Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(4): 159
DOI: 10.1055/s-0030-1263236
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Wenn medizinische Innovation auf Europas Bürokratie trifft

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. August 2010 (online)

 
Inhaltsübersicht

    Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA hat kürzlich mitgeteilt, dass sie jetzt auch die Einnahme bestimmter antidepressiv wirkender Medikamente bei Piloten - unter allerdings genau definierten Bedingungen - akzeptieren wird. Das Verfahren dafür ist verständlicherweise sehr aufwendig und die Kriterien, für welche Piloten dies möglich ist, sind natürlich sehr streng. Andererseits zeigt dieses Beispiel, dass die FAA bestrebt ist, sich bei den Anforderungen an Piloten auf dem neuesten Stand der Medizin zu bewegen und den wissenschaftlichen Fortschritt auch den Piloten zugute kommen zu lassen.

    Dies steht in erheblichem Gegensatz zu den Verhältnissen, die derzeit in der europäischen Flugmedizin herrschen. Grund dafür ist das prinzipiell andere System der "Joint Aviation Authorities" (JAA) in Europa mit der Schwierigkeit, unter den beteiligten europäischen Staaten bzw. deren Vertretern einen Konsens finden zu müssen. Der Prozess um inhaltliche Änderungen ist langwierig und mit einem umfangreichen formalen und natürlich auch zeitaufwendigen Vorschlags- und Genehmigungsverfahren verbunden.

    Gänzlich unmöglich (oder so gut wie) ist es in Deutschland, wo die (europäisch festgelegten) Regularien für die medizinische Tauglichkeit von Luftfahrtpersonal Gesetzescharakter haben und somit für Änderungen ein Gesetzgebungsverfahren initiiert werden muss, was bekanntermaßen noch viel zeitraubender ist. Letztendlich kann sich der medizinische Fortschritt daher nicht zeitnah in diesen Vorschriften widerspiegeln, was sich zum Nachteil aller Beteiligter am Luftverkehr in Europa auswirkt.

    Möglicherweise wird sich die Situation etwas bessern, wenn die Regularien der Europäischen Luftfahrtbehörde EASA für die medizinische Tauglichkeit von Piloten 2012 in Kraft treten. Hier - so war zu erfahren - ist geplant, medizinische Sachverhalte in eine Form zu gießen, die eine kürzerfristige Änderung bzw. Anpassung an aktuelle Entwicklungen erlaubt. Bisherige Erfahrungen mit europäischen Behörden lassen es aber geboten erscheinen, zunächst abzuwarten, wie sich die Praxis tatsächlich entwickeln wird.

    Zu wünschen wäre ein flexibles Vorgehen auf jeden Fall, denn in vielen Bereichen der Medizin sind enorme Fortschritte zu verzeichnen, so zum Beispiel im Bereich der Antikoagulation, wo zurzeit mehrere oral einzunehmende Medikamente, die nach den bisherigen Kenntnissen sehr effektiv und auch sicher sind, in großen Studien erforscht werden. Im Falle der Substanzen Dabigatran und Rivaroxaban, einem Faktor-II- und einem Faktor-X-Hemmer, sind diese Medikamente in einigen Indikationen auch schon zugelassen. Diese Medikamente haben das Potenzial, die Antikoagulation zu revolutionieren, viel sicherer und zuverlässiger zu machen und damit gegebenenfalls auch betroffene Piloten wieder ins Cockpit zu bringen.

    Zu Recht ist die Flugmedizin sehr konservativ, was die Akzeptanz von Medikamenten im Flugbetrieb angeht, und natürlich hat Sicherheit immer oberste Priorität. Sinnvolle Berücksichtigung medizinischer Innovationen bei unseren Tauglichkeitsrichtlinien und Sicherheit im Flugverkehr schließen sich meines Erachtens jedoch nicht aus.

    Prof. Dr. Helmut Landgraf, Berlin

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