DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2010; 8(03): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1262975
Editorial
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Verletzlich

Rainer Breul
,
Thorsten Fischer
,
Marina Fuhrmann
,
Karl-Ludwig Resch
,
Peter Wührl
Further Information

Prof. Dr. rer. nat. med. habil. Rainer Breul

Publication History

Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

    Es gibt wohl kaum einen tiefer gehenden Bruch im therapeutischen Bündnis als die Verletzung eines Patienten durch den Therapeuten, sei es physisch, psychisch oder sozial. Patienten sind verletzbar, offenbaren sich Hilfe suchend und setzen sich neben den gewünschten Wirkungen auch der Nachlässigkeit und Destruktivität der Therapeuten aus. Ebenso verletzbare Therapeuten reagieren auf die Aggressionsdrohung ihrer Patienten. Manchmal muss selbst der therapeutische Umgang mit handgreiflicher Destruktivität möglich sein; so bleiben verhaltensgestörte Kinder Schutzbefohlene, auch wenn sie z. B. mit Zerstörung drohen. Patienten dagegen dürfen erwarten, dass Therapeuten über die Selbstkompetenz verfügen, ihre Aggression weder als versteckte Drohung ins Spiel zu bringen, noch diese hinter salbungsvollen Formulierungen zu verschleiern.

    Über die aggressiven und destruktiven Affekte und Handlungen der Therapeuten zu sprechen, ist heikel. Der Reflex zur Abgrenzung und fingerzeigenden Ausgrenzung auf einzelne „schwarze Schafe“ ist groß und wird dem Problem nicht gerecht. Konflikte des therapeutischen Bündnisses und Grenzen kollegialer Solidarität werden weder in den Ausbildungen noch in den dafür zuständigen Institutionen formuliert: Wie z. B. ist damit umzugehen, wenn in der Anamnese ein Patient von einem Übergriff eines Kollegen berichtet? Sprachlosigkeit, moralisierende Empörung und mantrahaftes Festhalten an vorgestanzten Sätzen sind oft die Konsequenz.

    Die Diskussion über den Tod eines 3 Monate alten Mädchens, das während einer Behandlung eines Kraniosakraltherapeuten in Holland das Bewusstsein verlor und – möglicherweise durch die Behandlung – wenig später starb, zeigt, wie wichtig und schwierig fachliche und begriffliche Klarheit sind [1]. Fragen der professionellen Ethik und der Verantwortung sollten dabei nicht hinter technischen und definitorischen Fragen (Was ist forciert? Was ist Manipulation?) verschwinden. Eines der wenigen verbürgten Details deutet darauf hin, dass der Therapeut die Beziehung zu seiner Patientin verlor; sonst hätte er kaum ihre Leblosigkeit als Zeichen der Entspannung deuten können, kaum im Tasten die Unantastbarkeit übersehen.

    Es geht um mehr als die Frage der richtigen Anwendung einer gerechtfertigten Technik durch die dafür qualifizierte Person. Im Hintergrund des therapeutischen Versprechens und der Heilungshoffnung steht auch die persönlich gefärbte, aber auf kollektive Verbindlichkeit setzende Utopie der Gerechtigkeit. Diese Hoffnung ist ebenso wenig in die philosophische Kiste zu stecken wie die Hoffnung auf Wahrheit und gegenseitiges Verstehen. Der Versuch, dem anderen gerecht zu werden, hat in vielen Disziplinen zu einer Kritik des therapeutischen Machtdiskurses und der Kolonialisierung des Subjekts geführt. Und in der Osteopathie?

    Zur Einlösung des Nichtschadenprinzips braucht es ein Verständnis der Dynamik der Behandlung und der sprachlichen sowie nichtsprachlichen Interaktion. Dabei ließen sich Anforderungen an die professionelle Ethik und fachliche Kompetenz durchaus formulieren. Die eigenen und die Reaktionen des Patienten auf die Behandlungssituation wahrzunehmen, klinisch zu deuten und im Rahmen einer therapeutischen Beziehung kreativ gestalten zu können, ist die Basis unserer ethischen und fachlichen Kompetenz.

    Die Herausgeber


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    Prof. Dr. rer. nat. med. habil. Rainer Breul