angabe der Chirurgen nur bei 10 % tatsächlich eine D 2-Dissektion. Bei 36 % wurde
eine D 1-Dissektion und bei 54 % der Patienten eine Lymphknotendissektion < D1 angegeben.
In einer explorativen Subgruppenanalyse [372 ] konnte gezeigt werden, dass der Überlebensvorteil bei D 1- und < D1-resezierten
Patienten gleich groß ist. Die Gruppe der D 2-resezierten Patienten war mit nur 54
Patienten zu klein, um eine Aussage treffen zu können. Damit bleibt die Frage ungeklärt,
ob eine adjuvante Radiochemotherapie nach D 2-Dissektion einen Überlebensvorteil bewirkt.
Kim et al. [373 ] gingen dieser Frage in einer nicht randomisierten prospektiven Beobachtungsstudie
nach. 990 Patienten in den Stadien II–IV wurde nach kurativer D 2-Dissektion über
die Datenlage aufgeklärt und durften selber entscheiden, ob sie keine adjuvante Therapie
erhalten wollten oder eine adjuvante Radiochemotherapie nach dem MacDonald-Schema.
544 Patienten entschieden sich für eine adjuvante Radiochemotherapie. Im Vergleich
zu den 446 nicht adjuvant behandelten Patienten verlängerte die adjuvante Radiochemotherapie
das mediane Überleben von 63 Monaten auf 95 Monate (p < 0,02). Die Toxizität und Durchführbarkeit
der adjuvanten Radiochemotherapie war besser als in der MacDonald-Studie. In beiden
Studien ([367 ] und [373 ]) wurden aus heutiger Sicht veraltete Bestrahlungstechniken eingesetzt. Aus neueren
Studien [374 ] gibt es Hinweise, dass die Toxizität und Durchführbarkeit einer adjuvanten Radiochemotherapie
durch den Einsatz moderner Bestrahlungstechniken verbessert wird, selbst wenn intensivierte
Chemotherapieschemata zum Einsatz kommen.
Zusammenfassend sprechen die Daten dafür, dass durch eine adjuvante Radiochemotherapie
nach D 1- oder < D1-Lymphknotendissektion ein Überlebensvorteil erreicht wird. Bei
limitierter Lymphknotendissektion und nicht erfolgter präoperativer Chemotherapie
sollte daher eine adjuvante Radiochemotherapie analog zum MacDonald-Protokoll (s.
u.) empfohlen werden. Ob eine adjuvante Radiochemotherapie auch nach D 2-Lymphknotendissektion
das Überleben verbessert, bleibt ungeklärt, wobei allerdings eine große Beobachtungsstudie
auch für dieses Kollektiv einen Vorteil nahe liegt. Nach D 2-Dissektion und nicht
erfolgter präoperativer Chemotherapie kann daher die Indikation zur adjuvanten Radiochemotherapie
interdisziplinär gestellt werden. Dabei wurde diskutiert, dass insbesondere Patienten
mit hohem Rückfallrisiko (> 6 befallene Lymphknoten) hiervon profitieren. Prospektive
Daten, die diese Experteneinschätzung unterstützen, sind allerdings nicht verfügbar.
Wenn die Indikation zur adjuvanten Radiochemotherapie gestellt wird, sollten moderne
Bestrahlungstechniken (3D oder IMRT) unter Berücksichtigung des EORTC-ROG-Zielvolumenkonzepts
[375 ] mit 45 Gy (5 × 1,8 Gy pro Woche) zum Einsatz kommen. Als Chemotherapie wird anstelle
der Bolus-Injektion von 5-FU heute das infusionale 5-FU-Schema von den meisten Experten
als vorteilhaft angesehen [374 ]
[376 ]
[377 ]. Während der Strahlentherapie können 225 mg/m2 / 24h-Dauerinfusion empfohlen werden. Vor und nach Radiotherapie können jeweils 2
Zyklen 5-FU 2000 mg/m2 / 24 h/CI + Leucovorin 500 mg/m2 über 2 h an den Tagen 1, 8, und 15, Wiederholung Tag 29 empfohlen werden. Diese Therapie
lässt sich auch mit Cisplatin (und ggf. Paclitaxel) oder Irinotecan kombinieren [374 ]. Wenn Cisplatin vor oder nach der Strahlentherapie appliziert wird, sollten besondere
Dosisrestriktionen bez. der Nieren bei der Bestrahlungsplanung eingehalten werden
[378 ].
3.9.6. Adjuvante Therapiekonzepte
81. Empfehlung
Nach primärer R 0-Resektion (ohne präoperative Chemotherapie) eines lokal fortgeschrittenen
Magenkarzinoms sollte keine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a
de Novo: [327 ]
[379 ]
[380 ]
[381 ]
[382 ]
[383 ]
[384 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Diese relative Negativempfehlung entstand aus dem Wunsch des Plenums auf eine positive
Präferenz der perioperativen bzw. neoadjuvanten Therapie als primäre Behandlungsstrategie
für Patienten mit primär lokal fortgeschrittenen Tumorstadien. Die Empfehlung bezieht
sich damit vor allem auf die präoperative Entscheidungsfindung in Tumorkonferenzen.
Die perioperativen und neoadjuvanten Therapiekonzepte „sollen/sollten” bevorzugt eingesetzt
werden, da sie besser wirksam, besser verträglich und auch in einem höheren Prozentsatz
bei den Patienten zu applizieren sind. Eine alleinige adjuvante Therapie wird damit
nicht als primäres Therapiekonzept von der Leitgruppenkommission für die Tumorkonferenz
empfohlen, da 1. eine alleinige adjuvante Therapie aufgrund des postoperativen Allgemeinzustands
bei viel weniger Patienten durchführbar ist [327 ]
[379 ] und 2. der Nutzen eines perioperativen Therapiekonzepts durch positive Einzelstudien
besser belegt ist und 3. die Überlebensverbesserung durch ein perioperatives Therapiekonzept
größer zu sein scheint als durch eine alleinige adjuvante Therapie (13 vs. 5,8 %).
Trotz der hohen Evidenz durch Metaanalysen und positive asiatische Phase-III-Studien
spricht das Plenum daher keine klare Empfehlung für die alleinige adjuvante Therapie
aus [379 ]
[380 ]
[381 ]
[382 ]
[383 ]
[384 ].
Sollte jedoch bei Patienten durch unzureichendes Staging oder Notoperation kein präoperatives
Therapieverfahren eingeleitet worden sein, kann bei Patienten mit primär lokal fortgeschrittenen
Tumorstadien (v. a. mit positivem LK-Status) die adjuvante Chemotherapie nach der
vorliegenden Evidenz erwogen und angeboten werden. So wurden über 20 randomisierte
Studien bei Patienten publiziert, die keine neoadjuvante Chemotherapie erhalten hatten.
Allerdings weisen nur wenige einen signifikanten Vorteil im Gesamtüberleben durch
die adjuvante Chemotherapie nach. Die wenigen positiven Studien betreffen v. a. asiatische
Patienten. Bereits in den 90er-Jahren belegten Metaanalysen einen kleinen, statistisch
signifikanten Vorteil für die adjuvante Chemotherapie [380 ]
[381 ]
[382 ]. Wie eine Metaanalyse von Janunger zeigt [382 ], ist dieser Vorteil jedoch ausschließlich auf Studien bei asiatischen Patienten
zurückzuführen. Die Hazard Ratio für das Gesamtüberleben lag in den „westlichen” Studien
bei 0,96 (95 %-KI, 0,83 – 1,12) und in den asiatischen Studien bei 0,58 (95 %-KI,
0,44 – 0,76). Auch in aktuellen randomisierten Studien sind die Ergebnisse in Europa
negativ, während in Asien Einzelstudien einen signifikanten Überlebensvorteil für
die adjuvante Chemotherapie ergaben. Im Jahr 2010 veröffentlichte die GASTRIC Group
eine Metaanalyse auf dem Boden individueller Patientendaten [384 ]. Insgesamt wurden 3838 Patienten aus 17 Studien einbezogen, deren Patientenaufnahme
vor 2004 abgeschlossen war. Diese Analyse umfasst somit 2 / 3 aller durchgeführten
Phase-III-Studien zu dieser Fragestellung mit einem medianen Follow-up von über 7
Jahren. Diese Analyse weist einen Vorteil für die adjuvante Chemotherapie auf. Die
Hazard Ratio für das Gesamtüberleben beträgt 0,82 (95 %-KI, 0,76 – 0,90, p < 0,001),
entsprechend einer absoluten Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit nach 5
Jahren von 5,8 %. In dieser Analyse zeigte sich auch bei europäischen Studien ein
Vorteil durch die adjuvante Therapie.
Adjuvante Studien sind in [Abb. 3 ] mit individuellen Patientendaten nach Kontinent und Hazard Ratio für das Gesamtüberleben
dargestellt ([384 ]).
Abb. 3 CT: Chemotherapie. O und E entsprechen der Anzahl der beobachteten (O) und der erwarteten
(E) Ereignisse bei der Hypothese eines fehlenden Behandlungseffekts an allen Zeitpunkten.
VAR ist die Varianz der Statistiken, die auch das Gewicht jeder Studie bewertet. Die
Hazard Ratio (HR) und ihre assoziierten 95 %-Konfidenzintervalle (CI) sind dargestellt.
p-Werte sind Werte für effektmodifiziertes Testen für Heterogenität innerhalb und
über die Regime. Die Größe der Datenmarker ist proportional zu der Anzahlgröße der
jeweiligen Studienpopulation [384 ].
Sondervotum der DGHO
Eine adjuvante Chemotherapie kann für Patienten mit lokal fortgeschrittenem Magenkarzinom
(v. a. mit positivem LK-Befall) erwogen und angeboten werden, bei denen durch unzureichendes
Staging kein präoperatives Verfahren eingeleitet worden ist.
82. Empfehlung
Bei primär komplett reseziertem Adenokarzinom des ösophagogastralen Übergangs (keine
präoperative Chemotherapie) sollte keine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1
Leitlinienadaptation: [30 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die beim Magenkarzinom genannten Metaanalysen ebenso wie die jüngeren Phase-III-Studien
unterscheiden nicht zwischen dem eigentlichen Magenkarzinom und dem Adenokarzinom
des ösophagogastralen Übergangs. In 4 der 8 jüngeren Phase-III-Studien sind auch Patienten
mit Übergangskarzinomen eingeschlossen. Die Ergebnisse wurden jedoch nicht separat
berichtet.
Sondervotum der DGHO
Ein adjuvante Chemotherapie kann für Patienten mit lokal fortgeschrittenem Adenokarzinom
des ösophagogastralen Übergangs (v.a. mit positivem LK-Befall) erwogen und angeboten
werden, bei denen durch unzureichendes Staging kein präoperatives Verfahren eingeleitet
worden ist.
83. Empfehlung
Außerhalb klinischer Studien soll eine adjuvante Immuno-Chemotherapie nicht durchgeführt
werden.
Empfehlungsgrad: A
Level of Evidence: 1a
de Novo: [354 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
84. Konsensbasierte Empfehlung
Eine adjuvante Therapie mit zielgerichteten Substanzen alleine oder in Kombination
mit Chemotherapie soll außerhalb von Studien nicht durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Es existieren 9 randomisierte Studien, die eine adjuvante Chemotherapie versus eine
adjuvante Immuno-Chemotherapie untersucht haben. Alle wurden mit asiatischen Patientenkollektiven
durchgeführt. Es wurden ausschließlich passiv-unspezifische Immuntherapieverfahren
angewendet, in 8 Studien Polysaccharid K (PSK), in 1 Studie poly A:U. Eine Metaanalyse
der PSK-Studien mit 8009 eingeschlossenen Patienten belegt einen Überlebensvorteil
für die adjuvante Immuno-Chemotherapie mit einer HR von 0,88 (95 %-KI, 0,79 – 0,98;
p = 0,018). Auch die Phase-III-Studie (n = 280) mit poly A:U zeigt einen statistisch
signifikanten Überlebensvorteil zugunsten der Immuno-Chemotherapie. Diese Ergebnisse
sind aber nicht auf die europäischen Populationen übertragbar. Da Metaanalysen für
die alleinige adjuvante Chemotherapie in Europa nicht signifikant waren und somit
keine eindeutige Indikation für eine adjuvante Chemotherapie besteht, kann auch für
die adjuvante Immuno-Chemotherapie keine klare Empfehlung außerhalb von Studien gegeben
werden [354 ]. Auch Daten prospektiver Studien für zielgerichtete Substanzen müssen zunächst abgewartet
werden.
85. Empfehlung
Eine intraperitoneale Chemo(immun)therapie soll außerhalb klinischer Studien nicht
durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: A
Level of Evidence: 1
Leitlinienadaptation: [316 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In einer Metaanalyse wurden aus 977 Veröffentlichungen 13 Studien mit 1648 Patienten
für die hypertherme (HIPEC) und normotherme intraoperative intraperitoneale Chemotherapie
sowie frühe postoperative intraperitoneale Chemotherapie in der adjuvanten Situation
untersucht. Für die HIPEC wurde ein signifikanter Überlebensvorteil mit einer HR von
0,60 (95 %-KI, 0,43 – 0,83, p = 0,002) unter Einbeziehung von 3 randomisierten Studien
mit insgesamt 318 Patienten gefunden [386 ]
[387 ]. Die Limitierung dieser Daten zugunsten der HIPEC ergibt sich aus der asiatischen
Studienpopulation, der limitierten Patientenzahl der einzelnen Studien sowie der eingeschlossenen
Tumorstadien und unterschiedlich verwendeten Behandlungsregimes. Ebenso ist die intraperitoneale
Chemotherapie mit einem erhöhten Risiko für Neutropenie und das Auftreten von abdominellen
Abszessen verbunden. Aufgrund der momentanen Studienlage gibt es Hinweise dafür, dass
die adjuvante hypertherme intraperitoneale Chemotherapie nach R 0-Resektion eines
fortgeschrittenen Magenkarzinoms die Rate der peritonealen Rezidive senkt. Die positiven
Ergebnisse stammen alle aus Asien und wurden in Europa und den USA bisher nicht reproduziert.
Bei synchroner und limitierter Peritonealmetastase zeigt sich für eine Subgruppe von
Patienten nach chirurgischer kompletter Zytoreduktion und hyperthermer intraperitonealer
Chemotherapie eine 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von bis zu 30 % [388 ]. Die intraperitoneale hypertherme Chemotherapie in Kombination mit einer Resektion
kann dennoch derzeit nicht als Standard angesehen werden und sollte zunächst weiter
evaluiert werden. Daher wird die Behandlung im Rahmen von Studien empfohlen. Eine
Metaanalyse von insgesamt 13 prospektiv randomisierten Studien (mit insgesamt 1700
eingeschlossenen Patienten) konnte zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, 5 Jahre postoperativ
zu überleben, um 1,3-mal höher nach erfolgter intraperitonealer Chemotherapie und
Gastrektomie im Vergleich zur alleinigen Gastrektomie ist [389 ]. Die Morbidität ist erhöht, insbesondere was die Rate der intraabdominellen Abszessbildung
und der Neutropenien betrifft. Die einzige Studie, die in Europa durchgeführt wurde,
konnte die Ergebnisse bzgl. der Prognose allerdings nicht bestätigen. Eine kürzlich
publizierte prospektiv randomisierte Studie aus Japan konnte zeigen, dass bei 88 Patienten
mit positiver intraperitonealer Zytologie die extensive peritoneale Lavage kombiniert
mit einer intraperitonealen Chemotherapie nach Gastrektomie die Prognose signifikant
verbessert (43,8 % 5-Jahres-ÜLR gegenüber 0 % in der Kontrollgruppe, [390 ]). Die Ergebnisse der bisherigen Phase-II-Studien zeigen, dass Patienten mit einer
limitierten Peritonealkarzinose (Peritoneal Cancer-Index < 10, max. Wert 39) von einer
chirurgisch kompletten Zytoreduktion profitieren können [391 ]
[392 ]. Die präoperative Laparoskopie mit Beurteilung des Dünndarms spielt eine wichtige
Rolle in der Auswahl geeigneter Patienten. Die mediane Überlebenszeit betrug max.
19 Monate, bei den meisten Studien lag diese jedoch um 1 Jahr, etwa wie nach alleiniger
systemischer Chemotherapie. Dennoch betrug die 5-Jahres-Überlebensrate 27 – 32 % [317 ]
[393 ]
[394 ]
[395 ]
[396 ]
[397 ]
[398 ]. Somit existiert offenbar eine Gruppe ausgewählter Patienten, die langfristig von
dieser Behandlung profitieren können. Besonders das Ansprechen auf die systemische
Chemotherapie und die synchrone Peritonealkarzinose (gegenüber der metachronen) erwiesen
sich als günstige Prognosefaktoren. Patienten mit Organmetastasen kommen für diese
Behandlungsform nicht infrage. In Europa stammen die meisten Ergebnisse aus Frankreich,
wo die Zytoreduktion mit intraperitonealer Chemotherapie die Standardbehandlung für
das peritoneal metastasierte Kolonkarzinom darstellt. Beim Magenkarzinom dagegen werden
noch weitere Studienergebnisse abgewartet [399 ]. Eine prospektiv randomisierte Studie wurde bisher nicht durchgeführt [389 ].
3.10. Tumorgerichtete palliative Therapie
3.10.1. Medikamentöse Tumortherapie
86. Empfehlung
Patienten in gutem Allgemeinzustand soll eine systemische Chemotherapie angeboten
werden. Therapieziel ist die Verbesserung des Überlebens und der Erhalt der Lebensqualität.
Ein erhöhtes Alter stellt keine Kontraindikation dar.
Empfehlungsgrad: A
Level of Evidence: 1b
de Novo: siehe Evidenzbericht [362 ]
[400 ]
[401 ]
[402 ]
[403 ]
[404 ]
[405 ]
[406 ]
[407 ]
[408 ]
[409 ]
[410 ]
[411 ]
[412 ]
[413 ]
[414 ]
[415 ]
[416 ]
[417 ]
[418 ]
[419 ]
[420 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Im Vergleich zu den supportiven Maßnahmen („best supportive care”, BSC) konnten für
die systemische Chemotherapie nicht nur eine statistisch signifikante Verbesserung
der Überlebenszeit (HR 0,39; 95 %-KI, 0,28 – 0,52, [400 ]
[401 ]
[402 ]
[403 ]), sondern auch ein längerer Erhalt der Lebensqualität [400 ], eine bessere Symptomkontrolle und eine Verbesserung des Allgemeinzustands [400 ]
[404 ]
[405 ] nachgewiesen werden. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass in diese Studien
ausschließlich Patienten mit Allgemeinzustand ECOG 0 – 2 eingeschlossen wurden. Bei
Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand (ECOG 3) ist der Nutzen einer
systemischen Chemotherapie nicht belegt [406 ]. Das mittlere Erkrankungsalter für das Magenkarzinom in Deutschland liegt gegenwärtig
bei 70 Jahren für Männer und bei 75 Jahren für Frauen [407 ]. Im Gegensatz dazu liegt das mediane Alter der in die meisten klinischen Studien
eingeschlossenen Patienten zwischen 55 und 65 Jahren. Nur solche älteren Patienten,
die einen ausreichenden Performance-Status und keine signifikanten Komorbiditäten
haben, wurden in die genannten Therapiestudien eingeschlossen. Weil mit zunehmendem
Alter auch die Häufigkeit altersassoziierter Veränderungen, wie in nachfolgender [Tab. 1 ] genannt, steigt, ist bei entsprechendem Verdacht eine systematische Erfassung von
Komorbiditäten sinnvoll ([Tab. 1 ]). Auf die Frage, ob die Altersverteilung der in die jeweilige Therapiestudie eingeschlossenen
Patienten für die Population von Patienten mit Magenkarzinom in Deutschland repräsentativ
ist, wird bei der Darstellung und Diskussion der einzelnen Therapieregime eingegangen
(siehe v. a. Kapitel Oxaliplatin- und Docetaxel-haltige Therapieregime). Aktuell liegen
nur wenige Phase-II-Studien vor, in die ausschließlich ältere Patienten eingeschlossen
wurden. Die Frage nach dem Vergleich der Kombinations- versus Monotherapie speziell
bei älteren Patienten wurde in aktuellen Studien nicht untersucht. Eine kürzlich publizierte,
randomisierte Phase-II-Studie [408 ], in der die Monotherapien mit S-1 und Capecitabine miteinander verglichen wurden,
konnte die Durchführbarkeit einer Monotherapie mit Capecitabine bei älteren Patienten
belegen. Die Ergebnisse entsprechen anderen Studien für die Monotherapie mit Fluoropyrimidinen
([362 ]
[409 ] AWMF Reg.-Nr. 032 / 009].
Tab. 1 Kategorien des geriatrischen Assessments und Instrumente zu ihrer Erfassung.
Kategorie
Instrumente zur Erfassung
Literatur
funktioneller Status
Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL)
[410 ]
[411 ]
Depression
Geriatric Dépression Scale (GDS)
[412 ]
Demenz
Uhr-Zeichen-Test Mini-Mental-Status-Examination (MMSE) Demenz-Detektionstest (Demtect)
[413 ]
[414 ]
[415 ]
Ernährung
Mini-Nutritional-Assessment (MNA)
[416 ]
Mobilität
Tinetti-Test Timed Up & Go-Test
[417 ]
[418 ]
soziale Situation
Sozialassessment Fragebogen zur sozialen Unterstützung (F-Sozu)
[419 ]
[420 ]
87. Empfehlung
Eine palliative medikamentöse Tumortherapie sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt
nach Diagnosestellung der lokal fortgeschritten inoperablen oder metastasierten Erkrankung
eingeleitet werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a
de Novo: [333 ]
[357 ]
[421 ]
[422 ]
[423 ]
[424 ]
[425 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
88. Empfehlung
Über die Dauer der palliativen medikamentösen Tumortherapie sollte in Abhängigkeit
vom Tumoransprechen, der therapieassoziierten Toxizität und der Patientenvorstellungen
entschieden werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a
de Novo: [333 ]
[357 ]
[421 ]
[422 ]
[423 ]
[424 ]
[425 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
In der überwiegenden Mehrzahl der Studien [357 ]
[421 ]
[422 ]
[423 ]
[424 ] wurde die Therapie bis zur Tumorprogression, inakzeptabler Toxizität oder Zurücknahme
des Einverständnisses durch den Patienten durchgeführt. In 2 Studien wurde die Dauer
für die Erstlinientherapie folgendermaßen festgelegt: 1. Cunningham [333 ]: Maximale Therapiedauer 8 Zyklen (entspricht 24 Wochen); bei Einsatz der anthrazyklinhaltigen
Regime (ECF, EOX, EOF, ECX) sollte daher – auch bei guter Verträglichkeit und Wirksamkeit
– die Dauer der Erstlinientherapie auf 24 Wochen begrenzt werden. 2. Für das HD-5-FU/LV-Regime
[425 ] wurde die Dauer der Erstlinientherapie auf 4 Zyklen von jeweils 7 Wochen begrenzt.
Dabei wurde im letzten Zyklus kein Cisplatin eingesetzt. Der Nutzen einer längeren
Therapiedauer ist für dieses Regime nicht belegt.
89. Konsensbasierte Empfehlung
Vor dem Einsatz einer palliativen medikamentösen Tumortherapie sollte der HER-2-Status
als positiver prädiktiver Faktor für eine Therapie mit Trastuzumab bestimmt werden.
Die histopathologische Bestimmung am Tumorgewebe soll qualitätsgesichert durchgeführt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Der prädiktive Wert der HER-2-Überexpression beruht im Wesentlichen auf der kürzlich
publizierten ToGA-Studie [357 ]. Die Ergebnisse dieser randomisierten Phase-III-Studie zeigten, dass die Addition
des HER-2-Antikörpers Trastuzumab zur Standardchemotherapie bei Patienten mit positivem
HER-2-Status eine signifikante und klinisch relevante Verbesserung der medianen Überlebenszeit
(s. unten) bewirkt. Im Vorfeld dieser Studie war der HER-2-Status bei 3807 Patienten
aus Europa, Lateinamerika und Asien bestimmt worden. Der Anteil der HER-2-positiven
Magenkarzinome – in der o. g. Studie definiert als eine HER-2-Genamplifikation, nachgewiesen
mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH +) oder immunhistochemisch 3-fach
positiver HER-2-Expression (IHC 3 +) – lag bei 22 %. In der Subgruppe der Patienten,
deren Tumore IHC3 + oder IHC2 + /FISH + waren, war der Einsatz des HER-2-Inhibitors
Trastuzumab besonders wirksam. Das mediane Überleben der mit Trastuzumab behandelten
Patienten in dieser Subgruppe lag bei 16 Monaten (versus 11,8 Monaten bei Therapie
ohne Trastuzumab). In den Subgruppen IHC0 /FISH + und IHC1 + /FISH + konnte hingegen
für die mit Trastuzumab behandelten Patienten kein Vorteil in Bezug auf die Überlebenszeit
beobachtet werden. Bei kritischer Analyse liefert die ToGA-Studie lediglich einen
indirekten Hinweis dafür, dass die HER-2-Überexpression prädiktiv für das Ansprechen
auf Trastuzumab beim Magenkarzinom ist, da HER-2-negative Patienten in die Studie
nicht eingeschlossen wurden. Aufgrund der starken Analogie dieser Daten zum Mammakarzinom,
wo die HER-2-Inhibition als therapeutische Strategie bei HER-2-überexprimierenden
Tumoren etabliert ist, wird die prädiktive Wertigkeit der HER-2-Überexpression beim
Magenkarzinom als überzeugend beurteilt. Allerdings wurde für die Indikationsstellung
zur Behandlung mit Trastuzumab aufgrund der Subgruppenanalyse anders als in der ToGA-Studie
die HER-2-Positivität als IHC3 + oder IHC2 + /FISH + (nicht FISH + IHC neg. oder IHC
1+) definiert [357 ].
Hinweis für die pathologische Aufarbeitung: Die Behandlung des metastasierten Magenkarzinoms mit Trastzumab ist gemäß Europäischer
Arzneimittelagentur an die Bestimmung des HER-2neu-Status gekoppelt [362 ]. Bei der Bestimmung des HER-2-Status muss die Zuverlässigkeit der eingesetzten Nachweisverfahren
sichergestellt sein. Dies beinhaltet die interne Testvalidierung, die Verwendung standardisierter
Protokolle und interner Kontrollen sowie die regelmäßige erfolgreiche Teilnahme an
externen Qualitätssicherungsmaßnahmen [426 ].
3.10.2. Vorgehen bei Tumoren ohne HER-2-Überexpression
90. Statement
Die Kombinationstherapie ist der Monotherapie mit 5-FU bzw. oralen Fluoropyrimidinen
in Bezug auf die Überlebenszeit signifikant überlegen.
Level of Evidence: 1a
De novo: siehe Evidenzbericht [332 ]
[335 ]
[421 ]
[424 ]
[425 ]
[426 ]
[427 ]
[428 ]
[429 ]
[430 ]
[431 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
91. Statement
Indiziert ist eine systemische Platin/Fluoropyrimidin-haltige Kombinationstherapie.
Bei der Indikationsstellung sind mögliche Kontraindikationen zu berücksichtigen.
Level of Evidence: 1a
De novo: siehe Evidenzbericht [332 ]
[335 ]
[421 ]
[424 ]
[425 ]
[426 ]
[427 ]
[428 ]
[429 ]
[430 ]
[431 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Obwohl die für die Definition des Stellenwerts Fluoropyrimidin/Cisplatin-haltiger
Therapien wesentlichen Studien [421 ]
[425 ] erst in den letzten beiden Jahren publiziert worden sind, wurden Fluoropyrimidin/Cisplatin-haltige
Kombinationen in den meisten aktuellen Phase-III-Studien als Referenzarm eingesetzt
[332 ]
[335 ]
[424 ]
[427 ].
Eine systematische Aufarbeitung der bis einschließlich März 2009 publizierten Literatur
in einer Metaanalyse [428 ]
[429 ] konnte einen statistisch signifikanten und konsistenten Überlebensvorteil für die
Kombinations- im Vergleich zur Monotherapie mit 5-FU nachweisen (n = 1914 Pat. in
13 Studien; HR für das Gesamtüberleben 0,82; 95 %-KI, 0,74 – 0,90). Dies entspricht
einem medianen Überleben von 8,3 versus 6,7 Monaten für die mit Kombinations- versus
Monotherapie behandelten Patienten. Bei Analyse der Zeit zur Tumorprogression konnte
eine noch stärkere Überlegenheit der Kombinationstherapie nachgewiesen werden (HR
0,67; 95 %-KI, 0,49 – 0,93). Beim Vergleich der Toxizitäten bestanden keine signifikanten
Unterschiede [430 ]. Randomisierte Studien zum Vergleich der 5-FU-Monotherapie versus best supportive
Care fehlen. Allerdings konnte für die Monotherapie mit 5-FU eine Verbesserung der
klinischen Symptome und ein Erhalt der Lebensqualität in einer randomisierten Studie
nachgewiesen werden [431 ]. Für die weiterführende, methodische und inhaltliche Diskussion dieser Frage wird
auf den Evidenzbericht, Themenbereich palliative tumorspezifische Therapie, verwiesen.
92. Statement
Eine Dreifachkombination mit Cisplatin/ 5-FU und Docetaxel (DCF) führt bei einer jüngeren
Patientenpopulation (median 55 Jahre) im Vergleich zu einer Zweifachtherapie mit Cisplatin/
5-FU zu einem statistisch signifikanten Überlebensvorteil, ist jedoch mit einer höheren
Rate an Toxizitäten verbunden.
Level of Evidence: 1b
de Novo: siehe Evidenzbericht [333 ]
[335 ]
[407 ]
[427 ]
[432 ]
[433 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
93. Empfehlung
Die Docetaxel-haltige Dreifachkombination (DCF) sollte daher nur Patienten in gutem
Allgemeinzustand ohne relevante Komorbidität angeboten werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1b
de Novo: siehe Evidenzbericht [333 ]
[335 ]
[407 ]
[427 ]
[432 ]
[438 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Evaluierung von Docetaxel beim metastasierten Magenkarzinom erfolgte im Wesentlichen
in der V 325-Studie, in der Docetaxel in Kombination mit Cisplatin und 5-FU mit Cisplatin/
5-FU als Kontrollarm verglichen wurde [427 ]. DCF verbesserte statistisch signifikant die Zeit bis zur Progression (primärer
Endpunkt) und darüber hinaus die Ansprechrate und das Gesamtüberleben (HR 0,77; log-rank
p = 0,02; 2-Jahres-Überlebensrate 18,4 vs. 8,8 %). Dies übersetzte sich in einen längeren
Erhalt der Lebensqualität (erhoben mittels krebsspezifischer EORTC-Fragebogen) und
des Allgemeinzustands (KarnofskyIndex) der Patienten [432 ]. Eine weitere randomisierte Phase-II-Studie bestätigte die verbesserten Ansprechraten
von DCF im Vergleich zu ECF [433 ], lieferte aber widersprüchliche Ergebnisse hinsichtlich der Lebensqualität. Dabei
wurde in dieser kleineren Studie eine andere methodische Herangehensweise bei der
Auswertung der Lebensqualität gewählt: Roth verglich die durchschnittlichen Werte
der Lebensqualität, während Ajani die Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität
verglich. In der Studie von Roth betrug die Zeit bis zum Erreichen einer objektiven
Remission bei DCF 1,6 Monate, im Vergleich zu 3 Monaten bei ECF. Dieser Aspekt kann
bei Patienten mit hohem Remissionsdruck wie z. B. im Falle einer tumorbedingten Obstruktion
und in der neoadjuvanten Situation von Bedeutung sein. Die Addition von Docetaxel
zu CF in der Studie von van Cutsem [427 ] verschlechterte allerdings das ohnehin ungünstige hämatologische Toxizitätsprofil
des CF-Schemas. Neutropenien Grad 3 und 4 traten mit DCF häufiger auf (82 vs. 57 %).
Damit stieg das Infektionsrisiko während der Neutropenie von 12 % mit CF auf 29 %
mit DCF an. Die Nebenwirkungsraten waren bei älteren Patienten (> 65 Jahre) besonderes
hoch. Eine prophylaktische Applikation von G-CSF fand in der Studie nicht statt. Es
gab keine Unterschiede in der Rate toxischer Todesfälle zwischen den beiden Studienarmen
[427 ]. Die Frage, ob die gemessenen, statistisch signifikanten Vorteile im Bezug auf Gesamtüberleben
und Lebensqualität den Nachteil einer vermehrten Toxizität aufwiegt, ist Gegenstand
der Diskussion [434 ].
Zwei wichtige Aspekte müssen bei der Interpretation der Studie von van Cutsem berücksichtigt
werden [427 ]:
Das mediane Alter der Patienten in beiden Therapiearmen lag bei 55 Jahren. Damit waren
die in diese Studie eingeschlossenen Patienten etwa 10 Jahre jünger als in anderen
Studien [333 ]
[335 ]. Die wenigen älteren Patienten litten mehr unter den Toxizitäten des DCF-Regimes.
Die Ergebnisse dieser Studie sind deshalb nur mit Einschränkung auf die allgemeine
Population von Patienten mit Magenkarzinomen in Deutschland zu übertragen (medianes
Erkrankungsalter bei Männern je 70 Jahre, bei Frauen 75 Jahre [407 ]).
Im Vergleich zu der von Cunningham [333 ] publizierten Studie (75,7 – 79,5 % Patienten mit metastasierter Erkrankung in den
unterschiedlichen Therapiearmen) lag der Anteil an Patienten, welche eine metastasierte
Erkrankung hatten, mit 96 und 97 % in beiden Therapiearmen der V 325-Studie wesentlich
höher [427 ]. Weiterhin wurden in die Studie von Cunningham auch Patienten mit Plattenepithelkarzinomen
des gastroösophagealen Übergangs eingeschlossen (7,6 – 12,8 % in den unterschiedlichen
Therapiearmen). Aufgrund dieser Unterschiede in den Patientenpopulationen sind die
Ergebnisse beider Studien nur mit Einschränkung vergleichbar.
Methodisch ist die genannte, von van Cutsem et al. publizierte Studie von adäquater
Qualität. Sämtliche, für diese Leitlinie als relevant erachteten Endpunkte wurden
mit hoher Präzision gemessen (LOE 1b). Weitere Details sind im Evidenzbericht aufgeführt.
94. Konsensbasiertes Statement
Die sog. modifizierten DCF-Schemata verfügen über ein im Vergleich zum klassischen
DCF verbessertes Nebenwirkungsprofil.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
95. Konsensbasierte Empfehlung
Besteht eine Indikation zu einer Docetaxel-basierten Dreifachkombination, kann der
Einsatz der modifizierten DCF-Schemata in Erwägung gezogen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Ziele der in der AIO durchgeführten Entwicklung „modifizierter DCF-Protokolle” waren
die Verbesserung des Nebenwirkungsprofils und die Evaluation Docetaxel-haltiger Regime
bei älteren Patienten. Zwei Studien wurden publiziert.
In der Gastro-Tax-1-Studie [435 ] erhielten Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Magenkarzinom
wöchentlich Folinsäure 500 mg/m2 und 5-FU 2000 mg/m2 (24 h) und an den Tagen 1, 15 und 29 jeweils Docetaxel 50 mg/m2 und Cisplatin 50 mg/m2 (T-PLF-Schema). Der Zyklus wurde an Tag 50 wiederholt. Im Studienverlauf wurde aufgrund
von Toxizitäten Cisplatin und Docetaxel auf jeweils 40 mg/m2 reduziert. Auch in dieser Studie (n = 60) waren die Patienten relativ jung (medianes
Alter 53 Jahre). 24 Patienten hatten lokal fortgeschrittene Tumore, 36 waren metastasiert.
Die Ansprechrate betrug 47 %. Die Rate an Neutropenie Grad 3 – 4 lag bei 21,6 %, die
Rate an febriler Neutropenie bei 5 %. Grad 3 – 4 Durchfall und Fatigue lagen bei 20
% und 18 %. Medianes progressionsfreies und Gesamtüberleben waren 9,4 und 17,9 Monate.
In der FLOT-Studie wurde das vorpublizierte FLO-Schema um Docetaxel 50 mg/m2 ergänzt [422 ]. 59 Patienten wurden mit einem medianen Alter von 60 Jahren eingeschlossen. 93 %
der Patienten hatten eine metastasierte Erkrankung. Dosisreduktionen waren nicht nötig.
46,3 % der Patienten zeigten eine Neutropenie Grad 3 – 4, 3,7 % hatten eine febrile
Neutropenie. Die Raten an Grad 3 – 4 Durchfall und Fatigue lagen bei 14,8 % und 11,1
%. Die Ansprechrate lag bei ≈ 50 %. Das progressionsfreie bzw. das Gesamtüberleben
lag bei 5,3 bzw. 11,3 Monaten.
Zusammenfassend sprechen die vorliegenden Ergebnisse von Phase-II-Studien für eine
reduzierte, besonders hämatologische Toxizität der FLOT- und T-PLF(TEX)-Schemata.
Allerdings wurden keine Phase-III-Studien zum Nachweis der Nicht-Unterlegenheit dieser
Schemata im Vergleich zum klassischen DCF durchgeführt. Docetaxel-haltige Zweifachkombinationen
(DF oder CF) zeigten in randomisierten Studien im Vergleich zu CF keine Verbesserung
der Wirksamkeit [436 ]
[437 ] und stellen keine Alternative zum DCF dar ([Tab. 2 ]).
Tab. 2 Ausgewählte Studien zu Docetaxel-haltigen Kombinationstherapien
Referenz
Patienten n =
Therapieregime
Ansprechrate
medianes Gesamtüberleben
Van Cutsem [427 ]
445
DCF vs. CF
36,7 vs. 25,4 %
9,2 vs. 8,2 Monate
Lorenzen [438 ]
60
T-PLF
47 %
17,3 Monate[2 ]
Al Batran [422 ]
59
FLOT
57,7 %
11,1 Monate
120 Patienten hatten lokal fortgeschrittene nicht metastasierte Stadien.
96. Statement
Oxaliplatin hat eine dem Cisplatin vergleichbare Wirksamkeit, die Toxizitätsprofile
sind jedoch unterschiedlich.
Level of Evidence: 1b–
de Novo: siehe Evidenzbericht primäre Quellen [332 ]
[333 ]
[335 ]
[439 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
97. Empfehlung
Die Therapieentscheidung zwischen diesen beiden Substanzen sollte deshalb die Begleiterkrankungen
des jeweiligen Patienten berücksichtigen.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1b–
de Novo: siehe Evidenzbericht primäre Quellen [332 ]
[333 ]
[335 ]
[439 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Oxaliplatin, ein Platinderivat der dritten Generation, hat sich in den letzten Jahren
in der Therapie des kolorektalen Karzinoms einen festen Stellenwert etabliert. Wesentlicher
Unterschied zum Cisplatin ist die geringere Nephrotoxizität, welche die für die Therapie
mit Cisplatin notwendige Hyperhydratation überflüssig macht. Allerdings wird dieser
Vorteil mit einer höheren Rate an peripherer Neuropathie erkauft. Auf der Basis multipler
Phase-II-Studien beim Magenkarzinom, wurden in den letzen Jahren 2 randomisierte Phase-III-Studien
[333 ]
[335 ] sowie eine weitere randomisierte Phase-II-Studie [332 ] zum Stellenwert von Oxaliplatin beim Magenkarzinom durchgeführt: Die englische REAL-2-Studie
(n = 1002; [333 ]) hat den Stellenwert von Oxaliplatin (O) als Alternative zum Cisplatin (C) und Capecitabine
(X) als Alternative zum 5-FU (F) innerhalb des ECF-Protokolls (Epirubicin, Cisplatin,
5-FU) überprüft. Eine 2 × 2-Randomisierung ergab insgesamt 4 Therapiearme (ECF, ECX,
EOF, EOX). Diese Studie konnte die Non-Inferiorität von Oxaliplatin im Vergleich zum
Cisplatin und von Capecitabine im Vergleich zum 5-FU belegen. Die Patienten im EOX-Arm
(welche beide neuen Substanzen erhielten) hatten – im Vergleich zu den Patienten im
ECF-Arm – zudem ein signifikant verlängertes medianes Überleben (11,2 vs. 9,9 Monate;
HR 0,66 – 0,97; p = 0,02). Die Rate an thromboembolischen Ereignissen, Anämie und
Leukopenie war bei den mit Cisplatin behandelten Patienten deutlich höher als unter
Therapie mit Oxaliplatin. Eine 2. Studie (n = 220, [335 ]) verglich die Oxaliplatin-haltige Zweifachkombination FLO (5-FU, Leucovorin, Oxaliplatin)
mit der Cisplatin-haltigen Kombination FLP (5-FU, Leucovorin, Cisplatin). Die Ergebnisse
zeigten für die Gesamtpopulation dieser Studie nicht signifikante Trends zur Verbesserung
des progressionsfreien und Gesamtüberlebens. Eine ungeplante Subgruppenanalyse zeigte,
dass besonders Patienten über 65 Jahre (n = 94) von dem Oxaliplatin-haltigen Protokoll
FLO profitiert haben (Ansprechrate 40 vs. 16 %, progressionsfreies Überleben 6,0 vs.
3,1 Monate, Gesamtüberleben 13,9 vs. 7,2 Monate). Eine mögliche Erklärung für dieses
Ergebnis ist die hohe Rate an frühen Therapieabbrüchen bei älteren Patienten im Cisplatinarm.
In der Gesamtpopulation verursachte FLO signifikant weniger Grad 1 – 4 Anämie, Leukopenie,
Fatigue, Übelkeit, Erbrechen, Alopezie, Nierentoxizität und thromboembolische Ereignisse
als FLP.
Diese Daten bestätigen die Ergebnisse einer früheren retrospektiven Analyse (n = 1080),
in der Effektivität und Toxizität Cisplatin-haltiger Kombinationschemotherapien bei
Patienten mit Magenkarzinomen unter 70 und ≥ 70 Jahre miteinander verglichen wurden
[439 ]. Dabei war bezüglich der Toxizitäten insgesamt kein statistisch signifikanter Unterschied
zwischen den Altersgruppen festzustellen. Allerdings musste die Cisplatin-haltige
Chemotherapie bei Patienten ≥ 70 Jahre häufiger vorzeitig abgebrochen werden (49 vs.
37 %, p = 0,06). Zusammenfassend lässt sich zum Stellenwert der Oxaliplatin- im Vergleich
zu Cisplatin-basierten Therapieregimen feststellen, dass die Evidenz aus 2 großen,
methodisch adäquaten, randomisierten Studien mit insgesamt 1222 Patienten gegen signifikante
Unterschiede im Gesamt- und progressionsfreien Überleben zwischen den Therapieregimen
spricht. Relevante Unterschiede bestehen im Toxizitätsprofil. Diese sind im Evidenzbericht
im Detail aufgeführt. Der gegenüber der Evidenz abgeschwächte Empfehlungsgrad ergibt
sich daraus, dass Oxaliplatin in der gegebenen Indikation in Deutschland nicht zugelassen
ist ([Tab. 3 ]).
Tab. 3 Ausgewählte randomisierte Studien zum Vergleich Oxaliplatin- versus Cisplatin-haltiger
Kombinationstherapien.
Referenz
Patienten n =
Therapieregime
Ansprechrate
medianes Überleben
Al-Batran [335 ]
112
FLO
34,8 %.
10,7 Monate
Al-Batran [335 ]
106
FLP
24,5 %
8,8 Monate
Al-Batran [335 ]
Subgruppe > 64 Jahre
46
FLO
41,3 %
13,9 Monate
Al-Batran [335 ]
Subgruppe > 64 Jahre
48
FLP
16,7 %
7,2 Monate
Cunningham [333 ]
245
ECF
42,4 %
9,3 Monate
Cunningham [333 ]
244
EOX
47,9 %
11,2 Monate
98. Statement
Capecitabin zeigt eine dem 5-FU vergleichbare Wirksamkeit.
Level of Evidence: 1a
de Novo: siehe Evidenzbericht [332 ]
[333 ]
[334 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
99. Empfehlung
Die orale Gabe von Capecitabin kann Patienten mit ausreichender Nierenfunktion und
guter Compliance anstatt der intravenösen 5-FU-Dauerinfusion (wie z. B. bei ECF) angeboten
werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a
de Novo: siehe Evidenzbericht [332 ]
[333 ]
[334 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Capecitabin, ein orales Fluoropyrimidin, ist beim kolorektalen Karzinom eine etablierte
Alternative zur 5-FU-Dauerinfusion. Durch den Einsatz von Capecitabine statt intravenösem
5-FU kann auf die Implantation eines venösen Portsystems, welches mit Risiken wie
der Infektion und thrombembolischen Komplikationen verbunden ist, verzichtet werden.
Außerdem ist bekannt, dass Patienten – bei gleicher Wirksamkeit – eine orale der intravenösen
Chemotherapie bevorzugen. Die methodische Diskussion der Cunningham-Studie wurde im
vorherigen Abschnitt behandelt. Zusätzlich zu den Daten von Cunningham liegt eine
weitere, randomisierte Studie zum Vergleich Capecitabin- versus 5-FU-haltiger Kombinationstherapien
vor [332 ]. Der primäre Endpunkt dieser Studie, welcher der Nachweis der Nicht-Unterlegenheit
von Capecitabin plus Cisplatin gegenüber 5-FU plus Cisplatin hinsichtlich der Überlebenszeit
war, wurde erreicht. Interessanterweise konnte allerdings eine kürzlich publizierte
Metaanalyse [334 ], in der die Ergebnisse beider Studien für den Vergleich von Capecitabin und 5-FU
zusammengefasst sind, eine signifikante Verbesserung sowohl des Gesamtüberlebens (HR
0,87 95 %-KI, 0,77 – 0,98; p = 0,02) als auch der Ansprechraten (OR 1,38 95 %-KI,
1,10 – 1,73; p = 0,006) und einen Unterschied im gepoolten medianen Überleben von
einem Monat (10,5 vs. 9,5 Monate) zugunsten der mit Capecitabine behandelten Patienten
nachweisen. Eine statistisch signifikante Heterogenität zwischen den Studien konnte
ausgeschlossen werden. Bezüglich der Toxizität sind beide Regime vergleichbar. Allerdings
soll darauf hingewiesen werden, dass eine ausreichende Compliance der Patienten eine
Voraussetzung für die erfolgreiche orale Therapie mit Capecitabin ist. Die Lebensqualität
wurde nur in der Studie von Cunningham untersucht und zeigte keine signifikanten Unterschiede
zwischen den mit 5-FU und den mit Capecitabin behandelten Patienten. Zusammenfassend
spricht die Evidenz aus insgesamt 2 methodisch adäquaten Phase-III-Studien für die
Nicht-Unterlegenheit von Capecitabin im Vergleich zu 5-FU ([Tab. 4 ]).
Tab. 4 Ausgewählte randomisierte Studien zum Vergleich Capecitabine- versus 5-FU-haltige
Kombinationstherapien.
Referenz
Patienten n =
Therapieregime
Ansprechrate
medianes Überleben
Cunningham [333 ]
480
Capacitabin-haltig ECX oder EOX
44,6 %
10,9 Monate
Cunningham [333 ]
484
5-FU-haltig ECF oder EOF
39,4 %
9,6 Monate
Kang [332 ]
160
XP: Capecitabin/Cisplatin
41 %
10,5 Monate
Kang [332 ]
156
FP
29 %
9,5 Monate
100. Statement
Im Rahmen von 5-FU-basierten Kombinationstherapien zeigt Irinotecan eine dem Cisplatin
vergleichbare Wirksamkeit.
Level of Evidence: 1a–
de Novo: siehe Evidenzbericht [424 ]
[429 ]
[430 ]
[440 ]
[441 ]
[442 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
101. Empfehlung
Eine Irinotecan/Fluropyrimidin-basierte Kombinationstherapie kann Patienten angeboten
werden, bei denen aufgrund des Nebenwirkungsprofils eine Alternative zu einer platinhaltigen
Kombination sinnvoll ist.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a–
de Novo: siehe Evidenzbericht [424 ]
[429 ]
[430 ]
[440 ]
[441 ]
[442 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Irinotecan wurde bisher in insgesamt 4 randomisierten Studien [424 ]
[430 ]
[440 ]
[441 ] untersucht, in denen als Kontrollarm ein nicht Irinotecan-haltiges Regime gewählt
wurde. Die Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Studien [429 ] zeigt für das Überleben einen statistisch nicht signifikanten Überlebensvorteil
für die mit Irinotecan behandelten Patienten (HR 0,86 95 %-KI 0,73 – 1,02). Die Heterogenität
war nicht signifikant (p = 0,83). Bezüglich der Toxizität war eine geringere Rate
an therapieassoziierten Todesfällen festzustellen (0,6 vs. 2,9 %, KI 0,08 – 1,05),
die aber ebenso ohne signifikanten Unterschied war. Der gegenüber der Evidenz abgeschwächte
Empfehlungsgrad ergibt sich daraus, dass Irinotecan in der Indikation in Deutschland
nicht zugelassen ist ([Tab. 5 ]).
Tab. 5 Studien zum Vergleich Irinotecan-haltige versus Cisplatin-Kombinationen.
Referenz
Patienten n =
Therapieregime
Ansprechrate
medianes Überleben
Dank [424 ]
170
IF
32 %
9,0 Monate
Dank [424 ]
163
CF
26 %
8,7 Monate
Moehler [442 ]
53
Irinotecan/Capecitabine (XI)
38 %
10,2 Monate
Moehler [442 ]
50
XP
42 %
7,9 Monate
Moehler [441 ]
56
IF: Irinotecan/FS/ 5-FU
43 %
10,8 Monate
Moehler [441 ]
58
ELF (5-FU/LV)
24 %
8,3 Monate
Bouche [430 ]
44
Cisplatin/ 5-FU/LV
27 %
9,5 Monate
Bouche [430 ]
45
Irinotecan/ 5-FU/LV
40 %
11,3 Monate
3.10.3. Vorgehen bei HER-2-überexprimierenden/-amplifizierenden Tumoren
102. Statement
Aufgrund eines nachgewiesenen Überlebensvorteils besteht bei HER-2-überexprimierenden
Tumoren (IHC3 + oder IHC2 + und FISH +) eine Indikation für den Einsatz von Trastuzumab
in Kombination mit Cisplatin und Fluoropyrimidinen (5-FU oder Capecitabin).
Level of Evidence: 1b
de Novo: siehe Evidenzbericht [357 ]
[443 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die Ergebnisse einer randomisierten Phase-III-Studie zeigen, dass die Addition des
HER-2-Antikörpers Trastuzumab zur Standardchemotherapie bei Patienten mit positivem
HER-2-Status eine signifikante und klinisch relevante Verbesserung der medianen Überlebenszeit
von 11,1 auf 13,8 Monate bewirkt [357 ]. Im Vorfeld dieser Studie war der HER-2-Status bei 3807 Patienten aus Europa, Lateinamerika
und Asien bestimmt worden. Der Anteil der HER-2-positiven Magenkarzinome – definiert
als eine HER-2-Genamplifikation, nachgewiesen mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung
(FISH +) oder immunhistochemisch 3-fach positiver HER-2-Expression (IHC 3 +) – lag
bei 22 % [443 ]. In der Subgruppe der Patienten, deren Tumore IHC3 + oder IHC2 + /FISH + waren,
war der Einsatz des HER-2-Inhibitors Trastuzumab besonders wirksam. Das mediane Überleben
stieg mit Trastuzumab in dieser Subgruppe auf 16 Monate (versus 11,8 Monate in der
Gruppe ohne Trastuzumab). In den Subgruppen IHC0 /FISH + und IHC1 + /FISH + konnte
hingegen für Trastuzumab kein Vorteil in Bezug auf die Überlebenszeit beobachtet werden.
Diese Korrelation zwischen dem HER-2-Status und der Wirksamkeit von Trastuzumab zeigt
eine starke Analogie zum Mammakarzinom, wo die HER-2-Inhibition als therapeutische
Strategie bei HER-2-überexprimierenden Tumoren bereits etabliert ist. Die Ergebnisse
der ToGA-Studie führen dazu, dass die medikamentöse Therapie des metastasierten Magenkarzinoms
und Adenokarzinoms des ösophagogastralen Übergangs erstmals aufgrund eines prädiktiven
molekular-biologischen Faktors definiert wird. Für eine Indikation zur Therapie mit
Trastuzumab wird (gemäß der Richtlinien der EMEA) die HER-2-Positivität als IHC3 +
oder IHC2 + /FISH + definiert [357 ].
103. Konsensbasierte Empfehlung
Die Antikörper Cetuximab, Panitumumab und Bevacizumab sollten gegenwärtig außerhalb
klinischer Studien nicht eingesetzt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Zum Einsatz biologischer Substanzen beim fortgeschrittenen Magenkarzinom liegen –
abgesehen von Trastuzumab – gegenwärtig lediglich Ergebnisse aus Phase-II-Studien
vor, in denen zumeist Cetuximab oder Bevacizumab untersucht wurden. Die Bestätigung
dieser Daten in nachfolgenden Phase-III-Studien steht gegenwärtig noch aus. Weitere
entsprechende Studien werden gegenwärtig durchgeführt [429 ].
3.10.4. Zweit-Chemotherapie
104. Empfehlung
Patienten in gutem Allgemeinzustand sollte eine Zweit-Chemotherapie angeboten werden.
Das zu wählende Behandlungsschema sollte sich nach der jeweiligen Vortherapie richten.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2b–
de Novo: siehe Evidenzbericht [444 ]
[445 ]
[446 ]
[447 ]
[448 ]
[449 ]
[450 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Bei fast allen Patienten, die wegen eines lokal fortgeschrittenen oder metastasierten
Magenkarzinoms mit einer palliativen Chemotherapie behandelt werden, tritt im Verlauf
der Behandlung eine Tumorprogression auf. In dieser Situation stellt sich die Frage
nach dem Stellenwert der Second-line-Therapie. Im Gegensatz zur First-line-Chemotherapie,
welche in zahlreichen großen, randomisierten Phase-III-Studien überprüft wurde, ist
zur Frage der Second-line-Chemotherapie nur eine einzige prospektive, randomisierte
Studie durchgeführt worden. Diese Studie, in welche 60 Patienten/Arm eingeschlossen
werden sollten, ist nach Einschluss von insgesamt 40 Patienten über 4 Jahre wegen
mangelnder Rekrutierung abgebrochen worden und liegt bisher nur als Abstract vor [444 ]. Dabei konnte ein statistisch signifikanter und klinisch relevanter Unterschied
im medianen Überleben von 123 vs. 73 Tagen (HR 0,48; 95 %-KI, 0,25 – 0,92) für die
mit einer Zweit-Chemotherapie versus BSC-behandelten Patienten nachgewiesen werden.
Weiterhin wurden im Zeitraum von Januar 2004 – März 2009 26 prospektive, einarmige
Phase-II-Studien zur Second-line-Chemotherapie identifiziert, in die insgesamt 1081
Patienten einbezogen wurden. Diese sind im Evidenzbericht detailliert dargestellt.
Die medianen Überlebenszeiten in den einzelnen Studien lagen zwischen 4,7 und 13,4
Monaten, die gepoolte mediane Überlebenszeit lag bei 7,1 Monaten, die mittlere Responserate
beträgt 18,4 % (95 %-KI 16,0 – 21 %). Des Weiteren liegen zur Frage der Second-line-Therapie
mehrere aktuelle retrospektive Analysen und eine Übersichtsarbeit [446 ] vor, deren Ergebnisse die Daten der Phase-II-Studien bestätigen. Die Erfassung der
Lebensqualität während der Second-line-Therapie erfolgte nur in einer einzigen Studie
[447 ], welche nach der Chemotherapie eine Verbesserung der Lebensqualität und des globalen
Gesundheitsstatus nachweisen konnte. Der einzige relevante prognostische Faktor, der
in allen Arbeiten bestätigt wurde, ist der Performance-Status. Mögliche Therapieregime
sind die Monotherapie mit Irinotecan (z. B. Irinotecan 250 mg/m2 alle 3 Wochen [444 ], Taxanen (z. B. Docetaxel 75 mg/m2 alle 3 Wochen, [448 ]) sowie die unterschiedlichsten Kombinationsregime [449 ]
[450 ].
3.11. Weitere palliative Situationen und deren Therapie
3.11.1. Palliative Therapieoptionen
105. Konsensbasiertes Statement
Die Wahl des palliativen Therapieverfahrens einer symptomatischen Tumorstenose des
Magens hängt v. a. von der Tumorlokalisation, -ausdehnung und Schwere der Symptomatik
ab.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
106. Konsensbasiertes Statement
Im Magen kommen optional in erster Linie eine Stentimplantation oder Anlage einer
Gastroenterostomie, ferner eine jejunale Ernährungsfistel oder eine palliative Bestrahlung
in Betracht. Eine palliative Magen(teil)resektion sollte nur in Ausnahmefällen durchgeführt
werden, da es keine hinreichende Evidenz für einen Vorteil dieser Operation gibt.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
107. Konsensbasiertes Statement
Im Bereich des ösophagogastralen Übergangs bieten interventionelle endoskopische Verfahren
wie Stentimplantation eine raschere Wirksamkeit gegenüber einer Strahlentherapie und
sind daher für eine rasche Symptomlinderung zu favorisieren. Der Effekt einer endoluminalen
oder perkutanen Strahlentherapie scheint langfristig aber günstiger zu sein.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Symptomatische Stenosen des Magens kommen in den meisten Lokalisationen erst bei lokal
weit fortgeschrittener Erkrankung und daher oft bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand
vor. Eine rasche Linderung ist daher vorrangiges Behandlungsziel und kann durch interventionelle
Maßnahmen am schnellsten erzielt werden. Während endoskopische Verfahren und Gastroenterostomie
hinsichtlich ihrer Effektivität gut dokumentiert sind, sind nur wenige Angaben zur
Wirksamkeit der Radiotherapie in dieser Indikation zu finden. Im direkten Vergleich
von palliativer Resektion und Gastroenterostomie zeigte sich in einer insgesamt 285
Patienten umfassenden Studie [451 ] zwar eine signifikant, um 3 Monate längere mittlere Überlebenszeit der resezierten
Patienten bei jedoch höherer Morbidität und längerem Krankenhausaufenthalt. Zudem
ging die Lebensqualität nicht mit in die Analyse ein. In einer systematischen Übersichtsarbeit
[452 ] und einer Metaanalyse [453 ] zeigten sich für Stent und Gastrostomie keine wesentlichen Unterschiede bei den
Raten größerer Komplikationen und Mortalität. Die Erfolgsraten wurden widersprüchlich
angeben. In der Metaanalyse wurden bessere Erfolgsraten für das Stentverfahren beschrieben,
in der systematischen Übersichtsarbeit die Ergebnisse als gleichwertig beurteilt.
Geringere Morbidität und raschere Nahrungsaufnahme sprechen für das Stentverfahren.
Der Effekt der operativen Therapie war jedoch hinsichtlich der Dauer der Symptomfreiheit
überlegen. Die meisten Untersuchungen zur palliativen lokalen Therapie unterscheiden
nicht zwischen Tumoren des Ösophagus und speziell Adenokarzinomen des ösophagogastralen
Übergangs. Signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Brachytherapie-Regimen scheinen
nicht zu bestehen. Da Tumoren mit erheblicher Ausdehnung in die Tiefe (sog. Bulk-Läsionen)
mit einer Brachytherapie schlecht zu therapieren sind, kann in diesen Fällen ggf.
eine zusätzliche perkutane Bestrahlung sinnvoll sein. Darüber hinaus bietet sich die
Möglichkeit der Anlage einer jejunalen Ernährungsfistel, bei technischer Durchführbarkeit
einer PEG. Eine palliative Ösophagusresektion sollte nicht durchgeführt werden.
Ergebnisse im Detail: In der prospektiv randomisierten SIREC-Studie [454 ] wurden Stentimplantation und Einzeit-Brachytherapie an 209 Patienten verglichen.
Dabei zeigte sich eine raschere Symptomlinderung durch die Stentimplantation, der
Effekt der Brachytherapie war jedoch länger anhaltend. Komplikationsraten, v. a. Blutungen
waren bei mit Stent behandelten Patienten häufiger, die Lebensqualität der mit Brachytherapie
behandelten Patienten besser. Die Studie wird allerdings z. T. wegen der verwendeten
älteren Stent-Modelle kritisiert. Die Ergebnisse wurden in einer weiteren kleineren
prospektiv randomisierten Studie [455 ] mit 65 Patienten in wesentlichen Details bestätigt. In der prospektiv randomisierten
LAEA-Studie [456 ] wurden 2 verschiedene Brachytherapie-Dosierungschemata verglichen (18 Gy in 3 vs.
16 Gy in 2 Behandlungen). Relevante Unterschiede zeigten sich dabei nicht. Die prospektiv
randomisierten Brachytherapie-Studien zeigen trotz teilweise voneinander abweichender
Behandlungsschemata insgesamt ähnliche Ergebnisse. Die prospektiv randomisierte HDRILBT-Studie
[457 ] untersuchte an 60 Patienten den Effekt einer zusätzlich zur Brachytherapie applizierten
perkutanen Bestrahlung. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede. In Folge
der sehr kleinen Patientenanzahl und der zugrunde liegenden Ein- und Ausschlusskriterien
werden die Ergebnisse jedoch als nicht ausreichend valide angesehen. Bei der Auswahl
der Therapieverfahren können prognostische Indizes hilfreich sein, das für den Patienten
sinnvollste Therapieregieme zu finden [458 ].
3.11.2. Therapie der Tumorblutung
108. Konsensbasiertes Statement
Die Wahl des Therapieverfahrens zur Behandlung einer tumorbedingten Blutung hängt
von der Blutungslokalisation und -stärke ab.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
109. Konsensbasierte Empfehlung
Sollte bei Tumorblutungen im Magen endoskopisch keine Blutstillung möglich sein, sollte
bei einer starken Blutung eine angiografische Embolisation oder eine palliative Resektion
erwogen werden. Eine palliative Radiotherapie kann bei chronischer Sickerblutung sinnvoll
sein.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
110. Konsensbasierte Empfehlung
Bez. Tumorblutungen speziell im Bereich des ösophagogastralen Übergangs gibt es keine
relevanten Studien für nicht endoskopische lokale palliative Verfahren. Eine palliative
Radiotherapie kann auch hier nach Versagen endoskopischer Therapiemaßnahmen bei chronischer
Sickerblutung sinnvoll sein.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Sollte bei Tumorblutungen im Magen endoskopisch keine Blutstillung möglich sein, kann
eine palliative Radiotherapie, ggfs. angiografische Embolisation oder als Ultima Ratio
eine palliative Resektion erwogen werden. Relevante Studien bez. nicht endoskopischer
lokaler palliativer Verfahren zur Behandlung von Tumorblutungen im Bereich des ösophagogastralen
Übergangs existieren nicht. Während endoskopische Therapieverfahren bei oberen gastrointestinalen
Blutungen in der Routine gut etabliert sind, liegen zu nicht endoskopischen Verfahren
lediglich retrospektive Auswertungen vor. Dabei handelt es sich zumeist um kleinere
Patientenkollektive. Den Arbeiten ist oftmals nicht zu entnehmen, ob die Indikationen
zu alternativen Therapieverfahren wegen ungenügendem Ansprechen bzw. ausbleibendem
Erfolg der endoskopischen Verfahren gestellt wurden. In diesen Arbeiten werden Ansprechraten
der palliativen Radiotherapie von 50 – 70 % angegeben [199 ]
[459 ]
[460 ]
[461 ]
[462 ].
3.11.3. Palliative operative Therapie
111. Konsensbasiertes Statement
Gegenwärtig liegt für die Effektivität einer lokalablativen oder operativen Therapie
von synchronen oder metachronen Metastasen in Bezug auf das Überleben keine ausreichende
Evidenz vor.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Einige Patienten mit metastasiertem Magenkarzinom profitieren jedoch unter bestimmten
Voraussetzungen von einer Resektion des Primärtumors und der Metastasen. Dies betrifft
insbesondere Patienten mit metachronen, solitären, resektablen Lebermetastasen in
gutem Allgemeinzustand ohne Peritonealkarzinose bzw. extrahepatische Metastasen bzw.
solche, die gut auf eine systemische Chemotherapie angesprochen haben. Auch die Resektion
solitärer Ovarialmetastasen (Krukenberg-Tumoren) scheint für bestimmte Patientinnen
unter ähnlichen Voraussetzungen erwägenswert.
Ergebnisse im Detail: Die meisten Studien zur Resektion von Lebermetastasen von Magenkarzinomen umfassen
lediglich kleine Kollektive von 30 – 42 Patienten. Dabei wurden 1-Jahres-Überlebensraten
von bis zu 76 % und 5-Jahres-Überlebensraten von bis zu 42 % beschrieben. Diese Studien
wurden in einer Übersichtsarbeit [463 ] zusammengefasst (insgesamt 216 Patienten), wobei sich eine 5-Jahres-Überlebensrate
von 11 % zeigte. Ein direkter Vergleich mit Patienten, die in ähnlicher klinischer
Konstellation eine palliative Chemotherapie erhielten, erfolgte nicht.
Bezüglich der Resektion von Krukenberg-Tumoren kann nur auf sehr spärliche Daten zurückgegriffen
werden. Eine 33 Patienten umfassende diesbez. Studie [464 ] erbrachte eine 1-Jahres-Überlebensrate von 75 % und 5-Jahres-Überlebensrate von
0 % ([Tab. 6 ]).
Tab. 6 Studie zu 1- und 5-Jahres-Überlebensraten bez. der Resektion von Krukenberg-Tumoren
Quelle
Evidenzlevel
n Pat.
MET- Lokalisation
MÜZ (Mon.)
1-JÜR (%)
5-JÜR (%)
[465 ]
4
30
Leber
23
26
[466 ]
4
42
Leber
34
76
42
[467 ]
4
37
Leber
31
11
[468 ]
3a
216
Leber
11
[463 ]
4
36
Leber
64
26
[469 ]
4
41
Leber
75
21
[464 ]
3b
33
Ovar
17
75
0
3.11.4. Chemotherapie-refraktärer maligner Aszites
112. Konsensbasiertes Statement
Die Peritonealkarzinose mit regelmäßig punktionswürdigem Aszites entwickelt sich bei
Patienten im fortgeschrittenen Stadium der Krebserkrankung und kann die Lebensqualität
stark beeinträchtigen.
Die Standardtherapie des symptomatischen, Chemotherapie-refraktären malignen Aszites
ist die Parazentese.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
113. Empfehlung
Bei Chemotherapie-refraktärem malignem Aszites kann zur Verlängerung des punktionsfreien
Intervalls die Anwendung des intraperitoneal applizierbaren Antikörpers Catumaxomab
erwogen werden.
Empfehlungsgrad: 0
Level of Evidence: 2b
de Novo: siehe Evidenzbericht [470 ]
[471 ]
[472 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die Peritonealkarzinose mit regelmäßig punktionswürdigem Aszites entwickelt sich bei
Patienten im fortgeschrittenen Stadium der Krebserkrankung und kann die Lebensqualität
stark beeinträchtigen. Bisher gibt es im Chemotherapie-refraktären Verlauf keine evidenzbasierte
Standardtherapie. Bei Patienten mit vornehmlich therapierefraktärem, malignen Aszites
kann der neu zugelassene intraperitoneal applizierbare Antikörper Catumaxomab erwogen
werden [470 ]. Der trifunktionale Antikörper Catumaxomab bindet zielgerichtet an Immunzellen und
an epitheliale Zell-Adhäsionsmoleküle (EpCAM-Oberflächenantigen) von Tumorzellen,
die bei Karzinomen des Magen-Darm-Traktes ubiquitär, aber nicht auf gesundem Gewebe
im Bauchraum nachweisbar sind. Im Gegensatz zum Ovarialkarzinom gibt es für Chemotherapie-refraktäre
Magenkarzinome mit Peritonealkarzinose und regelmäßig punktionswürdigem Aszites keine
evidenzbasierte Standardtherapie, auch wenn eine intraperitoneale Chemotherapie (z.
B. mit Cisplatin in Einzelfällen eine Tumorstabilisierung und eine Besserung der Lebensqualität
erreichen konnte [471 ]. Eine internationale randomisierte Phase-II/III-Studie ergab eine statistisch signifikante
Verbesserung des primären Studienendpunkts „punktionsfreies Überleben” für Patienten,
die den Antikörper Catumaxomab mit supportiver Therapie (BSC) gegenüber BSC alleine
erhalten hatten [470 ]. Eine Subgruppe von Catumaxomab-behandelten Patienten mit Magenkarzinomen zeigte
eine deutliche Verlängerung der Zeit bis zur nächsten notwendigen therapeutischen
Punktion von 15 auf 118 Tagen. Dies führte zu einer signifikanten Verbesserung der
Lebensqualität. Häufige Nebenwirkungen wie Fieber und CRP-Anstieg, bedingt durch die
immunologisch vermittelte Zytokinfreisetzung, sind zu berücksichtigen [470 ]
[472 ].
3.12. Supportive Maßnahmen
3.12.1. Fatigue-Syndrom
114. Empfehlung
Zur Reduzierung des Fatigue-Syndroms sollte ein sich an der individuellen Belastungsfähigkeit
orientierendes Ausdauertraining durchgeführt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2a
de Novo: [30 ]
[473 ]
[474 ]
[475 ]
[476 ]
[477 ]
[478 ]
[479 ]
[480 ]
[481 ]
[482 ]
[483 ]
[484 ]
[485 ]
[486 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Auf Grundlage der Cochrane Übersichtsarbeit [473 ], die insgesamt 28 Studien miteinbezogen hat, kann die Aussage getroffen werden,
dass Bewegungstherapie eine sichere und leicht durchzuführende Intervention ist, die
wirkungsvoll gegen das krebsbedingte Fatigue-Syndrom eingesetzt und so den Betroffenen
die Bewältigung ihrer Beschwerden erleichtern kann. Die Übersichtsarbeit zeigt, dass
Trainingsprogramme während und unmittelbar nach der regulären Krebsbehandlung die
Intensität des Fatigue-Syndroms verringern können. Durch die Heterogenität der verwendeten
Studien kann keine Empfehlung über Dauer oder Frequenz der Bewegungstherapie ausgesprochen
werden. Hier ist der jeweilige individuelle Belastungszustand zu berücksichtigen.
In Bezug auf die Bewegungsformen empfehlen wir aufgrund der vorliegenden Übersichtsarbeiten
vor allem Ausdauertraining auf geringem Level. Es können nur Aussagen für Krebserkrankungen
im Allgemeinen gemacht werden, da keine Evidenz für Magenkrebs im Speziellen nachzuweisen
ist. Die Übersichtsarbeit von Cramp und Daniel, setzt sich mit verschiedenen Krebsarten
auseinander und macht so deutlich, dass die Aussagen ebenfalls auf Magenkrebs übertragen
werden können.
Darüber hinaus untermauern verschiedene Übersichtsarbeiten und Studien, dass die Bewegungstherapie
zur Verbesserungen der gesundheitsbezogenen bzw. krebsbezogenen Lebensqualität als
Resultat einer verbesserten Ausdauer, der körperlichen Funktionen, verbesserter Kraftausdauer
und Beweglichkeit beitragen können ([473 ]
[474 ]
[475 ]
[476 ]
[477 ]
[478 ]
[479 ]
[480 ]
[481 ]
[482 ]
[483 ]
[484 ]
[485 ]
[486 ], nähere Details zur Literatur im Leitlinienreport).
3.12.2. Zusammenfassung weiterer Maßnahmen
3.12.2.1 Diarrhö
Zur Prophylaxe der Chemotherapie- oder Radiotherapie-induzierten Diarrhö dient der
Verzicht auf würzige, stark fetthaltige Speisen, alkohol- und koffeinhaltige Nahrungsmittel.
Ballaststoffreiches Essen und motilitätsfördernde Maßnahmen sind sinnvoll. Durch eine
verbesserte individuelle 3D-gestützte Bestrahlungsplanung wird das Volumen der Mukosa
im Bestrahlungsfeld reduziert. Die Behandlung der frühen radiogenen oder Chemotherapie-induzierten
Diarrhö unterscheidet sich jedoch nicht von derjenigen durch andere Ursachen. Mittel
der ersten Wahl zur Behandlung von Chemotherapie-induzierter Diarrhö ist Loperamid.
Bei therapierefraktären Situationen kann Octreotid angewendet werden. Bei Clostridiumtoxin-Nachweis
im Stuhl wird Metronidazol oder Vancomycin oral angewandt (DKG Leitlinien O 9 Schleimhaustoxizität
S. 381 [474 ]).
3.12.2.2. Obstipation
Zur Prophylaxe und Behandlung von Obstipation sind diätetische Maßnahmen beim Tumorpatienten
selten effektiv durchführbar. Wiederherstellen alter Stuhlgewohnheiten, geeignete
Sitzerhöhungen auf Toiletten, Wahrung der Intimsphäre, Kolonmassage etc. sind hilfreiche
ergänzende Maßnahmen. Quellmittel sind relativ kontraindiziert, da diese Patienten
in der Regel nicht die erforderliche Trinkmenge aufnehmen und diese für den Erfolg
entscheidend ist. Da viele Patienten eine Abneigung gegen Medikamente haben, sind
kleine Tricks sehr hilfreich (Auflösen in Getränken mit starkem Eigengeschmack, Kühlen
der Substanz). Ein stufenweiser Aufbau der laxativen Medikation wird empfohlen, wobei
eine frühzeitige Kombination verschiedener Wirkprinzipien zur Reduktion der zumeist
dosiskorrelierten Nebenwirkungen sinnvoll sein kann. Eine chronische Obstipation,
wie sie z. B. bei 90 % der Opioid-Patienten auftritt, wird prophylaktisch behandelt
[474 ]. Bei der medikamentösen Therapie ist eine Kombination mehrerer Wirkprinzipien sinnvoll
mit dem Ziel der Dosisreduktion zur Verringerung der zumeist dosiskorrelierten Nebenwirkungen.
Zur Linderung von Symptomen einer Darmobstruktion, die durch maligne Vorgänge hervorgerufen
wird, dienen Octreotid und Kortikosteroide, falls eine interventionelle Therapie nicht
angebracht oder möglich ist [475 ]. Nicht wirksam bei Obstipation sind Prokinetika wie Metoclopramid oder Domperidon
[30 ].
3.12.2.3. Übelkeit und Erbrechen
Die Einteilung von Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen erfolgt in 3 Formen
nach zeitlichen Gesichtspunkten:
akutes Erbrechen/Übelkeit: Innerhalb der ersten 24 h nach Chemotherapie auftretend,
ist hauptsächlich durch Serotonin-Freisetzung aus enterochromaffinen Zellen vermittelt.
verzögertes Erbrechen/Übelkeit: Nach 24 h bis 5 Tagen nach Chemotherapie auftretend,
hauptsächlich durch Substanz-P-Vermittlung.
antizipatorisches Erbrechen/Übelkeit: Auftreten erst nach erfolgter Chemotherapie,
ist Folge klassischer Konditionierung nach vorausgegangener Übelkeit und Erbrechen.
Im klinischen Alltag spielen das akute und verzögerte Erbrechen die Hauptrolle. Das
emetogene Potenzial der Chemotherapie wird zu Beginn festgelegt ([Tab. 7 ]).
Tab. 7 Emetogenes Potenzial intravenös applizierter Zytostatika und Biologicals.
hoch (Emesis-Risiko ohne antiemetische Prophylaxe > 90 %)
Cisplatin
moderat (Emesis-Risiko ohne antiemetische Prophylaxe 30 – 90 %)
Carboplatin
Epirubicin
Daunorubicin
Irinotecan
Doxorubicin
Oxaliplatin
gering (Emesis-Risiko ohne antiemetische Prophylaxe 10 – 30 %)
Catumaxomab
Gemcitabin
Cetuximab
Methotrexat (> 100 mg/m2 )
Docetaxel
Paclitaxel
Etoposid i. v.
Panitumumab
5-Fluorouracil
Trastuzumab
minimal (Emesis-Risiko ohne antiemetische Prophylaxe < 10 %)
Bevacizumab
Vincristin
Methotrexat (< 100 mg/m2 )
Vinorelbin
In [Tab. 7 ] sind die Empfehlungen der Perugia Consensus Conference on Antiemetic Therapy 2009
für die Chemotherapie zusammengefasst. Es zählt das Zytostatikum mit dem jeweils höchsten
emetogenen Potenzial, da durch weitere Zytostatika kein additiver Effekt besteht.
Prophylaktisch wird vor der Chemotherapie ein Antiemetikum, entsprechend dem emetogenen
Potenzial der Chemotherapie, gegeben. Die orale Gabe der Antiemetika ist der intravenösen
Gabe ebenbürtig und die 1-mal tägliche Gabe ausreichend. Die 5-HT3-Antagonisten der
ersten Generation unterscheiden sich in Wirksamkeit oder Nebenwirkungsspektrum nicht
wesentlich. Palonosetron ist ein 5-HT3-Rezeptorantagonist, der als i. v. Formulierung
vorliegt und mit verbesserten Eigenschaften die Differenzialtherapie verbessert. Aprepitant
potenziert als NK 1-Rezeptorantagonist in Kombination mit einem 5-HT3-Antagonisten
die Effektivität der antiemetischen Prophylaxe in der Akutphase und reduziert das
verzögerte Erbrechen. Bei hochemetogener Chemotherapie ([Tab. 8 ]) sollte zusätzlich Dexamethason eingesetzt werden [476 ]
[477 ]
[478 ].
Vorgehen bei Mehrtages-Cisplatin-Chemotherapie
Prophylaxe an den Tagen der Cisplatin-Therapie (akute Phase): 5-HT3-RA + Steroid +
NK 1-RA
Prophylaxe 2 – 3 Tage nach Ende der Chemotherapie (verzögerte Phase): Steroid. (ASCO
Empfehlungsgrad: IIA)
Die zusätzliche Gabe von Aprepitant kann erwogen werden.
Tab. 8 Antiemetische Prophylaxe des Chemotherapie-induzierten Erbrechens, gemäß der interdisziplinären
Leitlinien der DKG und der MASCC 2009.
emetogenes Potenzial
akute Phase (bis 24 h nach Chemotherapie)
verzögerte Phase (ab Stunde 24 bis Tag 5 nach CTX)
Hoch
5-HT3-RA Granisetron; 2 mg p. o./ 1 mg i. v. Ondansetron; 16 – 24 mg p. o./ 8 mg i. v. Palonosetron; 0,25 mg i. v. Tropisetron; 5 mg p. o./i. v. Dolasetron; 200 mg p. o./ + Steroid Dexamethason; 12 mg p.o/i. v. + NK-1-RA Aprepitant; 125 mg p. o. oder Fosaprepitant 115 mg i. v.
Steroid Dexamethason; 8 mg p.o/i. v. Tag 2 – 4 + NK-1-RA Aprepitant; 80 mg p. o. Tag 2 – 3
Moderat
5-HT3-RA, Palonosetron bevorzugt + Steroid Dexamethason; 8 mg p.o/i. v.
Steroid Dexamethason, 8 mg p.o /i. v. Tag 2 – 3 alternativ (nicht 1. Wahl) 5-HT3-RA, (Dosis s. o.) alternativ Metoclopramid 3 – 4 × tgl. 30 – 40 Trpf.[3 ]
Gering
Steroid Dexamethason; 8 mg p.o/i. v.
keine Routineprophylaxe
Minimal
keine Routineprophylaxe
keine Routineprophylaxe
1Metoclopramid ist nicht Bestandteil der MASCC/ESMO-Leitlinien.
Weitere Tabellen zur Information können unter www.mascc.org bzw. www.ASORS.de eingesehen werden.
3.12.2.4 Strahleninduzierte Übelkeit und Erbrechen
Drei Formen der strahleninduzierten Nausea und Emesis werden unterschieden: akut,
verzögert und antizipatorisch. Die Intensität der Emesis ist von einer Vielzahl von
Faktoren abhängig. Die Risikostratifizierung erfolgt unter Berücksichtigung der Emetogenität
der Strahlen- und Chemotherapie (abhängig von der bestrahlten Lokalisation, der Einzeldosis,
der Feldgröße) und der individuellen Risikofaktoren (Patientencharakteristika). Bei
einer kombinierten Radiochemotherapie wird zusätzlich die Emetogenität des eingesetzten
Chemotherapeutikums berücksichtigt. Die antiemetische Prophylaxe richtet sich nach
dem Therapieregime mit der höchsten emetogenen Stufe. Aktuelle Leitlinien der MASCC
(einzusehen unter: www.mascc.org ) empfehlen, für Strahlen- und Chemotherapien mit hoch- und mäßig-metogenem Potenzial
eine prophylaktische Antiemese anzuwenden, bei niedrigem oder minimalem Risiko erst
beim Auftreten von Symptomen [487 ].
Beim antizipatorischem Erbrechen stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund;
medikamentös ist es kaum beeinflussbar. Niedrig dosierte Benzodiazepine können zur
Prävention verwendet werden [479 ].
3.12.2.5. Mukositis
Ziel supportiver Maßnahmen ist die langfristige Einbindung des Patienten in ein peritherapeutisches
Betreuungskonzept, in dem Prävention und Therapie miteinander verknüpft sind und durch
kontinuierliche Anleitung und Motivation des Patienten ergänzt werden). Mangelhafte
Mundhygiene mit weichen und harten Zahnbelägen (Plaque, Zahnstein) sind die wichtigsten
Risikofaktoren. Das individuelle Risiko wird zusätzlich durch Alkohol- und Nikotinabusus,
stark gewürzte, saure Speisen sowie Diabetes mellitus, Hormonstatus bzw. -therapie,
Kortison-Langzeittherapie etc. moduliert. Unter der Therapie mit Antimetaboliten,
insbesondere bei 5-FU und Methotrexat, kann es zur foudroyant verlaufenden Sonderform
der akut nekrotisierenden ulzerösen Gingivitis (ANUG) kommen. Eine weitere, langfristig
bestehende Keimgefährdung besteht in der Candidabesiedlung der Mundhöhle, die neben
der oralen Mukositis auch eine Ausbreitungsgefahr birgt zur radiogenen Soor-Ösophagitis
bis zur chronisch atrophischen Soor-Infektion mit Ösophagusstrukturen [474 ].
Grundlage ist eine optimale Mundhygiene mit regelmäßigen Mundspülungen, dabei sind
die Inhaltsstoffe der Spüllösungen von untergeordneter Bedeutung. Kamillentee ist
ungeeignet wegen einer möglichen Verstärkung der Xerostomie. Eine adäquate analgetische
Versorgung ist obligat; sie umfasst topische und systemische Schmerzmittel nach individuellem
Bedarf und eine zielgerichtete, systemische, antiinfektive Therapie bei Infektion
[479 ] (http://www.onkosupport.de/asors/content/e974/e2538/e2541/e2549/071123_ ).
3.12.2.6. Hand-Fuß-Syndrom
Ausgelöst durch Fluorouracil als Dauerinfusion oder orale 5-FU-Derivate, z. B. häufig
bei Capecitabin, kommt es zu schmerzhaften, erythematösen Hautläsionen, v. a. im Bereich
der Handinnenflächen und Fußsohlen, häufig verbunden mit einer lokalen Druckempfindlichkeit
und Parästhesien, in schweren Fällen mit Blasenbildung und Hautablösungen. Bereits
bei Frühsymptomen (Rötung, Hautablösung, kleine Risse, Schwellungen, Kribbeln, Jucken
oder Taubheitsgefühl) werden die betroffenen Stellen gekühlt [474 ].
3.12.2.7. Anämie
Tumorbedingte oder Chemotherapie-induzierte Anämie stellt eine besondere Herausforderung
dar. Die Anämie ist bedeutsam für Leistungsfähigkeit und Lebensqualität [488 ] und sollte bei Symptomatik bis zu einem Hb von 12 g/dl ausgeglichen werden. Die
Therapie der zugrunde liegenden Störung erfolgt nach Diagnosestellung und ist abhängig
von der Grunderkrankung oder der spezifischen Ursache der Anämie.
Die Datenlage zum Einfluss einer Anämie auf das Überleben ist widersprüchlich [480 ]
[481 ] (http://www.krebsgesellschaft.de/download/ll_o_05.pdf ). Die Therapie der Anämie kann mittels Transfusionen oder Erythropoetin erfolgen
([489 ], Rizzo). Transfusionen sind nach den Leitlinien der Bundesärztekammer ab einem Hb-Wert
von 8 g/dl indiziert. Bei einer chronischen Eisenmangelanämie (nutritiv oder blutungsbedingt)
ist die orale Gabe von Fe-II-Verbindungen (100 – 300 mg/d) angezeigt. Alternative
bei Unverträglichkeit oder Resorptionsstörungen (Kurzdarm etc.) ist die parenterale
Gabe von Eisen(III)- Komplex. Bei akutem Blutverlust muss bei einem Hb < 8 g/dl die
Transfusionsindikation für Erythrozytenkonzentrat (EK) geprüft werden. Bei chronischer
Anämie werden zum Teil deutlich niedrigere Hb-Werte zwischen 6 und 8 g/dl ohne Symptome
toleriert, deswegen besteht in diesen Fällen keine unbedingt zwingende Indikation
zur Erythrozyten-Transfusion. Patienten mit koronarer Herzkrankheit, COPD oder einer
bestehenden Gefahr zerebraler Perfusionsstörungen sollten jedoch bereits bei einem
Hb < 10 g/dl transfundiert werden.
Bei Tumorpatienten, die mit einer Chemo- oder Radiochemotherapie behandelt werden,
kann eine Behandlung mit Erythropoetin ab einem Hb-Level von < 10 g/dL initiiert werden.
Bei Patienten mit einem Hb-Level unter 9 g/dL sollte untersucht werden, ob eine Transfusionstherapie,
zusätzlich zu der Behandlung mit Erythropoetin, benötigt wird. Bei asymptomatischen
anämischen Patienten mit einem Hb Level < 11 g/dL sollte eine Therapie mit Erythropoetin
in Betracht gezogen werden, um eine weitere Abnahme des Hb-Levels zu verhindern. Bei
Patienten mit normalem oder nahezu normalem Hb-Level zu Beginn einer Chemotherapie
und/oder Radiotherapiebehandlung wird die prophylaktische Behandlung mit Erythropoetin
zur Prävention einer Anämie nicht empfehlen. Bis die Behandlung beendet wird, sollte
der Hb-Level möglichst bei 12 g/dl liegen und die Patienten sollten eine Besserung
der Symptomatik vermerken [482 ]
[483 ]
[484 ].
Zusätzlich ist der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 17.6.2010 über
eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) zu berücksichtigen mit der Anlage
IV zum Therapiehinweis zu Erythropoese-stimulierenden Wirkstoffen zur Behandlung der
symptomatischen Anämie bei Tumorpatienten, die eine Chemotherapie erhalten (http://www.g-ba.de/downloads/39–261–1150/2010–06–17_AM-RL4_Erythropoese.pdf ). Die evidenzbasierten Guidelines der EORTC zur Therapie der Anämie mit EPO sind
unter www.onkosupport.de und die Leitlininen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO)
unter www.dgho.de/onkopedia/Supportiv detailliert aufgeführt.
3.12.2.8. Prophylaxe und Behandlung der Neutropenie und Infektion
Die aktuellen Empfehlungen von DGHO, DKG, NCCN, ASCO bzw. EORTC, G-CSF bereits bei
einem Risiko der febrilen Neutropenie ≥ 20 % einzusetzen, basieren auf randomisiert
kontrollierten Studien. Diese zeigen, dass Patienten mit einem febrilen Neutropenie(FN)-Risiko
von 20 % und mehr von G-CSF signifikant profitieren. Wird eine Chemotherapie geplant,
die ein moderates FN-Risiko (10 – 20 %) induziert, empfehlen die Leitlinien vor jedem
Chemotherapiezyklus das individuelle FN-Gesamtrisiko zu beurteilen und dabei pat.-
bzw. tumorbezogene Risikofaktoren zu berücksichtigen (http://www.dgho.de/onkopedia/Supportiv ). Eine routinemäßige Infektionsprophylaxe mit Antibiotika wird wegen des Risikos
der Resistenzentwicklung bei den hier verwendeten Chemotherapieprotokollen des Magenkarzinoms
nicht empfohlen. Die folgenden Definitionen sind aus der Leitline der DGHO entnommen,
die als Kurzfassung in den Leitlinen der Deutschen Krebsgesellschaft aufgeführt sind
(www.dgho-infektionen.de ). Genauere Details können auf der obengenannten Internetadresse eingesehen werden.
Die Neutropenie (Granulozytopenie) wird mit den folgenden Werten definiert: neutrophile
Granulozyten (Segment- und Stabkernige) < 500 /mm3 oder < 1000 /mm3 mit einem erwartetem Abfall < 500 /mm3 innerhalb der nächsten 2 Tage. Zudem werden die Patienten bestimmten Risikogruppen
zugeordnet, je nach erwarteter Neutropeniedauer und bestimmten Riskofaktoren; z. B.
die Niedrigrisiko-Gruppe mit einer Neutropeniedauer ≤ 5 Tage.
Als Fieber unklarer Genese (fever of unknown origin, FUO) wird neu aufgetretenes Fieber
ohne richtungweisende klinische oder mikrobiologische Infektionsbefunde gewertet,
das einmalig ohne erkennbare Ursache von ≥ 38,3 °C oder für mindestens eine Stunde
anhaltend ≥ 38,0 °C oder 2-mal innerhalb von 12 h aufgetretend ist. Dieses Fieber
muss als Infektionszeichen gewertet werden. Die Therapie muss innerhalb von 2 h beginnen,
die Diagnostik darf den Therapiebeginn nicht verzögern. Als Beispiel einer ambulanten
Therapie für Niedrigrisikopatienten gilt [Abb. 4 ]. Sollte für den Patienten im Therapieverlauf sich eine höhere Risikogruppe ergeben,
kann die Therapiestrategie nach [Abb. 5 ] verfolgt werden.
Abb. 4 Therapieprotokoll für Patienten mit niedrigem Risiko.
Abb. 5 Therapieprotokoll für Patienten mit mittlerem Risiko.
3.12.2.9. Impfungen nach Splenektomie
Ein sehr hohes Risiko für bakterielle Sepsis (bekapselte Erreger) und das OPSI-Syndrom
(overwhelming postsplenectomy infection) durch Streptococcus pneumoniae besteht bei
Patienten, bei denen die Milz im Rahmen einer onkologischen Therapie bestrahlt wurde
oder bei denen eine Milzexstirpation durchgeführt wurde. Laut STIKO werden diese Patienten
mit funktioneller Asplenie nicht als „severely immunocompromised” eingestuft und können
daher alle empfohlenen Impfungen zeitgerecht erhalten. Totimpfstoffe sind unbedenklich
einzusetzen. Bei Lebendimpfstoffen fehlen spezifische Studien, theoretisch spricht
nichts gegen die Immunisierung entsprechend der allgemeinen Impfempfehlung. Speziell
empfohlene Impfungen sind Diphtherie, Tetanus, Pertussis, inaktivierte Poliovakzine
(IPV) und Hepatitis B. Der Konjugat-Impfstoff gegen Pneumokokken ist bei deutlich
erhöhtem Erkrankungsrisiko indiziert. Eine Boosterimpfung ist nach derzeitiger Datenlage
nicht erforderlich. Gegen Hämophilus Influenzae B (Hib) sollte geimpft werden, da
theoretisch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko besteht, ebenso gegen Meningokokken, je
nach Alter des Patienten mit Konjugat- bzw. Konjugat- gefolgt von Polysaccharid-Impfstoff.
Jährlich ist die Influenza-Impfung indiziert, um das Auftreten von Sekundärerkrankungen
zu verringern, wie z. B. Pneumokokken-Infektionen [490 ]. Weitere Informationen sind unter: http://www.rki.de/cln_178/nn_1493594/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr__ImpfGesundheitsschaden/FAQ01.html?__nnn=true zu finden.
3.12.2.10. Akupunktur
Postoperativ kann eine Stimulation am Akupunkturpunkt P 6 zur Prophylaxe von Übelkeit
und Erbrechen mit verschiedenen Methoden wie Akupunktur, Akupressur, Elektroakupunktur,
TENS oder Laser unterstützend wirken [485 ]. P 6 ist ein klassischer Akupunkturpunkt gegen Übelkeit. Er liegt am Unterarm volarseitig
2 Querfinger proximal der Beugefalte des Handgelenkes. Die der Cochrane-Analyse zugrunde
liegenden Studien sind z. T. methodisch schwach und stammen auch in größerem Umfang
aus Asien, sodass an der Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse Zweifel blieben.
Eine komplementäre Akupunktstimulation ist kein Ersatz für eine postoperative angemessene
Antiemese. Während einer Chemotherapie vermindert eine Akupunktur-Stimulation akutes
Erbrechen, aber nicht akute Übelkeit. Es ergibt sich kein Effekt auf verzögerte Übelkeit
und Erbrechen. Elektrostimulation ist unwirksam [486 ]. In der Cochrane-Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2006 wurden sehr unterschiedliche
Studien zusammengefasst. Z. T. wurden sie an kleinen Patientengruppen und z. T. in
Asien durchgeführt. In den meisten Studien wurde parallel eine medikamentöse Antiemese
durchgeführt, die aber nicht den heutigen Möglichkeiten und Standards entspricht.
Zur Stimulation wurden Druck oder Nadeln (Akupressur oder Akupunktur) verwendet. Ein
Vorteil ist die leichte Instruktion des Patienten in Bezug auf die Akupressur. Eine
Elektroakupunktur wirkte in einer Studie positiv auf akutes Erbrechen und akute Übelkeit,
allerdings wurde keine adäquate Antiemese durchgeführt. Wenn eine Akupunktstimulation
als komplementäre Therapie gewählt wird, eine adäquate antiemetische, prophylaktische
und Rescue-Medikation nach Leitlinie ist erforderlich. Zur Schmerztherapie bei Tumorpatienten
liegen nicht genügend valide Daten vor, die für eine positive Empfehlung ausreichen.
Auf keinen Fall stellt eine Akupunktur einen Ersatz für eine umfassende Schmerztherapie
dar. Zur Schmerztherapie von Tumorpatienten mit Akupunktur liegt eine ältere Arbeit
nach westlichen Therapiestandards vor, die einen positiven Effekt zeigt. Diese Arbeit
hat keine Kontrollgruppe, sodass nur eine Verbesserung festgestellt werden konnte
[491 ]. Die übrigen publizierten Studien z. T. mit randomisiertem Design weisen ebenfalls
positive Ergebnisse auf, wurden aber in Asien durchgeführt, sodass an der Übertragbarkeit
auf deutsche Verhältnisse Zweifel bestehen.
3.13. Ernährung
3.13.1. Allgemeine Entscheidungshilfen
115. Konsensbasiertes Statement
Obwohl eine künstliche Ernährung Tumorgewebe mit Nährstoffen versorgt, liegen keine
Daten vor, dass dies die klinische Situation negativ beeinflusst. Diese Überlegungen
sollten deshalb nicht die Entscheidung für eine klinisch indizierte Ernährung beeinflussen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Eine aktuelle Übersicht zur verfügbaren Datenlage stellt fest, dass eine Ernährungstherapie
möglicherweise das Wachstum von Tumorzellen anregen kann [492 ]. Dennoch sollten Patienten eine Ernährungstherapie erhalten, wenn der Ernährungszustand
so weit kompromittiert ist, dass ein hohes Risiko für Komplikationen besteht oder
eine geplante onkologische Therapie nicht durchgeführt werden kann [493 ].
116. Empfehlung
Der Ernährungsstatus sollte bei allen Tumorpatienten, beginnend mit der Diagnosestellung,
bei jedem Patientenkontakt beurteilt werden, um Interventionen frühzeitig einleiten
zu können, bevor es zu schwer beeinflussbaren Einschränkungen des Allgemeinzustands
kommt.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 2a
Leitlinienadaptation: [493 ], AWMF Reg.-Nr. 073 / 003
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Ein eingeschränkter Ernährungsstatus ist assoziiert mit reduzierter Lebensqualität,
geringer körperlicher Aktivität, häufigeren therapieassoziierten unerwünschten Wirkungen,
geringerem Ansprechen auf antitumorale Therapie sowie reduzierter Überlebenszeit [494 ]
[495 ]. Jedoch ist der genaue Zusammenhang von Ursache und Wirkung noch nicht belegt [493 ]. Longitudinalstudien haben gezeigt, dass die Prognose für Tumorpatienten mit Gewichtsverlust
schlechter ist als für Patienten mit stabilem Gewicht. Es treten ausgeprägtere therapiebedingte
Nebenwirkungen auf, das Ansprechen auf die Tumortherapie ist vermindert, ebenso wie
der Aktivitätslevel, die subjektive Lebensqualität und das Überleben der Patienten.
Neben Sepsis ist Kachexie eine der häufigsten Todesursachen bei Tumorpatienten (5
– 25 %). Aus diesem Grund scheint Unterernährung ein Marker für den Schweregrad der
Erkrankung und eine ungünstige Prognose zu sein. Es wurde jedoch noch nicht bewiesen,
dass Unterernährung per se einen direkten Einfluss auf die Prognose hat, unabhängig
von der zugrunde liegenden Krankheit. Patienten mit Gewichtsverlust haben ein signifikant
erhöhtes Risiko für therapiebedingte Komplikationen und eine eingeschränkte Prognose.
Dies ist in zahlreichen retrospektiven und prospektiven Studien gezeigt worden, zuletzt
prospektiv multizentrisch bei 5267 Patienten durch [495 ]. Hier trat bei 887 Patienten eine Komplikation während der stationären Behandlung
auf. Diese war signifikant assoziiert mit dem „Nutritional Risk Score”, in den der
Gewichtsverlust einfließt, dem Alter, einer Operation und dem Bestehen einer Tumorerkrankung.
Umgekehrt wiesen ernährungsmedizinische Risikopatienten signifikant häufiger Komplikationen
auf. Bei Patienten mit Ösophagus- und Magenkarzinom kann in etwa 50 % ein Gewichtsverlust
festgestellt werden, welcher bei einem Drittel über 10 % beträgt [496 ]. Pirlich et al. [494 ] fanden multizentrisch für Deutschland eine signifikante Assoziation zwischen dem
Ernährungsstatus („Subjective Global Assessment”) und der Krankenhausverweildauer.
117. Konsensbasierte Empfehlung
Zur Frage der funktionellen Auswirkungen einer Ösophagektomie oder Gastrektomie auf
die Ernährung kann bereits präoperativ, im Rahmen der Aufklärung, ein Diätassistent
hinzugezogen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
118. Empfehlung
Patienten vor großen Tumorresektionen im oberen GI-Bereich sollten auch ohne Zeichen
einer Mangelernährung präoperativ immunmodulierende Trinklösungen einnehmen, die Arginin,
Omega-3-Fettsäuren und Ribonukleotide enthalten.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1b
Leitlinienadaptation: [497 ], AWMF Reg.-Nr. 073 / 003
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Die Indikation zur sofortigen künstlichen (präferenziell enteralen) Ernährung besteht
auch bei Patienten ohne Zeichen der Mangelernährung, wenn sie perioperativ voraussichtlich
für mehr als 7 Tage keine Nahrung zu sich nehmen können, sowie bei Patienten, die
sich perioperativ voraussichtlich über mehr als 10 Tage oral nur unzureichend (< 60
% der empfohlenen Zufuhr) ernähren werden [497 ]
[498 ]. Bei einer Ernährungstherapie sollte, wenn immer möglich, der enteralen Nahrungszufuhr
der Vorzug gegeben werden. Eine kombinierte Therapie mit parenteraler Ernährung kommt
in Betracht, wenn bei bestehender Indikation für eine künstliche Ernährungstherapie
der Energiebedarf über die enterale Ernährung allein nicht ausreichend gedeckt werden
kann (< 60 % des Energiebedarfs, [497 ]). Für den Fall, dass eine orale oder enterale Zufuhr nicht möglich ist, besteht
die Indikation zur totalen parenteralen Ernährung [498 ]. Eine über 5 – 7 Tage präoperativ verabreichte immunmodulierende Trinklösung mit
Arginin, Omega-3-Fettsäuren und Ribonukleotiden mit postoperativ enteraler Fortsetzung
der Ernährungstherapie reduzierte signifikant die Zahl der Patienten mit postoperativen
Infektionen und die Krankenhausverweildauer [499 ]. 138 der 305 Patienten (45 %) hatten eine Ösophagus-Magenresektion. Die Intervention
war vor allem präoperativ effektiv, da die prä- und postoperative Gabe keine Vorteile
gegenüber der alleinigen präoperativen Supplementierung aufwies. An der Studie ist
das Fehlen einer weiteren Kontrollgruppe mit einer Standard-Trinklösung zu kritisieren.
Weitere aktuelle Studien haben für eine ausschließlich postoperative Gabe dieser „Immunonutrition”
keinen Nutzen gezeigt [500 ]
[501 ]. Wahrscheinlich reicht deshalb postoperativ in den meisten Fällen die Gabe einer
Standardnahrung aus.
3.13.2. Präoperative Ernährungstherapie
119. Empfehlung
Patienten mit hohem ernährungsmedizinischem Risiko sollten für eine Dauer von 10 –
14 Tagen präoperativ eine gezielte Ernährungstherapie erhalten, auch wenn dafür die
Operation verschoben werden muss.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1b
Leitlinienadaptation [497 ]
[498 ], AWMF Reg.-Nr. 073 / 003, 073 / 018
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Ein hohes ernährungsmedizinisches Risiko für chirurgische Komplikationen besteht,
wenn zumindest einer der folgenden Befunde vorliegt [497 ]
[498 ]:
Gewichtsverlust > 10 – 15 % innerhalb von 6 Monaten
BMI < 18,5 kg/m2
Subjective Global Assessment (SGA) Score C
Serumalbumin < 30 g/l (ohne Zeichen einer Leber- oder Nierenstörung)
Für chirurgische Patienten mit schwerer Mangelernährung (Gewichtsverlust von mehr
als 10 %) konnte gezeigt werden, dass eine präoperative Ernährungstherapie von mindestens
10 Tagen die postoperative Komplikationsrate signifikant senkt [502 ]. Zum Gewichtsverlust und zur Bedeutung des SGA siehe oben unter Punkt 3.13. Die
Grenze zum Untergewicht („thinness”) wird von der WHO bei einem BMI < 18,5 kg/m2 gezogen (WHO 1995). Das Serumalbumin gilt als negatives Akutphasenprotein und ist
– sofern keine Leber- oder Nierenerkrankungen vorliegen – mit einem erhöhten Risiko
assoziiert. Ein präoperativ niedriges Serumalbumin ist als prognostischer Faktor für
die postoperative Letalität in einer großen Kohortenstudie mit 87 078 großen nicht
herzchirurgischen Eingriffen gezeigt worden [503 ]. In einer US-amerikanischen Datenbank von 105 951 Patienten hat sich das niedrige
präoperative Serumalbumin als signifikanter Faktor für das Entstehen einer postoperativen
Komplikation innerhalb von 30 Tagen gezeigt [504 ]. Bei kolorektalen Eingriffen war ein präoperativ niedriges Serumalbumin ein Risikofaktor
für die Entstehung einer Anastomoseninsuffizienz [505 ].
Primär sollte einer enteralen Ernährung der Vorzug gegeben werden – möglichst prästationär
zur Vermeidung einer nosokomialen Infektion.
120. Empfehlung
Schwer mangelernährte Patienten, die sich nicht ausreichend oral oder enteral ernähren,
sollten präoperativ parenteral ernährt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1b
Leitlinienadaptation: [498 ], AWMF Reg.-Nr. 073 / 018
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Eine schwere Mangelernährung besteht präoperativ bei vielen Patienten vor Ösophagusresektion
und Gastrektomie [497 ]
[498 ]. Eine perioperativ erheblich reduzierte Nahrungsaufnahme ist bei den meisten Patienten
zu erwarten. Beide Faktoren sind mit einer erhöhten postoperativen Morbidität und
Letalität assoziiert. Meyer et al. haben in einer Analyse von 1199 Patienten mit Resektion
eines Tumors des Magens oder ösophagogastralen Übergangs eine signifikante Assoziation
zwischen dem Auftreten einer Anastomoseninsuffizienz und einer präoperativen Dysphagie
oder Magenausgangsstenose als Ursache einer eingeschränkten Nahrungsaufnahme festgestellt.
In einer Metaanalyse der Studien zur präoperativen Ernährung brachte die Verschiebung
einer Operation zur Durchführung einer parenteralen Ernährungstherapie nur bei schwerer
Mangelernährung Vorteile [506 ]. Für chirurgische Patienten mit gastrointestinalem Karzinom und schwerer Mangelernährung
(Gewichtsverlust von mehr als 10 %) konnte gezeigt werden, dass eine präoperative
Ernährungstherapie von mindestens 10 Tagen die postoperative Komplikationsrate signifikant
um ein Drittel senkt und die Letalität vermindert [502 ]
[507 ].
121. Konsensbasierte Empfehlung
Nach Ösophagektomie oder Gastrektomie sollte eine enterale Sondenernährung frühzeitig
innerhalb von 24 h postoperativ begonnen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Ernährung sollte über eine distal der Anastomose applizierte Sonde erfolgen [497 ]
[498 ]. Deshalb sollte intraoperativ eine nasojejunale Sonde eingebracht oder eine Feinnadelkatheterjejunostomie
angelegt werden. Die intraoperative Anlage einer Katheterjejunostomie ist mit nur
geringem Risiko assoziiert [497 ]. Die Sondenernährung sollte mit geringer Flussrate (10 – 20 ml/h) begonnen und nur
vorsichtig unter klinischer Beobachtung des Abdomens gesteigert werden, um die Entwicklung
einer intestinalen Ischämie zu vermeiden [497 ].
3.13.3. Postoperative Ernährungstherapie
122. Konsensbasierte Empfehlung
Postoperativ sollen Patienten nach Ösophagektomie oder Gastrektomie vor der Entlassung
eine eingehende diätetische Beratung zu den erforderlichen Änderungen im Ernährungsverhalten
sowie ggf. eine Schulung im Umgang mit einer vorhandenen Feinnadelkatheterjejunostomie
erhalten. Ernährungsmedizinische Verlaufskontrollen ggf. mit Wiederholung der Ernährungsberatung
sollten regelmäßig erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Eine vorhandene Feinnadelkatheterjejunostomie (FKJ) sollte gerade nach Ösophagusresektion
für mindestens 6 Wochen für den Fall des Auftretens einer Anastomosenstriktur belassen
werden. Die Fortsetzung einer enteralen Ernährung mit einer Menge von 500 – 1000 ml
über mehrere Wochen ist zu erwägen. Nach Gastrektomie kommt es durch Adaptationsprozesse
auch bei postoperativ tumorfreien Patienten zu einem deutlichen Gewichtsverlust von
bis zu 15 % des gesunden Ausgangsgewichts. Zu empfehlen sind regelmäßige ernährungsmedizinische
Verlaufskontrollen ggf. mit Wiederholung der Ernährungsberatung. Die bioelektrische
Impedanzanalyse kann zur Beurteilung der Körperzusammensetzung hilfreich sein. Die
Sicherheit insbesondere auch bei poststationärer Fortführung einer enteralen Ernährung
über Feinnadelkatheterjeunostomie ist prospektiv für Patienten nach Ösophagusresektion
gezeigt worden [508 ]
[509 ].
3.13.4. Ernährung unter Chemotherapie oder Strahlentherapie
123. Empfehlung
Eine routinemäßige parenterale oder enterale Ernährung sollte weder während Chemotherapie
oder Strahlentherapie noch während kombinierter Behandlung eingesetzt werden.
Empfehlungsgrad: B
Level of Evidence: 1a
Leitlinienadaptation: [493 ], AWMF Reg.-Nr. 073 / 003
Abstimmung im Plenum: Konsens
124. Konsensbasierte Empfehlung
Eine Ernährungstherapie sollte regelmäßig erfolgen, wenn die normale Nahrungsaufnahme
unzureichend ist, um einer mit Mangelernährung assoziierten Prognoseeinschränkung
entgegenzuwirken.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Eine routinemäßige oder eine prophylaktische enterale Ernährung während einer Chemotherapie
erhöht weder das Tumoransprechen auf die Chemotherapie noch Chemotherapie-assoziierte
Nebenwirkungen. Eine systematische Übersichtsarbeit von RCTs zu Ernährungsinterventionen
parallel zu Radio-und/oder Chemotherapie [510 ] zeigte keine Vorteile, jedoch mögliche Nachteile, wenn Patienten enteral oder parenteral
ernährt wurden, die weder mangelernährt noch in der oralen Nahrungsaufnahme eingeschränkt
waren.
125. Konsensbasiertes Statement
Während einer Chemo- oder Strahlentherapie sollten Vitamine und Spurenelemente entsprechend
des physiologischen Bedarfs und möglichst über die natürliche Ernährung zugeführt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In der supportiven Therapie werden unterschiedliche Methoden und Substanzen parallel
oder kurz nach der antitumoralen Therapie eingesetzt. In diesem Zusammenhang ist es
neben der Bewertung der Datenlage für die Wirkung der Methode von großer Bedeutung,
Hinweise auf negative Wirkungen (direkte Schädigung und Interaktionen) zu beachten.
Hierzu ist die Datenlage z. T. gering. Da die Sicherheit der Patienten im Vordergrund
steht, sind auch Hinweise auf mögliche negative Wirkungen aus Präklinik und Fallberichten
bei der Risikoabwägung zu berücksichtigen. Nahrungsergänzungsmittel sind Vitamine
und Spurenelemente, Aminosäuren, Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe. Z. T. werden
sie als Einzelsubstanzen meist aber als Mischungen angeboten. Die Zusammensetzung
variiert stark, nur einige Präparate sind am physiologischen Bedarf orientiert [511 ]
[512 ]
[513 ]. Insbesondere Antioxidantien können die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie
abschwächen. Hierzu gehören Vitamin C, E, Betacarotin. Folsäure könnte die Wirkung
von 5-FU beeinflussen. Bisher gibt es nur einige klinische Studien, die auf die Sicherheit
der Gabe von Antioxidantien geachtet haben und eine ausreichende Patientenzahl zur
Beurteilung aufweisen. Vitamin E wurde prophylaktisch zum Schutz vor der Entwicklung
der Neurotoxizität unter Cisplatin und Taxol eingesetzt. Da keine Daten zum Einfluss
auf das Überleben vorliegen, ist der Einsatz außerhalb von Studien nicht empfehlenswert
[514 ]
[515 ].
Bei nachgewiesenem oder mit der Krankheitssituation des Patienten regelhaft einhergehenden
Mangelsituationen (Beispiel Vitamin B12 ) ist eine Substitution orientiert am physiologischen Bedarf und den Zufuhr- und Resorptionsmöglichkeiten
des Patienten erforderlich. Es gibt keinen Beweis, dass Selen Nebenwirkungen, die
im Zusammenhang mit Therapien des Magenkarzinoms relevant sind, vermindert. Die bisher
publizierten klinischen Studien wurden in der Cochraneübersicht von Dennert et al.
zusammengefasst. Seitdem sind keine für den Kontext Magenkarzinom relevanten weiteren
Studien publiziert worden [516 ]. Präklinische Daten sprechen dafür, dass Zink das Wachstum von Tumoren fördert,
eine Supplementierung ist deshalb bei normaler Ernährung nicht zu empfehlen.
Bei Tumorkachexie wurden Omega-3-Fettsäuren geprüft. Die Datenlage aus den Studien
ist widersprüchlich. Die Cochrane-Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2007 sah eine ungenügende
Datenlage im Hinblick auf eine Evidenz für die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren
zur Behandlung der Tumorkachexie [517 ]. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem gleichen Jahr kommt zu der Schlussfolgerung,
dass orale Supplemente mit Omega-3-Fettsäuren Patienten mit Tumorerkrankungen und
Gewichtsverlust nutzen und indiziert sind bei Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts
und des Pankreas. Es kommt zu einer Verbesserung von Appetit, Lebensqualität, verminderten
postoperativen Morbidität und Gewichtszunahme. Es wird eine Aufnahme von 1,5 g/Tag
empfohlen [518 ]. Aufgrund der inkonsistenten Datenlage sind Omega-3-Fettsäuren nicht als Teil der
evidenzbasierten Therapie zu betrachten. Keinesfalls ersetzt die Verordnung eine Betreuung
des Patienten durch einen erfahrenen Ernährungsmediziner.
Eine Kombination aus Lactobacillus und Ballaststoffen senkt nach einer Studie die
Diarrhö unter einer Chemotherapie [519 ]. Sie könnte in Absprache mit dem Patienten in einem ganzheitlichen Konzept zum Einsatz
kommen, wobei sie eine effiziente Prävention und insbesondere Therapie der Diarrhö
v. a. unter Irinotecan nicht ersetzt. Bei Patienten mit starker Immunsuppression sind
Präparate, die lebende Keime enthalten, zu vermeiden.
126. Konsensbasierte Empfehlung
Auch bei Tumorpatienten, die palliativ behandelt werden, sollte der Ernährungszustand
regelmäßig beurteilt werden und bei der Feststellung eines Defizits sollte eine Intervention
frühzeitig eingeleitet werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Symptome wie Schmerz, Übelkeit, Obstipation, Depression und Mundhygiene sollten beachtet
und kontrolliert werden, um den Betroffenen eine adäquate und ausreichende orale Nahrungsaufnahme
zu ermöglichen [316 ]. Bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme sollte die Option einer künstlichen
Ernährung mit dem Patienten, der betreuenden Person und im zuständigen multiprofessionellen
Team diskutiert werden. Dabei sollten symptombezogene, ethische, prognostische und
praktische Belange mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebensqualität bedacht werden
[316 ]. Insbesondere ist zu beachten, dass jede Form einer enteralen Ernährung physiologischer,
komplikationsärmer und kostengünstiger ist als eine parenterale Ernährung [316 ]. Ist die Entscheidung für eine enterale Sondenernährung gefallen, so sind perkutane
enterale Sonden gegenüber nasogastralen Sonden zu bevorzugen, da sie seltener dislozieren,
aus kosmetischen Gründen eher akzeptiert werden und da sie einfacher bedient werden
können [316 ]. Nach Gastrektomie und häufig bei tumorbefallenem Magen kann keine perkutane Gastrostomie
(PEG/RIG) angelegt werden. Alternativen sind PEJ-Sonden (endoskopisch angelegte perkutane
Jejunostomie) und Feinnadelkatheterjejunostomien (FKJ).
Wenn bei unheilbarer Tumorsituation ein Gewichtsverlust aufgrund einer unzureichenden
Nahrungsaufnahme vorliegt, kann eine supplementierende parenterale Zusatzernährung
vorteilhaft sein. Mehrere Arbeiten einer Arbeitsgruppe zeigten für diese Situation
eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Überlebenszeit [493 ]
[520 ]
[521 ]. Eine palliative Ernährungstherapie bei terminal kranken Tumorpatienten ist allerdings
nur selten indiziert, am ehesten noch dann, wenn die erwartete Überlebenszeit 1 –
2 Monate [522 ]
[520 ] oder 2 – 3 Monate [493 ] übersteigt.
3.13.5. Ernährung in der Sterbephase
127. Konsensbasiertes Statement
In der Sterbephase sind Grundsätze zum Erhalt des Ernährungszustands nicht länger
relevant und eine intensive künstliche Ernährung kann den Zustand eines sterbenden
Patienten sogar verschlechtern.
Level of Evidence: GCP
Leitlinienadaptation: [493, AWMF Reg.- Nr. 073 / 003]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
In der Sterbephase benötigen die meisten Patienten nur minimale Mengen an Essen und
wenig Wasser, um Durst und Hunger zu stillen. Geringe Flüssigkeitsmengen können allerdings
helfen, durch Dehydratation induzierte Verwirrtheitszustände zu verhindern. Subkutan
zugeführte Flüssigkeiten im Krankenhaus oder Zuhause können sinnvoll sein und als
Träger für Medikamente dienen; diese Lösungen sind allerdings nicht für eine subkutane
Infusion zugelassen [493 ].
3.14. Nachsorge und Rehabilitation
3.14.1. Lebensqualität
128. Konsensbasierte Empfehlung
Die Nachsorge nach chirurgischer Resektion sollte symptomorientiert Funktionsstörungen
erfassen, die die Lebensqualität beeinflussen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine strukturierte Nachsorge im
Sinne regelmäßiger Staginguntersuchungen zu einer Verbesserung des Überlebens beim
Magenkarzinom führt [523 ]
[524 ]
[525 ]
[526 ]
[527 ]
[528 ]. Es gibt 4 Gründe für eine symptomorientierte Nachsorge bei Patienten mit einem
ösophagogastralen Karzinom:
um Funktionsstörungen zu entdecken in Verbindung mit einem Rezidiv oder als benigne
Komplikationen der Behandlung,
um den Ernährungszustand zu beurteilen und Ernährungsprobleme zu handhaben,
um psychische Unterstützung anzubieten für den Patienten und die Familie, mit angemessenen
medizinischen Maßnahmen in Liaison mit Palliativmedizin,
um die Prüfung der Behandlungsergebnisse zu vereinfachen [316 ].
Im Rahmen der Nachsorge ist eine regelmäßige Anamnese und körperliche Untersuchung
einschließlich Gewicht, Bestimmung von Blutbild, Eisen, Transferrin, Transferrin-Sättigung
und Vitamin B12 im Serum erforderlich. Nachsorgeuntersuchungen erfolgen zu Beginn kurzfristiger,
um Komplikationen schneller zu entdecken und eine Balance des Nahrungshaushalts zu
sichern. Die Dauer der Nachsorge ist abhängig von den Bedürfnissen des Patienten für
Unterstützung und von der Rezidivrate des jeweiligen Karzinoms [238 ]. Die belgische Leitlinie empfiehlt, dass die Nachsorge eine körperliche Untersuchung
und eine Blutanalyse alle 3 Monate und ein CT alle 6 Monate im ersten Jahr und dann
jährlich für weitere 4 Jahre beinhaltet [529 ].
3.14.2. Substitutionen nach Gastrektomie
129. Konsensbasierte Empfehlung
Nach einer Gastrektomie soll eine regelmäßige Vitamin-B12 -Substitution lebenslang durchgeführt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Bei Patienten, die einem operativen Eingriff aufgrund eines Karzinoms des ösophagogastralen
Übergangs unterzogen wurden, sollte eine regelmäßige parenterale Vitamin-B12 -Substitution lebenslang durchgeführt werden. Im Falle einer partiellen Magenresektion
sollte die Vitamin-B12 -Substitution erwogen werden. Prophylaktisch sollten bedarfsorientiert das MCV und
der Vitamin-B12 -Spiegel nach 3 Monaten oder bei Symptomen bestimmt werden. Bei einer megaloblastären
Anämie erfolgt eine parenterale Vitamin-B12 -Substitution mit Hydroxycobalamin 1 mg. Initial 6 Injektionen innerhalb von 2 – 3
Wochen, dann eine Injektion alle 6 Monate zur Erhaltungstherapie. Auch eine orale
Vitamin-B12 -Substitution (2 mg/d) ist effektiv, auch bei Intrinsic-Faktor-Mangel, Gastrektomie
oder Darmresektion, da 1 % der Dosis per Diffusion aufgenommen wird. Bei Folsäuremangel
werden 5 mg täglich p. o. über 4 Monate substituiert [530 ].
130. Konsensbasierte Empfehlung
Eine Substitution mit Pankreasenzymen soll bei Patienten mit Fettstühlen erfolgen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Es gibt wissenschaftliche Belege für eine exokrine Pankreasinsuffizienz nach Gastrektomie.
Unter Enzymsubstitution bessern sich Stuhlfettausscheidung und Dyspepsie, nicht aber
der Gewichtsverlauf [531 ]
[532 ]
[533 ]
[534 ]
[535 ]
[536 ].
3.14.3. Rehabilitationsmaßnahmen
131. Konsensbasierte Empfehlung
Nach Abschluss der Primärtherapie sollte eine Anschlussheilbehandlung bei allen rehabilitationsfähigen
Patienten angeboten werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Zum Stellenwert rehabilitativer Maßnahmen bei Patienten mit Magenkarzinom ist keine
auswertbare Literatur vorhanden. Ausgewiesene Reha-Zentren sind zu bevorzugen, die
gastrointestinal onkologische Expertise aufweisen und dem Qualitätsicherungsverfahren
der DRV entsprechen. Es gibt jedoch zahlreiche Studien zu Ernährung, psychosoziale
Aspekte, Edukation, Bewegungstherapie, Sport etc. in Abstimmung mit dem familiären
Umfeld.
3.14.4. Bestimmung von Tumormarkern
132. Konsensbasierte Empfehlung
Die routinemäßige Bestimmung von Tumormarkern wird in der Nachsorge nicht empfohlen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Bestimmung von Tumormarkern
in der Nachsorge zu einer Verbesserung des Überlebens beim Magenkarzinom führt [316 ]. Es wurde keine Evidenz identifiziert, welche die Messung von Serum-Tumormarkern
in der Nachsorge von Patienten mit gastroösophagealem Karzinom außerhalb klinischer
Studien rechtfertigt [536 ]
[537 ]
[538 ]
[539 ]
[540 ]
[541 ]
[542 ]
[543 ].
3.15. Psychoonkologie
3.15.1. Patientennahes Informationsmanagement
133. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten sollten im gesamten Krankheits- und Behandlungsverlauf Zugang zu Informationen
orientiert am jeweiligen Bedürfnis haben.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Befragungen von Krebspatienten ergeben übereinstimmend Defizite hinsichtlich ihrer
Bedürfnisse nach Information; sie zählen zu den wichtigsten und häufigsten „unmet
needs‘ von Krebspatienten aller Diagnosen und Krankheitsstadien [544 ]
[545 ]. Studien belegen günstige Auswirkungen angemessener Aufklärung und Informationsvermittlung
hinsichtlich Krankheitsverarbeitung, besserem psychischem Befinden und höherer Lebensqualität
[546 ]
[547 ]
[548 ]
[549 ]. Professionelle kommunikative Kompetenz von Ärzten gewährleistet, dass Informationen
angemessen, orientiert am jeweiligen Bedürfnis und auf eine für Patienten verständliche
Weise vermittelt werden [549 ]
[550 ]
[551 ].
Es ist wichtig, dass sich Information und Aufklärung an den aktuellen Informationswünschen
des Patienten orientieren. Sie sollten ermutigt werden, dem Arzt ihre derzeitigen
Informationsbedürfnisse mitzuteilen, welche Informationen aktuell für sie wichtig
sind, wie umfassend und wie detailliert diese sein sollen. Weiter ist mit Patienten
ihre individuelle Präferenz bez. geteilter Entscheidungsfindung (shared decision making)
zu klären (z. B. zur Tumorbehandlung) und zu berücksichtigen [552 ]
[553 ].
Behandlungsoptionen einschließlich möglicher Alternativen sollten klar und verständlich
vermittelt werden, mit realistischen Informationen zur Wirksamkeit und zu potenziell
nachteiligen Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche. Der adäquaten Vorbereitung
auf die Auswirkungen einer Gastrektomie hinsichtlich funktioneller Beeinträchtigungen
kommt dabei ein besonders hoher Stellenwert zu [554 ].
In einer randomisiert kontrollierten Studie mit 58 Patienten mit Magen- bzw. Ösophaguskarzinom
wurden Informationen signifikant besser von Patienten erinnert, wenn ihnen Audio-Aufnahmen
ihrer Aufklärungsgespräche ausgehändigt wurden [555 ].
Angebote weitergehender Beratung durch eine spezialisierte Pflegekraft oder psychosoziale
Fachkräfte tragen zu besserem Verständnis und Behalten der erhaltenen Informationen
bei.
In einer kontrollierten Studie bei 121 Magenkarzinom-Patienten waren Kenntnisse und
Verständnis mit einer interaktiven Form der Informationsvermittlung bis zu 1 Jahr
signifikant besser als mit Vortrags-vermittelten Informationen; zudem waren kurzfristig
verbesserte Krankheitsverarbeitung und LQ nachzuweisen [556 ]. Das persönliche Gespräch ist durch Informationsmaterial (Broschüren usw.) zu ergänzen.
Patienten sollten im gesamten Krankheits- und Behandlungsverlauf Zugang zu Informationen
– orientiert am jeweiligen Bedürfnis – haben; wiederholte Gespräche mit Arzt/Beratern
fördern die Verarbeitung und Integration und sollten eingeplant werden. Angehörige
und weitere Bezugspersonen sollten, wann immer möglich, in Information und Aufklärung
einbezogen werden.
3.15.2. Lebensqualität
134. Konsensbasierte Empfehlung
Die Lebensqualität sollte wiederholt im Krankheitsverlauf aus Patientensicht erfragt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Ergänzend zu den klassischen Parametern für die Beurteilung und Planung von Diagnostik
und Therapiemaßnahmen haben patientengenerierte Informationen (PRO = patient reported
outcome) zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQL) einen hohen Stellenwert. Kontrollierte
Studien sprechen für den Nutzen einer Routine-Erfassung der LQ in der klinischen Patientenversorgung
– hinsichtlich Patientenzufriedenheit und Verbesserung der Arzt-Patienten-Kommunikation
ohne erhöhten Zeitaufwand [557 ]
[558 ]
[559 ]. Die systematische Erfassung von PRO-Informationen verbessert die frühzeitige Identifizierung
von Symptomen, Problembereichen und Therapie-Nebenwirkungen und hat Einfluss auf Therapieentscheidungen,
vor allem bei einem palliativem Therapieziel [557 ]
[560 ]. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien stellt die vom Patient selbst geschätzte
HRQL einen unabhängigen prognostischen Prädiktor dar [561 ]
[562 ]
[563 ]
[564 ]
[565 ], der in den Behandlungspfaden einbezogen werden sollte. Zur Messung der Lebensqualität
sind geeignete standardisierte (generelle und spezifisch für Magenkarzinom) Fragebogen
einzusetzen, welche die Lebensqualität im Selbsturteil des Patienten abbilden und
die körperlichen, psychischen und sozialen Funktionen sowie Symptome wie Fatigue,
Schmerzen, Appetit und Übelkeit erfassen [566 ]. In deutscher Übersetzung liegt eine Reihe von standardisierten, praktikablen und
international vergleichbaren Fragebogen vor (Auswahl):
EORTC-QLQ-C30 – Kernfragebogen zur Erfassung gesundheitsbezogener Lebensqualität der
EORTC mit 30 Items [567 ]
FACT-Skalen – Functional Assessment of Cancer Therapy mit 32 Items [568 ]
SF-36 – Health Survey Short Form mit 36 Items [569 ]
Die generellen Instrumente zur Erfassung von LQ sollten durch spezifische Module für
Patienten mit Magenkarzinom, z. B. EORTC QLQ-STO 22, ergänzt werden [570 ]. Die aufgeführten Instrumente sind hinsichtlich ihrer Messgüte (Reliabilität, Validität
und Veränderungssensitivität) eingehend geprüft [567 ]
[570 ]. Es sollte aufgrund klinischer Erwägungen entschieden werden, welches Instrument
für ein bestimmtes Setting geeignet ist und einem Patienten zugemutet werden kann.
3.15.3. Psychoonkologische Betreuung
135. Konsensbasierte Empfehlung
Das psychische Befinden und psychische Störungen der Patienten sollen im gesamten
Krankheitsverlauf wiederholt ermittelt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Über den gesamten Krankheitsverlauf treten behandlungsbedürftige psychische Belastungen
und Störungen mit einer Häufigkeit von 20 – 35 % (Krebspatienten aller Tumorlokalisationen
und Krankheitsstadien) auf, wobei keine Daten speziell für Patienten mit Magenkrebs
vorliegen. Es überwiegen Anpassungsstörungen (F 43.12, akute Belastungsreaktionen
(F 43.0), gefolgt von depressiven Störungen (Major Depression 8 – 20 %, Dysthymie
5 – 15 %, [571 ]
[572 ]
[573 ]). Fortgeschrittenes Krankheitsstadium, ausgeprägte funktionelle Beeinträchtigung
und hoher somatischer Beschwerdedruck ist mit höherem Risiko psychischer Störungen
verbunden [574 ]
[575 ]. Hinweise sprechen bei Patienten mit Magenkrebs für eine erhöhte Vulnerabilität
für Depression infolge Gewichtsverlust bzw. Malnutrition [576 ]. Ein beträchtlicher Prozentsatz psychischer Störungen bei Tumorpatienten wird nicht
zutreffend diagnostiziert und bleibt unzureichend behandelt [573 ]
[577 ]
[578 ]
[579 ] mit nachteiligen Auswirkungen auf körperliches Befinden, Funktionsstatus, Beschwerden
(Schmerzen, Fatigue) und die Lebensqualität der Patienten [580 ]. Angesichts gesicherter Wirksamkeit psychosozialer und psychotherapeutischer Interventionen
sollte das psychische Befinden der Patienten regelmäßig im Krankheitsverlauf, d. h.
in allen Krisenphasen und zu Zeiten mit erwartbar hoher Belastung ermittelt werden.
Neuere Studien sprechen für die Wirksamkeit von Screening-basierten psychosozialen
Interventionen bei Tumorpatienten, z. B. ‚collaborative care‘ [572 ]
[581 ]
[582 ]. Screening-Verfahren beinhalten die Beantwortung einiger einfacher gezielter Fragen
durch den Patienten, entweder im persönlichen Kontakt oder mithilfe eines Fragebogens.
Verschiedene Screening-Verfahren stehen zur Identifizierung behandlungsbedürftiger
Patienten mit hoher psychischer Belastung bzw. Komorbidität zur Verfügung.
1. Psychometrisch geprüfte und praktikable Fragebogen-Instrumente zur Selbsteinschätzung,
die von Patienten als Papier- oder Computerversion mit geringem Zeitaufwand und guter
Akzeptanz ausgefüllt werden. Eine Übersicht mit Darstellung verschiedener Screeningverfahren
findet sich bei ([583 ]
[584 ], Hg) 2010, online erhältlich unter www.pso-ag.de . Generell kann kein einzelnes Verfahren für alle klinischen Settings gleichermaßen
empfohlen werden. Als besonders einfach und praktikabel hat sich das „Distress-Thermometer‘
(DT) bewährt, mit dem der Patient auf einer visuellen Analogskala von 0 (gar nicht
belastet) bis 10 (extrem belastet) angibt, wie stark er sich in der letzten Woche
belastet gefühlt hat [585 ]
[586 ]
[587 ]. Ein Wert von 5 oder höher spricht für auffällige Belastung. Ergänzend umfasst eine
Problemliste mit 36 Items mögliche Problembereiche.
2. Im Rahmen der ärztlichen oder Pflege-Anamnese können Patienten mit hoher Belastung
(insbesondere Depressivität) mithilfe einfacher Screening-Fragen identifiziert werden.
Der „Zwei-Fragen-Test” stellt ein sehr zeitsparendes Verfahren dar, das mit hoher
Sensitivität und Spezifität das Vorliegen einer depressiven Störung ermittelt [588 ]:
Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder
hoffnungslos?
Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst
gerne tun?
Screening-Verfahren erlauben definitionsgemäß keine Diagnose einer psychischen Störung;
besteht eine auffällige Belastung bzw. der V. a. eine behandlungsbedürftige psychische
Störung, ist eine diagnostische Abklärung mittels klinischer Diagnostik anzuschließen
[589 ].
136. Konsensbasierte Empfehlung
Angemessene professionelle psychische Unterstützung/Mitbehandlung soll verfügbar sein.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Professionelle psychische Unterstützung/Mitbehandlung soll für alle Patienten verfügbar
sein. Dies kann in Form eines psychoonkologischen oder psychiatrischen Konsil-/Liaison-Dienstes,
durch psychoonkologische Fachkräfte in Organ- und onkologischen Zentren oder durch
Einbeziehung niedergelassener ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeuten mit
psychoonkologischer Qualifizierung erfolgen [590 ]
[591 ]. Sie hat in enger Kooperation mit und Rückmeldung an die behandelnden Ärzte und
Pflegekräfte zu erfolgen. Alle Patienten mit Magenkarzinom sollen von ihren medizinischen
Behandlern (Ärzten/Pflegekräften) über die Verfügbarkeit professioneller psychischer
Unterstützung bzw. Mitbehandlung informiert werden.
137. Konsensbasierte Empfehlung
Psychosoziale Interventionen sind wichtig. Psychosoziale Interventionen können die
Lebensqualität von Patienten mit Magenkrebs verbessern und sollten Bestandteil einer
umfassenden Versorgung sein.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Wirksamkeit unterschiedlicher psychoedukativer und psychotherapeutischer Interventionen
bei Tumorpatienten ist gesichert hinsichtlich: Symptomreduktion (Depression, Angst,
Schmerzen, Fatigue), Krankheitsverarbeitung und Verbesserung der Lebensqualität. Dies
belegen systematische Übersichtsarbeiten [584 ]
[592 ]
[593 ]
[594 ]
[595 ]
[596 ]
[597 ]
[598 ] und Metaanalysen [599 ]
[600 ]
[601 ]
[602 ], wobei sich keine sichere Überlegenheit bestimmter Therapieverfahren zeigt. Daher
sollte gemeinsam mit dem Patienten, anhand seiner individuellen Problemlage, der Belastungen
infolge Krankheit/Behandlung, dem Ausmaß psychischer Beeinträchtigung bzw. Leidens
und unter Berücksichtigung seiner persönlichen und sozialen Ressourcen und Präferenzen
geeignete Formen psychischer Unterstützung gewählt werden. Sie umfassen
Beratung und Edukation zu körperlichen, psychischen und sozialen Auswirkungen von
Krebserkrankung und Behandlung, zur Krankheitsbewältigung,
supportive Therapie zur Unterstützung bei der Verarbeitung der Krankheitserfahrung
und Belastungen,
Entspannungs- und körperorientierte Verfahren zur Symptomlinderung (Schmerz, Übelkeit,
Dyspnoe, situative Angst),
Krisenintervention bei akuten Belastungssituationen oder starker Symptombelastung,
kognitiv-behaviorale oder psychodynamische Psychotherapie bei psychischen und Traumafolgestörungen
bzw. Konflikten, insbesondere wenn sie durch die Krebserkrankung reaktiviert werden,
Paar- und Familieninterventionen zur Stützung familiärer Beziehungen, Mobilisierung
von Ressourcen und elterlicher Kompetenz,
ggfs. Begleitung in der Sterbe- und Trauerphase.
3.16. Komplementäre Therapie
3.16.1. Abgestimmte Empfehlungen
138. Konsensbasiertes Statement
Komplementäre Verfahren werden parallel zur konventionellen Therapie angewendet und
unterscheiden sich von alternativen Verfahren dadurch, dass sie den Wert der konventionellen
Verfahren nicht infrage stellen, sondern sich als Ergänzung verstehen.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
139. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten sollten nach ihrer Nutzung von komplementären und alternativen Therapien
befragt werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
140. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten, die komplementäre Verfahren einsetzen, sollen auf mögliche Risiken und
Interaktionen hingewiesen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Es gibt keine allseits anerkannte Definition der komplementären und alternativen Medizin.
Meist wird sie von der sogenannten Schulmedizin abgegrenzt, ohne dass diese Grenzziehung
einheitlich erfolgt [603 ]. Von den meisten Anbietern und Anwendern der komplementären Medizin wird der Grundsatz
der wissenschaftlichen Erforschung der Methoden und die Durchführung dieser Forschung
gleichermaßen wie in der konventionellen Therapie anerkannt. Alternative Verfahren
finden sich oft auf dem Boden von ätiologischen Konzepten, die den wissenschaftlichen
Erkenntnissen widersprechen.
Die komplementäre Therapie steht auf dem Boden der Regeln der wissenschaftlichen Medizin.
Sie geht davon aus, dass der Wirksamkeitsnachweis erbringbar ist und sie wird in Abstimmung
auf Schulmedizin ergänzend angewendet [603 ].
Im Gegensatz dazu geht die alternative Medizin von einem anderen Verständnis von Ätiologie
und Pathogenese aus. Der Wirksamkeitsnachweis wird nicht mit den Methoden der wissenschaftlichen
Medizin erbracht, diese Methodik wird als inadäquat abgelehnt. Sie tritt an die Stelle
der schulmedizinischen Therapie oder beachtet, wenn sie parallel angewendet wird,
nicht die Auswirkungen auf die „Schulmedizin” (Interaktionen). Patienten werden im
Rahmen alternativer Therapiekonzepte oft die Therapiechancen der „Schulmedizin” vorenthalten.
Auch bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen werden den Patienten Heilsversprechen
gegeben.
Komplementärmedizin gehört zu den von Patienten häufig genutzten Methoden in der Onkologie
– die Prävalenz wird sehr unterschiedlich angegeben zwischen 20 und 80 %. Untersuchungen
über die Nutzerrate bei Patienten mit Magenkarzinom liegen nicht vor, ebenso keine
Auswertung, welche Methoden von den Patienten am häufigsten genutzt werden. Zu den
komplementären und alternativen Verfahren gehören diagnostische Methoden und überwiegend
Therapieverfahren.
Beispiele für die Diagnostik sind Irisdiagnostik, Bioresonanz, Enderlein-Diagnostik.
Z. T. werden Methoden der wissenschaftlichen Diagnostik eingesetzt aber in einem Kontext
verwendet, der nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (Beispiel sind
„zirkulierende Tumorzellen”, „Allergiediagnostik”, „Immunstatus”). In der Therapie
finden wir ein großes Spektrum an Methoden und Nahrungsergänzungsmittel (Vitamine,
Spurenelemente), Phytotherapie (Mariendistel, Artemisia, Scutellaria, Heilpilze …),
immunologische Therapien (Mistel, Thymus, Polyerga, dendritische Zellen …) andere
definierte Substanzen (Enzyme, Probiotika …), alte medizinische Systeme (Ayurveda,
TCM, Ethnomedizin …), eigene Systeme/Denkentwürfe (Homöopathie, Anthroposophischen
Medizin ...), Ernährungstherapie (kohlenhydratarme Kost, Heilfasten, Makrobiotik …),
technikgestützte Verfahren (Elektroakupunktur, Bioresonanz, Darmreinigung, Zapper
…), Mind-body-Therapien (Yoga, Meditation, Reiki, Hypnose …) etc.
Die ärztliche Beratung zum Thema Komplementärmedizin sollte zunächst das Interesse
des Patienten zu diesem Thema abfragen. Hilfreich kann es sein, dabei auch die für
den Patienten relevanten (Laien-ätiologischen) Modelle der Tumorentstehung abzuklären
[604 ].
Das Ziel der weiteren Beratung ist neben einer fachlich fundierten Aufklärung, über
die Möglichkeiten, aber auch Risiken der komplementären Therapie die Arzt-Patienten-Beziehung
zu stärken und zu einer gegenseitigen Offenheit zu führen.
Damit kann
die Eigeninitiative des Patienten und sein Gefühl der Selbstverantwortung und -kontrolle
gestärkt werden,
der Patient vor unseriösen Angeboten geschützt werden,
Schaden durch Nebenwirkungen unkontrollierter Anwendung von komplementären und alternativen
Methoden (direkt oder über Interaktionen) verhindert werden.
141. Konsensbasiertes Statement
Diagnostische Maßnahmen der alternativen oder komplementären Medizin können für Patienten
mit Karzinomen des Magens und des ösophagogastralen Übergangs nicht empfohlen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die angebotenen Methoden (Irisdiagnostik, Enderlein, Bioresonanz, Allergiediagnostik)
basieren auf wissenschaftlich nicht belegten ätiologischen Konzepten und/oder falschen
Interpretationen von Zusammenhängen der Körperfunktionen. Diagnostischen Methoden
wie Immunstatus, zirkulierende Tumorzellen und Chemosensitivitätstests lehnen sich
an wissenschaftliche Konzepte an. Wenn sie Patienten vor ausreichender Evaluation
angeboten werden und wenn aus ihnen Therapieempfehlungen abgeleitet werden, stellen
sie eine Gefährdung rationaler Entscheidungen dar.
142. Konsensbasiertes Statement
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Misteltherapie einen positiven Einfluss auf das
Überleben von Patienten mit Magenkarzinom hat.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
143. Statement
Von Mischkollektiven aus Patienten mit unterschiedlichen Tumorarten gibt es allerdings
schwache Hinweise für eine Verbesserung der Lebensqualität.
Level of Evidence: 1
de Novo: [605 ]
[606 ]
[607 ]
[608 ]
[609 ]
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Sowohl die Cochrane-Analyse als auch die systematische Übersichtsarbeit von Ernst
kommen zu der Schlussfolgerung, dass die meisten der bisher veröffentlichten Studien
zur Misteltherapie nicht von ausreichender Qualität sind [608 ]
[609 ]. Methodisch gut durchgeführte Studien zeigen keinen Effekt der Misteltherapie auf
das Überleben. Eine ältere Arbeit zur Therapie bei Magenkarzinom-Patienten zeigt einen
positiven Einfluss auf die Überlebenszeit bei nodal-positiven Patienten. Diese Arbeit
ist auf die heutigen Therapien nicht mehr übertragbar. Die Publikation der Daten ist
methodisch ungenügend [607 ]. Auch im Hinblick auf die Lebensqualität kommt die Cochrane-Analyse zu der Schlussfolgerung,
dass die Datenlage nicht beweisend ist und schwache Hinweise für eine Verbesserung
der Lebensqualität sprechen, die positiven Studien selber aber von geringerer Qualtiät
seien. Es gibt keine prospektiven Daten zur Langzeitanwendung und ihren Folgen. Unter
einer Misteltherapie kommt es zu einer Reihe von immunologischen Veränderungen, die
in den verschiedenen Studien je nach Fragestellung differieren. Es ist ungeklärt,
ob es auch zu klinisch negativen Immuneffekten kommen kann [605 ]
[606 ]. Die gut gemachten Studien von Kleeberg und Steuer-Vogt mit negativem Ergebnis lassen
negative Effekte der Misteltherapie zumindest bei den hier geprüften Tumorentitäten
(Melanom, Kopf-Hals-Tumoren) nicht ausschließen. Es gibt keine vergleichenden Aussagen
zu den verschiedenen Mistelpräparaten, die Herstellerempfehlungen basieren bez. der
Auswahl, z. B. Stärke und Wirtsbaum nicht auf Studien mit wissenschaftlicher Evidenz
sondern sind an das anthroposophische Weltbild und die daraus resultierenden Vorstellungen
zur Tumorpathogenese angelehnt.
144. Konsensbasierte Empfehlung
Während einer Chemo- oder Strahlentherapie sollten Vitamine und Spurenelemente entsprechend
des physiologischen Bedarfs und möglichst über die natürliche Ernährung zugeführt
werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Nahrungsergänzungsmittel sind Vitamine und Spurenelemente, Aminosäuren, Fettsäuren
und sekundäre Pflanzenstoffe. Z. T. werden sie als Einzelsubstanzen, meist aber als
Mischungen angeboten. Die Zusammensetzung variiert stark, nur einige Präparate sind
am physiologischen Bedarf orientiert [511 ]
[512 ]
[513 ]. Insbesondere Antioxidanzien können die Wirkung von Chemo- und Strahlentherapie
abschwächen. Hierzu gehören Vitamin C, E, Betacarotin. Folsäure könnte die Wirkung
von 5-FU beeinflussen. Bisher gibt es nur einige klinische Studien, die auf die Sicherheit
der Gabe von Antioxidanzien geachtet haben und eine ausreichende Patientenzahl zur
Beurteilung aufweisen.
145. Konsensbasiertes Statement
Für eine Reihe von hauptsächlich pflanzlichen Stoffen liegen präklinisch-experimentelle
Daten vor, die auf eine antitumorale Wirkung hindeuten. Diese rechtfertigen einen
klinischen Einsatz außerhalb von Studien nicht.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Zu den präklinisch geprüften Substanzen gehören sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide
(z. B. EGCG aus grünem Tee, Curcumin, Quercetin) und Terpene. Z. T. liegen in vitro
und in vivo Daten vor, die eine synergistische Wirkung mit bestimmten Chemotherapeutika,
die für die Therapie des Magenkarzinoms eingesetzt werden oder mit einer Bestrahlung
zeigen [610 ]. Da über Interaktionen wenig bekannt sind, aber eine Wirkungsabschwächung insbesondere
bei Substanzen, die Zytochrom P 450 3A4 beeinflussen und generell bei Antioxidanzien
während Chemo- und Strahlentherapie und auch bei den small molecules möglich ist,
sollte der parallele Gebrauch in pharmakologischen Dosierungen vermieden werden. Die
Aufnahme über eine gesunde obst- und gemüsereiche Ernährung ist wünschenswert.
146. Statement
Ein therapeutischer Nutzen der Homöopathie ist beim Magenkarzinom als supportive Therapie
nicht erwiesen.
Level of Evidence: 1a
de Novo: [611 ]
Abstimmung im Plenum: Starker Konsens
Hintergrund
Die Cochrane-Analyse [611 ] umfasst eine sehr heterogen Gruppe von Studien, die beiden positiv bewerteten beinhalteten
keine Homöopathie im eigentlichen Sinn, sodass insgesamt keine einzige Studie den
positiven Effekt der Homöopathie bei Tumorpatienten belegt.
147. Konsensbasiertes Statement
Eine Empfehlung zu Hypnose, Visualisierungen, unterstützende Gruppen, Akupunktur und
Healing Touch zur Schmerzlinderung bei Patienten mit Tumorerkrankungen kann nicht
ausgesprochen werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
148. Konsensbasierte Empfehlung
Patienten sollte aktiv von der Verwendung von „alternativ” zur wissenschaftlich empfohlenen
Therapie angebotenen Therapien abgeraten werden.
Level of Evidence: GCP
Abstimmung im Plenum: Konsens
Hintergrund
Patienten treffen bei der Suche nach Hilfe auf viele nicht fundierte Angebote. Z.
T. beruhen sie auf dem ehrlichen Bemühen von Ärzten, die sich mit den Forschungsergebnissen
der Onkologie weniger gut auskennen, ihre Patienten zu unterstützen. Es gibt darüber
hinaus zahlreiche Anbieter, für die ökonomische Aspekte im Vordergrund stehen. Patienten
werden im Rahmen dieser Methoden sinnvolle Therapien vorenthalten. Es ist wichtig,
Patienten vor diesen Angeboten durch klare Stellungnahmen zu schützen. Die Angebote
verändern sich zum Teil rasch, indem neue Methoden auftauchen und längere Zeit genutzte
weniger Verwendung finden. Zum Teil beruhen die Methoden auf der traditionellen Erfahrungsheilkunde,
z. T. nutzen sie Adaptationen moderner Forschungszweige (z. B. Hyperthermie) oder
eigene Interpretationen von Kanzerogenese und immunologischer Zusammenhänge (Dendritische
Zellen), die auch für onkologisch nicht spezialisierte Ärzte nur schwer als unseriös
zu erkennen sind. Hierzu gehören u. a. Ukrain, Vitamin B17 (Aprikosenkerne, Bittermandel), insulinpotenzierte Therapie, ketogene Diät, Dr. Rath,
Neue Germanische Medizin®, Eigenblutzytokine, Zapper, Redifferenzierungstherapie.
3.16.2. Weitere Hinweise der Arbeitsgruppe zur komplementären Therapie
Es gibt keine klinischen Daten, die einen Einsatz von Thymuspräparaten bei Patienten
mit Magenkarzinom begründen. Die systematische Suche zeigte keine relevanten Studien,
aus der Handsuche ergaben sich 2 Arbeiten [612 ]
[613 ]. Die Daten zur immunstimulatorischen Wirkung bei Tumorpatienten mit Magenkarzinom
und Abschwächung der Leukopenie während einer Chemotherapie stammen aus der Zeit vor
dem regelmäßigen Einsatz von Wachstumsfaktoren. Eine Studie zeigt, dass sie parallel
dazu gegeben keinen weiteren Vorteil bringen.
Es gibt eine Reihe von randomisiert kontrollierten Studien aus Japan und China zu
Heilpilzen, die nur im Abstract auf Englisch veröffentlicht sind, sodass eine Evaluation
im Rahmen dieser Leitlinie nicht möglich ist. Die Daten der Abstracts sind überwiegend
positiv. Es ist nichts über Wechselwirkungen mit den modernen Therapeutika bekannt.
Für andere Immunstimulantien wie Echinacin, Aloe, Noni, Fermentierten Weizenkeimextrakt,
Milzpeptide etc. liegen keine klinischen Studien vor, die einen supportiven Einsatz
begründen.
Bei der Phytotherapie handelt es sich im Gegensatz zum Einsatz von isolierten und
definierten sekundären Pflanzenstoffen um Extrakte, die Vielstoffgemische darstellen
und nach traditionellen Rezepturen hergestellt werden. Obwohl wahrscheinlich auch
in Deutschland häufig im Einsatz finden sich keine Publikationen klinischer Studien
zur europäischen Pflanzenheilkunde und ihrer Bedeutung bei Tumorpatienten.
Zum Einsatz von chinesischen Kräutermischungen gemäß der TCM (Traditionellen Chinesischen
Medizin) gibt es Hinweise auf positive Effekte bez. Lebensqualität und Immunsystem.
Die Anwendung außerhalb von Studien ist nicht zu empfehlen. Es liegen kaum Informationen
zu Interaktionen und Nebenwirkungen vor [614 ]
[615 ]. Es gibt eine Reihe von Berichten zu unsauberen Präparaten und Beimischungen mit
z. T. tödlichen Folgen einer Therapie mit Kräutern aus asiatischen Quellen. Zu den
gefundenen Beimengungen gehören Schwermetalle, Pestizide und auch medizinisch wirksame
Substanzen wie Kortikoide und Coumarine. Nicht alle in Deutschland erhältlichen Präparate
enthalten die deklarierten Pflanzen, eine genaue Bestimmung des Inhalts ist nur in
Speziallabors möglich.
Vitamin E wurde prophylaktisch zum Schutz vor der Entwicklung der Neurotoxizität unter
Cisplatin und Taxol eingesetzt. Da keine Daten zum Einfluss auf das Überleben vorliegen,
ist der Einsatz außerhalb von Studien nicht empfehlenswert [514 ]
[515 ]. Bei nachgewiesenem oder mit der Krankheitssituation des Patienten regelhaft einhergehenden
Mangelsituationen (Beispiel Vitamin B12 ) ist eine Substitution orientiert am physiologischen Bedarf und den Zufuhr- und Resorptionsmöglichkeiten
des Patienten erforderlich.
Es gibt keinen Beweis, dass Selen Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit Therapien
des Magenkarzinoms relevant sind, vermindert. Die bisher publizierten klinischen Studien
wurden in der Cochrane-Übersicht von Dennert et al. zusammengefasst. Seitdem sind
keine für den Kontext Magenkarzinom relevanten weiteren Studien publiziert worden
[516 ].
Präklinische Daten sprechen dafür, dass Zink das Wachstum von Tumoren fördert, eine
Supplementierung ist deshalb bei normaler Ernährung nicht zu empfehlen.
Bei Tumorkachexie wurden Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl geprüft. Die Datenlage aus
den Studien ist widersprüchlich. Die Cochrane-Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2007 sah
eine ungenügende Datenlage im Hinblick auf eine Evidenz für die Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren
zur Behandlung der Tumorkachexie [517 ]. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem gleichen Jahr kommt zu der Schlussfolgerung,
dass orale Supplemente mit Omega-3-Fettsäuren Patienten mit Tumorerkrankungen und
Gewichtsverlust nutzen und indiziert sind bei Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts
und des Pankreas. Es kommt zu einer Verbesserung von Appetit, Lebensqualität, verminderten
postoperativen Morbidität und Gewichtszunahme. Es wird eine Aufnahme von 1,5 g/Tag
empfohlen [518 ]. Aufgrund der inkonsistenten Datenlage sind Omega-3-Fettsäuren nicht als Teil der
evidenzbasierten Therapie zu betrachten. Keinesfalls ersetzt die Verordnung eine Betreuung
des Patienten durch einen erfahrenen Ernährungsmediziner.
Eine Kombination aus Lactobacillus und Ballaststoffen als probiotische Therapie senkt
nach einer Studie signifikant die Diarrhö unter einer Chemotherapie [519 ]. Sie könnte in Absprache mit dem Patienten in einem ganzheitlichen Konzept zum Einsatz
kommen, wobei sie eine effiziente Prävention und insbesondere Therapie der Diarrhö
v. a. unter Irinotecan nicht ersetzt. Bei Patienten mit starker Immunsuppression sind
Präparate, die lebende Keime enthalten, zu vermeiden.
Mindfulness Meditation und Mindfulness-based Stress Reduction können psychische Funktionsfähigkeit,
Wohlbefinden, Coping, Schlafqualität verbessern und Stress reduzieren und deshalb
für einige Patienten hilfreich in der Krankheitsverarbeitung sein [616 ].
Die Begriffe Meditation und Mindfulness-based Meditation sowie Mindfulness-basesd
Stress Reduction umfassen sehr unterschiedliche Ansätze. Gemeinsam ist ihnen der Versuch,
die (Selbst-)Achtsamkeit des Patienten zu erhöhen und damit einen besseren Umgang
mit der Krankheitssituation zu erreichen. Im letzteren Begriff sind auch die klassischen
Entspannungsverfahren einbegriffen [617 ]
[618 ]
[619 ]
[620 ]
[621 ]
[622 ]. Die bisher veröffentlichten Daten bei Tumorpatienten beruhen auf sehr heterogenen
Studien von meist geringerer Qualität, sodass ihre Aussagekraft eingeschränkt ist.
Sie haben Potenzial in der Stärkung der Eigenverantwortung der Patienten. In der begleitenden
Therapie sind keine negativen Wirkungen zu erwarten, allerdings gilt dies nicht für
Verfahren, die für sich eine tumorheilende (alternative) Wirkung reklamieren (z. B.
bestimmte Varianten des Qigong).
Massage, Aromatherapie und andere berührende Therapieverfahren haben möglicherweise
positive Effekte auf Angst, Schmerz und Übelkeit. „Berührende Therapien” können als
komplementäre Therapien bei Patienten mit Schmerzen eingesetzt werden. Grundvoraussetzung
ist jedoch immer eine leitliniengerechte ausreichende (medikamentöse) Schmerztherapie
[623 ]
[624 ]
[625 ]. Reiki vermindert Schmerz und Angst bei Patienten unter einer Chemotherapie [626 ]. Zur Reflextherapie liegt eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2008
vor. Es ist anhand der publizierten Daten nicht möglich, eine Aussage zu treffen,
ob eine Reflextherapie positive Auswirkungen auf körperliche oder psychische Symptome
von Tumorpatienten hat [627 ]. Anhand der publizierten Studien ist es auch nicht möglich, zu entscheiden, ob Yoga
einen positiven Effekt auf die Symptome von Tumorpatienten hat. Es gibt Hinweise auf
Verbesserung von Schlafqualität, Stimmung, Stress, tumorassoziierten Symptomen und
Lebensqualität [628 ]
[629 ]
[630 ]
[631 ]. Yoga kann in einem integrierten Programm Chemotherapie-induzierte Übelkeit und
Erbrechen reduzieren [632 ].