Zahnmedizin up2date 2011; 5(3): 287-303
DOI: 10.1055/s-0030-1270801
Kieferorthopädie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gebissanomalien und orofaziale Dysfunktionen

Franka Stahl de Castrillon, Rosemarie Grabowski
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Publication Date:
21 July 2011 (online)

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Einleitung und Problemstellung

In allen Fachgebieten der Zahnheilkunde hat sich der viel zitierte Paradigmenwechsel hin zur Prävention vollzogen. Allein in der Kieferorthopädie wird derzeit das Schwergewicht therapeutischer Einflussnahme auf sog. Spätbehandlungen gelegt. Darunter versteht man Therapien am Ende der Wechselgebissperiode und im bleibenden Gebiss. Mit den KIG (kieferorthopädische Indikationsgruppen der gesetzlichen Krankenkassen) wurden Richtlinien des Umfangs von Zahnstellungs- und Okklusionsanomalien erhoben, die es möglich machen sollen, den Schweregrad einer Anomalie metrisch zu erfassen. Damit soll vorgebeugt werden, dass Behandlungen von Bagatellanomalien zulasten der Krankenkassen durchgeführt werden. Da sich aber kieferorthopädische Anomalien mit dem Fortschreiten der Gebissentwicklung und des Wachstums verändern, kommt es darauf an, die Prognose der Anomalie richtig einzuschätzen. Nur dann kann es gelingen, einer Fehlentwicklung frühzeitig zu begegnen. In diesem Sinne ist die Milchgebissperiode die günstige Zeit, um belastende Faktoren zu erkennen. Das schließt nicht aus, dass auch danach kieferorthopädische Prävention nützlich ist, versteht sich doch das Fach in seiner Gesamtheit als Prävention für den Langzeiterhalt des Gebisses.

Merke: Die KIG orientieren sich an metrischen Abweichungen der Zahnstellung und der Okklusion. Sie berücksichtigen dabei die Prognose einer Fehlentwicklung wenig oder gar nicht.

Status quo

Das Bemühen, Indizes zu entwickeln, um die Behandlungsbedürftigkeit zu definieren, ist nicht neu. In jüngster Zeit hat sich der IOTN‐Index (Index Orthodontic Treatment Need) für Bewertungen des Anomalieumfangs durchgesetzt. Auch dieser Index ist nicht in der Lage, die noch zu erwartende Entwicklung zu bewerten. Anders verhält es sich mit dem DMF- oder dmf-T‐Index. Er erlaubt eine klare Aussage über den Gesundheitszustand der Zähne, allerdings unabhängig vom Lebensalter. Um bei Kindern das Kariesrisiko vorausschauend zu erkennen, wurde dieser Index weiterentwickelt und altersabhängig definiert. In Anlehnung daran wurde zusätzlich die kieferorthopädische Prognose einbezogen und die Definition des „kieferorthopädischen Risikokinds“ formuliert [[1]–[3]]. Diese Definition berücksichtigt den Einfluss der die Zahnreihen und Kiefer umgebenden peri- und enoralen Weichteile als Funktion oder Dysfunktion. Unabhängig davon, ob dieser funktionelle Einfluss als ein äußerer oder ein anlagebedingter angesehen wird, ist dessen Bewertung und in der Folge dessen Beeinflussung möglich. Kein Kind (schwere syndromale Leiden und Wachstumsstörungen sollen in der hier vorliegenden Betrachtung ausgeschlossen bleiben) wird mit einer schweren „ausgewachsenen Anomalie“ geboren. Die frühzeitige Beeinflussung des Faktors „Fehlfunktion“ trägt dazu bei, die Entwicklung einer prognostisch schweren Anomalie zu verhindern oder zumindest die Bedingungen therapeutischen Handelns zu erleichtern und das Ergebnis der Therapie durch das Ausschalten des kausalen Faktors „Fehlfunktion“ stabiler zu machen.

Literatur

Prof. Dr. Franka Stahl de Castrillon

Poliklinik für Kieferorthopädie
an der Klinik und den Polikliniken
für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde „Hans Moral“

Strempelstraße 13

18057 Rostock

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