Klin Padiatr 2011; 223(2): 57-58
DOI: 10.1055/s-0031-1271796
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial zum Wachstum reifer hypo- und eutropher Neugeborener während der ersten Lebensmonate

Comment on Growth of Term Small-for-Gestational-Age and Appropriate-for-Gestational-Age Neonates During the First Month of LifeL. Gortner
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Prof. Dr. LudwigGortner 

Klinik für Allgemeine Pädiatrie

und Neonatologie

Kliniken für Kinder- und

Jugendmedizin

Universitätsklinikum des

Saarlandes

Gebäude 9

Phone: +49/6841/16 28301

Fax: +49/6841/16 28310

Email: neonatologie@uniklinikum-saarland.de

Publication History

Publication Date:
23 March 2011 (online)

Table of Contents

Die Störung des intrauterinen Wachstums ist ein bedeutsamer Risikofaktor für die postnatale gesundheitliche Entwicklung – dies gilt nicht nur für die Neugeborenen- und Säuglingsperiode, sondern für die gesamte Lebensspanne. Letzterer Aspekt wurde in der breiten medizinischen Öffentlichkeit erstmals seit der Publikation von Barker et al. [1] wahrgenommen und ging als sog. Barker-Hypothese in die wissenschaftliche Diskussion ein. Historisch gesehen war es jedoch Dörner et al. [5], der den Begriff der funktionellen Teratologie für in utero wirksame prägende Phänomene auf die weiteren über die gesamte Lebensspanne reichenden metabolischen Regulationsprozesse schon im Jahre 1967 beschrieb. Die exakten Mechanismen der intrauterinen Prägung verschiedener metabolischer und weiterer kardiovaskulärer Erkrankungen sind noch nicht im Detail geklärt, jedoch konnte in den vergangenen 10 Jahren der wissenschaftlich robuste Beweis erbracht werden, dass ein Zusammenspiel von intrauteriner Minderversorgung und daraus resultierend vermindertem Wachstum in Kombination mit postnatalem Aufholwachstum die relevante prägende Kombination in obigem Sinne darstellt [7] [8]. Neben den genannten Risiken der intrauterinen Mangelversorgung in Form metabolischer Störungen und kardiovaskulären Erkrankungen rückten u. a. die erhöhten Risiken für terminale Nierenfunktionsstörungen während der vergangenen Dekade in den Fokus experimenteller [10], klinischer [11] und epidemiologischer [12] Forschung.

Das Aufholwachstum ist hinsichtlich der endogenen und exogenen Faktoren, d. h. der genetischen und der Umweltkomponente nur in Ansätzen verstanden – die Ernährung ist hinsichtlich der letzteren Komponente sicherlich dominant. Es konnte an verschiedenen Kohorten gezeigt werden, dass die Ernährung mit Muttermilch über die ersten 6 Lebensmonate sowohl unter dem Aspekt einer quantitativen Verminderung des Aufholwachstums als auch der des reduzierten Risikos einer Adipositas im Kindesalter als protektiv wirksam ist [7]. Der exakte Mechanismus dieses Effekts ist bislang nicht geklärt – dennoch ergeben sich daraus präventive Ansätze.

Auf dem Hintergrund der skizzenhaft zusammengefassten Grundlagen geht die Arbeit von Dorn et al. [4] unter anderem der Frage nach, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Muster – Gewicht, Kopfumfang und Körperlänge – bei reifen Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht unter der 10. Perzentile als Indikator eines gestörten intrauterinen Wachstums sich Unterschiede zur Kontrollgruppe im Wachstum während der ersten Lebensmonate manifestierten. Als Vergleichskohorte wurden reife Neugeborene ohne offensichtliche Störung des intrauterinen Wachstums herangezogen. Die Stillrate in der Gruppe hypotropher Neugeborener lag ebenso wie die der Kontrollen mit adäquatem Geburtsgewicht bei über 90%, sodass die initialen Bedingungen hinsichtlich der Ernährung für die Beurteilung des Wachstums als identisch anzusehen sind. Ein Aufholwachstum mit perzentilenschneidendem Verlauf wurde innerhalb der ersten Lebenswochen bei der überwiegenden Zahl hypotropher Neugeborener beobachtet. Die Autoren interpretieren diesen Teil der Resultate dahingehend, dass nur bei konstitutionell hypotrophen Neugeborenen das Aufholwachstum unterbleibt und dass dieses Phänomen schon in den frühen ersten Lebenswochen einsetzt.

Die Schlussfolgerung aus diesem Teil der vorliegenden Publikation impliziert, dass selbst bei Muttermilchernährung ein frühes Aufholwachstum die Regel ist. Ein quantitativer und zeitlicher Vergleich zu formelernährten Kindern kann aus den genannten Gründen nicht gezogen werden. Inwieweit die Wachstumskinetik eine Prognose für die o. g. Risiken ermöglicht, muss der weiteren Nachbeobachtung vorbehalten bleiben.

Dafür sind weitere Nachsorgeuntersuchungen und Studienregister notwendig, um langfristige Effekte unter anderem der Ernährung und der Kinetik des Wachstumsverhaltens bei hypotrophen Neugeborenen zu evaluieren [6] [13].

Nicht nur für die Risiken eines metabolischen Syndroms und kardiovaskulärer Störungen, sondern auch die der atopischen Dermatitis und anderen allergischen Erkrankungen gilt die Ernährung in der Neugeborenen- und Säuglingsperiode als einer der wesentlichen Risikomodifikatoren. Hier sind die Vergleiche der Ernährung mit Muttermilch, hypoallergener Formelnahrung und unbehandelter Formelnahrung aufzuführen [3] [9]. Um die langfristigen Effekte der unterschiedlichen skizzenhaft oben dargestellten Interventionen besonders in Risikogruppen wie hypotropher Neugeborener und solchen mit atopischer Prädisposition prägnanter und nachhaltiger zu beschreiben, ist die Etablierung großer Kohortenstudien notwendig [3]. Aufgrund der Langfristigkeit der intrauterin und in der frühen postnatalen Periode wirksamen prägenden Effekte und deren mediko-ökonomischer Bedeutsamkeit erscheint eine Förderung dieser Forschungsvorhaben essenziell, um auf die offenen Fragen belastbare und für die öffentliche Gesundheitsvorsorge relevante Antworten zu generieren [2].

Die Etablierung eines universitären Zentrums für Kindergesundheit mit koordinativen und gleichgewichtig hierzu intramuralen Forschungsschwerpunkten in den oben aufgeführten Feldern ist hierfür eine attraktive Option, um bereits vorhandene Mittel gezielter einzusetzen und für die Kinderheilkunde und Jugendmedizin in der wissenschafts- und gesundheitspolitischen Diskussion ein wirksames Gegengewicht zu entsprechenden Institutionen der Erwachsenenmedizin zu schaffen.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt hiermit, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Literatur

  • 1 Barker DJ, Winter PD, Osmond C. et al . Weight in infancy and death from ischaemic heart disease.  Lancet. 1989;  2 577-580
  • 2 Castro M, Ramirez MI, Gern JE. et al . Strategic plan for pediatric respiratory diseases research: an NHLBI working group report.  Proc Am Thorac Soc. 2009;  15 1-10
  • 3 Creutzig U, Herold R, Henze G. [Results of the Competence Net Pediatric Oncology and Haematology – a view back].  Klin Padiatr. 2010;  222 333-336
  • 4 Dorn C, Robel-Tillig E. [Prospective Comparison of Term Small-for-Gestational-Age and Appropriate-for-Gestational-Age Neonates During the First Month of Life].  Klin Padiatr. 2011;  223 65-69
  • 5 Dorner G. Problems and terminology of functional teratology.  Acta Biol Med Ger. 1975;  34 1093-1095
  • 6 Gobel U, Gortner L. [Editorial address at the beginning of the new decade].  Klin Padiatr. 2010;  222 53-55
  • 7 Landmann E, Geller F, Schilling J. et al . Absence of the wild-type allele (192 base pairs) of a polymorphism in the promoter region of the IGF-I gene but not a polymorphism in the insulin gene variable number of tandem repeat locus is associated with accelerated weight gain in infancy.  Pediatrics. 2006;  118 2374-2379
  • 8 Neitzke U, Harder T, Schellong K. et al . Intrauterine growth restriction in a rodent model and developmental programming of the metabolic syndrome: a critical appraisal of the experimental evidence.  Placenta. 2008;  29 246-254
  • 9 Nentwich I, Pazdirkova A, Lokaj J. et al . [Early feeding in infancy and atopic dermatitis – a prospective observational study].  Klin Padiatr. 2009;  221 78-82
  • 10 Plank C, Nusken KD, Menendez-Castro C. et al . Intrauterine growth restriction following ligation of the uterine arteries leads to more severe glomerulosclerosis after mesangioproliferative glomerulonephritis in the offspring.  Am J Nephrol. 2010;  32 287-295
  • 11 Plank C, Vasilache I, Dittrich K. Early weight gain and outcome in Henoch-Schonlein nephritis.  Klin Padiatr. 2010;  222 455-459
  • 12 Vehaskari VM. Prenatal programming of kidney disease.  Curr Opin Pediatr. 2010;  22 176-182
  • 13 Ziegler B, Strassburg HM. [Vaccination status in very and extremely preterm infants at the age of 2 years – a nationwide pilot analysis].  Klin Padiatr. 2010;  222 243-247
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Literatur

  • 1 Barker DJ, Winter PD, Osmond C. et al . Weight in infancy and death from ischaemic heart disease.  Lancet. 1989;  2 577-580
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  • 7 Landmann E, Geller F, Schilling J. et al . Absence of the wild-type allele (192 base pairs) of a polymorphism in the promoter region of the IGF-I gene but not a polymorphism in the insulin gene variable number of tandem repeat locus is associated with accelerated weight gain in infancy.  Pediatrics. 2006;  118 2374-2379
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  • 9 Nentwich I, Pazdirkova A, Lokaj J. et al . [Early feeding in infancy and atopic dermatitis – a prospective observational study].  Klin Padiatr. 2009;  221 78-82
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  • 11 Plank C, Vasilache I, Dittrich K. Early weight gain and outcome in Henoch-Schonlein nephritis.  Klin Padiatr. 2010;  222 455-459
  • 12 Vehaskari VM. Prenatal programming of kidney disease.  Curr Opin Pediatr. 2010;  22 176-182
  • 13 Ziegler B, Strassburg HM. [Vaccination status in very and extremely preterm infants at the age of 2 years – a nationwide pilot analysis].  Klin Padiatr. 2010;  222 243-247
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