Lernziele
Lernziele
Kenntnisse über:
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pathogenetische Grundlagen der Mastozytose
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Symptome der verschiedenen Mastozytoseformen
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diagnostische Kriterien, Bedeutung der Serumtryptase
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Prävention von Anaphylaxie, Notfallset
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therapeutische Hemmung der Mastzelldegranulation und -proliferation
Einleitung
Einleitung
Die verschiedenen Formen der Mastozytose sind durch eine klonale Vermehrung von Mastzellen
charakterisiert [1]
[2]
[3]
[4]
[5]. Am häufigsten finden sich Mastzellinfiltrate in der Haut und im Knochenmark. Es
können jedoch auch andere innere Organe, wie Leber, Milz, Lymphknoten und Gastrointestinaltrakt,
betroffen sein. Die Ausprägung der Mastzellvermehrung, die Symptomatik und der Verlauf
der Mastozytose sind sehr variabel. Die meisten Symptome werden durch Aktivierung
der Mastzellen verursacht, verbunden mit der Ausschüttung von Histamin und anderen
Mastzellmediatoren.
Die aktuelle WHO-Klassifikation unterteilt die Mastozytose in 7 verschiedene Kategorien
([Tab. 1]) [1]
[2]. Entsprechend der Beteiligung von Haut und/oder Knochenmark kann zunächst grob zwischen
kutaner Mastozytose und systemischer Mastozytose unterschieden werden. Bei den kutanen
Mastozytosen beschränkt sich die Mastzellvermehrung auf die Haut, während die systemischen
Mastozytosen durch Infiltrate im Knochenmark oder anderen inneren Organen, oft verbunden
mit kutanen Infiltraten, gekennzeichnet sind.
Tab. 1 Klassifikation der Mastozytose.
Kategorie |
Prognose |
kutane Mastozytose |
günstig |
indolente systemische Mastozytose |
günstig |
systemische Mastozytose mit assoziierter klonaler, hämatologischer Erkrankung (SM-AHNMD)
|
entspricht der assoziierten hämatologischen Erkrankung |
aggressive systemische Mastozytose |
variabel, meist ungünstig |
Mastzellleukämie |
ungünstig |
Mastzellsarkom |
ungünstig |
extrakutanes Mastozytom |
günstig |
Die Mastozytose ist eine seltene Erkrankung; ihre Inzidenz wird auf unter 10 Neuerkrankungen
pro 1 Mio. Einwohner geschätzt (< 0,001 %) [6]. Es ist keine Geschlechts- oder Ethnienprävalenz zu beobachten. Die Mastozytose
kann in jedem Alter auftreten, die Erstmanifestation findet sich jedoch in zwei Dritteln
der Fälle im Kindesalter [7]
[8]. In der Regel ist die Mastozytose eine sporadische Erkrankung, nur sehr selten kommen
auch familiäre Formen vor [9].
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Bei der Mastozytose handelt es sich um eine seltene Erkrankung, die durch eine pathologische
Vermehrung von Mastzellen gekennzeichnet ist. Die meisten Symptome werden durch Aktivierung
der Mastzellen und Ausschüttung von Mastzellmediatoren, wie Histamin, verursacht.
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Pathogenetische Grundlagen
Pathogenetische Grundlagen
In der Pathogenese der Mastozytose nehmen aktivierende Mutationen des Protoonkogens
KIT eine Schlüsselrolle ein [10]
[11]. Das KIT-Gen codiert für den transmembranären Tyrosinkinaserezeptor KIT/CD117. Dieser
Rezeptor findet sich auf Mastzellen, Melanozyten, neuronalen Zellen, Cajal’schen Zellen,
Keimzellen und hämatopoetischen Stammzellen. Der Ligand von KIT ist das Zytokin SCF
(stem cell factor, Stammzellfaktor). Die Bindung von SCF an KIT führt zur Dimerisierung
des Rezeptors und Stimulation der intrinsischen Tyrosinkinaseaktivität. Bei Mastzellen
induziert die SCF-KIT-Aktivierung sowohl die Proliferation und Differenzierung der
Zelle als auch die Freisetzung von Mastzellmediatoren.
Etwa 60 – 90 % der Patienten mit Mastozytose weisen eine somatische KIT-Mutation in
Exon 17, Codon 816, auf, bei der Aspartat durch Valin substituiert wird (KITD816V) [11]. Einzelne Patienten, vor allem pädiatrische, tragen andere KIT-Mutationen in Exon
8, 9, 10, 11 oder 17 [8]. Die KITD816V-Mutation sowie die KIT-Mutationen in den anderen Exons führen zu einer autonomen,
von SCF unabhängigen Aktivierung des KIT-Rezeptors (Gain-of-Function-Mutation), d. h.
die Mastzellen und ihre Vorläufer zeigen bei den Mastozytosepatienten spontan eine
verstärkte Proliferation und Mediatorfreisetzung.
Neben den aktivierenden KIT-Mutationen spielen wahrscheinlich auch genetische Faktoren
eine wichtige Rolle für die Entstehung und Ausprägung der Mastozytose. So korreliert
ein Polymorphismus des IL-4-Rezeptors mit kutanen Mastozytoseformen und ein IL-13-Promoter-Polymorphismus
mit systemischen Formen [12]
[13]. Für die Bedeutung von genetischen Faktoren spricht auch die Beobachtung von typischen
klinischen „Mustern“ bei verschiedenen Patientengruppen, die unabhängig vom Vorliegen
bestimmter KIT-Mutationen sind: Kinder entwickeln die ersten Mastozytoseläsionen fast
immer innerhalb der ersten Lebensmonate, weisen in der Regel eine kutane Mastozytose
auf und zeigen oft eine Spontanremission bis zur Adoleszenz, während erwachsene Patienten
meist durch systemische Mastozytosen und einen chronischen oder progredienten Verlauf
gekennzeichnet sind [7].
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In der Pathogenese der Mastozytose spielen aktivierende KIT-Mutationen eine entscheidende
Rolle. Durch diese Mutationen kommt es zu einer autonomen Mastzellproliferation und
-mediatorfreisetzung. Die Ausprägung der Mastozytose wird möglicherweise auch durch
genetische Faktoren, wie Polymorphismen, reguliert.
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Klinisches Bild
Klinisches Bild
Bei 80 – 90 % der Mastozytosepatienten finden sich Hautveränderungen. Oft sind diese
Hautläsionen wegweisend für die Diagnose. Sie können entweder als alleinige Manifestation
auftreten – dann klassifiziert als kutane Mastozytose – oder Teilsymptom einer systemischen
Mastozytose sein [1]
[2]. Bestimmte kutane Formen sind selten mit systemischen Kategorien assoziiert, während
die typische Urticaria pigmentosa, ein Subtyp der makulopapulösen kutanen Mastozytose,
in der Regel zusammen mit einer systemischen Beteiligung auftritt.
Entsprechend der kutanen Mastzellvermehrung ist Juckreiz das häufigste klinische Symptom
aller Mastozytoseformen. Durch eine Reizung der Hautmastzellen, z. B. durch Reibung,
Wärme oder Kälte, kann es zum Auftreten von Urtikae und systemischen Histamineffekten,
wie Flush, Kopfschmerzen und auch Anaphylaxie, kommen. Bei systemischen Mastzellinfiltraten
ist die Neigung zu Anaphylaxien noch verstärkt [14], zusätzlich können auch gastrointestinale Beschwerden, z. B. Sodbrennen, Erbrechen,
Bauchkrämpfe und Diarrhöen, muskuloskeletale Schmerzen, Abgeschlagenheit und Osteoporose
auftreten. Eine ausgeprägte Mastzellvermehrung im Knochenmark führt durch Verdrängen
der anderen Zellreihen zur Zytopenie.
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Patienten mit Mastozytose weisen ein besonderes Risiko für Anaphylaxien auf. Weitere
häufige Symptome sind Pruritus, Zephalgien, abdominelle Krämpfe, Diarrhöen und Osteoporose.
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Kutane Mastozytosen
Kutane Mastozytosen
Makulopapulöse kutane Mastozytose/Urticaria pigmentosa
Die Urticaria pigmentosa, heute auch als makulopapulöse kutane Mastozytose bezeichnet,
wurde 1869 erstmalig beschrieben [6]. Damals waren Mastzellen noch nicht bekannt, sie wurden erst einige Jahre später
von Paul Ehrlich entdeckt. Historisch beruht der irreführende Name „Urticaria pigmentosa“
auf der Beobachtung, dass die Hautläsionen durch mechanische Reizung anschwellen und
jucken – ein Phänomen, das als „Darier-Zeichen“ bezeichnet wird. Erst 1887, kurz nach
Entdeckung der Mastzellen, konnte die Verbindung zwischen Urticaria pigmentosa und
Mastzellen hergestellt werden.
Klinisch manifestieren sich die verschiedenen Unterformen der makulopapulösen kutanen
Mastozytose als braunrote Makulae oder Papeln ([Tab. 2]). Die Subform „typische Urticaria pigmentosa“ betrifft meist erwachsene Patienten
und beginnt häufig an den Oberschenkeln oder im Bereich des unteren Stamms ([Abb. 1]) [2]
[3]. Über mehrere Jahre dehnen sich die Hautveränderungen dann langsam auf den oberen
Stamm und die Extremitäten aus. Meist bleiben Gesicht, Kapillitium, Palmae und Plantae
unbefallen. Bei Kindern finden sich häufig größere Läsionen mit einem Durchmesser
von 1 – 5 cm, die auch plaqueförmig oder nodulär sein können ([Abb. 2]) [15]. Eine blasige Umwandlung der größeren Hautveränderungen ist möglich, wird allerdings
nur bei kleinen Kindern bis zum Alter von 2 – 3 Jahren beobachtet. Als Ursache der
Blasenbildung wird eine erhöhte Empfindlichkeit der Haut gegenüber Mastzellproteasen
im Kleinkindalter diskutiert [7].
Tab. 2 Subklassifikation der kutanen Mastozytose.
makulopapulöse kutane Mastozytose/Urticaria pigmentosa
typische Urticaria pigmentosa Plaqueform noduläre Form Teleangiectasia macularis eruptiva perstans |
diffuse kutane Mastozytose
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solitäres Mastozytom der Haut
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Abb. 1 Makulopapulöse kutane Mastozytose bei einem erwachsenen Patienten. Subtyp: typische
Urticaria pigmentosa (Bild: Dermatologie, Uniklinik Köln).
Abb. 2 Makulopapulöse kutane Mastozytose bei einem Kind. Subtyp: Plaqueform (Bild: Dermatologie,
Uniklinik Köln).
Diffuse kutane Mastozytose
Eine seltene kutane Form ist die diffuse kutane Mastozytose. Sie beginnt meist innerhalb
der ersten Lebensmonate mit großflächigen Blasen, daneben zeigt sich eine generalisierte
gelb-rote Verfärbung und pachydermieartige Verdickung der Haut ([Abb. 3]). Histologisches Korrelat ist eine massive dermale Infiltration durch Mastzellen.
In Einzelfällen findet sich auch eine diffuse Mastzellinfiltration anderer Organe.
Die Prognose ist günstig, in der Regel bessert sich die Blasenbildung bereits nach
einigen Monaten, und die gelbliche Verfärbung der Haut bildet sich spontan bis zum
Erwachsenenalter zurück.
Abb. 3 Diffuse kutane Mastozytose bei einem Kind. Im Bereich des oberen Rückens Blasenbildung,
im Bereich des unteren Rückens urtikarieller Dermografismus (Bild: Dermatologie, Uniklinik
Köln).
Solitäres Mastozytom
Solitäre Mastozytome manifestieren sich ebenfalls meist während des ersten Lebensjahrs.
Diese Form ist durch einen einzelnen braunen oder rot-braunen Plaque gekennzeichnet,
der nach Reibung urtikariell anschwillt ([Abb. 4]). Gelegentlich sind anfangs auch Blasen mit dem Mastozytom assoziiert, zum Teil
getriggert durch einen Infekt oder die Einnahme von Kodein, einem direkten Mastzellliberator.
Die Prognose ist gut, eine Rückbildung ist in der Mehrzahl der Fälle bis zur Pubertät
zu beobachten.
Abb. 4 Solitäres Mastozytom bei einem Kind (Bild: Dermatologie, Uniklinik Köln).
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Die kutanen Mastozytoseformen umfassen die makulopapuläre kutane Mastozytose/Urticaria
pigmentosa, die diffuse kutane Mastozytose und das solitäre Mastozytom. Für alle Formen
ist das „Darier-Zeichen“ typisch – das Anschwellen der Hautveränderungen mit Juckreiz
nach mechanischer Reizung.
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Systemische Mastozytosen
Systemische Mastozytosen
Indolente systemische Mastozytose
Die indolente systemische Mastozytose ist durch mäßig ausgeprägte Mastzellinfiltrate
im Knochenmark ([Abb. 5]), selten auch in anderen inneren Organen, gekennzeichnet. In der Regel tritt sie
im jungen Erwachsenenalter auf. Über 90 % der Patienten weisen zusätzlich eine makulopapulöse
kutane Mastozytose auf, fast immer eine typische Urticaria pigmentosa mit kleinen
braun-roten Hautveränderungen ([Abb. 1]). Die Prognose ist günstig, der Verlauf ist meist chronisch stationär oder langsam
progredient [16].
Abb. 5 Mastzellinfiltrat im Knochenmark bei einem erwachsenen Patienten mit indolenter systemischer
Mastozytose. Die Mastzellen wurden mit einem Anti-Tryptase-Antikörper angefärbt (braun)
und zeigen eine spindelförmige Morphologie (Bild: Dermatologie, Uniklinik Köln).
Seltene Unterformen der indolenten systemischen Mastozytose stellen die isolierte
Knochenmarkmastozytose und die Smoldering Systemic Mastocytosis dar. Patienten mit
isolierter Knochenmarkmastozytose weisen keine Hautveränderungen auf und zeigen oft
als führendes Symptom Anaphylaxien [17]. Bei der Smoldering systemic Mastocytosis liegt im Knochenmark eine Mastzellvermehrung
von über 30 % vor, die Mastzelltryptase ist mit Werten über 200 µg/l deutlich erhöht,
zum Teil finden sich Hepatomegalie, Splenomegalie oder Lymphadenopathie, und der Verlauf
ist möglicherweise ungünstiger als bei der indolenten systemischen Mastozytose.
Systemische Mastozytose mit assoziierter klonaler, nicht der Mastzellreihe zuzuordnender
hämatologischer Erkrankung
Einige Patienten mit systemischer Mastozytose weisen zusätzlich andere hämatologische
Erkrankungen auf (SM-AHNMD: systemische Mastozytose mit assoziierter klonaler, nicht
der Mastzellreihe zuzuordnender, hämatologischer Erkrankung). Die Prognose des Krankheitsverlaufs
richtet sich bei dieser Form nach der hämatologischen Erkrankung, die meist als myelodysplastisches
Syndrom, myeloproliferatives Syndrom oder chronische myeloische Leukämie manifest
wird, selten auch als akute myeloische Leukämie oder chronische Eosinophilenleukämie
[18].
Aggressive systemische Mastozytose
Bei diesem Krankheitsbild tritt eine so ausgeprägte, progrediente Mastzellvermehrung
auf, dass es zu einer Dysfunktion des entsprechenden Organs kommt. Mögliche Symptome
sind: Splenomegalie, Hepatomegalie mit konsekutivem Aszites, Osteoporose, Osteolysen,
pathologische Frakturen, Malabsorption und Kachexie. Im Knochenmark wird die Hämatopoese
verdrängt und es resultiert eine Zytopenie. Die Prognose ist eher ungünstig.
Mastzellleukämie
Die Mastzellleukämie zeigt mehr als 20 % Mastzellen im Knochenmarkausstrich. Die Mastzellen
sind hier oft unreif oder blastär. Anhand der Anzahl der zirkulierenden Mastzellen
im peripheren Blut werden die typische Mastzellleukämie (mehr als 10 % Mastzellen
innerhalb der zirkulierenden kernhaltigen Zellen) und die seltene aleukämische Variante
(weniger als 10 % Mastzellen) unterschieden [18]. Die Prognose quoad vitam ist ungünstig, meist sterben die Patienten innerhalb von
2 Jahren.
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Die meisten Patienten mit systemischer Mastozytose weisen eine indolente systemische
Mastozytose mit günstiger Prognose auf. Einige Patienten entwickeln jedoch zusätzlich
andere hämatologische Erkrankungen oder zeigen progrediente Formen, wie die aggressive
systemische Mastozytose und die Mastzellleukämie mit ungünstiger Prognose.
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Diagnostik
Diagnostik
Für die Diagnostik der Mastozytosen haben sich die Kriterien der WHO bewährt ([Tab. 3]) [1]
[2]
[5]. Bei Kindern und Verdacht auf kutane Mastozytose empfehlen sich folgende Untersuchungen:
Inspektion des Integuments, Provokation des Darier-Zeichens (cave: Anaphylaxie bei
Patienten mit Anaphylaxieneigung!), Ganzkörperstatus, Hautbiopsie und Bestimmung der
Serumtryptase. Bei Erwachsenen und Verdacht auf systemische Mastozytose sollten zusätzlich
folgende Untersuchungen vorgenommen werden: Routinelabor, Differenzialblutbild, Knochenmarkstanze
und -ausstrich, KIT-Mutationsanalyse (Material: Knochenmark), Sonografie des Abdomens
und Osteodensitometrie [2]. Für die Diagnose einer systemischen Mastozytose wird gefordert, dass entweder das
Haupt- und ein Nebenkriterium oder 3 Nebenkriterien vorliegen ([Tab. 3]).
Tab. 3 Diagnosekriterien der Mastozytose.
kutane Mastozytose
– Hautveränderungen, die typisch sind für entweder makulopapulöse kutane Mastozytose,
diffuse kutane Mastozytose oder solitäres Mastozytom – multifokales oder diffuses Mastzellinfiltrat in Hautbiopsie – Fehlen von ausreichenden Kriterien für eine systemische Mastozytose |
systemische Mastozytose
Hauptkriterium
– multifokale dichte Mastzellinfiltrate (Aggregate von 15 oder mehr Zellen) in Schnitten
des Knochenmarks und/oder anderer extrakutaner Organe
Nebenkriterien
– spindelförmige oder atypische Morphologie der Mastzellen in Infiltraten des Knochenmarks
oder eines anderen extrakutanen Organs – aktivierende KIT-Mutation im Knochenmark oder anderem extrakutanen Organ – Mastzellen im Knochenmark oder anderem extrakutanen Organ exprimieren CD25 und/oder
CD2 – Tryptase im Serum dauerhaft > 20 µg/l |
Für die Diagnose einer systemischen Mastozytose wird gefordert, dass entweder das
Hauptkriterium und ein Nebenkriterium oder 3 Nebenkriterien zutreffen. |
Im Verlauf sollten Patienten mit kutaner Mastozytose regelmäßig klinisch kontrolliert
werden, für Patienten mit systemischer Mastozytose wird empfohlen, das Differenzialblutbild
und die Tryptase jährlich zu überprüfen. Bei Osteoporose empfiehlt sich eine Kontrolle
der Osteodensitometrie alle 2 – 3 Jahre. Eine erneute Knochenmarkuntersuchung ist
nur bei klinischer Verschlechterung, z. B. bei Splenomegalie oder Gewichtsabnahme,
bei pathologischen Blutbildveränderungen oder bei deutlichem Anstieg des Tryptasewerts
notwendig.
Es gibt Patienten, die klinisch unter Mediatorsymptomen leiden und möglicherweise
auch erhöhte Tryptasewerte oder eine KIT-Mutation aufweisen, jedoch nach den WHO-Kriterien
nicht einer systemischen Mastozytose entsprechen. Hier kommt differenzialdiagnostisch
ein Mastzellaktivierungssyndrom in Betracht [17]
[19]. Auch diese Patienten sollten regelmäßig kontrolliert werden.
Bestimmung der Tryptase
Bestimmung der Tryptase
Die Tryptase ist eine Serinendoprotease, die spezifisch ist für Mastzellen [20]. Die Bestimmung der Tryptase im Serum mittels Fluoroenzymimmunoassay spiegelt relativ
zuverlässig die gesammte Mastzelllast eines Patienten wider und kann somit auch zur
Verlaufskontrolle der Mastozytose verwendet werden. Der gemessene Wert setzt sich
sowohl aus der α-Tryptase, die kontinuierlich freigesetzt wird, als auch der β-Tryptase,
die bei Mastzellaktivierung sezerniert wird, zusammen. Deshalb sollte nach einer Anaphylaxie
immer mindestens 48 Stunden abgewartet werden, bevor die Tryptase als Parameter für
die Mastzelllast bestimmt wird. Tryptasewerte bis ca. 5 µg/l finden sich bei Gesunden,
eindeutig pathologische Werte liegen über 20 µg/l (95. Perzentile < 11,5 µg/l).
Patienten mit kutaner Mastozytose zeigen meist Normwerte der Tryptase, die oft zwischen
5 und 15 µg/l liegen, bei Patienten mit indolenter systemischer Mastozytose finden
sich in der Regel Werte zwischen 20 und 200 µg/l. Bei einem Tryptasewert über 20 µg/l
sollte immer eine Knochenmarkbiopsie durchgeführt werden, auch wenn klinisch keine
kutane Mastozytose vorliegt. Es könnte sich hier z. B. um eine isolierte Knochenmarkmastozytose,
eine aggressive systemische Mastozytose oder eine Mastzellleukämie – bei diesen Formen
fehlen häufig auch die Hautveränderungen – oder um ein Mastzellaktivierungssyndrom
handeln [19]. Tryptasewerte über 200 µg/l finden sich bei der Smoldering systemic Mastocytosis,
bei aggressiver systemischer Mastozytose und Mastzellleukämie.
Differenzialdiagnostisch können erhöhte Tryptasewerte bei Anaphylaxie, akuter myeloischer
Leukämie, myelodysplastischen Syndromen, hypereosinophilem Syndrom, Nierenversagen
und unter Onchozerkose-Therapie vorkommen [21].
Die Tryptase korreliert besser mit der Gesamtmastzellzahl als die Abbauprodukte des
Histamins im 24-Stunden-Urin, Methylhistamin und 1,4-Methylimidazolessigsäure.
Hautbiopsie
Bei kutaner Beteiligung finden sich histologisch multifokale oder diffuse Mastzellinfiltrate
in der oberen Dermis. Zur Darstellung der Mastzellen werden eine Giemsa-Färbung oder
eine immunhistologische Färbung mit Tryptase-Antikörpern empfohlen.
Knochenmarkstanze
Bei systemischer Beteiligung zeigen sich typischerweise multifokale dichte Mastzellinfiltrate
im Knochenmark ([Abb. 5]). Charakteristisch für die systemischen Mastozytosen ist auch die Expression von
CD25 auf Knochenmarkmastzellen. Da der Entkalzifizierungsprozess die metachromatische
Färbung der Mastzellmediatoren beeinflusst, wird eine immunhistochemische Untersuchung
mit Antikörpern gegen KIT (CD117) und CD25 empfohlen [18].
Untersuchung anderer Gewebe
Je nach Klinik sollten in Einzelfällen auch andere Gewebe hinsichtlich einer Mastzellinfiltration
untersucht werden. Bei deutlichen gastrointestinalen Beschwerden, wie abdominellen
Krämpfen oder Diarrhöen, empfiehlt sich z. B. eine Gewebeentnahme aus dem Gastrointestinaltrakt.
Hier ist zu berücksichtigen, dass im Magen-Darm-Trakt aufgrund der physiologisch hohen
Mastzellzahl nur multifokale kompakte Mastzellinfiltrate von mehr als 15 Mastzellen
pro Aggregat als diagnostisches Major-Kriterium gelten.
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Für die Diagnose einer kutanen Mastozytose werden typische Hautveränderungen und der
Nachweis von Mastzellinfiltraten in einer Hautbiopsie gefordert. Die Diagnosekriterien
für systemische Mastozytosen umfassen Mastzellinfiltrate im Knochenmark oder einem
anderen extrakutanen Organ, eine spindelförmigen Morphologie der Mastzellen, eine
KIT-Mutation in Codon 816, die Expression von CD25 auf Mastzellen und dauerhaft erhöhte
Tryptasewerte > 20 µg/l.
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Therapie
Therapie
Zunächst ist die Aufklärung der betroffenen Patienten hinsichtlich ihres besonderen
Risikos für Anaphylaxien sehr wichtig. Bedingt durch die erhöhte Mastzellzahl kann
es zu einer massiven Ausschüttung von Histamin und anderen Mastzellmediatoren kommen,
entweder durch Substanzen, die eine direkte Mastzelldegranulation verursachen, wie
z. B. Röntgenkontrastmittel, Alkohol, Kodein und bestimmte Narkotika, oder durch eine
echte, IgE-vermittelte allergische Reaktion, wie beispielsweise die Insektengiftallergie.
Patienten mit Mastozytose weisen häufig schwere Narkosezwischenfälle und schwere Insektenstichreaktionen
mit rascher Bewusstlosigkeit, oft ohne begleitende kutane Symptomatik, auf [14]
[22]
[23]. Die Aufklärung der Patienten sollte deshalb sowohl Informationen über potenzielle
Mastzellliberatoren als auch über die klinischen Symptome der akuten Mastzelldegranulation
und Anaphylaxie enthalten (Kasten). Die Gefahr einer Anaphylaxie ist bei pädiatrischen Mastozytosepatienten wahrscheinlich
geringer als bei erwachsenen Patienten [14].
Medikamente, die bei Mastozytosepatienten die Freisetzung von Mastzellmediatoren provozieren
können:
– intravenöse Anästhetika (Vollnarkosen)
– Azetylsalizylsäure und andere nicht steroidale Antiphlogistika
– Morphin, Codein (bei Einsatz als Schmerzmittel oder hustenstillende Medikamente)
– Röntgenkontrastmittel
– kolloidale Volumenersatzmittel
– Muskelrelaxantien
Für alle erwachsenen Patienten wird ein Notfallset, bestehend aus einem Antihistaminikum,
einem Kortikosteroid, jeweils in flüssiger Form, sowie einem Adrenalin-Pen, empfohlen
[2]. Patienten, die ein hohes Risiko für Hypotension tragen, sollten 2 Adrenalin-Autoinjektoren
mitführen. In diesem Zusammenhang wird dringend angeraten, dass Mastozytosepatienten
keine Beta-Blocker einnehmen, außer bei vitaler Indikation. Alle pädiatrischen Patienten
mit ausgeprägter kutaner Mastozytose, mit Blasen oder mit Anaphylaxieanamnese sollten
ebenfalls ein gewichtsadaptiertes Notfallset mitführen.
Das Kompetenznetzwerk Mastozytose e. V. hat einen Pass für Mastozytosepatienten entwickelt,
in dem die häufigsten Mastzellliberatoren und die schrittweise Anwendung des Notfallsets
aufgelistet sind (www.mastozytose.net).
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Mastozytosepatienten und ihre Angehörigen sollten über die Gefahr einer Anaphylaxie
und die wichtigsten Auslöser der Anaphylaxie (vor allem Insektenstiche und Narkosen)
gut aufgeklärt sein. Für alle erwachsenen Patienten und alle Kinder mit schweren Mastozytoseformen
wird das Mitführen eines Notfallsets empfohlen.
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Antihistaminika und Inhibition der Mediatorfreisetzung
Mediatorsymptome, wie Pruritus, Flush, Hypotension, Zephalgien und Müdigkeit, werden
in erster Linie mit H1-Antihistaminika, möglichst nicht sedierend, behandelt. Bei
ungenügendem Ansprechen ist in Einzelfällen, ähnlich wie bei der chronischen Urtikaria,
auch die Steigerung der Dosierung bis auf das 4-Fache der empfohlenen Tagesdosis hilfreich
[24]. Für gastrointestinale Symptome, wie Sodbrennen, Bauchkrämpfe und Diarrhöen, können
zusätzlich H2-Antihistaminika, Cromoglicinsäure oder Protonenpumpenhemmer verordnet
werden. Kortikosteroide sollten nur bei akuter Mastzelldegranulation eingesetzt werden.
Eine Untergruppe, jedoch nicht alle Mastozytosepatienten, profitiert wahrscheinlich
von einer Diät, die arm an Histamin und anderen biogenen Aminen ist. In mehreren Einfallberichten
wurde Omalizumab erfolgreich bei rezidivierenden Anaphylaxien eingesetzt, die nicht
ausreichend durch Antihistaminika kontrolliert werden konnten [25].
UV-Therapie
UVB- und UVA1-Licht hemmen in vitro die Freisetzung von Mastzellmediatoren und das
Überleben der Mastzellen [26]. Die UV-induzierte Mastzellapoptose wurde jedoch nur bei proliferierenden Mastzellen
beobachtet, ruhende Mastzellen zeigten sich resistent. Auch klinisch lässt sich durch
UV-Behandlung meist nur eine passagere Linderung der Mediatorsymptome und ein vorübergehendes
Abblassen der Hautveränderungen erzielen, weshalb die zusätzliche UV-Belastung mit
ihren potenziellen Folgen gegenüber dem klinischen Nutzen gut abgewogen werden sollte.
Bei Lokalisation von Mastozytomen palmar oder plantar kann eine lokale Creme- oder
Bade-PUVA-Therapie, ggf. in Kombination mit einem topischen Steroid, erwogen werden.
Interferon alpha und Cladribin
Bei Patienten mit progredienter Zunahme der Mastzellzahl, z. B. bei Smoldering systemic
Mastocytosis oder aggressiver systemischer Mastozytose, kann Interferon alpha, allein
oder in Kombination mit Kortikosteroiden, zu einer Hemmung der Mastzellproliferation
führen [27]. Interferon alpha verbessert zum Teil auch die Osteoporose bei Patienten mit indolenter
systemischer Mastozytose und ausgeprägter Knochenbeteiligung. Neben Interferon alpha
zeigte Cladribin, allein oder in Kombination mit Kortikosteroiden und/oder Interferon
alpha, bei Patienten mit aggressiver systemischer Mastozytose und Mastzellleukämie
eine proliferationshemmende Wirkung.
Tyrosinkinaseinhibitoren
Ein neuer therapeutischer Ansatz für Patienten mit Mastzellleukämie und aggressiver
systemischer Mastozytose ist die Blockierung des KIT-Rezeptors durch Tyrosinkinaseinhibitoren.
Da die KITD816V-Mutation eine Resistenz gegenüber Imatinib aufweist, ist Imatinib jedoch nur für
Patienten mit untypischen KIT-Mutationen geeignet. Der Tyrosinkinaseinhibitor Midostaurin/PKC412
zeigte in vitro eine gute Blockierung von KITD816V und wird derzeit in einer klinischen Studie an Mastozytosepatienten getestet [28]
[29]. Interessanterweise hemmt Midostaurin in vitro sowohl die Proliferation der Mastzellen
als auch die Mediatorfreisetzung.
Spezifische Immuntherapie bei Mastozytose
Mastozytosepatienten, die unter IgE-vermittelten Anaphylaxien leiden, sollten einer
spezifischen Immuntherapie zugeführt werden [30]. Wie oben besprochen, können insbesondere Insektengiftallergien zu schweren, rasch
verlaufenden, teils letalen Anaphylaxien führen. Bei Insektengiftallergie sollte die
spezifische Immuntherapie deshalb unter Gabe von Antihistaminika durchgeführt und
nach bisherigem Kenntnisstand auch lebenslang fortgesetzt werden. Mastozytosepatienten
mit Bienengiftallergie sind möglicherweise durch die doppelte Erhaltungsdosis von
200 µg Bienengift besser vor weiteren anaphylaktischen Stichreaktionen geschützt.
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Mediatorsymptome werden in erster Linie mit nicht sedierenden Antihistaminika behandelt.
Patienten mit aggressiver systemischer Mastozytose und Mastzellleukämie sprechen zum
Teil auf Interferon alpha und Cladribin an. Patienten mit KITD816V-Mutation zeigen eine Resistenz gegenüber Imatinib. Andere Tyrosinkinaseinhibitoren
werden zurzeit in klinischen Studien getestet.
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Zusammenfassung
Zusammenfassung
Die Mastozytose ist eine seltene Erkrankung mit klonaler Vermehrung der Mastzellen.
Die meisten Patienten tragen aktivierende Mutationen des KIT-Gens, in der Regel KITD816V. Typisch für Mastozytose sind braune Hautveränderungen, die nach mechanischer Reizung
anschwellen (Darier-Zeichen). Andere häufige Symptome sind Anaphylaxien, Pruritus,
Kopfschmerzen, abdominelle Krämpfe, Diarrhöen und Osteoporose. Die verschiedenen Formen
der Mastozytose werden unterteilt in die kutane Mastozytose, bei der die Mastzellinfiltration
auf die Haut beschränkt ist, und mehrere Unterformen der systemischen Mastozytose,
die durch Mastzellinfiltrate im Knochenmark oder anderen inneren Organen charakterisiert
sind. Kinder zeigen meist kutane Mastozytosen, während erwachsene Patienten am häufigsten
die indolente systemische Mastozytose mit chronischem Verlauf aufweisen. Für die Diagnostik
der verschiedenen Formen stehen etablierte Kriterien zur Verfügung. Empfohlene Untersuchungen
umfassen die Bestimmung der Serumtryptase, eine Hautbiopsie, eine Knochenmarkstanze,
eine KIT-Mutationsanalyse und eine Osteodensitometrie. Patienten mit Mastozytose sollten
sorgfältig hinsichtlich ihres besonderen Anaphylaxierisikos aufgeklärt werden. Alle
erwachsenen Patienten und alle Kinder mit schweren Formen sollten ein Notfallset mitführen.
Mediatorsymptome werden mit nicht sedierenden Antihistaminika behandelt. Für Patienten
mit fortschreitenden systemischen Mastozytosen stehen Interferon und Cladribin zur
Verfügung. Tyrosinkinaseinhibitoren werden zurzeit evaluiert, allerdings ist hier
zu berücksichtigen, dass KITD816V gegenüber Imatinib resistent ist.