Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(4): 163
DOI: 10.1055/s-0030-1263045
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KIT 2010 – AIDS in Afrika und vernachlässigte Tropenkrankheiten

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Publication Date:
16 August 2010 (online)

 
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Dr. Volker Westerbarkey, Berlin, eröffnete auf dem KIT 2010 (10. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin) das Symposium "HIV in Entwicklungsländern". Westerbarkey arbeitete für 1 Jahr in einer HIV-Klinik in Harare, Zimbabwe, für Ärzte ohne Grenzen, die das Krankenhaus auch betreiben. 300 Patienten werden dort täglich behandelt, jeden Tag muss man zum Beispiel bis zu 100 Blutabnahmen durchführen. Ein internationaler Arzt vor Ort unterstützt die 2 einheimischen Ärzte. Dazu kommen 20 Krankenschwestern und 100 weitere Angestellte.

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Zimbabwe: schnelle Behandlung im Krankenhaus ist gefragt

In Harare sind die diagnostischen Möglichkeiten nicht mit denen in Europa zu vergleichen. So wird etwa bei Durchfall sofort behandelt, ohne eine differenzierte Diagnose vorzunehmen. Der mikroskopische Erregernachweis einer Tuberkulose (TB) ist nicht sehr zuverlässig und der nächste Röntgenapparat steht 30 km entfernt in einer anderen Klinik. So kommt es vor, dass bei Symptomen die deutlich auf eine TB hinweisen (wie dauerhafter Husten, verlängertes Fieber und schwerer Gewichtsverlust) eine Behandlung aufgenommen wird, ohne dass ein Erregernachweis erbracht wird. Dies ist ein Beispiel, wie sorgfältiges medizinisches Handeln bei einer Unterversorgung vor Ort, in diesem Falle in der Diagnostik, von europäischen Maßstäben im Notfall abweichen muss. Die große Mehrzahl dieser Behandlungen ist erfolgreich, das gibt dem Pragmatismus Recht.

Die antiretovirale Therapie (ART) bei AIDS ist auch in dieser Klinik eine Erfolgsgeschichte. Stark geschwächte Patienten kommen zu Beginn oft in einer Schubkarre in die Klinik, dem ortsüblichen Gefährt für Kranke. Mit dem Einsatz von ART ist es diesen Patienten oft möglich, in nur 5-6 Monaten wieder zu Kräften zu kommen. Einige arbeiten dann in der Klinik mit - als Berater für andere Patienten. Dies ist Teil des Programms zur Erhöhung der Compliance. Diese ist mit einer Abbrecherquote von nur 6 % hoch. Das größte Problem für die Bekämpfung von HIV und AIDS sieht Westerbarkey nach wie vor in der mangelnden Prophylaxe. Mehrfachbeziehungen und wechselnde Sexualpartner sind Alltag in Zimbabwe und die Akzeptanz von Kondomen ist vor allem bei Männern leider immer noch gering.

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HIV: antiretrovirale Therapie einsetzen, aber Prophylaxe nicht vergessen

Das Thema "ART-Roll-out" stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Jan van Lunzen, Hamburg. Seine Ausgangsfrage war: Roll-out um jeden Preis? Zunächst scheinen die Zahlen dafür zu sprechen: 72 % der globalen AIDS-Toten sterben im südlichen Afrika, 12 Millionen AIDS-Waise leben dort und das Wirtschaftswachstum der betroffenen Staaten sank um bis zu 25 %. Die Erfolge einer verstärkten ART zeigen sich in den Zahlen: Wurden 2007 noch 2,1 Millionen Menschen im südlichen Afrika mit einer ART versorgt, waren es 1 Jahr später schon 2,9 Millionen. Auch die Versorgung Schwangerer zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder stieg an - von 35 % 2007 auf 45 % 2008.

Den Ehrgeiz einer flächendeckenden Versorgung aller Kranken mit ART bis 2015 hält van Lunzen aber für utopisch, schon anhand der Kosten von 50 Milliarden US-Dollar im Jahr. Sein Plädoyer ist, sich nicht auf einen ART-Roll-out um jeden Preis zu versteifen, sondern Gruppen gezielt zu versorgen, zum Beispiel stillende Mütter mit HIV zum Schutz ihrer Kinder. Dies ist heute medizinisch zu leisten und macht auch Sinn im Hinblick auf die Ernährungslage in den Ländern des südlichen Afrika. Sein Resümee gleicht dem von Westerbarkey: weiterhin verstärkte Prophylaxe für Hochrisikogruppen.

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Chagas: vernachlässigte Krankheit mit langer Latenzphase

In der Session zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten gab es Beispiele, wie diese Krankheiten auch in Europa an Relevanz gewinnen können. Exemplarisch hierfür ist die Chagas-Krankheit, eine durch den Einzeller Trypanosoma cruzi hervorgerufene Krankheit, die im unbehandelten Fall bei bis zu 10 % der Betroffenen zum Tod führt. Chagas-Erkrankungen kommen vor allem in Mittel- und Südamerika vor. Das Risiko einer Erkrankung für Touristen ist gering. Doch tragen Entwicklungshelfer und Jugendliche, die im Rahmen sozialer Projekte in Favelas (Baracken) wohnen, ein erhöhtes Infektionsrisiko. Dies sollten Allgemein- und Tropenmediziner in Deutschland bei entsprechenden Symptomen nicht außer Acht lassen.

Chagas ist eine Krankheit mit langer Latenzphase. So kann eine Südamerikanerin, die schon ein Jahrzehnt symptomfrei in Deutschland wohnt und schwanger wird, die Krankheit auf ihr Kind übertragen. Die Zahl von 500 Erkrankten in Deutschland ist aufgrund der mangelnden Datenlage nur eine grobe Schätzung. Der Referent Dr. August Stich, Würzburg, betonte, wie wichtig es ist, dass Ärzte in Deutschland Zusammenhänge zwischen Auslandsaufenthalten und später auftretenden, seltenen Krankheiten zumindest in Erwägung ziehen.

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Neue Leitlinien zur Therapie der kutanen Leishmaniasis

Auch internationale Militäreinsätze bringen Tropenkrankheiten nach Deutschland. So sind schon 25 deutsche Soldaten in Afghanistan an Leishmaniasis erkrankt. Die Infektion erfolgt durch den Stich von Sandmücken (Phlebotomen, "sandflies"), die mit Protozoen der Gattung Leishmania infiziert sind. Die Fälle der erkrankten Soldaten und die zunehmende Anzahl von Erkrankten gerade auch aus dem Mittelmeerraum hat nun die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V. dazu bewogen, neue Leitlinien zur Therapie der unterschiedlichen klinischen Bilder und Verlaufsformen der kutanen Leishmaiasis (Hautleishmaniasis) zu erstellen. Dr. Marcellus Fischer, Hamburg, stellte diese vor. Die Leitlinien finden Sie unter http://www.dtg.org/120.html. Gerade bei diesem Krankheitsbild wurden in den vergangenen Jahren neue medikamentöse Therapieoptionen entwickelt, die inzwischen eine Alternative zu den nebenwirkungsreichen Behandlungen mit 5-wertigen Antimonpräparaten sind.

Sina Vogt, Hürth

Quelle: Symposien "HIV in Entwicklungsländern" und "Vernachlässigte Tropen-Erkrankungen" auf dem 10. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (KIT), Köln