physiopraxis 2010; 8(9): 8
DOI: 10.1055/s-0030-1267271
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Zum Artikel „Femoroacetabuläres Impingement”, physiopraxis 7-8/10

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Publication Date:
16 September 2010 (online)

 
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FAI – Die Diskussion ist eröffnet

Sehr geehrter Herr Diemer, liebe physiopraxis-Redaktion,

ich möchte Euch zu dem gelungenen Interview gratulieren. Das Interview ist eine sehr interessante Form, Diskussionen in Gang zu bringen, und das Femoroacetaubuläre Impingement (FAI) ist für uns Physiotherapeuten ein wichtiges Thema.

Ich stimme Herrn Diemer zu, dass „Vorsicht” mit Mobilisationen geboten ist, wenn die Leistensymptomatik bei einem der genannten manualtherapeutischen Tests reproduziert wird. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, das alleine das „Positivsein” einer der genannten Tests, keineswegs eine Kontraindikation für manualtherapeutische Mobilisationen ist. Vielmehr muss der klinisch tätige Therapeut anhand des gesamten Befundes (ärztlicher Befund, physiotherapeutischer Befund, bildgebende Verfahren, etc) und dem dazugehörigen Clinical Reasoning-Prozess sowie dem sorgsamen Wiederbefund jeweils im individuellen Fall die Dosierung, Richtung und Art einer Mobilisation bestimmen bzw. bestimmen, ob eine Mobilisierung sinnvoll ist oder nicht.

Es sei hier auch erwähnt, dass die klinische Diagnostik des FAI nicht ganz so unproblematisch ist, wie man anhand des Interviews denken könnte [1, 2, 3]. Uns allen sollte bewusst sein, dass man eine Diagnose nicht nur anhand eines positiven Tests stellen kann (es gibt keinen Test von einer Sensitivität und Spezifität von 100%). Und tatsächlich ist auch die klinische Diagnostik des FAI äußerst komplex. So berichten R.L. Martin und Kollegen in einer aktuellen Publikation, dass die Reliabilität der klinischen Untersuchung selbst bei erfahrenen Orthopäden nur 68% beträgt [3].

Aus meiner nunmehr 30-jährigen Erfahrung heraus möchte ich auch betonen, dass die Physiotherapie sehr wohl selbst bei nachgewiesenen Läsionen des Labrum acetabuli Therapiemöglichkeiten offerieren kann. Eine Arbeit von Lewis and Sahrmann gibt hierzu wertvolle Hinweise [4]. Zugegeben, wie leider allzu oft, fehlt bis heute die wissenschaftliche Beweisführung der Effektivität der physiotherapeutischen Therapie [5]. Aber das sollte aus meiner Sicht nur Anlass sein, hier weiter zu diskutieren und effektive Behandlungsmöglichkeiten zu formulieren. Über eine vertiefte Diskussion, zum Beispiel in der Fachzeitung „manuelletherapie” würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Schöttker-Königer, Physiotherapeut (MSc (PT), OMT)

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Anmerkung des Autor Frank Diemer:

Sehr geehrter Herr Schöttker-Königer, liebe physiopraxis-Leser,

vielen Dank für den fachlichen Input und den Diskussionsbeitrag auf das Interview. Ich bin erfreut, dass es in dieser Form gelungen ist, schwierige Themen kurz und dennoch informativ vielen Lesern näher zu bringen und das Thema fruchtbar zu diskutieren.

Leider hat das Format „Interview” eine Grenze der Wissensvermittlung – es kann keines der angesprochenen Themen (Diagnostik, Therapie usw.) komplett ausführen. Dies war auch nicht das Ziel des geführten Gesprächs. Dennoch möchte ich zu den kritischen Punkten Stellung beziehen: Die Diagnose FAI ist keineswegs einfach, und die isolierte Durchführung von einzelnen Provokationstests reicht dafür nicht aus. Der Hinweis auf eine komplette (auch ärztliche) Befunderhebung ist völlig korrekt und als Grundlage der manuellen Therapie fest verankert, was auch beim FAI gilt [6, 7, 8, 9].

Die Behandlung des FAI ist eine große Herausforderung für die Physiotherapie. Betrachtet man die Funktion des Labrum acetabuli (u.a. Stabilität für das Hüftgelenk) so ist bei Verlust der Integrität zwangsläufig das Gelenk weniger stabil. Aus dieser Tatsache lassen sich Behandlungsinterventionen (stabilisierende Maßnahmen) ableiten. Bei der Mobilisation der Hüfte mit einem nachgewiesenen Impingement sind unserer Meinung nach die Grenzen eng gesetzt, da es sich um eine anatomisch bedingte Einschränkung handelt. An anderer Stelle werden daher Mobilisationen (auch muskuläre Dehnungen) bei dieser Patientengruppe streng limitiert oder verboten [10, 11, 12]. Das gängige Vorgehen mittels Wiederbefund und klinischer Symptomatik ist hier unserer Meinung nach nicht immer unproblematisch. Wir halten es durchaus für möglich, dass kurzfristige Verbesserungen in der Mobilität ohne Schmerzverstärkung langfristig eine bionegative Veränderung des Gelenks verursachen. Selbstverständlich ist auch hierfür die Beweisführung schwierig (sowohl für als auch gegen eine Indikationsstellung zur Mobilisation des Gelenks). Möglicherweise ist hier aber grundsätzlich „weniger mehr”, nur darauf bezog sich mein Hinweis bezüglich der Mobilisation.

Ich möchte mich Herrn Schöttker-Königer anschließen und freue mich auf eine weitere Diskussion in der Zeitschrift „manuelletherapie”. Nur dadurch können „Standards” für die Behandlung von Patienten mit solch schwierigen Krankheitsbildern entstehen.

Frank Diemer, Physiotherapeut und Sporttherapeut

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Literaturverzeichnis zum Leserbrief von Thomas Schöttker-Königer

[1] Clohisy JC, Knaus ER, Hunt DM, Lesher JM, Harris-Hayes M, & Prather H. Clinical presentation of patients with symptomatic anterior hip impingement. Clinical Orthopaedics and Related Research 2009; 467: 638-644

[2] Macfarlane RJ & Haddad FS. The diagnosis and management of femoro-acetabular impingement. Ann R Coll Surg Engl 2010; 92: 363-367

[3] Martin RL, Kelly BT, Leunig M, Martin HD, Mohtadi NG, Philippon MJ, Safran MR. Reliability of clinical diagnosis in intraarticular hip diseases. Knee Surgery Sports Traumatology Arthroscopy 2010; 18:685-690

[4] Lewis CL. & Sahrmann, S. Acetabular Labral Tears. Physical Therapy 2006; 86: 110-121

[5] Leunig M, Beaulé PE, & Ganz R. The Concept of Femoroacetabular Impingement: Current Status and Future Perspectives. Clinical Orthopaedics and Related Research 2009; 467:616-622

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Literaturverzeichnis zur Anmerkung von Frank Diemer

[6] Schmerl M, Pollard H, Hoskins W. Labral injuries of the hip: a review of diagnosis and management. Journal of Manipulative and Physiological Therapeutics. 2005; 28: 632ff

[7] Philippon MJ, Maxwell RB, Johnston TL et al. Clinical Presentation of femoroacetabular impingement. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. 2007; 15: 1041ff

[8] Clohishy JC, Knaus ER, Hunt DM et al. Clinical presentation of patients with symptomatic anterior hip impingement. Clinical Orthopaedics and Related Research. 2009; 467: 638ff

[9] Burnett RS, Della Rocca GJ, Prather H et al. Clinical Presentation of patients with tears of the acetabular labrum. Journal of Bone and Joint Surgery. 2006; 88a: 1448ff

[10] Kaplan KM, Shah MR, Youm T et al. Femoroacetabular Impingement. Diagnosis and Treatment. Bulletin of the NYU Hospital for Joint Diseases. 2010; 68: 70

[11] Larson CM. Arthroscopic management of pincer-type impingement. Sports Medicine and Arthroscopy Review. 2010; 18: 100

[12] Vaughn ZD, Safran MR. Arthroscopic femoral osteoplasty/chielectomy for cam-type femoroacetabular impingement in the athlete. Sports Medicine and Arthroscopy Review. 2010; 18: 90