physiopraxis 2010; 8(9): 6
DOI: 10.1055/s-0030-1267269
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Zum Artikel „Belastungsinkontinenz effektiv behandeln”, physiopraxis 7-8/10

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Publication Date:
16 September 2010 (online)

 
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Mehr als Beckenbodentraining

Liebe Redaktion,

vielen Dank für den Artikel zu dem ich ein paar Anmerkungen machen möchte: Durch die einsetzende Menopause kommt es bei allen Frauen zu einem Östrogendefizit, das sich auf die Kontinenzleistung auswirkt: Die vaginale Schleimhaut wird dünner und die Durchblutung im Scheidenbereich ist verringert. Deshalb kann eine lokale vaginale Östrogenisierung Teil eines Therapiekonzeptes sein. Zusätzlich kann Frau Paulus aus dem Artikel nach drei Schwangerschaften und Geburten eine Organsenkung (Blase, Gebärmutter, Darm) haben, die ebenfalls die optimale Blasenfunktion reduzieren kann. Vaginalkonen sind dann nicht sinnvoll. Die tamponähnlichen Gewichte können bei einer weiten Scheide nicht gehalten werden – sie rutschen dann heraus.

Ob die Belastungsinkontinenz aufgrund einer Beckenbodenschwäche entstanden ist, müsste man mit einer gründlichen vaginalen Untersuchung herausfinden, die in Deutschland spezialisierte Physiotherapeuten mit Einverständnis der Patientin durchführen können. Dabei kann man auch eine Organsenkung diagnostizieren. Zu bedenken ist es, dass es Patientinnen gibt, die trotz kräftigen Beckenbodens inkontinent sind. Wenn die Beckenbodenmuskulatur insuffizient ist, muss sie effizient trainiert werden [1, 2, 3]:

  • durch 8–12 langsame, möglichst maximale Kontraktionen (60–80% der Maximalkraft) spezifische Zielmuskulatur aktivieren

  • Anspannung mindestens 3 Sekunden halten, maximal 10 Sekunden. Intensität durchzuhalten ist wichtiger wie die Zahl der Wiederholungen

  • 3 Serien (mit maximal 8–12 Wiederholungen) durchführen

  • 1–2 Minuten Pause zwischen den einzelnen Serien

  • Übungen an 2–3 (4) Tagen der Woche wiederholen

  • um einen positiven Effekt zu erzielen > mehr als 5 Monate üben

Es ist nicht sinnvoll, die Beckenbodenmuskulatur täglich anzuspannen. Wichtig ist eine Pause von mindestens 48 Stunden bis zum nächsten Trainingsreiz wie beim üblichen Training quergestreifter Muskulatur.

Biofeedbackverfahren sollen eine physiologische Aktivität (korrekte Beckenbodenspannung) wahrnehmbar machen, um das Training aktiv durchführen zu können. Das kann apparativ (EMG mittels Vaginalsonde), taktil (Therapeuten-/Patientenhand) oder visuell (über Spiegelkontrolle) passieren. Vaginalsonden muss der Arzt verordnen. Verfahren ohne Gerät werden von Patientinnen eher akzeptiert.

Alle dargestellten Maßnahmen dienen dem Ziel, die Beckenbodenmuskulatur im Sinne einer Hypertrophie zu trainieren. Setzt die Patientin diese vor einer belastenden Situation wie einen Sicherheitsgurt im Alltag ein, zum Beispiel beim Husten und Hüpfen, reduziert das den Urinabgang [4]. Dazu muss sie lernen, die Beckenbodenmuskulatur im leichten bis moderaten Bereich zu aktivieren [5]. Zusätzlich braucht sie eine kräftige Bauchmuskulatur (ohne Rektusdiastase), um die intraabdominelle Druckerhöhung zu reduzieren. Zudem sollten Maßnahmen gegen Obstipation bedacht und die richtigen Hilfsmittel ausgewählt werden. Wichtig sind eine, aufrechte Körperhaltung, eine Beratung in puncto geeigneter Sportart sowie die Anpassung der Trainingsparameter an die Wundheilungsphasen in der postpartalen/postoperativen Phase. Ein Therapiekonzept gegen Belastungsinkontinenz der Blase ist immer mehr als Beckenbodentraining. Deshalb heißt das Konzept der AG GGUP „Physiotherapie bei Funktionsstörungen im Becken”.

Mit freundlichen Grüssen

Ulla Henscher, Leiterin der AG GGUP im Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK)

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Literatur

[1] Bo K et al. Evidence – Based Physical Therapy for the Pelvic Floor. Philadelphia: Churchill Livingstone Elsevier; 2007: 119-131

[2] American College of Sports Medicine Position Stand. The recommended quantity and quality of exercise for developing and maintaining cardiorespiratory and muscular fitness, and flexibility in healthy adults. Med Sci Sports Exerc 1998; 30: 975-991

[3] Kraemer HG und Ratamess NA. Fundamentals of resistance training: progression and exercise prescription. Med Sci Sports Exerc 2004; 36(4): 674-688

[4] Miller JM, Ashton-Miller JA, DeLancey JO. A pelvic muscle precontraction can reduce cough-related urine loss in selected women with mild Sui. J Am Geriatr Soc 1998; 46(7): 870-874

[5] Junginger B, Baessler K, Sapsford R, Hodges PW. Effect of abdominal and pelvic floor tasks on muscle activity, abdominal pressure and bladder neck. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunction 2010; 21: 69-77