Einleitung
Einleitung
Thorakale Tumore, insbesondere das Lungenkarzinom, zeichnen sich in 70 % der Fälle
durch eine Inkurabilität bei Diagnosestellung aus. Trotz erheblicher diagnostischer
Bemühungen in der jüngeren Vergangenheit hat sich dieser Prozentsatz bis heute nicht
wesentlich verändert [1]. Im Regelfall bedeutet die Diagnosestellung für diese Patienten ein Ausblick auf
eine limitierte Lebenszeit mit palliativ ausgerichteten Behandlungsangeboten [2]. Die palliativen Behandlungen erstrecken sich über Wochen, Monate und Jahresfrist
hinaus. Sie untergliedern sich in die palliative tumororientierte Behandlung wie zum
Beispiel die palliative Chemotherapie inklusive supportiver Begleitbehandlung und
die palliativmedizinische Symptombehandlung. Die Länge der Krankenhausaufenthalte
ist für die Patienten und ihre Angehörigen schlecht kalkulierbar. Immer wieder können
unvorhergesehene Behandlungskomplikationen die klinischen und damit auch die privaten
Organisationspläne durcheinanderbringen. Sowohl für die Patienten und Angehörigen
als auch für die behandelnden Ärzte ist der Umgang mit den wechselhaften Widrigkeiten
rund um die Krankheit und deren Behandlung psychisch äußerst belastend [3]. Prospektive Analysen, die untersuchen, inwieweit durch partnerschaftliche Kommunikationsmodelle
Patienten und Angehörige besser unterstützt werden, liegen bis heute nur in ungenügender
Form vor. Es zeichnet sich jedoch in letzter Zeit ab, dass eine vorsorgend vorausschauende
Kommunikation und eine mit der palliativen Tumorbehandlung von Anfang an verbundene
palliativmedizinische Symptombehandlung die Prognose bei Patienten mit fortgeschrittenem
Lungenkarzinom erheblich verbessern [4]. Basierend auf den Arbeitserfahrungen der letzten Jahre im Umgang mit Lungenkarzinompatienten
in unserer Fachklinik ist das folgende Konzept entwickelt worden. Ziel ist, die psychischen
Belastungen der Patienten, ihrer Angehörigen und der behandelnden Ärzte durch ein
Modell vorsorgend vorausschauender Kommunikationsschritte zu reduzieren. In Ergänzung
zum täglichen vertrauensvollen Arzt-Patient-Kontakt soll die Möglichkeit akzentuiert
werden, gemeinsam mit den Patienten und ihren Angehörigen beiseite zu treten, Informationen
ordnend nachzustrukturieren, Verständnis sichernd zu bündeln und in ihrem wesentlichen
Bedeutungsgehalt für die nächsten Behandlungsschritte auf den Punkt zu bringen.
Es soll erreicht werden, dass die Ärzte an vorhersehbaren Wendepunkten der Behandlung
bewusst innehalten und im Abgleich mit den Bedürfnisäußerungen der Patienten und Angehörigen
inhaltlich und methodisch in Revision gehen, eine Standortbestimmung vornehmen, wechselseitiges
Einvernehmen bekräftigen und in geteilter Verantwortung fortfahren mit der Behandlung.
Es soll erreicht werden, dass die Patienten, ihre Angehörigen und die behandelnden
Ärzte Schritt für Schritt die dissenten Sichtweisen auf die Krankheit und ihre Behandlung
minimieren und die konsenten maximieren.
Es geht in diesem Artikel mitnichten darum, ein geschlossenes Entwicklungsresultat
vorzustellen. Die Entwicklungsarbeit ist noch auf dem Wege und wird es wohl auch stets
bleiben. Es geht vielmehr darum, den aktuellen Entwicklungsstand einer kritischen
Betrachtung zuzuführen und eine konstruktive Diskussion anzuregen, die weiterhilft
in dem täglichen Bestreben, gerade auch Patienten mit inkurablen Erkrankungen die
bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.
Inhaltliche und methodische Bezugspunkte
Inhaltliche und methodische Bezugspunkte
Begriffsdefinition: Kommunikation versus Gesprächsführung
In der Folge wird der Begriff Kommunikation anstelle des Begriffs Gesprächsführung
benutzt. Der Begriff Gesprächsführung impliziert streng genommen ein Interaktionsgefälle.
Es gibt jemanden, der oben steht, und jemanden, der unten steht. Gesprächsführungskonzeptionen
weisen so gesehen nicht in eine Interaktion auf Augenhöhe. Es stellen sich unter anderem
Fragen wie:
-
Wer führt wen, wer folgt wem?
-
Woher weiß derjenige, der führen soll, wohin er führen soll?
-
Weiß derjenige, der folgen soll, wohin er folgen soll?
-
Will derjenige, der folgen soll, aus freien Stücken dahin folgen, wohin er geführt
werden soll?
Der Begriff Kommunikation liegt uns näher, weil er eine Interaktionssymmetrie impliziert.
Er entstammt etymologisch dem lateinischen Verb „communicare” mit den Kernbedeutungen:
etwas miteinander teilen, etwas einander mitteilen. Kommunikationskonzepte, die von
dieser Kernbedeutung ausgehen, weisen in eine partnerschaftlich-gleichberechtigte
Interaktion.
Es geht uns nicht darum, ein eingangs bestehendes Interaktionsgefälle zwischen einem
kranken Menschen, der sich schwach und hilfsbedürftig erlebt, und einem Arzt, der
fachkompetent Hilfe anbietet, in Abrede zu stellen und damit den Hilfesuchenden heillos
zu überfordern. Es geht uns viel mehr darum, die Kommunikation zwischen Patienten,
ihren Angehörigen und den behandelnden Ärzten inhaltlich und methodisch darauf auszurichten,
dass sich im Laufe der Behandlung das Eingangsgefälle Schritt für Schritt verringern
kann.
Begriffsdefinition Palliativmedizin
WHO 2002:
"Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten
und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen
Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges
Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen und anderen Beschwerden
körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art."
Die WHO definiert 2002 die Palliativmedizin als einen Behandlungsansatz, der auf eine
Verbesserung der Lebensqualität abzielt bei Patienten und ihren Angehörigen, die mit
den drängenden Problemen rund um eine inkurable Erkrankung konfrontiert sind. Ihren
Leiden soll vorausschauend und vorsorgend begegnet werden. Sie sollen möglichst frühzeitig
erkannt und bedürfnisgerecht gelindert werden [5]. Damit wird im Vergleich zu früheren Definitionen ein Paradigmenwechsel vollzogen.
Nicht mehr das Krankheitsstadium, sondern die psychophysische Bedürftigkeit der Patienten
indiziert den Einsatz einer rein symptomatischen Behandlung. Sofern die psychophysische
Bedürftigkeit der Patienten bereits sehr früh in der palliativen Tumorbehandlung gegeben
ist, möglicherweise schon nach wenigen Wochen, rückt die palliativmedizinische Symptombehandlung
ganz nach vorn in der Behandlungschronologie. Eine sensible, bedürfnisgerechte Rehabilitation
im Sinne der Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens innerhalb der jeweiligen erkrankungsbedingten
Grenzen wird zum Kernziel der Palliativmedizin.
Begriffsdefinition Lebensqualität
Die Patienten bewerten ihre Lebensqualität höchst individuell am Maßstab ihres subjektiven
Befindens. Viele Versuche, die Lebensqualität objektiv mit Scores zu beschreiben,
erreichen bisher eher Annäherungen an eine objektive Beurteilbarkeit [6]. Als Destillat aus den an der Oberfläche variierenden individuellen Lebensqualitätsbewertungen
lässt sich unseres Erachtens ein überindividueller Definitionszusammenhang herausstellen:
Das Erleben von Lebensqualität scheint von einem Handlungsfähigkeitserleben in Bezug
auf unmittelbare und mittelbare Problemlagen abhängig zu sein. Je handlungsfähiger
die Patienten und Angehörigen sich erleben, desto besser fühlen sie sich, je handlungsunfähiger
sie sich erleben, desto schlechter fühlen sie sich. Selbiges scheint auch auf ihre
Ärzte zuzutreffen.
Vorsorgevollmacht
Angesichts der gegenwärtigen Gesetzeslage im Hinblick auf das rechtssichere Umgehen
mit nichteinwilligungsfähigen Patienten scheint es uns ratsam, vorausschauend Sorge
zu tragen, dass die Patienten über einen elektiv eingesetzten Vorsorgebevollmächtigten
ihre Entscheidungsfähigkeit dauerhaft sichern für Krankheits- und Behandlungssituationen,
in denen sie nicht einsichts- und erklärungsfähig sind.
Beunruhigt durch die strittige öffentliche Debatte in den Medien um Patientenverfügung
und Vorsorgevollmacht wenden sich mittlerweile viele Patienten und Angehörige an unsere
Ärzte mit ihren Fragen zu diesem Themenkreis. Sie äußern ihre Sorge, in Krankheitssituationen
zu geraten, in denen sie sich nicht selbst verständlich machen können und über ihren
Kopf hinweg mit Behandlungen belegt werden, die sie aus innerster Überzeugung ablehnen.
Die behandelnden Ärzte sind ihrerseits gehalten, für das Fortbestehen ihrer rechtssicheren
Handlungsfähigkeit vorausschauend Sorge zu tragen. Sie dürfen das kommunikative Gegenüber
nicht verlieren, bleiben sie doch stets auf die konsente Zusammenarbeit mit dem Entscheidungsträger
Patient verwiesen [7].
Bereits bei der Aufnahme in unser Krankenhaus wird jedem Patienten als Teil seiner
Informationsmappe ein Informationsschreiben zur Vorsorgevollmacht und ein Standardformular
für die Gesundheitssorge zur Kenntnisnahme ausgehändigt. Gemäß unserer justiziarischen
Abstimmung ist das Formular entlastend für die Patienten und Angehörigen auf drei
Festlegungen gekürzt worden:
-
Mit welchen Personen dürfen die behandelnden Ärzte über die Krankheit und deren Behandlung
sprechen?
-
Welche Personen dürfen im Auftrag der Patienten Verhandlungen führen und rechtsverbindlich
unterschreiben?
-
Welche Personen dürfen im Auftrag der Patienten über die Durchführung von Behandlungen
entscheiden?
Um dem misslichen Umstand entgegenzuwirken, dass Patienten und Angehörige sich in
der Auseinandersetzung mit dem Informationsschreiben zur Vorsorgevollmacht alleingelassen
und überbeansprucht fühlen könnten, bietet unser Sozialdienst wunschgemäß eine vertiefende
persönliche Beratung an und leistet wunschgemäß praktische Hilfestellung beim Ausfüllen
des Standardformulars.
Eine bestätigende Unterschrift eines Zeugen oder eine notarielle Beglaubigung sind
mit Blick auf die rechtliche Verbindlichkeit nicht nötig. Die Bevollmächtigung gilt
nur für den Zeitraum der Einsichts- und Erklärungsunfähigkeit der Patienten. Ist diese
wieder gegeben, erlischt die Bevollmächtigung augenblicklich ohne expliziten Widerruf.
Bei der Erstdiagnose der Lungentumorerkrankung (Stadium IIIB/IV), unmittelbar vor
Einleitung der palliativen tumororientierten Behandlung, fragt in unserem Hause der
aufklärende Arzt nach dem Bestehen einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht.
Bezug nehmend auf das Informationsschreiben zur Vorsorgevollmacht erläutert er den
Patienten und ihren Angehörigen die Grundintention dieses Handlungsvorschlags. Die
Patienten und Angehörigen empfinden unsere Vorgehensweise als in ihrem Sinne hilfreich
und praktikabel. Viele entschließen sich vorausschauend dazu, eine Vorsorgevollmacht
zur Gesundheitssorge in unserer gekürzten Form bereits zu diesem Zeitpunkt abzufassen.
Im Laufe der Behandlung entscheiden die Stationsärzte in einem Selbsteinschätzung
und Fremdeinschätzung abgleichenden Gespräch mit den Patienten darüber, ob ihre Einsichts-
und Erklärungsfähigkeit gegeben ist oder nicht. Sollten Uneinigkeiten oder Zweifel
bestehen, kann zur letzten Beurteilung ein Psychiater konsiliarisch hinzugezogen werden.
Die Stationsärzte tragen mitverantwortlich Sorge dafür, dass die Vorsorgebevollmächtigten
im Laufe des vorausschauenden Kommunikationsprozesses stets entscheidungsfähig bleiben.
In der Situation tatsächlicher Entscheidungsübernahme erhalten die Vorsorgebevollmächtigten
eine ausführliche, verständliche Aufklärung im Hinblick auf die Krankheitssituation,
in der sie im Auftrag des Patienten über den Behandlungsvorschlag entscheiden sollen.
Die operationale Handlungsorientierung an der Handlungsleitlinie der geteilten Verantwortung
Die Patienten und ihre Angehörigen werden gemäß dieser Handlungsleitlinie ausdrücklich
zum Mitdenken und mitverantwortlichen Handeln eingeladen (Einladungsstruktur). Das
theoretische und praktische Fachwissen der behandelnden Ärzte und das Erfahrungswissen
der Patienten und Angehörigen soll zu einem soliden gemeinsamen Wissen um die gemeinsam
zu tragende Sache verschränkt werden (kooperative Expertise). Vor- und Nachteile möglicher
Behandlungsentscheidungen werden partnerschaftlich abgewogen. Ein Behandlungskonsens
(informed consent) wird erarbeitet und in geteilter Verantwortlichkeit umgesetzt.
Diese partnerschaftliche Handlungsorientierung schließt ein, dass als Ergebnis des
Aufklärungsprozesses auch eine Entscheidung der Patienten gegen die vorgeschlagene
Behandlung erster Wahl ärztlicherseits mitgetragen wird.
Die vorausschauende Kommunikation
Die vorausschauende Kommunikation
Die tumororientierte palliative Behandlung wie zum Beispiel die palliative Chemotherapie
sollte unseres Erachtens in Ergänzung zum täglichen vertrauensvollen Arzt – Patientkontakt
von Beginn an mit einem System vorausschauender kommunikativer Handlungsschritte verbunden
werden. Sowohl die Patienten und Angehörigen als auch die behandelnden Ärzte können
so entlang des wechselvollen Krankheits- und Behandlungsverlaufs Verständnis sicherndes
Hintergrund- und Zusammenhangswissen entwickeln, das sie in der symptomatischen palliativen
Behandlung reibungsärmer und zielgenauer interagieren lässt.
Die folgenden standardisierten Kommunikationsformen erscheinen auf den ersten Blick
inhaltlich und methodisch aufwendig, haben sich jedoch in der täglichen klinischen
Praxis – wider Erwarten – als äußerst zeitökonomisch erwiesen. Dafür gibt es Erklärungen:
-
Die Patienten und ihre Angehörigen lernen auch die Aspekte ihres Krankheits- und Behandlungsverlaufs
deutlicher wahrzunehmen und in ihrer Wirkdimension einzuschätzen, die sie, weil ungeliebt,
immer wieder aus ihrem Bewusstsein drängen wollen. Sie verstehen die innere Kausalität
ihrer Krankheit und deren Behandlung im Laufe des Kommunikationsprozesses immer besser.
Sie bekommen den roten Behandlungsfaden schneller wieder zu fassen, sofern sie ihn
verloren haben. Redundante Nachfragen und Konflikt behaftete Missverständnisse nehmen
deutlich ab.
-
Die Patienten und Angehörigen klagen weniger über unkontrollierbar einschießende Angstzustände,
innere Unruhe, Gedankenkreisen und daraus resultierende Schlafschwierigkeiten, die
zuweilen medikamentöse Interventionshandlungen erfordern können. Sie beschreiben sich
auf Nachfrage als psychisch weniger angespannt und als weniger dyspnoeisch. Sie erleben
sich physisch belastbarer im Untersuchungs- und Behandlungsalltag und beim nachmittäglichen
Spaziergang mit ihren Angehörigen.
-
Ärztliche Kollegen bewerten die Systematik der vorausschauenden Kommunikation – gerade
auch das Prinzip der wechselseitig abgestimmten, vorausschauenden Gesprächsterminierung
– als spürbare Druckentlastung im Stationsalltag. Im Wissen um die gemeinsame Gesprächsvereinbarung
mit dem behandelnden Arzt stellen die Patienten und ihre Angehörigen ihre Fragen zur
Krankheits- und Behandlungssituation bis dahin zurück. Da sie es mehrfach erfahren
haben, verlassen sie sich darauf, dass sie in dem vereinbarten Gespräch ausführliche
und verständliche Antworten erhalten und mitsteuernd Einfluss nehmen können auf den
Behandlungsprozess.
Kommunikative Handlungsschritte der vorausschauenden Kommunikation
Entlang des klinischen Behandlungsverlaufs werden vier kommunikative Handlungsschritte
unterschieden:
-
das interdisziplinäre Aufklärungsgespräch bei Diagnosestellung
-
das Perspektivgespräch
-
das Konsensgespräch in der dissenten Behandlungssituation (optional)
-
das Konsensgespräch in der finalen Krankheitssituation
Die jeweiligen Gesprächsteilnehmer, namentlich der behandelnde Arzt, der Psychoonkologe,
die Mitarbeiterin der Bezugspflege (optional), die Physiotherapeutin (optional), die
Mitarbeiterin des Sozialdienstes (optional) sind den Patienten und ihren Angehörigen
in der Regel aus ihrem Stationsalltag heraus bereits vertraut.
Das interdisziplinäre Aufklärungsgespräch bei Diagnosestellung
Bei dieser Gesprächsform sollten teilnehmen:
der Patient und ein Angehöriger seines Vertrauens (Vorsorgebevollmächtigter), der
behandelnde Stationsarzt, der Psychoonkologe.
Die Angehörigen werden mit Erlaubnis der Patienten ausdrücklich zum interdisziplinären
Aufklärungsgespräch eingeladen. Die Patienten werden so wunschgemäß von der Last befreit,
komplexe Informationen weitervermitteln zu müssen. In der Vergangenheit ist es nach
unserer Erfahrung manches Mal zu Informationslücken auf Seiten der Angehörigen gekommen,
die zuweilen zu konfliktträchtigen Fehleinschätzungen der Krankheitssituation führten.
Die Angehörigen werden im interdisziplinären Aufklärungsgespräch demzufolge mit guten
Gründen ermuntert, ihre eigenen Fragen zu stellen, ihre eigenen Ängste und Bedenken
zu äußern. Es wird auf diese Weise eine hohe Aufklärungs- und Verständnissymmetrie
zwischen den Patienten und ihren Angehörigen erzielt.
Mit der psychoonkologischen Beratung kommen die Patienten und ihre Angehörigen wunschgemäß
oder auf Empfehlung des für sie zuständigen Arztes in der Regel schon während des
ihrerseits Angst besetzten diagnostischen Prozesses in Berührung. Nicht wenige Patienten
und Angehörige fragen sodann in eigener Initiative, ob der Psychoonkologe an ihrem
Aufklärungsgespräch teilnehmen kann. Zumeist soll er sie dabei unterstützen, dass
sie die Ängste und Bedenken, die sie im Vorfeld mit ihm erörtert haben, hinreichend
zur Sprache bringen und ohne Scham in ihrem Sprachduktus die Fragen stellen, die sie
im Innersten beschäftigen.
Grundthema:
Das Grundthema des interdisziplinären Aufklärungsgesprächs ist die initiale Aufklärung
der Patienten und ihrer Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlungsmöglichkeiten.
Es handelt sich um Tumorerkrankungen der Lunge des Stadiums IIIB oder IV, die grundlegend
palliativ behandelt werden. Die palliative Tumortherapie, beispielsweise die palliative
Chemotherapie im Stadium IIIB/IV, ist (laut S3-Leitlinie Lungenkarzinom) darauf ausgerichtet,
den Tumor zu verkleinern, die Tumor bedingten Symptome zu reduzieren, das Voranschreiten
der Erkrankung temporär zu begrenzen, letztlich Stillstandssituationen zu erreichen,
die den Patienten therapiefreie Zeiten eröffnen und die Überlebenszeit verlängern
[8].
Davon zu unterscheiden ist die palliativmedizinische Behandlung, die als rein symptomatische
Behandlung ausschließlich darauf ausgerichtet ist, die quälenden Symptome der Grunderkrankung
zu lindern und so weit als möglich zu kontrollieren.
Eine symptomatische Behandlung begleitet die palliative Tumorbehandlung stets in Form
der supportiven Therapie. Als explizit palliativmedizinische Behandlung tritt sie
an die Stelle der palliativen Tumorbehandlung, sofern im Behandlungsverlauf die Stabilisierung
des Allgemeinzustands der Patienten medizinisch die oberste Indikationspriorität gewinnt
[9].
Es ist anzuraten, den Patienten und ihren Angehörigen die Behandlung des Lungenkarzinoms
von Beginn an als aus zwei gleichberechtigten Behandlungssäulen bestehend zu erläutern,
aus der tumororientierten Behandlung und der symptomatischen Behandlung.
Die behandelnden Ärzte wissen, dass die Schnittstelle zwischen tumororientierter Behandlung
und palliativmedizinischer Symptombehandlung im Behandlungsverlauf definitiv erreicht
wird. Sie können schon zu diesem frühen Zeitpunkt den Patienten und ihren Angehörigen
die Möglichkeit eröffnen, sich mit einer auf Symptomkontrolle und Stabilisierung des
Allgemeinzustands zentrierten Behandlungsform vertraut zu machen, die im Laufe der
Tumorbehandlung immer wieder mit guten Gründen gemeinsam in den Vordergrund gestellt
werden kann. Die palliativmedizinische Symptombehandlung verliert so ihren schlechten
Leumund: Sie wird nicht erst dann ins Spiel gebracht, wenn die tumororientierte Behandlung
nicht mehr mit einer umkehrenden Wirkerwartung belegt werden kann oder die Patienten
aufgrund ihrer verminderten Allgemeinverfassung gar nicht mehr imstande sind, eine
tumororientierte Behandlung auszuhalten [10].
Die palliativmedizinische Symptombehandlung wird unsererseits entsprechend der rehabilitativen
Definitionsausrichtung der WHO eingesetzt, zum Beispiel, um über die Stabilisierung
der Allgemeinverfassung der Patienten die Handlungsmöglichkeit einer weiteren tumororientierten
Behandlung zu öffnen. Patienten und Angehörige, die sich eingeladen fühlen, mitdenkend
zu intervenieren, fragen ihrerseits nicht selten, ob eine palliativmedizinische Symptombehandlung
in der gerade aktuellen Krankheits- und Behandlungssituation nicht die Behandlung
erster Wahl wäre.
Es erscheint uns nicht nur rechtlich unumgänglich, sondern auch in jeglicher Hinsicht
erstrebenswert, möglichst alle Behandlungsentscheidungen in kooperativer Expertise
mit den Patienten und ihren Angehörigen zu treffen. Sowohl die erwünschten Entwicklungen
der Behandlung, zum Beispiel hin zu einer Tumorremission, als auch die unerwünschten,
zum Beispiel hin zu einem Tumorprogress, werden so einvernehmlich verantwortet und
getragen.
Das Perspektivgespräch
Bei dieser Gesprächsform sollten teilnehmen:
der Patient und ein Angehöriger seines Vertrauens (Vorsorgebevollmächtigter), der
behandelnde Stationsarzt, der Psychoonkologe, die behandelnde Mitarbeiterin der Bezugspflege
(optional).
Grundthema:
Die Patienten stehen vor einer einschneidenden Behandlungszäsur: In der palliativen
chemotherapeutischen Behandlung wird zum Beispiel nach anfänglichen Remissionsbefunden
ein Tumorprogress festgestellt, der einen Wechsel von Erst- zu Zweitlinienchemotherapie
nach sich zieht, möglicherweise verbunden mit einem Wechsel von einem stationären
zu einem ambulanten Behandlungsregime.
Viele Patienten und Angehörige tun sich schwer damit, hinzunehmen, dass eine Behandlungsstrategie,
die sie anfänglich als erfolgreich empfunden haben, sich in eine erfolglose verwandelt,
ohne dass sie selbst oder die behandelnden Ärzte ihr Handeln merklich verändert hätten.
Nicht selten werden die Vergeblichkeitsbefürchtungen des Behandlungsbeginns und die
stets hintergründige Angst vor einem unabwendbar schweren Sterben in der Folge revitalisiert.
Der zeitgleiche Verlust der behütenden Aspekte eines stationären Behandlungsregimes
kann zudem aggravierend in diese Gemütslage hineinwirken.
Die Patienten und ihre Angehörigen wünschen sich in dieser Situation nach unserer
Erfahrung ein Gespräch, das aus dem täglichen Arbeitsfluss erkennbar herausgeschnitten
ist und ihrem Gefühl existenzieller Not gebührend Rechnung trägt. Sie erleben es als
äußerst hilfreich, wenn dieses Gespräch klar erkennbare Konturen hat, an denen sie
sich gut festhalten können. So fällt es ihnen leichter, ihre in Unordnung geratenen
Gedanken und Gefühle zu sortieren. Sie suchen im Laufe des Gesprächs einen engen Kontakt
zu den vertrauten Personen ihres Behandlungsalltags, um das Unterstützungsbündnis
sichtbar und hörbar zu bekräftigen, das sie zu Behandlungsbeginn geschlossen haben.
Der behandelnde Stationsarzt lädt die Patienten und ihre Angehörigen zu einem Perspektivgespräch
ein, in dem die bisherigen Kernschritte der Behandlung gemeinsam rekapituliert werden
und eine Standortbestimmung der Krankheits- und Behandlungssituation vorgenommen wird.
Unter Berücksichtigung der aktuellen Untersuchungsergebnisse wird die Behandlung gemeinsam
neu ausgerichtet. Im Laufe dieses Prozesses werden 7 Arbeitsschritte unternommen ([Tab. 1]). Dabei werden grundlegende Kommunikationsarbeiten geleistet in Richtung auf eine
kongruentere und konsistentere Informationslage ([Tab. 2]).
Tab. 1 Gemeinsame Arbeitsschritte beim Perspektivgespräch.
| 1. Die bisherigen Behandlungsschritte und ihre Begründung, die ehedem angestrebten
Behandlungsziele sowie die tatsächlich erreichten Behandlungsziele werden chronologisch
rekapituliert. |
| 2. Die aktuellen Untersuchungsergebnisse werden gebündelt und in ihrer Kernbedeutung
für den Krankheits- und Behandlungsverlauf erläutert. |
| 3. Eine aktuelle Standortbestimmung hinsichtlich der Krankheit und ihrer Behandlung
wird vorgenommen. |
| 4. Die Ängste und Bedenken der Patienten und der Angehörigen werden erhoben. |
| 5. Die Ängste und Bedenken werden inhaltlich auf ihren subjektiven Begründungskontext
geprüft, Missverständnisse, Fehldeutungen, negativierende Vereinseitigungen und Zuspitzungen
werden sichtbar gemacht und bearbeitet (gemeinsame Korrekturarbeit). |
| 6. Eine Handlungsperspektive hinein in die nahe Behandlungszukunft wird erarbeitet.
Die vorhandenen Handlungskompetenzen der Patienten und Angehörigen werden als integraler
Bestandteil der Handlungsperspektive hervorgehoben (Förderung von Angst reduzierendem
Handlungsfähigkeitserleben). |
| 7. Angst vermindernde Behandlungsergänzungen werden erarbeitet und installiert. |
Tab. 2 Grundlegende Kommunikationsarbeiten im Perspektivgespräch.
| Kongruenzarbeit |
Konsistenzarbeit |
▸ Die behandelnden Ärzte streben an, dass der Informationsstand der Patienten und
ihrer Angehörigen und ihr eigener Informationsstand hinsichtlich der Krankheit und
deren Behandlung möglichst deckungsgleich werden. Die Erwartungsangst der Patienten
und ihrer Angehörigen, hinter den ärztlichen Mitteilungen könnte noch mehr Unheilvolles
versteckt sein, soll sukzessive ausgeräumt werden. ▸ Die Patienten, ihre Angehörigen und die behandelnden Ärzte sollen immer öfter feststellen
können, dass sie die grundlegenden Aspekte der Krankheits- und Behandlungssituation
ähnlich sehen und von einem gemeinsamen Standpunkt, nebeneinander stehend, in die
nahe Behandlungszukunft blicken (Angst reduzierendes Bündniserleben). |
▸ Die behandelnden Ärzte versuchen zusammen mit den Patienten und Angehörigen immer
wieder die innere Behandlungslogik herauszuarbeiten. In psychisch und physisch belastenden
Krankheits- und Behandlungssituationen fühlen Patienten und Angehörige sich sicherer,
sofern sie sich an diesem Plausibilitätsstrang festhalten können. ▸ Selbst wenn die Behandlung vergeblich erscheint, wie zum Beispiel bei einem Tumorprogress
unter chemotherapeutischer Behandlung, ängstigen sich Patienten und Angehörige deutlich
weniger, sofern sie die Entscheidung für die Behandlung rückblickend als gut begründet
und im Kern als richtig bewerten. |
Das Konsensgespräch in der dissenten Behandlungssituation
Bei dieser Gesprächsform sollten teilnehmen:
Der Patient und ein Angehöriger seines Vertrauens (Vorsorgebevollmächtigter), der
behandelnde Stationsarzt, die behandelnde Mitarbeiterin aus der Bezugspflege, die
behandelnde Physiotherapeutin (optional), der Psychoonkologe (in Moderationsfunktion).
Grundthema:
-
Die Sichtweisen der einzelnen Mitarbeiter des Behandlungsteams auf die Krankheits-
und Behandlungssituation stehen sich widersprüchlich gegenüber. Es entstehen auseinanderstrebende
Handlungstendenzen.
-
Die Sichtweise der Mitarbeiter des Behandlungsteams auf die Krankheits- und Behandlungssituation
ist in Widerspruch geraten zu der Sichtweise des Patienten und seiner Angehörigen.
Sowohl die Patienten und ihre Angehörigen als auch die Mitarbeiter des Behandlungsteams
leiden unter einer unentschieden-widersprüchlichen Kommunikation. Je nach Problemlage
werden die an der Behandlung beteiligten Mitarbeiter zu einem grundlegenden Klärungsgespräch
im Behandlungsteam eingeladen oder die Patienten und ihre Angehörigen zu einem grundlegenden
Klärungsgespräch mit dem Behandlungsteam eingeladen.
Es soll erreicht werden, dass die Gesprächspartner gemeinsam in eine einvernehmliche
Handlungsorientierung zurückfinden.
Unter Moderation des Psychoonkologen werden 6 Arbeitsschritte vorgenommen ([Tab. 3]).
Tab. 3 Gemeinsame Arbeitsschritte beim Konsensgespräch in dissenten Behandlungssituationen.
| 1. Der Widerspruch wird im Einvernehmen formuliert (Problemformulierung). |
| 2. Jeder Gesprächsteilnehmer begründet seine subjektive Sichtweise. Es werden nur
Verständnisfragen bearbeitet, keine diskursiven Entgegnungen (Verständnissicherung).
|
| 3. Anhand der Dokumentation des Krankheits- und Behandlungsverlaufs wird die Datenlage
im Hinblick auf den formulierten Widerspruch geprüft (Datenabgleich). |
| 4. Die initiale Formulierung des Widerspruchs wird auf der Grundlage der aktuellen
Informationslage neu bewertet und gegebenenfalls reformuliert (Problemreformulierung).
|
| 5. Die dissent gebliebenen Sichtweisen werden benannt und priorisierend gegeneinander
abgewogen (Priorisierende Entscheidungsfindung). |
| 6. Eine Handlungsvereinbarung wird formuliert und dokumentiert, die gemeinsam getragen
wird (Konsente Handlungsvereinbarung). |
Das Konsensgespräch in der finalen Krankheitssituation
Bei dieser Gesprächsform sollten teilnehmen:
der Patient und ein Angehöriger seines Vertrauens (Vorsorgebevollmächtigter), der
behandelnde Stationsarzt, der Palliativmediziner, die behandelnde Mitarbeiterin der
Bezugspflege, der Psychoonkologe, die zuständige Mitarbeiterin des Sozialdienstes
(optional).
Grundthema:
Die Patienten, ihre Angehörigen und die behandelnden Stationsärzte befinden sich in
einer medizinischen Unumkehrbarkeitssituation an der Schnittstelle zwischen tumororientierter
palliativer Behandlung und palliativmedizinischer Symptombehandlung. Der behandelnde
Arzt, der Palliativmediziner und der Psychoonkologe klären die Patienten und ihre
Angehörigen darüber auf, dass die Grunderkrankung durch die tumororientierte Behandlung
nicht mehr Entwicklung umkehrend behandelt werden kann. Sie unterbreiten das Angebot
einer palliativmedizinischen Symptombehandlung.
Die Patienten und Angehörigen erfahren, dass im Unterschied zur tumororientierten
palliativen Behandlung, die auf die unmittelbare Beeinflussung der Grunderkrankung
zentriert ist und dabei unabwendbare Beeinträchtigungen der Allgemeinverfassung des
Patienten in Kauf nimmt, die palliativmedizinische Symptombehandlung auf eine unmittelbare
Beeinflussung der Grunderkrankung verzichtet und sich gänzlich konzentriert auf die
subjektiv spürbare Verbesserung der Allgemeinverfassung des Patienten, auf das Zurückgewinnen
und Bewahren von Lebensqualität.
Nicht selten finden die Patienten – gerade nach einem langen, Kräfte zehrenden Behandlungsverlauf
– eher in die palliativmedizinische Symptombehandlung als ihre Angehörigen, die noch
sehr erfüllt sind von der Angst vor einer ungebremst voranschreitenden Tumorerkrankung.
Ungewollt können Missstimmigkeiten aufkommen. Die Recherche nach möglicherweise übersehenen
Behandlungsalternativen seitens der Angehörigen kann auf den Wunsch der Patienten
treffen, es gut sein zu lassen, die bestehende Lebensqualität so lange zu bewahren,
wie es eben geht. In dieser widersprüchlichen Situation wünschen sich die Patienten
und ihre Angehörigen nach unserer Erfahrung ein aus der täglichen Kommunikation auf
Station ausgegliedertes Konsensgespräch, das sie dabei unterstützt, ihre Hoffnungen
hinsichtlich der Krankheit und ihrer Behandlung einvernehmlicher auszurichten, um
mit dem kräftigen Gefühl emotionaler Geschlossenheit in die verbleibende gemeinsame
Lebenszukunft zu gehen.
Typische Fragestellungen, die mit den Patienten und ihren Angehörigen im Konsensgespräch
in der finalen Krankheitssituation bearbeitet werden, sind aufgeführt in [Tab. 4].
Im Anschluss an das Gespräch in der finalen Krankheitssituation wird den Patienten
mit festem Blick auf die medizinische Indikation und ihre subjektive Bedürfnislage
eine rehabilitativ ausgerichtete, palliativmedizinische Symptombehandlung auf Station
angeboten (palliativmedizinische Komplexbehandlung), die das Erreichen ihrer Lebensziele
möglich machen soll, zum Beispiel die Rückkehr nach Hause in ein möglichst privates
Leben.
Tab. 4 Gemeinsam zu bearbeitende Fragestellungen beim Konsensgespräch in der finalen Krankheitssituation.
| 1. Welche Ängste und Bedenken haben der Patient und seine Angehörigen in der aktuellen
Krankheits- und Behandlungssituation? |
| 2. Welche – ihre Ängste und Bedenken vermindernden – Behandlungsziele wünschen der
Patient und seine Angehörigen zu erreichen? |
| 3. Welche Behandlungsziele kann die symptomatische Behandlung erfahrungsgemäß erreichen?
|
| 4. Welche Behandlungsziele werden gemeinsam angestrebt? |
| 5. Welche Behandlungsschritte werden aus welchen Gründen gemeinsam unternommen, in
welchem Zeitraum? |
| 6. Welche sozialen Handlungsziele sollen erreicht werden (z. B. Entlassung nach Hause
mit Unterstützung durch ein SAPV - Team, Umzug in ein Hospiz)? |
| 7. Welche psychologischen oder seelsorgerischen Unterstützungsleistungen wünscht der
Patient und seine Angehörigen (psychosoziales Unterstützungsnetzwerk)? |
| 8. Was kann das Palliative Care Team, was können die Patienten und ihre Angehörigen
tun, damit die erwünschten Wirkungen der Behandlung möglichst umfänglich eintreten,
die unerwünschten Wirkungen möglichst umfänglich ausbleiben? Welche Erfahrungen, Erkenntnisse,
Fähigkeiten und Fertigkeiten können sie nutzen, die sie in ähnlichen Problemsituationen
ihrer Lebensvergangenheit erworben haben (Rückgriff auf vorhandene Kompetenzen)? |
Die palliativmedizinische Komplexbehandlung
Die palliativmedizinische Komplexbehandlung
Die Patienten und Angehörigen werden an der Schnittstelle von tumororientierter und
palliativmedizinischer Symptombehandlung immer wieder von Unsicherheitsgefühlen und
Erwartungsängsten geplagt, auch wenn über die gemeinsam vorausschauende Kommunikation
bereits ein verlässlich vertrauensvolles Behandlungsbündnis entstanden ist. Sie versuchen
nicht selten, ein wenig Sicherheitsgefühl zu bewahren, indem sie sich in ihrem unmittelbaren
sozialen Umfeld an Gewohntem festhalten: Sie gehen in engeren Kontakt zu ihren Bezugspersonen
in ihrem klinischen Lebensalltag, zu ihrem Arzt, zu ihrer Krankenschwester, zu ihrer Physiotherapeutin, zu ihren Mitpatienten in ihrem Krankenzimmer.
Eine palliativmedizinische Behandlung sollte diesem Bedürfnis entgegenkommen. Sie
sollte nach Möglichkeit ohne einen einschneidenden Wechsel des behandelnden Personals
oder des Behandlungsortes in Gang gesetzt werden als palliativmedizinische Komplexbehandlung,
ausgeführt von einem konsiliarischen Palliativ-Care-Team. Wenn man so will, wird auf
diese Weise eine ambulante Behandlungsform in die stationäre Behandlungsform integriert,
der Funktionsbereich Palliativmedizin wird zu den bedürftigen Patienten getragen.
Idealerweise sollte ein konsiliarisches Palliativ-Care-Team bestehen aus:
einem Palliativmediziner, einem Lungenfacharzt, einem Arzt mit Zusatzausbildungen
in Naturheilverfahren und Akupunktur, einer Krankenschwester mit Palliativ-Care-Ausbildung,
einer Ausbildung in aktivierender, therapeutisch-begleitender Pflege, einer Ernährungsberaterin,
einer Physiotherapeutin, die unter anderem spezialisiert ist auf Atemtherapie und
Lungensport, einer Sozialarbeiterin, einem Psychoonkologen, einem Seelsorger und einer
Sterbeamme.
Nach unseren Erfahrungen wäre es hilfreich, wenn die unterstützende Arbeit des Psychoonkologen,
des Seelsorgers und der Sterbeamme über den Krankenhausaufenthalt der Patienten hinausreichen
könnte. Sie sollten im Rahmen ihrer Dienstzeiten von außen telefonisch erreichbar
sein über eine Unterstützungshotline. Es sollte ihnen möglich sein, Hausbesuche zu
unternehmen. So könnten sie beispielsweise die Patienten und Angehörigen am Tag der
Entlassung aus dem Krankenhaus nach Hause, in eine Pflegeeinrichtung oder ein Hospiz
begleiten. Das potenziell Angst reduzierende, weil Sicherheit spendende Beziehungskontinuum
mit den Patienten und Angehörigen könnte so weitestgehend erhalten bleiben.
Patienten, die im Krankenhaus sterben und ihre Abschied nehmenden Angehörigen benötigen
eine wunschgerechte Begleitung. Dies sollte unseres Erachtens rund um die Uhr gewährleistet
sein durch einen Seelsorger, eine Sterbeamme oder eine Krankenschwester mit Palliativ-Care-Ausbildung
und einer Zusatzausbildung in Sterbebegleitung, die als verlässliche Bezugsperson
im Krankenzimmer anwesend bleiben. Die Angehörigen verstorbener Patienten sollten
sich, auch nachdem sie das Krankenhaus längst verlassen haben, in lastvollen Situationen
der Trauer an die ihnen vertrauten Personen wenden können. Der Seelsorger und auch
der Psychoonkologe sollten die Möglichkeit haben, sie in der ihnen gewohnten Weise,
mitdenkend und mitfühlend zu unterstützen (Trauerbegleitung in Einzel- und Gruppengesprächen)
[11].
Fazit
Die palliative Behandlung pneumologischer Erkrankungen bleibt aufgrund ihrer komplexen
Anforderungen, gerade auch in Richtung auf eine bedürfnisgerechte Gestaltung, eine
interdisziplinäre Herausforderung. Eine vorsorgend vorausschauende Kommunikation und
eine Schutz und Aufgehobenheit bietende psychosoziale Patientenbegleitung sollten
aufgrund der erwartbaren psychisch und physisch bedrängenden Symptomlagen einen steuernden
Einfluss auf die medikamentöse und physikalische Therapie nehmen. Eine in diesem Sinne
praxisgerechte kommunikative Weiterbildung der pneumologisch tätigen Ärzte erscheint
wünschenswert.
Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.