Diabetes aktuell 2010; 8(8): 382-383
DOI: 10.1055/s-0030-1270579
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Kurz- und langwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten – GLP-1-basierte Differenzialtherapie: Ein Konzept mit Zukunft

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03 January 2011 (online)

 
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Die moderne antidiabetische Therapie ist eine Differenzialtherapie, die entsprechend dem pathophysiologischen Stadium der Erkrankung und je nach Patiententyp und -bedürfnis erfolgen sollte. Dieser Ansatz wird in der Insulintherapie bereits seit Jahren erfolgreich durchgeführt. Im Bereich der GLP-1-basierten Therapien ist das Potenzial einer individualisierten Therapie jedoch noch nicht voll ausgeschöpft - neue, vielversprechende Ansätze könnten dies bald ändern.

Typ 2 Diabetes ist eine Volkskrankheit mit steigender Prävalenz, die sich insbesondere auch bei immer jüngeren Patienten manifestiert [1]. Aufgrund der vielfältigen metabolischen Defekte und der damit verbundenen mikro- und makrovaskulären Begleit- und Folgeerkrankungen sind Menschen mit Typ 2 Diabetes Hochrisikopatienten. Die Behandlung der Erkrankung stellt für Experten und Patienten täglich eine große Herausforderung dar und orientiert sich an multiplen Faktoren wie Blutzuckerkontrolle, Übergewicht, Vermeiden von Hypoglykämien sowie Begleit- und Folgeerkrankungen. "Ein erfolgreiches Diabetesmanagement sollte der Gesamtheit dieser Herausforderungen wirksam und kausal begegnen und nicht nur auf die Blutzuckersenkung fokussieren", betont Professor Dr. Thomas Forst aus Mainz.

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Verbesserung der Prognose durch frühzeitige Blutzuckerkontrolle

Durch die progressive Natur und die assoziierten Folgeerkrankungen kann Typ 2 Diabetes die Lebensqualität der Patienten vermindern [2]. Eine möglichst frühzeitige Blutzuckerkontrolle durch geeignete Therapiemaßnahmen, die auch dem Fortschreiten des Betazellverlustes sowie den kardiovaskulären Folgeerkrankungen entgegenwirken, kann die Progression des Typ 2 Diabetes hinauszögern. Wichtige zusätzliche Anforderungen an eine Therapie sind neben der Verbesserung der Blutzuckerwerte und der Gewichtsreduktion

  • die positive Beeinflussung der kardiovaskulären Risikofaktoren Gewicht, Lipidprofil und arterielle Hypertonie [3],

  • der möglichst langfristige Erhalt der Betazellfunktion,

  • die einfache Umsetzbarkeit und leichte Integrierbarkeit in den Alltag, um Therapietreue und Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Dadurch können langfristig sowohl die Perspektive als auch die Prognose von Menschen mit Typ 2 Diabetes verbessert und letztendlich Kosten gespart werden.

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Moderne Therapie mit differenzialtherapeutischen Ansätzen

Das übergeordnete Ziel einer Diabetestherapie ist die Normalisierung der Blutzuckerwerte. Bereits 1997 wurde von Rachman et al. in einer Studie mit Dauergabe des Inkretins GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) gezeigt, dass eine kontinuierliche Stimulation am GLP-1-Rezeptor durch eine GLP-1-Infusion den glykämischen Defekt bei Menschen mit Typ 2 Diabetes fast vollständig korrigieren kann (Abb. [1]) [4]. Folglich ist der blutzuckersenkende Effekt einer GLP-1-Rezeptor-Stimulation mit langfristig kontinuierlichen Wirkspiegeln optimal auszuschöpfen.

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Abb. 1 Die kontinuierliche Infusion von GLP-1 kann die Blutzuckerwerte bei Menschen mit Typ 2 Diabetes fast vollständig normalisieren [mod. nach [4] ].

Das therapeutische Potenzial von GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Exenatide ist wegweisend für die Behandlung des Typ 2 Diabetes: Exenatide steht seit 2007 als kurzwirksamer GLP-1-Rezeptor-Agonist zur 2 × täglichen Injektion unter dem Handelsnamen Byetta® zur Verfügung. Für ei-nen langwirksamen GLP-1-Rezeptor-Agonisten wurde von Lilly der Zulassungsantrag bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA eingereicht, mit einer Zulassung wird voraussichtlich 2011 gerechnet.

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Kurzwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Kurzwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Byetta® haben insbesondere starke Effekte auf die postprandialen Blutglukosewerte, die Magenentleerung und die Sättigung, was zu einer progressiven Gewichtsreduktion führen kann [5]. Da adipöse Menschen mit Typ 2 Diabetes häufig ein gestörtes Sättigungsgefühl haben und Byetta® mahlzeitenbezogen die Sättigung fördert, kann dies den Patienten helfen, ihr Essverhalten zu ändern [5]. Eine Disziplinierung der Essgewohnheiten könnte sie bei einem erfolgreichen Diabetesmanagement unterstützen. Daher sind kurzwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten vor allem für Menschen mit Typ 2 Diabetes geeignet, die neben einer guten Blutzuckereinstellung therapeutische Unterstützung bei der Reduktion ihres Körpergewichtes benötigen.

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Langwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Die positiven Effekte einer kontinuierlichen Stimulation des GLP-1-Rezeptors für die Blutzuckerkontrolle konnten bereits in Studien gezeigt werden [4]. Mit kontinuierlichen Wirkspiegeln kann das therapeutische Potenzial von GLP-1 ausgeschöpft und eine optimale Wirksamkeit mit geringen Nebenwirkungen erzielt werden. Der Bedarf für Therapieoptionen, die dies leisten können, ist vorhanden - die derzeit verfügbaren GLP-1-basierten Therapien schöpfen das ganze Potenzial der Substanzklasse aufgrund ihres pharmakologischen Profils jedoch noch nicht vollständig aus.

Langwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten führen zu einer stärkeren Senkung von HbA1c und Nüchternblutzucker und einer guten Reduktion von postprandialen Blutzuckerwerten bei verbesserter Verträglichkeit. Darüber hinaus können sie anhaltend das Körpergewicht senken [7]-[9]. Durch eine frühe, strenge Blutzuckereinstellung kann langfristig die Prognose - auch im Hinblick auf assoziierte Folgeerkrankungen - verbessert werden. Die seltenere Gabe des Antidiabetikums kann zudem die Lebensqualität der Patienten verbessern, da sie sich einfacher in das Leben der Patienten integrieren lässt [6]. Von diesen Eigenschaften könnten daher z. B. adipöse Patienten, die mitten im Leben stehen und unter oralen Antidiabetika nicht mehr ausreichend eingestellt sind, profitieren. Diese Therapie könnte die Patienten in ihrem herausfordernden Alltag unterstützen.

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Unterschiedliche Wirkprofile für ein gezielteres Diabetesmanagement

Durch die Verfügbarkeit von kurzwirk-samen GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Byetta® und langwirksamen GLP-1-Rezeptor-Agonisten kann eine Differenzialtherapie innerhalb der Substanzklasse möglich werden. Durch unterschiedliche Wirkprofile und damit jeweils unterschiedliche Wirkweisen der Therapien könnten Menschen mit Typ 2 Diabetes, die mit oralen Antidiabetika nicht mehr ausreichend eingestellt sind, zukünftig gezielter bei ihrem Diabetesmanagement unterstützt werden: Entsprechend der Zielsetzung der Therapie und unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie Gewicht, kardiovaskuläres Risikoprofil und Lebensqualität ist eine individuell abgestimmte, GLP-1-basierte Behandlung möglich. Das Konzept einer GLP-1-basierten Differenzialtherapie könnte somit durch neue, vielversprechende Therapieansätze die Perspektive von Menschen mit Typ 2 Diabetes langfristig verbessern. Dies wird auch durch die bisherigen klinischen Erfahrungen mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten gestützt [9]-[11].

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Lilly Deutschland GmbH.

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"Bei der Behandlung des Typ 2 Diabetes ist ein multimodaler Ansatz gefragt"

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Die moderne Therapie des Typ 2 Diabetes berücksichtigt neben der Senkung des Blutzuckers weitere Parameter und verfolgt einen zukunftsgerichteten Ansatz. Welche Möglichkeiten kurz- und langwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten bieten, erläutert Professor Dr. Thomas Forst aus Mainz in einem Interview.

? Aus heutiger Sicht ist der Typ 2 Diabetes längst nicht mehr eine rein aus glukozentrischer Sicht zu betrachtende Erkrankung. Warum ist das so?

Forst: Menschen mit Typ 2 Diabetes sind Hochrisikopatienten. 75 % der Typ 2 Diabetiker sterben beispielsweise an kardiovaskulären Komplikationen [12], [13] - dies stellt eine große Herausforderung für die Behandlung des Typ 2 Diabetes dar. Der Blutzucker ist pathophysiologisch nicht das allein entscheidende Kriterium für ein erfolgreiches Diabetesmanagement, das haben die Studien der letzten Jahre gezeigt. Es geht letztlich darum, das Gesamtrisiko des Typ 2 Diabetikers zu behandeln, der Blutzucker ist nur einer der Risikofaktoren.

? Was sollte ein modernes Antidiabetikum aus Ihrer Sicht noch leisten und was ist schon heute mit GLP-1-basierten Therapien erreichbar?

Forst: Mit GLP-1-basierten Therapien haben wir die Möglichkeit, den Blutzucker ohne substanzeigenes Hypoglykämierisiko zu senken [5]. Allein dadurch verbessert sich die Risikokonstellation der Patienten. Wünschenswert ist die Reduktion des Gewichtes und insbesondere des viszeralen Fettes. Pathophysiologisch betrachtet liegt für rund 90 % der Typ 2 Diabetiker der Schlüssel der Erkrankung im viszeralen Fettgewebe. Dieses beeinflusst sowohl das individuelle Risiko, überhaupt erst einen manifesten Diabetes zu entwickeln, ebenso wie es ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bedingt. Hier haben wir mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Exenatide eine sehr gute Chance. Aktuelle Studien zeigen, dass unter Exenatide das viszerale Fettgewebe reduziert wird, und damit können eine Reihe pleiotroper Effekte einhergehen [11], [17]: der Blutdruck wird gesenkt, das Lipidprofil verbessert, Entzündungsmarker werden reduziert. Für GLP-1 wurde außerdem gezeigt, dass die endotheliale Funktion verbessert wird [15].

? Gibt es relevante Unterschiede zwischen kurz- und langwirksamen GLP-1-Rezeptor-Agonisten?

Forst: Durch die unterschiedlichen Pharmakokinetiken der GLP-1-Rezeptor-Agonisten gibt es Unterschiede, wie man schon an den metabolischen Parametern erkennen kann. Langwirksame GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben einen stärkeren Effekt auf Nüchternblutzucker und HbA1c, während kurzwirksame eine bessere postprandiale Blutzuckerkontrolle ermöglichen [16].

? Exenatide ist der erste zugelassene und am längsten verfügbare GLP-1-Rezeptor-Agonist. Was ist nach etwa 5 Jahren nach Zulassung in den USA und über 3 Jahren nach Zulassung in Deutschland bekannt und wie beurteilen Sie die Effekte?

Forst: Klinische Daten zeigen, dass die Risikofaktoren HbA1c, Gewicht, Lipide und Blutdruck verbessert werden [11]. Bezüglich der Gewichtsabnahme ist hervorzuheben, dass insbesondere das Viszeralfett und damit die Inflammation reduziert werden [17]. Gerade die Summe dieser Risikoparameter ist sehr aussagekräftig.

? Was bedeutet das für die Praxis? Wer profitiert besonders von GLP-1-Rezeptor-Agonisten?

Forst: Aus medizinischen und nicht zuletzt ökonomischen Gesichtspunkten ist es entscheidend, gezielt zu therapieren. In Zukunft wird wahrscheinlich eine ganze Palette unterschiedlicher Präparate zur Verfügung stehen, die einen differenzierten Einsatz ermöglichen. Wie bereits erwähnt, hat die Wirkdauer einen deutlichen Einfluss auf die metabolische Kontrolle und möglicherweise weitere Outcomes. Vor diesem Hintergrund wird es spannend sein zu beobachten, wie sich die derzeit am Markt befindlichen relativ kurzwirksamen Präparate von langwirksamen im klinischen Alltag unterscheiden werden. Natürlich können unter anderem übergewichtige Patienten profitieren - durch eine Gewichtsreduktion und die Abnahme des viszeralen Fetts könnte sich die gesamte Risikokonstellation der Patienten verbessern.

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Literatur

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Literatur

 
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Abb. 1 Die kontinuierliche Infusion von GLP-1 kann die Blutzuckerwerte bei Menschen mit Typ 2 Diabetes fast vollständig normalisieren [mod. nach [4] ].

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