Vor einer Behandlung auf diabetische Polyneuropathie sollte eine gründliche Differenzialdiagnose
stehen. Bei der Therapie selbst sind die häufig vorliegenden psychiatrischen Komorbiditäten
und der Stoffwechsel der Patienten zu berücksichtigen. Bewährt hat sich das Antikonvulsivum
Pregabalin.
Als typische Symptome schmerzhafter Neuropathien beschrieb Prof. Karlheinz Reiners,
Würzburg, "brennende, prickelnde oder blitzartig einschießende, elektrisierende Schmerzen,
Taubheit, Kribbelparästhesien, gestörtes Temperaturempfinden, Hyperalgesie und/oder
Allodynie". Sie ließen sich ohne großen ärztlichen Aufwand erfassen, erklärte er bei
einer Veranstaltung auf der DDG-Jahrestagung 2010 in Stuttgart. Geeignet sei dafür
etwa der standardisierte Patientenfragebogen painDETECT: "Er beinhaltet keine Entscheidungsfragen,
sondern lässt Abstufungen in der Schwere einzelner Symptome zu." Damit würden auch
leichte oder seltene Symptome erfasst.
"Bei einer diabetischen Polyneuropathie treten die Beschwerden eher in Ruhe auf, sind
distal und symmetrisch lokalisiert und korrelieren mit dem Verlauf der metabolischen
Grunderkrankung", so Reiners. "Gelegentlich manifestiert sich eine diabetische Polyneuropathie
aber schon vor dem Diabetes", ergänzte Prof. Thomas Tölle, München. Er zeigte dies
am Beispiel eines Patienten, der mit seinen Schilderungen eines starken Dauerschmerzes
der Stärke 7 von 10 bei mehreren Fachärzten keinen Glauben gefunden hatte: "Mithilfe
des Fragebogens painDETECT konnten wir eine neuropathische Schmerzkomponente als ,zu
mehr als 90 %ig wahrscheinlich' beziffern", so Tölle. "Kurz danach zeigte sich bei
dem Patienten eine pathologische Glukosetoleranz; offenbar war die Neuropathie eine
Folge seiner noch nicht diagnostizierten Stoffwechselstörung."
Unklarer Fußschmerz kann viele Ursachen haben - auch bei Diabetikern
Unklarer Fußschmerz kann viele Ursachen haben - auch bei Diabetikern
Trotzdem sind unklare Schmerzen an Beinen oder Füßen nicht immer Folge einer diabetischen
Neuropathie. "Auch bei Diabetikern kommen zahlreiche andere Ursachen einer Neuropathie
in Frage", so Reiners, "etwa Alkoholabusus - mit oder ohne Vitamin-B1-Mangel -, Therapie
mit Amiodaron oder Zytostatika, Urämie bei Nierenschäden, akute intermittierende Porphyrie,
HIV-Erkrankung, Guillain-Barré-Syndrom oder Amyloidose." Ebenso könne eine Hypo- bzw.
Hyperthyreose oder ein Engpass-Syndrom der Grund sein, betonte der Neurologe. Besonders
bei Hundebesitzern, Forstarbeitern oder auch Pädagogen müsse man an Zeckenstiche denken:
"Eine Borreliose kann in Phase 3 der Erkrankung zu einer Polyneuropathie führen."
Laboruntersuchungen sind laut Reiners nur bei wenigen Neuropathien hilfreich, etwa
im Zusammenhang mit IgM-kappa MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz):
"Hier zeigen sich Paraproteine in der Elektrophorese."
Bei der diabetischen Amyotrophie - einer Sonderform der diabetischen Polyneuropathie
- sei der Schmerz meist unilateral in einem Oberschenkel zu finden, grenzte Reiners
ab. Hier liege eine ganz andere Pathogenese zugrunde. Und: "Ein temperaturunabhängiges
Brennen der Füße kann Symptom einer Polyneuropathie sein, aber auch unabhängig davon
bei Vitamin- oder Eisenmangel oder Raynaud-Phänomen auftreten."
Keine Verwechslung mit Restless Legs!
Keine Verwechslung mit Restless Legs!
Von Polyneuropathien und dem Burning-feet-Syndrom zu unterscheiden sei das Restless-legs-Syndrom:
"Dieses imponiert weniger durch Schmerzen als durch ein unangenehmes Gefühl in den
Beinen, verbunden mit innerer Unruhe - die Patienten können nachts nicht ruhig liegen
bleiben." Das Restless-legs-Syndrom tritt nach Reiners bei Diabetikern etwas häufiger
auf als in der Allgemeinbevölkerung. "Eine probatorische Therapie mit L-Dopa schlägt
hier meist innerhalb einer Woche an", meinte er.
Diabetische Polyneuropathie oft komorbid mit psychiatrischen Erkrankungen
Diabetische Polyneuropathie oft komorbid mit psychiatrischen Erkrankungen
"Ein Drittel der Menschen mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie leidet an
Depressionen, ein Viertel an Angststörungen, bis zu zwei Drittel haben Ein- und Durchschlafprobleme",
berichtete Prof. Göran Hajak, Regensburg [1], [2]. "Bei Patienten mit chronischem Schmerz und Schlafstörungen kommt es oft zu einem
Circulus vitiosus", warnte er: "Schmerz stört beim Einschlafen, vermindert den Tiefschlaf
und führt zu häufigen Aufwachvorgängen. Und die Schlafdeprivation setzt dann die Schmerzschwelle
herab." [3], [4].
Antidepressiva oder Antikonvulsiva?
Antidepressiva oder Antikonvulsiva?
Zur Therapie von Patienten mit Schmerz-, Angst-, Depressions- und auch Insomniesymptomatik
seien Antidepressiva und Antikonvulsiva zugelassen, konstatierte Hajak. "Aber diejenigen
unter den Antidepressiva, die besonders gut schmerzlindernd und schlaffördernd wirken,
Amitriptylin und Mirtazapin, führen oft zu unerwünschten Wirkungen wie Gewichtszunahme,
die wir bei Diabetikern überhaupt nicht brauchen können", bedauerte er [5]. Anders sei das bei modernen Antikonvulsiva wie Pregabalin (Lyrica®): "Es ist analgetisch
wirksam, stoffwechselneutral und wirkt gegen generalisierte Angst", nannte Hajak die
Quintessenz aus mehreren, teils noch unveröffentlichten Studien.
Therapieentscheidung künftig nach Symptomcluster?
Therapieentscheidung künftig nach Symptomcluster?
Zukünftig könnten ganz neue Kriterien bei der Therapie von Polyneuropathiepatienten
eine Rolle spielen. So wies Tölle auf wiederkehrende Muster bestimmter Positiv- und
Negativsymptome hin. Diese "Symptomcluster" könne man zusammenfassen und zur Klassifizierung
verwenden. "L2G0" würde dann etwa bedeuten: "Loss 2: nur mechanische Negativsymptome;
Gain 0: keine Positivsymptome (Hyperalgesien)". Dabei seien die Symptomcluster unabhängig
von der Pathogenese der Neuropathie. "Sie könnten aber bei der Zuordnung individuell
wirksamer Therapeutika helfen", stellte Tölle in Aussicht. Konkrete Studiendaten hierzu
lägen allerdings noch nicht vor.
Simone Reisdorf, Erfurt-Linderbach
Quelle: Symposium "Interdisziplinäre Aspekte bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie"
am 12. Mai 2010 in Stuttgart im Rahmen der DDG-Jahrestagung, veranstaltet von Pfizer.
Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung von Pfizer. Die Autorin ist freie
Journalistin.
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