»Placebo in der Medizin« – unter dieser Über-schrift erschien am 19. Juli 2010 im
Deutschen Ärzteblatt (DÄ) der Tätigkeitsbericht eines gleich-namigen Arbeitskreises der Bundesärztekammer (BÄK) ([1]). Vorausgegangen war ebenfalls im DÄ ein 5-seitiger Originalbeitrag mit dem Titel »Placebo: Missverständnisse und Vorurteile«
([2]). Das Leserecho, abgedruckt im DÄ vom 20. August 2010, war lebhaft. Im Grundsatz waren sich alle einig: Placebo-Wirkungen
sind keine Randphänomene, sondern können erheblichen Anteil am Erfolg vieler Therapien
haben. Die vertiefte Erforschung, Lehre und Nutzung innerhalb der Schulmedizin sei
überfällig.
Weniger einvernehmlich waren die Meinungen zur praktischen Umsetzung dieser Vorsätze.
In 4 von 8 Leserzuschriften wurde Anstoß an der Formulierung des BÄK-Arbeitskreises
genommen, dass »Placebo-Effekte einen Teil, wenn nicht die Gesamtheit der Wirkungen
der Komplementärmedizin« (wozu auch die Phytotherapie gezählt wird) ausmachten. In
Verbindung mit der ebenfalls im Bericht enthaltenen Aussage, dass gezielte Placebo-Gabe
eine Täuschung der Patienten darstellen könnte, war sogar von einem indirekten Berufsverbot
für naturheilkundlich orientierte Ärzte die Rede. Insbesondere dem Letzteren widersprachen
die Autoren in ihrem Schlusswort vehement, wobei sie darauf verwiesen, dass der publizierte
Bericht allein den Hinweis enthielt, dass der Einsatz von Placebo in der Schulmedizin unter Umständen eine rechtlich relevante Täuschung des Patienten darstellen könnte.
Letzteres trifft zweifellos auch zu. Offen bleibt dabei aber die Frage, welche Arzneimittel
alternativ zu empfehlen sind für Anwendungsgebiete, bei denen Placebo-Wirkungen einen
dominierenden Anteil am Therapieerfolg ausmachen (erwähnt wurden u.a. 80% bei den
Antidepressiva). Immerhin: Dem Autor dieses Editorials wurde ausdrücklich dafür gedankt,
dass er in seiner Leserzuschrift die besondere Eignung von pflanzlichen Arzneimitteln
für 10 typische Indikationen in die Diskussion gebracht hat. Darin liegt ein Ansatz,
über den vor allem die Anbieter der mehr und mehr durch Misserfolge großer placebokontrollierter
klinischer Studien in die Enge getriebenen Phytopharmaka nachdenken sollten.
»Die Pflanze« braucht bekanntlich zur vollen Entfaltung ihrer Wirksamkeit »das Wort«.
Der Zuspruch muss nicht immer vom Arzt ausgehen; Apotheker, Familienangehörige oder
»die Medien« können ein Gleiches tun. Von den 3 weiteren Einflussgrößen »pharmakologisch
bedingte Wirksamkeit«, »Unbedenklichkeit« und »Kosten der Therapie« gewinnen allerdings
im Rahmen der hier diskutierten Neuordnung die beiden letztgenannten Faktoren im gleichen
Maße an Gewicht, wie die erstgenannte Größe zur Randfunktion wird. Daraus resultieren
weit-reichende Konsequenzen. Phytopharmaka, die als akzeptable Behandlungsalternativen
im o.g. Sinne anerkannt werden wollen, müssen zukünftig ihre Unbedenklichkeit in jeder
Hinsicht zweifelsfrei nach außen dokumentieren. Sie müssen aber auch den Preiswettbewerb
mit guten Synthetika in gleicher Indikation bestehen können. Daraus erwachsen neue
Maßstäbe an die Herstellung und Komposition der Wirkstoffe, die in vielen Fällen mit
bisher gepflegten Grundsätzen und Maximen der Phyto-therapie nicht mehr übereinstimmen
dürften.