Ob eine Studie aussagekräftig und auf andere Patienten übertragbar ist, hängt vorwiegend
von ihrem Design ab. Stehen Experten bei der Erstellung von Leitlinien viele Studien
mit gutem Design zur Verfügung, wirkt sich das positiv auf den Grad ihrer Therapieempfehlungen
aus.
Design bestimmt Evidenzstufe
Design bestimmt Evidenzstufe
Wissenschaftliche Arbeiten, deren Aussagekraft begrenzt ist, sind zum Beispiel Einzelfallstudien
(engl.: case studies): Wenn der Autor darin beispielsweise feststellt, dass sich die
Nackenschmerzen seines Patienten im Verlauf der physiotherapeutischen Behandlung verbessern,
kann er dieses Ergebnis nicht auf alle Patienten mit Nackenschmerzen übertragen. Denn
er weiß weder, ob alle Patienten mit Nackenschmerzen von Physiotherapie profitieren,
noch kann er belegen, dass die Behandlung an sich diese Verbesserungen erbracht hat.
Aus Einzelfällen erfährt man lediglich etwas über die beobachteten und dargestellten
Veränderungen, weitere Überlegungen sind nur Mutmaßungen. Einzelfallstudien haben
somit eine niedrige Evidenzstufe.
Zu den Arbeiten mit hohen Evidenzstufen gehören zum Beispiel randomisierte kontrollierte
Studien, da sie eine höherwertige wissenschaftliche Basis bieten, um über die Wirksamkeit
einer Therapie urteilen zu können.
Evidenzstufen nicht einheitlich
Evidenzstufen nicht einheitlich
Je hochwertiger das Design einer Studie also ist, desto höher ist ihre Evidenzstufe.
Je nachdem, welche Institution diese Einordnung vornimmt, können sich die einzelnen
Evidenzstufen allerdings voneinander unterscheiden. Die Agency for Health Care Policy
and Research (AHCPR) – ein Forschungszweig des amerikanischen Gesundheitsdienstes
– verwendet beispielsweise sechs Evidenzgrade (Tab.). Die höchste Aussagefähigkeit haben nach dieser Einteilung Studien der Evidenzstufe
Ia. Dazu gehören systematische Reviews randomisierter kontrollierter Studien.
Tab. Einteilung von Evidenzstufen nach der AHCPR
Evidenzklassen beeinflussen Therapieempfehlungen
Evidenzklassen beeinflussen Therapieempfehlungen
Wenn Experten Leitlinien veröffentlichen, geben sie darin Empfehlungen, welche Therapieoptionen
man bei bestimmten Krankheitsbildern verwenden sollte. Diese Empfehlungen hängen wiederum
von den Evidenzstufen der Studien ab, die die Experten für ihre Leitlinien heranziehen
können: Je hochwertiger die zum Thema gefundenen Arbeiten sind, desto höher ist der
Grad der Therapieempfehlung.
Auch dabei gibt es verschiedene Einteilungen. Die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen
medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) verwendet drei Grade:
-
Eine Empfehlung mit dem Grad A verfügt über schlüssige Literatur von guter Qualität,
die mindestens eine randomisierte Studie mit den Evidenzgraden Ia oder Ib enthält.
-
Eine Grad-B-Empfehlung wird mit gut durchgeführten, nicht randomisierten klinischen
Studien der Evidenzgrade II oder III belegt.
-
Eine Empfehlung mit dem Grad C kennzeichnet Berichte und Meinungen von Experten oder
klinische Erfahrungen anerkannter Autoritäten, die die Evidenzstufe IV aufweisen.
Direkt anwendbare klinische Studien guter Qualität fehlen bei dieser Empfehlung.
Qualität und Empfehlungen einheitlich beurteilen
Qualität und Empfehlungen einheitlich beurteilen
Die unterschiedlichen Einteilungssysteme erschweren den Vergleich von Studien und
Therapieempfehlungen. Aus diesem Grund entwickelten Experten das GRADE-System. Dessen
Ziel ist, Qualität und Empfehlungsstärken einheitlich bewerten und daraus Empfehlungen
formulieren zu können. Dieses System erläutert Roger Hilfiker in einer der nächsten
Ausgaben von physiopraxis.