physiopraxis 2010; 8(9): 6
DOI: 10.1055/s-0030-1267268
physioforum

Zum Artikel „Das Bobath-Konzept im Umbruch”, physiopraxis 7-8/10

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Publication Date:
16 September 2010 (online)

 
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Ist Bobath noch Bobath?

Sehr geehrte Frau Eckhardt,

der Artikel zum Bobath-Konzept hat mich in freudige Erwartung versetzt, dass man sich nun allmählich von veralteten Lehrmeinungen trennen würde. Ich begrüße es, dass neue Erkenntnisse der Hirnforschung in Fortbildungen weitergegeben und für den therapeutischen Alltag interpretiert werden.

Leider geht aus Ihrer Antwort nicht hervor, wie sich nun das Bobath-Konzept „neu” definiert, und was die charakteristischen Merkmale sind! Laut Kollegen, die aktuell Bobath-Kurse besucht haben, komme das sehr auf den Referenten an. Es werde eine Bandbreite an Therapieansätzen gelehrt, zum Beispiel die herkömmlichen Fazilitationstechniken, aber auch die Forced-Use-Therapie und repetitives Training. Beide lassen Tonuserhöhung zu und sind somit mit einem der Grundgedanken des Bobath-Konzeptes ganz und gar nicht kompatibel. Wäre es im Sinne unserer Patienten nicht angebracht, nach aktuellem Wissensstand sich nach den Grundsätzen des motorischen Lernens zu richten und sich von der Bezeichnung Bobath-Konzept zu trennen? Ich finde die Weiterentwicklung im Bereich der Fortbildung essenziell, aber man sollte dem Kind einen neuen Namen geben.

Zudem wirkt es auf Patienten sicherlich unseriös, wenn eine Therapeutin, die nach neuesten Erkenntnissen arbeitet, während eines repetitiven Trainings eine spastische Tonuserhöhung als „Plussymptom” zulässt, jedoch eine andere Therapeutin mit Bobath-Ausbildung dies als „pathologisches Muster” und somit negativ beurteilt und ihren Hauptschwerpunkt auf die kurzfristige Tonusregulation setzt. Das irritiert auch Physiotherapeuten in der Ausbildung, da Althergebrachtem nach wie vor sehr große Bedeutung beigemessen wird.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sich Neues etablieren kann, wobei sich die Frage stellt, ob diese Lehrmeinung dann noch Gültigkeit besitzen wird.

Mit freundlichen Grüßen,

Corinna Meidl, Physiotherapeutin aus Allentsteig/Österreich

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Anmerkung von Gabriele Eckhardt

Sehr geehrte Frau Meidl,

vielen Dank für Ihr Interesse. Es ist schwer, Ihren Leserbrief in Kürze zu beantworten. Er trifft den Kern unseres derzeitigen „Bobath-Problems”: Das Bobath-Konzept scheint nicht einheitlich auf dem aktuellen Stand gelehrt zu werden. Das gilt für Therapeuten, Bobath-Lehrer in den Berufsfachschulen und für Bobath-Instruktoren. Deshalb wird es von vielen als veraltet angesehen! So war es der Bennewitzer Gruppe ein Anliegen, viele Vorurteile und Vorbehalte bezüglich des Bobath-Konzeptes aus dem Weg zu räumen und die aktuelle Vorgehensweise an dem Beispiel des Upper Motor Neuron Syndroms darzustellen. Doch nur wenn alle an einem Strang ziehen, wird das Bobath-Konzept seinen (berechtigten) großen Stellenwert in der Neurorehabilitation auch weltweit behalten. Das bedeutet viel Arbeit für alle!

Sollte der Eindruck entstanden sein, dass die an den Bennewitzer Gesprächen beteiligten Personen im Alleingang das Bobath-Konzept revolutionieren, dann ist das falsch. Die IBITA (International Bobath Instructor Training Association) und die VeBID (Verein der Bobath-Instruktoren Deutschland und Österreich) waren inhaltlich an der Arbeit beteiligt und der Artikel in physiopraxis wurde im Konsens mit allen Bobath-Instruktoren geschrieben.

Um zu sichern, dass die aktuellen Inhalte innerhalb der Bobath-Kurse unterrichtet werden, hat die VeBID einen Qualitätssicherungsbogen entwickelt, den die Kursteilnehmer ausfüllen. Seit 2004 müssen sich alle VeBID-Instruktoren verbindlich dieser Qualitätskontrolle unterziehen. Dieser Bogen wird dem Vorstand der VeBID vorgelegt und ausgewertet. Einen Einfluss auf die Unterrichtsinhalte der jeweiligen Berufsfachschulen und auf die in früheren Jahren ausgebildeten Therapeuten hat die VeBID allerdings nicht. Es steht in der Eigenverantwortung eines jeden Therapeuten und eines jeden Lehrers, sich durch Refresher-Kurse auf den neusten Stand im Bobath-Konzept zu bringen. Auch neuere Literatur sollte in den Berufsfachschulen Einzug nehmen.

Soll das „Bobath-Konzept” noch „Bobath-Konzept” heißen? Mit dieser Frage hat sich die IBITA lange beschäftigt und beschloss 2009 international mit großer Mehrheit, an dem Namen festzuhalten. Die Urheber des Bobath-Konzeptes haben den klaren Auftrag erteilt, die aktuellen neurobiologischen und neurorehabilitativen Erkenntnisse in die prinzipiellen, methodischen und technischen Vorgehensweisen des Bobath-Konzeptes zu integrieren. Deshalb besteht aus der Sicht der Bobath-Instruktoren kein Anlass, den Namen zu ändern.

„Die Kritik am Bobath-Konzept ist notwendig und sehr hilfreich.”, Gabriele Eckhardt

Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Kritik am Bobath-Konzept ist notwendig und sehr hilfreich. Wir sind auf dem Weg, aber noch lange nicht fertig. Gerne fordern wir alle Interessierte auf, an dem sich ständig veränderbaren „Werk” Neurorehabilitation mitzuarbeiten. Für eine Diskussion stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Gabriele Eckhardt (Vorsitzende der VeBID) im Namen der Bennewitzer Gruppe