Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(6): 291-292
DOI: 10.1055/s-0030-1270243
DGMM-Mitteilungen

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20 Jahre DGMM – Fachtagung "Kreuzfahrtmedizin" der DGMM

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Publication Date:
13 December 2010 (online)

 
Table of Contents
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Clara Schlaich, Hamburg

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Bernd-Fred Schepers, Hamburg

Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Maritime Medizin fand am 9. Oktober 2010 in Hamburg an der Wasserkante mit Blick auf die Elbe eine Fachtagung statt, die sich dem auch in Deutschland stark expandierenden Segment der Kreuzfahrttouristik widmete. Auch wenn derzeit nur noch ein Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge die Meere befährt, gibt es inzwischen doch zahlreiche Neubauten, die auf das deutsch sprechende Publikum zielen und dementsprechend einen Bedarf an deutschen Schiffsärzten entstehen lassen. Deshalb konnte sich die DGMM über ein sehr reges Interesse an der Veranstaltung freuen.

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Einführungsvortrag zu den medizinischen Herausforderungen auf Kreuzfahrtschiffen

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Prof. Eilif Dahl

Für die Einführung konnten wir einen der weltweit renommiertesten Experten der praktischen Medizin zur See und Inhaber eines der wenigen Lehrstühle dieses Faches, Prof. Eilif Dahl aus Bergen, Norwegen, gewinnen. Mit gewohnter Eloquenz und überraschenden Formulierungen wie: "Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen in der Kreuzfahrtmedizin" stellte er die "Medical Challenges on Board of Cruise Ships" vor.

Die spezifische Patientenklientel an Bord ist mit keiner anderen Population zu vergleichen und stellt deshalb besondere Anforderungen an die Fähigkeiten der eingeschifften Mediziner. Mit diesem Komplex beschäftigte sich in der Vormittagssitzung zunächst Dr. Klaus G. Gerdts aus Cuxhaven, der einen fundierten und reich illustrierten Rückblick auf die schiffsärztliche Versorgung von Passagieren und Mannschaften in der Vergangenheit bot. Wie sich zeigte, haben viele Erfahrungen und Erkenntnisse der früheren Zeiten nichts an Aktualität verloren.

Die Ausführungen des Vorsitzenden der DGMM, Dr. Bernd-Fred Schepers, über die aktuell gültigen Qualifikationsanforderungen an Schiffsärzte in Deutschland trafen naturgemäß auf großes Interesse der anwesenden Kollegen, die "immer schon mal als Arzt zur See fahren" wollten.

Einzelheiten über "Modelle schiffsärztlicher Tätigkeit" stellte dann Dr. Tim Lammerding aus Rostock, der Vertreter einer dort beheimateten bedeutenden Kreuzfahrtreederei mit vielen musikalischen Schiffsnamen, vor. Die ganze Vielfalt der neuzeitlichen Beschäftigungsverhältnisse unserer modernen Weltwirtschaft spiegelt sich auch an Bord wider, wobei das besondere Interesse der Zuhörer weniger dem zu erwartenden Entgelt als der Frage nach Haftungs- und Versicherungsaspekten, besonders unter fremden Flaggen, galt.

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Weitere Themen: Medizinische Notfälle - Apothekenausstattung - Infektionsausbrüche - Trinkwassersicherheit

Mit packenden Kasuistiken konnte Dr. Joachim von Pritzbuer aus seiner derzeitigen Tätigkeit als Schiffsarzt einer Reederei aufwarten, als er über das "Management medizinischer Notfälle in See" sprach. Dabei wurde jedem klar, warum das festgelegte Weiterbildungsprofil für Schiffsärzte so umfassend ausgelegt ist: Bei den inzwischen erreichten Passagierzahlen im hohen 4-stelligen Bereich und angesichts der immer noch typischen Alterszusammensetzung muss das medizinische Personal an Bord auf alle auch an Land zu erwartenden Zwischenfälle und Notfälle vorbereitet und auf unverzügliches Eingreifen eingestellt sein.

Am Nachmittag wurden Einzelfragen angesprochen: Apotheker Friedhelm Engelke stellte die Standards zur Apothekenausstattung auf Kreuzfahrtschiffen vor; die Hamburger Hafenärztin Dr. Clara Schlaich gab Empfehlungen, wie bei Ausbruch einer Infektionskrankheit an Bord vorzugehen sei und Dipl.-Ing. Christoph Sevenich äußerte sich eindringlich zur Frage der Trinkwassersicherheit auf Kreuzfahrtschiffen.

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Rechtliche Fragen zur Aufgabenteilung zwischen Kapitän und Schiffsarzt

Der langjährige Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, Rechtsanwalt Dr. Dierk Lindemann, beleuchtete die Aufgabenteilung zwischen Kapitän und Schiffsarzt für die Gesundheit von Passagieren und Besatzung. Die Fürsorgepflicht des Reeders erstreckt sich auch auf den Schiffsarzt, der aber seinerseits eine Bringeschuld hat, weil er integrierter Teil der Besatzung ist und durch seinen Offiziersrang, auch ohne nautische Ausbildung, zu den Verantwortungsträgern an Bord gehört. Dies kann zum Beispiel im Seenotfall von entscheidender Bedeutung sein und ist unabhängig von der Art des Beschäftigungsverhältnisses: Jeder, der an Bord einer Tätigkeit nachgeht, gehört zur Besatzung; so wird es auch im neuen "Seearbeitsgesetz" festgeschrieben.

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"Seafarer's Lounge" der Seemannsmission

Danach lenkte Pastorin Heike Spiegelberg aus Hamburg den Blick auf die Arbeitnehmer, ohne deren Funktionieren die Kreuzfahrttouristik nicht denkbar ist, aber von denen stets zu wenig Notiz genommen wird: die multinational zusammengewürfelten Besatzungsangehörigen sind während der Seetage enormen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, und während der wenigen Hafentage finden sie auch keine Ruhe. Hier hat nun in Hamburg die Seemannsmission am Kreuzfahrtterminal eine "Seafarer's Lounge" eingerichtet, die im kleinen Maßstab die Möglichkeiten des lang etablierten Hamburger Seemannsclubs "Duckdalben" bietet, ohne dass die Besatzungen dafür den Liegeplatz verlassen müssen. Auch hier steht das Leitmotiv "Support of Seafarer's Dignity" im Mittelpunkt, und die Einrichtung wird zunehmend angenommen, auch wenn sie von den Verantwortlichen an Bord eher kritisch betrachtet wird.

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Extreme Situationen: Schiffbruch und Piratenüberfall

Die Verantwortung und Aufgaben des Schiffsarztes bei schwerwiegenden Havarien auf See stellte der langjährige Arzt der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger Dr. Jens Kohfahl aus Cuxhaven vor: Er präsentierte aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema "Überleben bei Schiffbruch" und bot Anregungen für die schiffsärztliche Vorbereitung und Bewältigung der dabei zu erwartenden Aufgaben. Dazu zitierte er eine Fülle von Gefahrensituationen, bei denen sich aus einem kleinen Anlass schnell eine Katastrophe entwickeln kann.

Die Rolle des Schiffsarztes bei Piratenüberfällen auf Kreuzfahrtschiffe ist bisher selten betrachtet worden. Der stellvertretende DGMM-Vorsitzende Dr. Klaus-H. Seidenstücker übernahm daher die Aufgabe, die medizinischen Aspekte solcher Angriffe auf Menschenansammlungen, die sich in einem beschränkten Lebensraum befinden, aufzuzeigen. Er stellte die Möglichkeiten dar, die sich dem Schiffsarzt bei der Bewältigung eines derart traumatischen Ereignisses bieten.

Diese Veranstaltung stellte nicht nur ein aktuelles Thema zur Diskussion, sondern zeigte auch, dass die DGMM sich im 20. Jahr ihres Bestehens endgültig als deutsches Sprachrohr der wissenschaftlichen Schifffahrtsmedizin etabliert hat und als solches international zur Kenntnis genommen wird. Diese Stellung ist unabhängig von einer akademischen Verankerung dieses Faches, das in Deutschland immer noch nicht den Stellenwert besitzt, der der Bedeutung der Schifffahrt für die Wirtschaft dieses Landes zukommt.

Dr. Karl-P. Faesecke, Hamburg

 
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Clara Schlaich, Hamburg

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Bernd-Fred Schepers, Hamburg

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Prof. Eilif Dahl