Einführung
Einführung
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil vom 09.06.2010 (Az.: 5 AZR
384/09) gegen die Rechtsauffassung der Mehrheit der Landesarbeitsgerichte entschieden
und die Überleitung der Chefärzte in die EG 15 Ü des TVöD bejaht.
Bereits in der RöFo 7/2010 haben wir über die Problematik der Überleitung der Festvergütung
der Chefärzte seit dem Wegfall des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) und dem Inkrafttreten
des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. des Tarifvertrags für den
Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sowie des ersten arztspezifischen Tarifvertrags
(TV-Ärzte) berichtet. Zum Zeitpunkt der damaligen Bearbeitung lag eine abschließende
Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) noch nicht vor. Die bis dahin ergangenen
zweitinstanzlichen Urteile hatten sich fast ausschließlich zugunsten der Chefärzte
und damit für eine Überleitung in den TV-Ärzte ausgesprochen. Nunmehr hat das BAG
in 5 Parallelentscheidungen (Az.: 5 AZR 122/09, 5 AZR 498/09, 5 AZR 696/09, 5 AZR
384/09, 5 AZR 637/09) überraschend dieser überwiegenden Rechtsauffassung der Landesarbeitsgerichte
widersprochen und eine Überleitung der Chefarztvergütung in die EG 15 Ü des TVöD bejaht.
Sachverhalt
Sachverhalt
Der Kläger des der Entscheidung des BAG vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 384/09 zugrunde
liegenden Verfahrens war von Anfang Dezember 1989 bis Ende Dezember 2007 als Chefarzt
der Radiologischen Abteilung bei der Beklagten tätig. Der Arbeitsvertrag von 1989
sah eine Festvergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT vor. Die entsprechenden
Vertragsklauseln lauteten wie folgt:
§ 2
§ 2
"Das Dienstverhältnis richtet sich, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist,
nach den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vom 23.02.1961 und
der diese Tarifverträge ergänzenden , ändernden oder ersetzenden Tarifverträge.(…)
in der jeweils gültigen Fassung."
§ 4
§ 4
"Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung
entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT der Anlage 1 a zum BAT, d. h., Grundvergütung
nach § 27 BAT, Ortszuschlag nach Maßgabe des § 29 BAT sowie eine Zuwendung und ein
Urlaubsgeld entsprechend den tariflichen Regelungen zum BAT in der jeweils gültigen
Fassung."
Nach Ersetzung des BAT durch den TVöD zum 01.10.2005 vergütete der beklagte Krankenhausträger
den Chefarzt nach Maßgabe des TVöD. Damit war der Chefarzt nicht einverstanden und
klagte rückwirkend Vergütungsdifferenzansprüche für den Zeitraum August 2006 bis Dezember
2007 auf Grundlage der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA ein. Zur Begründung berief
er sich darauf, dass im Krankenhaus der Beklagten sowohl der TVöD als auch der TV-Ärzte/VKA
zur Anwendung kommen, letzterer jedoch fachlich und persönlich dem Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien am nächsten stünde. Wäre bei Abschluss des Arbeitsvertrags absehbar
gewesen, dass zu einem späteren Zeitpunkt 2 verschiedene Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis
Anwendung finden könnten, hätten sich nach Ansicht des Klägers die Parteien auf eine
Anwendung des spezifischen Arzttarifvertrags verständigt.
Dem entgegnete der beklagte Krankenhausträger mit dem Hinweis, der TV-Ärzte/VKA finde
deshalb auf alle nicht leitenden Ärzte Anwendung, da der überwiegende Teil der beschäftigten
Ärzte im Marburger Bund organisiert sei und eine einheitliche Tarifvertragsanwendung
der Vereinfachung diene. Im Fall der Überleitung der Chefarztvergütung sei der TV-Ärzte/VKA
nicht zwingend als speziellerer Tarifvertrag einzustufen, da auch der TVöD für den
Dienstleistungsbereich Krankenhäuser arztspezifische Regelungen enthalte. Zudem knüpfe
die Vergütungsgruppe 15 Ü TVöD passgenau an die Vergütungsgruppe I BAT an, während
der TV-Ärzte/VKA ein völlig neues Eingruppierungskonzept geschaffen habe.
Gleichlaufend mit den am selben Tag in ähnlich gelagerten Fällen ergangenen Parallelentscheidungen
hält das BAG im Ergebnis einen Anspruch des Klägers auf Überleitung seiner Chefarztvergütung
in die Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA für unbegründet.
Kein Anspruch dem Wortlaut nach
Kein Anspruch dem Wortlaut nach
In seinen Entscheidungsgründen stellt das BAG zunächst fest, dass es sich bei der
Vergütungsregelung in § 4 des Arbeitsvertrags um eine Allgemeine Geschäftsbedingung
im Sinne des § 305 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handele, die nach ihrem objektiven
Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen sei, wie sie von verständigen
und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der Beteiligten normalerweise
verstanden werde. Ansatzpunkt dabei sei in erster Linie immer der Vertragswortlaut.
Übertrage man diesen Grundsatz auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Fall, so
sei ausgehend vom Wortlaut des Arbeitsvertrags ein Vergütungsanspruch des Klägers
nach dem TV-Ärzte/VKA nicht begründbar. Zwar habe der beklagte Krankenhausträger mit
der Formulierung in § 4 des Arbeitsvertrags die Chefarztvergütung an das in ihrem
Krankenhaus geltende Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes anlehnen und damit
Vergütungsentwicklungen auch im Bereich der Chefarztvergütung umsetzen wollen ("kleine
dynamische Bezugnahmeklausel"). Dagegen trage der Wortlaut dieser Vertragsklausel
jedoch gerade keine Erstreckung der Bezugnahme auf den TV-Ärzte/VKA, da dieser keine
"gültige Fassung des BAT" sei. § 4 des Arbeitsvertrags enthalte seiner Formulierung
nach lediglich eine zeit-, nicht jedoch inhaltsdynamische Bezugnahmeklausel.
Wie das BAG in seinen Entscheidungsgründen weiterhin ausführt, ergebe sich auch aus
§ 2 des Arbeitsvertrags kein Vergütungsanspruch des Klägers nach der Entgeltgruppe
IV des TV-Ärzte/VKA. Zwar weise diese Vertragsbestimmung auf die den BAT ersetzenden
Verträge hin, dies solle dem Wortlaut nach aber nur Anwendung finden, "soweit nachstehend
nichts anderes bestimmt ist". Da die Tätigkeitsvergütung des Chefarztes vorliegend
jedoch im nachfolgenden § 4 des Arbeitsvertrags eigenständig geregelt wurde, unterliege
sie somit nicht der Verweisung des § 2.
Kein Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung
Kein Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung
Ab dem Zeitpunkt der Ersetzung des BAT im kommunalen Bereich durch den TVöD zum 01.10.2005
wurden der BAT sowie die Vergütungstarifverträge zum BAT nicht mehr weiterentwickelt,
mit der Konsequenz, dass, wie im vorliegenden Fall, eine zeitdynamisch angelegte Bezugnahme
auf den BAT nunmehr statisch geworden war. Da jedoch ein solches "Einfrieren" der
Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession nicht mit einer bezweckten zeitdynamischen
Bezugnahme vereinbar sei, ergebe sich nach Ausführungen des BAG für Vergütungsabreden,
wie die vorliegende, eine nachträgliche Regelungslücke, die mittels ergänzender Vertragsauslegung
zu schließen sei.
Bei der im Rahmen einer solchen ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmenden Interessensabwägung
kam das BAG zu dem Ergebnis, dass bei einer konkreten arbeitsvertraglichen Bezugnahme
der Vergütungsgruppe I BAT die Vergütung nach dem Willen der Parteien dynamisch an
der jeweiligen Höhe der Vergütung eines tatsächlich in die Vergütungsgruppe I der
Vergütungsordnung zum BAT eingruppierten Angestellten im öffentlichen Dienst auszurichten
sei. Daher hätten die Parteien im Fall einer Tarifersetzung (Tarifsukzession) eine
Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe vereinbart, die nunmehr der im Arbeitsvertrag
bezeichneten Vergütungsgruppe entspreche. Nach Wegfall des BAT und Inkrafttreten des
TVöD wurden Beschäftigte der Vergütungsgruppe I BAT nach den tarifvertraglichen Überleitungsregelungen
mit Wirkung zum 30.09.2005 in die Entgeltgruppe 15 Ü übergeleitet, vgl. § 4 Absatz
1 Satz 1 i.V.m. Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 II TVÜ-VKA. Dementsprechend sei nach Ansicht
des BAG auch im vorliegenden Fall die entstandene Regelungslücke dahingehend zu schließen,
dass die Vertragsparteien eine Vergütung gemäß der Entgeltgruppe 15 Ü TVöD vereinbart
hätten, wenn sie eine Ersetzung der Vergütungsgruppe I BAT bedacht hätten.
Ferner führt das BAG aus, dass der hier streitige § 4 des Arbeitsvertrags auch nicht
mit Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum 01.08.2006 erneut lückenhaft geworden sei.
So sei die Schließung der Vertragslücke durch die weiterhin dynamische Anwendung der
Entgeltgruppe 15 Ü TVöD erhalten geblieben. Zudem sei aber auch gar keine Zuordnung
der Vergütungsgruppe I BAT zu einer der Entgeltgruppen des TV-Ärzte/VKA möglich, da
der TV-Ärzte/VKA ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem
für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte geschaffen habe. Aufgrund dessen argumentiert
das BAG dahingehend, dass redliche Vertragspartner nicht der Umstellung der Vergütung
auf ein neues Eingruppierungssystem den Vorzug gegeben hätten, wenn ein die Kontinuität
der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass
über die von den Parteien gewollte Dynamisierung der Vergütung hinaus der Kläger auch
an neuen Entgeltsystemen für Ärzte teilhaben sollte, lasse sich der vorliegenden Regelung
des § 4 des Arbeitsvertrags nicht entnehmen.
TV-Ärzte nicht speziellerer Tarifvertrag
TV-Ärzte nicht speziellerer Tarifvertrag
Ein anderes Auslegungsergebnis lasse sich nach den Ausführungen des BAG auch nicht
damit begründen, dass der TV-Ärz-te/VKA der "speziellere" Tarifvertrag sei. Diese
Frage könne bezogen auf die Überleitung der Chefarztvergütung dahingestellt bleiben,
da der TV-Ärzte/VKA für Chefärzte jedenfalls schon deshalb nicht "spezieller" sei,
weil er nach § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA für sie ebenso wie der TVöD nicht gelte und auch
ansonsten keinerlei Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthalte.
Kein Anspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Kein Anspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Schließlich hält das BAG auch nicht das für eine Überleitung der Chefarztvergütung
vorgebrachte Argument für tragend, ein Chefarzt müsse mindestens gleichviel, wenn
nicht mehr verdienen als sein in die Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter
ständiger Vertreter. Ein solches allgemein gültiges "Abstandsgebot" zwischen der Vergütung
des Vorgesetzten und derjenigen seiner unterstellten Mitarbeiter sei im deutschen
Arbeitsrecht nicht verankert. Zudem erziele ein Chefarzt nach Ansicht des BAG aufgrund
der Einräumung des Liquidationsrechts in der Regel ein höheres Einkommen als die ihm
unterstellten Ärzte. Auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz,
sollte er überhaupt im Bereich der Vergütung trotz Vorrangs der Vertragsfreiheit Anwendung
finden, rechtfertige keine Überleitung der Chefärzte in den TV-Ärzte/VKA, da eine
Differenzierung zwischen der Gruppe der Chefärzte und der Gruppe der "sonstigen Ärzte"
schon aufgrund des tarifvertraglichen Geltungsbereichs (§ 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA) sachlich
gerechtfertigt wäre.
Abschließend weist das BAG in seinen Entscheidungsgründen darauf hin, dass selbst
in dem Fall, dass allen bei der Beklagten tätigen Ärzten, die nicht Chefärzte sind,
auch ohne beiderseitige Tarifgebundenheit eine Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA gewährt
worden wäre, eine Überleitung der Chefarztvergütung in den TV-Ärzte/VKA im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung nicht in Betracht käme. Allein aus einer zum Zeitpunkt
des Abschlusses des Arbeitsvertrags erfolgten einheitlichen Anwendung eines tariflichen
Vergütungssystems auf alle beschäftigten Ärzte, einschließlich Chefärzte, lasse sich
ein hypothetischer Wille, daran auch bei einer späteren Tarifpluralität für Ärzte,
die nicht Chefärzte sind, festhalten zu wollen, nicht zwingend herleiten.
Fazit und Ausblick
Fazit und Ausblick
Mit der hier dargestellten Entscheidung vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 384/09 - hat das
BAG als eine von 5 Parallelentscheidungen erstmals zur Frage der Überleitung der Chefarztvergütung
auf den TV-Ärzte Stellung genommen. Um die vom BAG zu dieser Rechtsfrage vertretenen
Rechtsansicht umfassend wiederzugeben, sei an dieser Stelle ergänzend auf die Ausführungen
des BAG in der Parallelentscheidung vom 09.06.2010 - Az.: 5 AZR 122/09 - hingewiesen,
deren zugrunde liegende Vergütungsklausel im Vergleich zu der hier ausführlich besprochenen
Fallkonstellation nicht nur eine zeitdynamische Bezugnahmeklausel, sondern auch eine
sogenannte "Ersetzungsklausel" enthielt. In diesen Fällen ist im Rahmen der Vergütungsregelung
nicht nur eine Bezugnahme des BAT in seiner jeweils gültigen Fassung, sondern auch
eine Bezugnahme auf die den BAT ersetzenden Tarifverträge vereinbart, sodass sich
bereits der Wortlaut einer solchen Bezugnahmeklausel mit Ersetzungsklausel nicht nur
auf den TVöD, sondern auch auf den TV-Ärzte erstreckt, da beide Tarifverträge nach
den jeweiligen Überleitungsregelungen den BAT durch Tarifsukzession ersetzt haben.
Bei der Überprüfung derartiger Vergütungsklauseln ergibt sich somit bereits auf vertraglicher
Ebene eine Regelungspluralität, die es wiederum gilt, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
zu lösen. Hinsichtlich der Argumentation des BAG zur Interessenabwägung im Rahmen
einer ergänzenden Vertragsauslegung sei auf die obige Darstellung verwiesen. Lediglich
bezogen auf die im Fall der vertraglichen Regelungspluralität denkbare Anwendung der
Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB hat das BAG ergänzend ausgeführt, dass
dies in der Regel daran scheitere, dass nicht immer zwingend eine Vergütung nach dem
einen Tarifvertrag für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses günstiger sein müsse
als eine nach dem anderen Tarifvertrag. Je nachdem, welcher Tarifvertrag gerade eine
für den Arbeitnehmer höhere und damit günstigere Vergütung vorsehe, käme es zu unterschiedlichen
Auslegungsergebnissen und einem in der Praxis nur schwer handhabbaren "Hin und Her"
der Tarifanwendung.
So sehr einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtsfrage der Überleitung der Chefarztvergütung
auf den TV-Ärzte durch das BAG entgegengefiebert wurde, so überraschend war doch letztendlich
die in den Urteilen vertretene, der überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte
widersprechende Ansicht des BAG. Zwar mag es auch weiterhin aufgrund der Vielfältigkeit
der möglichen Vertragsklauseln immer wieder zu neuen Einzelfallprüfungen mit gegebenenfalls
anderem Auslegungsergebnis kommen. Mit diesen ersten Urteilen hat das BAG jedoch grundlegende
Maßstäbe für die Auslegung arbeitsvertraglicher Vergütungsklauseln in Chefarztverträgen
gesetzt, die es nunmehr von den Vertragsparteien zu beachten gilt.