Anmerkungen zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.12.2009Ä
Jahrzehntelang galt für sämtliche tarifangestellte Ärzte der Bundes-Angestelltentarifvertrag
(BAT). Im Jahr 2006 sind die arztspezifischen Tarifverträge zwischen Marburger Bund
einerseits und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bzw. der Tarifgemeinschaft
deutscher Länder (TdL) andererseits in Kraft getreten. Einer der wesentlichen Streitpunkte
im Rahmen der Überleitung der Ärzte vom BAT in den TV-Ärzte/VKA bzw. TdL ist die Eingruppierung
der "BAT-Oberärzte" in die Struktur der neuen Entgeltgruppen. So sieht der TV-Ärzte/VKA
bzw. TdL erstmals im Vergleich zu den Vergütungsgruppen des BAT in der Entgeltgruppe
(EG) Ä 3 eine eigenständige Entgeltgruppe für Oberärzte vor, deren Vergütung deutlich
über derjenigen für Fachärzte in der EG Ä 2 liegt. Von besonderem Interesse war dabei
bislang die Überleitung der sogenannten Titularoberärzte. Nach Aussagen des Marburger
Bundes sei eine generelle Überleitung aller "BAT-Oberärzte", also auch der Titularoberärzte,
in die EG Ä 3 des TV-Ärzte in den Tarifverhandlungen nicht durchsetzbar gewesen. Nunmehr
ist auch durch die zu dieser Frage bereits ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung
bestätigt, dass für die tarifgerechte Eingruppierung in die EG Ä 3 des TV-Ärzte eine
vor Inkrafttreten des TV-Ärzte erfolgte rein formale Ernennung zum Oberarzt allein
keine Bedeutung hat. Das hier besprochene Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom
09.12.2009 (Az.: 4 AZR 827/08) schließt sich der Reihe der Entscheidungen über Eingruppierungsklagen
von Oberärzten an und führt im Einzelnen aus, was unter den nach § 12 TV-Ärzte/TdL
für die Eingruppierung allein maßgeblichen Tätigkeitsmerkmalen eines Oberarztes im
Tarifsinne zu verstehen ist.
Sachverhalt
Sachverhalt
Der Kläger des der Entscheidung des BAG vom 09.12.2009 (Az.: 4 AZR 827/08) zugrunde
liegenden Sachverhaltes ist seit über 10 Jahren an einem der Universitätskliniken
des beklagten Landes als Arzt und seit 2000 nach Abschluss der Weiterbildung zum Facharzt
der Radiologie dort als Facharzt tätig. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet
seit November 2006 der TV-Ärzte/TdL Anwendung. Die Vergütung richtet sich seitdem
nach der EG-Ä-2-Stufe 3. Im Jahr 2007 übernahm der Kläger im Institut für Diagnostische
und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums die Tätigkeit als sogenannter
"Programmverantwortlicher Arzt der Mammografie-Screening-Einheit" und ist im Organigramm
des Instituts als "Funktionsoberarzt" ausgewiesen. Mit seiner Klage verlangt der Kläger
eine Eingruppierung als Oberarzt in die EG-Ä-3-Stufe 1 des TV-Ärzte/TdL. Er ist der
Auffassung, dass ihm aufgrund seiner Funktion als Programmverantwortlicher Arzt die
medizinische Verantwortung für den Funktionsbereich Mammografie-Screening übertragen
worden sei. Zudem seien die für die Übernahme der Position als Programmverantwortlicher
Arzt erforderlichen Qualifikationen vergleichbar mit solchen, die die Weiterbildungsordnung
für eine Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung verlangen würde.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben in ihren Entscheidungen
dem Kläger entsprechend seinem Begehren eine Eingruppierung als Oberarzt in die EG
Ä 3 zugesprochen. Das BAG hingegen hat sich in seinem Urteil dieser vorinstanzlichen
Rechtsauffassung nicht angeschlossen und der Revision des beklagten Landes stattgegeben.
Nach Auffassung des BAG ist für die Eingruppierung eines Arztes in die jeweilige Entgeltgruppe
des TV-Ärzte/TdL allein der Wortlaut des § 12 TV-Ärzte/TdL maßgeblich. Demzufolge
wird innerhalb der EG-09.12.2009Ä-3 des TV-Ärzte/TdL zwischen 2 Unterfallgruppen unterschieden:
-
Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche
der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.
-
Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion,
für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung
nach der Weiterbildungsordnung fordert.
Medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereich der Klinik
Medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereich der Klinik
Wie das BAG in seinen Entscheidungsgründen ausführt, komme eine Eingruppierung in
die EG Ä 3, 1. Unterfallgruppe in der vorliegenden Fallgestaltung daher nicht in Betracht,
da es sich bei der dem Kläger übertragenen Tätigkeit als Programmverantwortlicher
Arzt der Mammografie-Screening-Einheit nicht um die Übertragung der medizinischen
Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik bzw. Abteilung im tariflichen
Sinne handele. Die Eintragung als "Funktionsoberarzt" in einem Institutsorganigramm
sei dabei für die Frage der richtigen Eingruppierung ohne Bedeutung.
Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebe sich, dass das Tätigkeitsmerkmal der
medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich nur dann erfüllt
werden könne, wenn dem Oberarzt in dem betroffenen Bereich ein Aufsichts- und Weisungsrecht
gegenüber dem medizinischen Personal, aber auch dem nicht ärztlichen Personal zugewiesen
worden sei. Dabei müssten dem Oberarzt nicht nur Ärzte der EG Ä 1 (Assistenzärzte
und Ärzte in Weiterbildung), sondern auch mindestens 1 Facharzt der EG Ä 2 unterstellt
sein. Dies ergebe sich aus der systematischen Stellung der EG Ä 3 innerhalb der durch
die Vergütungsordnung gestalteten Hierarchie der Entgeltgruppen. Die Formulierung
"medizinische" Verantwortung mache deutlich, dass es nicht ausreiche, wenn dem Arzt
lediglich organisatorische oder verwaltungstechnische Verantwortung obliege. Aus der
Struktur der Entgeltgruppen in § 12 TV-Ärzte/TdL, insbesondere aus der Differenz der
monatlichen Vergütung, folge, dass die medizinische Verantwortung der Oberärzte über
die allgemeine ärztliche Verantwortung eines Assistenzarztes und eines Facharztes
deutlich hinausgehe. Entsprechend seien Kliniken arbeitsteilig in der Weise organisiert,
dass für die zahlreichen spezialisierten und fragmentierten Diagnose-, Behandlungs-
und Pflegeabläufe krankenhausintern eine abgestufte Verantwortungsstruktur vorgesehen
sei.
Zwar ergebe sich aus der Unterordnung der Oberärzte unter den leitenden Arzt und seinen
ständigen Vertreter, die in die EG Ä 4 eingruppiert werden, dass die von dem Oberarzt
wahrzunehmende medizinische Verantwortung keine Letztverantwortung sein kann. Innerhalb
des ihm zugewiesenen Teil- oder Funktionsbereiches müsse jedoch nach den Ausführungen
des BAG die Verantwortung des Oberarztes ungeteilt bestehen. Die medizinische Verantwortung
für einen Teilbereich im Tarifsinne könne daher nicht bei mehreren Ärzten liegen.
Etwas anderes gelte nur dann, wenn es sich um eine echte Arbeitsplatzteilung (Jobsharing)
handele, nicht aber wenn die Alleinverantwortlichkeit des Arztes lediglich nur vorübergehend,
z.B. bei Hintergrunddiensten, bestehe.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreit verneint das BAG die Erfüllung
des Tatbestandsmerkmales der medizinischen Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich
bereits aufgrund der Tatsache, dass dem Kläger bei seiner Tätigkeit als Programmverantwortlicher
Arzt der Mammografie-Screening-Einheit keinerlei ärztliches Personal unterstellt worden
sei. Die auf Grundlage von Kooperationsverträgen einbezogenen Fachärzte ständen in
keinem Arbeitsverhältnis zu dem beklagten Land und seien daher als Externe nicht in
das klinikinterne Über- und Unterordnungsgefüge eingebunden. Aufgrund dessen sei auch
bereits fraglich, ob es sich bei der Mammografie-Screening-Einheit um einen möglichen
Teil- oder Funktionsbereich der Klinik im Tarifsinne handele, da dies, so das BAG,
eine eigenständige Verantwortungsstruktur unter Einschluss klinikinternen ärztlichen
Personals voraussetze. Vorliegend seien in der Mammografie-Screening-Einheit jedoch
niedergelassene Ärzte als Befunder tätig, die der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit
als Programmverantwortlicher Arzt anleiten und überwachen würde.
Qualifikation einer Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung
Qualifikation einer Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung
Abschließend stellt das BAG in seinem Urteil vom 09.12.2009 (Az.: 4 AZR 827/08) fest,
dass der Kläger auch nicht die Tätigkeitsmerkmale der 2. Unterfallgruppe der EG Ä
3 des TV-Ärzte erfülle. Der eindeutige Tarifwortlaut nehme diesbezüglich ausschließlich
Bezug auf die Vorgaben der Weiterbildungsordnungen zum Erwerb von Qualifikationen,
die Gegenstand der Schwerpunkt- und Zusatzweiterbildung und dazugehörigen Prüfung
vor den Ärztekammern sind. Unstreitig seien vorliegend die für die Übernahme der Position
eines Programmverantwortlichen Arztes erforderlichen Qualifikationen nicht in der
Weiterbildungsordnung, sondern in einer einschlägigen Anlage zu dem zwischen der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen abgeschlossenen Bundesmantelvertrag-Ärzte
geregelt. Eine eventuelle Vergleichbarkeit der erworbenen Kompetenzen reiche im Hinblick
auf den hierzu eindeutigen Tarifwortlaut nach Auffassung des BAG nicht aus.
Fazit und Ausblick
Fazit und Ausblick
Die vorstehend besprochene Entscheidung des BAG bestätigt nicht nur, dass allein die
in § 12 TV-Ärzte/TdL für die EG Ä 3 genannten Tätigkeitsmerkmale für eine Eingruppierung
als Oberarzt zwingend erfüllt sein müssen, sondern zeigt zudem die Grenzen auf, in
welchen die einzelnen Tatbestandmerkmale im Tarifsinne zu definieren sind. Kann ein
Arzt, auch wenn er unter Anwendung des BAT die Bezeichnung als Oberarzt führen durfte,
die Tätigkeitsmerkmale der EG Ä 3 des TV-Ärzte nicht nachweisen, so erhält er zwar
im Rahmen der Überleitung hinsichtlich der Höhe seines BAT-Gehalts, bzw., wenn bereits
eine Überleitung in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) erfolgte,
seines TVöD-Gehalts Bestandschutz. Eingruppiert wird er jedoch in die EG Ä 2 der Fachärzte.
In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass nach dem TV-Ärzte auch kein
Bewährungsaufstieg in eine höhere Entgeltgruppe, wie es die Vergütungsordnung des
BAT noch vorsah, möglich ist. Dies hat zur Konsequenz, dass wenn der Arzt nicht die
Tätigkeitsmerkmale der jeweiligen Entgeltgruppe, wie z.B. den Abschluss einer fachärztlichen
Weiterbildung oder die Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen Funktionsbereich,
erlangt, er "ewig" in der jeweiligen Entgeltgruppe mit entsprechender maximaler Vergütung
bei Erreichen der Endstufe eingruppiert bleibt.
Auch wenn durch die klar formulierten Voraussetzungen der Entgeltgruppen die Vorteile
der neuen Eingruppierungsregelungen für die Ärzte in ihrer Transparenz und Vereinfachung
der Eingruppierung ohne die Möglichkeit von rein formalen Titularoberärzten und Bewährungsaufstiegen
liegen, so wird dies zu einem faktischen Rückgang der Anzahl der Oberärzte führen.
Dies wird voraussichtlich jedoch nicht nur eine Erhöhung des Konkurrenzkampfes der
Klinikärzte untereinander zur Folge haben, sondern wird zunächst aufgrund der teilweisen
"Herabgradierung" bisheriger Oberärzte zu vermehrten hierarchischen Unstimmigkeiten
der Klinikärzte untereinander führen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf das
klinikinterne Arbeitsklima haben kann.
Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Dr. Ulrike Tonner
Rechtsanwältin