Gastroenterologie up2date 2011; 7(3): 171-173
DOI: 10.1055/s-0030-1256889
Klinisch-pathologische Konferenz

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Filiforme Polypose

Eine seltene Komplikation bei Patienten mit chronisch entzündlicher DarmerkrankungSebastian  Zeissig, Susanna  Nikolaus, Stefan  Schreiber
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Publication Date:
23 September 2011 (online)

Sicht des Internisten

Verbreitung und Ätiologie

Die filiforme Polypose (FP), d. h. das Auftreten postentzündlicher, schmaler, mehr als 15 mm langer Polypen, ist ein seltener Befund, der meist in Folge eines mehrjährigen intestinalen Entzündungsprozesses auftritt und vermutlich eine überschießende regenerative Antwort auf eine chronische Gewebeschädigung darstellt [1] [2] [3]. Seit der Erstbeschreibung durch Goldgraber 1965 [4] wurden mehr als 50 Fälle einer filiformen Polypose dokumentiert, bei erweiterter Definition bis zu 80 Fälle [1].

CED. Am häufigsten mit der filiformen Polypose assoziiert sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), die in etwa zwei Dritteln aller FP-Fälle nachzuweisen sind [1] [3] und in nahezu gleichem Verhältnis Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa betreffen [1]. Des Weiteren existieren Fallberichte einer filiformen Polypose bei Patienten mit intestinaler Tuberkulose [5], Divertikulitis [6] und Histiozytose X [7]. Aktuelle Fallserien verdeutlichen, dass in bis zu 20 % der FP-Fälle zum Zeitpunkt der Diagnosestellung kein Hinweis auf eine entzündliche Darmerkrankung vorliegt [8] [9]. Da die filiforme Polypose jedoch die Erstmanifestation einer entzündlichen Darmerkrankung darstellen kann oder der Diagnosestellung einer solchen Erkrankung um Monate vorausgehen kann [9] [10], ist anzunehmen, dass auch idiopathische Fälle einer filiformen Polypose auf dem Boden einer intestinalen Entzündungsreaktion entstehen, wobei deren Verlauf zumindest initial asymptomatisch ist. Mehr als zwei Drittel aller FP-Fälle werden dabei in Remissionsphasen der Grunderkrankung diagnostiziert, was das häufige Fehlen charakteristischer histologischer Befunde einer zugrunde liegenden Erkrankung erklärt [1].

Postentzündliche Polypen bei CED

Häufigkeit. Postentzündliche Polypen und entzündliche Polypen sind häufige Folgeerscheinungen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, die in seltenen Fällen in eine filiforme Polypose münden können [1]. Retrospektive Analysen bei Colitis ulcerosa zeigen eine Lebenszeitprävalenz postentzündlicher Polypen von über 10 % [11], in Untersuchungen kolektomierter Patienten sogar bis zu 50 % [12]. Postentzündliche Polypen treten ebenfalls bei Morbus Crohn auf, sind dort aber nur halb so häufig zu beobachten wie bei der Colitis ulcerosa [13].

Pathogenese. Die pathophysiologische Grundlage postentzündlicher Polypen bilden Ulzerationen, die Inseln intakter Schleimhaut zurücklassen, welche in der Folge – unterstützt durch entzündliche Prozesse und mechanische Belastung – zu einer überschießenden regenerativen Antwort mit Ausbildung länglicher, filiformer Strukturen führen [14]. Im Verlauf der Erkrankung kommt es dabei zur Epithelialisierung der Polypen [14], sodass diese im entzündungsfreien Intervall und auch im Fall der filiformen Polypose von einem teils regelhaften, teils hyperplastischen, aber nicht dysplastischen Epithel gedeckt sind [14]. Während alle postentzündlichen Polypen auf der Grundlage einer regenerativen, hyperproliferativen Antwort des intestinalen Epithels und der mesenchymalen Strukturen entstehen, bleibt unklar, weshalb diese Reaktionen in Einzelfällen zur Ausbildung filiformer Polyposen führen, während die Mehrzahl der Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankung allenfalls vereinzelte, kleine Polypen entwickelt. In einem Fallbericht einer ausgeprägten filiformen Polypose konnte eine Hyperplasie des neuroendokrinen Systems, insbesondere von serotoninproduzierenden Zellen, dokumentiert werden [3]. Es blieb jedoch offen, ob diese Veränderungen spezifisch für die filiforme Polypose sind und ob sie von primärer, ursächlicher Bedeutung sind oder lediglich eine sekundäre Folge intestinaler Entzündung darstellen. Während eine genetische Beeinflussung der intestinalen Restitution und somit auch der Entstehung einer filiformen Polypose wahrscheinlich ist, konnten in einer Fallanalyse selektierter CED-assoziierter Einzelnukleotidpolymorphismen (NOD2, DLG5, SLC22A4, SLC22A5, TLR2, TLR4, CD14) keine wegweisenden Befunde bei der filiformen Polypose erhoben werden [9]. Die Mechanismen der überschießenden mukosalen Regeneration bei Patienten mit filiformer Polypose sind daher bislang nicht ausreichend verstanden.

Karzinomrisiko. Chronische intestinale Entzündungsreaktionen sind mit einem erhöhten kolorektalen Karzinomrisiko verbunden [15]. Sowohl postinflammatorische Polypen als auch daraus entstehende filiforme Polyposen sind jedoch benigne Veränderungen, die trotz ihres makroskopisch mitunter nicht von malignen Prozessen zu unterscheidenden Erscheinungsbildes klar von prämalignen und malignen Veränderungen wie Dysplasien, dysplasieassoziierten Läsionen oder Massen (DALM) und kolorektalen Karzinomen abgegrenzt werden müssen [1] [3]. Aufgrund der Assoziation mit chronischen Entzündungsreaktionen stellt die filiforme Polypose dennoch trotz ihres benignen Charakters einen unabhängigen Risikofaktor für die Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms bei Patienten mit CED dar [16]. In diesem Zusammenhang ist auch das im Einzelfall berichtete Auftreten eines okkulten kolorektalen Karzinoms innerhalb einer filiformen Polypose zu verstehen [17].

Klinik und Differenzialdiagnosen

Symptomatik. Die Klinik der filiformen Polypose ist meist weder von den Symptomen der Grunderkrankung noch von denen eines fortgeschrittenen kolorektalen Karzinoms zu unterscheiden. So klagen Patienten häufig über Abdominalschmerzen, Diarrhö, Gewichtsverlust, Hämatochezie und Meläna. Seltener erfolgt die Diagnosestellung aufgrund eines mechanischen Ileus oder toxischen Megakolons [18].

Diagnostik. Aufgrund der unspezifischen, im Verlauf progredienten Symptomatik und des unzureichenden Ansprechens auf konservative therapeutische Maßnahmen [1] [3] sollte eine radiologische oder endoskopische Diagnostik erfolgen. Sonografie, CT und MRT erlauben dabei aufgrund des meist fortgeschrittenen Wachstums filiformer Polyposen die Darstellung einer segmentalen, zum Teil ausgedehnten Wandverdickung mit irregulärem Muster, villösen Veränderungen und Lufteinschlüssen [19]. Am häufigsten ist dabei das Colon transversum betroffen, wobei auch eine Beteiligung des gesamten Dickdarms sowie von Dünndarm [20], Magen [21] und Ösophagus [22] beschrieben wurde. Das Rektum ist dabei selbst bei langstreckigem Dickdarmbefall im Allgemeinen ausgespart [3]. Die bildgebende Diagnostik kann filiforme Polyposen in sensitiver Weise nachweisen, erfordert aber aufgrund geringer Spezifität und fehlender Abgrenzbarkeit von malignen Läsionen mit häufiger Fehldiagnose eines invasiven kolorektalen Karzinoms [1] eine weiterführende luminale Diagnostik. Endoskopisch zeigt sich das Bild großer, zum Teil kommunizierender, arboreszierender, filiformer Polypen [8]. Je nach Ausprägung der filiformen Polypose kann sich dabei entweder ein eindeutiges endoskopisches Bild zeigen oder eine Abgrenzung von villösen Adenomen, dysplasieassoziierten Läsionen oder Massen (DALM) und invasiven Karzinomen schwierig sein [23]. Aus polypoiden Veränderungen entnommene Biopsien weisen ein regelhaftes oder hyperplastisches Epithel ohne Hinweis auf Dysplasien auf [3].

Therapie

Aus therapeutischer Sicht ist ein konservatives Vorgehen aufgrund des Fehlens wirksamer Therapiemaßnahmen nicht erfolgversprechend. Eine endoskopische Resektion ist bei umschriebenen Läsionen prinzipiell möglich und in Fallberichten beschrieben [24]. Dennoch erfordert das bei Diagnosestellung meist fortgeschrittene Wachstum der polypoiden Veränderungen im Allgemeinen eine operative Versorgung [1]. Dieses Vorgehen ist nicht zuletzt darin begründet, dass insbesondere bei größeren Läsionen ein okkultes invasives Karzinom nicht ausgeschlossen werden kann [17]. Während die Mehrzahl der Fälle einer filiformen Polypose einen blanden postoperativen Verlauf zeigt, existieren Fallberichte rezidivierender filiformer Polyposen auf der Grundlage einer persistierenden intestinalen Entzündung [23].

Fazit

Die filiforme Polypose ist eine seltene Komplikation intestinaler Entzündungsreaktionen, die meist nach mehrjährigem Verlauf einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung entsteht. Pathophysiologische Grundlage der filiformen Polypose ist eine überschießende Regeneration der intestinalen Mukosa, die zum Wachstum bizarrer Polypenformationen führt. Während das bei Diagnosestellung meist fortgeschrittene Wachstum der Polypen und die damit verbundenen klinischen Symptome zumeist eine chirurgische Therapie erfordern, stellt die filiforme Polypose eine gutartige Veränderung dar, die von malignen Folgeerkrankungen intestinaler Entzündungsreaktionen abgegrenzt werden muss.

Literatur

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Prof. Dr. Stefan Schreiber

Klinik für Innere Medizin I
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