Einleitung
Einleitung
Aus mineralogischer Sicht handelt es sich bei Talk (Speckstein) um ein „weiches”,
natürlich vorkommendes Mineral (Magnesiumsilikat mit einer idealen chemischen Zusammensetzung
von: 63 % SiO2 , 31,7 % MgO und 4,8 % H2 O), das in Form von Plättchen oder auch in Faserform auftritt [1 ]
[2 ].
Da Talk, Quarz und Asbest in den gleichen geologischen Schichten vorkommen, können
je nach Abbaugebiet Verunreinigungen von Talk mit Asbestfasern oder Quarz vorliegen.
Die Feinstruktur von Talk wird in der Regel als plättchenförmig beschrieben, es kommen
aber auch hohe Gehalte an Talkfasern (1 Million Talkumfasern pro mg) vor [3 ].
Talkum stellt aufgrund seines breiten Anwendungsspektrums ein industriell häufig verwendetes
Mineral dar. In über 500 verschiedenen Produkten wird Talk in der Papierindustrie,
bei der Seifenherstellung, in der Leder- und Gummiindustrie (Füllstoff, Trennmittel),
in der Reifenherstellung, in Metallgießereien, in der chemischen Industrie (Farbträger),
im kosmetischen Bereich (Puder) und im medizinischen Bereich (Handschuhe) verwendet
[1 ]
[4 ].
Die Erstbeschreibung einer Talkum-assoziierten Pneumokoniose erfolgte bereits im Jahr
1896 [5 ]. Da nach einer Exposition gegenüber quarz- und asbestfreiem Talkum wiederholt Lungenfibrosen
mit massiven Einlagerungen von Talkumpartikeln nachweisbar waren, wird davon ausgegangen,
dass auch reines Talkum eine fortschreitende Lungenfibrosierung unterhalten kann [1 ].
Radiologisch findet sich eine diffuse Fibrose der Lungen mit Trübung der Mittel- und
Unterfelder. Pathologisch-anatomisch lassen sich Granulombildungen, mehrkernige Riesenzellen
und diffuse Lungenfibrosen mit Ausbildung einer Wabenlunge beobachten [1 ]. Histologisch sind interstitielle Ablagerungen mit plättchenförmigen, stark doppelbrechenden
Partikeln in den Fibrosierungszonen charakteristisch.
Von den Pneumokoniosen, die durch die Inhalation von Talk bedingt sind, müssen pulmonale
Erkrankungen durch Talk abgegrenzt werden, die auf eine intravenöse Zufuhr zurückzuführen
sind [4 ]
[6 ]
[7 ]
[8 ]. So wurden wiederholt pulmonale Talk-assoziierte Erkrankungen beschrieben, die bei
Patienten mit intravenösem Drogenkonsum auftreten [9 ]
[10 ]
[11 ]. In diesen Fällen wurden talkhaltige Tabletten, die zur oralen Aufnahme vorgesehen
waren, intravenös appliziert. Als Folge dieser Talkumaufnahme wurden arterielle Obstruktionen
und Granulombildungen nachgewiesen [6 ]
[7 ].
Damit lassen sich 4 unterschiedliche pulmonale Erkrankungen unter Talkumbeteiligung
abgrenzen [12 ]:
Talkum-Silikose (Talcosilicosis)
Talkum-Asbestose (Talcoasbestosis)
Talkose (Talcosis)
Talkum-bedingte Lungenerkrankung durch intravenöse Applikation von Talkum
Fallbericht
Fallbericht
Vorgeschichte
Der Patient war ab 2001 wiederholt in stationärer Behandlung. Im Dezember 2001 erfolgte
eine Bypassoperation. Radiologisch kam eine interstitielle Zeichungsvermehrung in
beiden Lungenmittel- und -unterfeldern zur Darstellung.
Im April 2008 wurden im Rahmen einer stationären Behandlung die Diagnosen einer Anämie,
einer Belastungsluftnot, einer Refluxösophagitis, einer chronisch atrophischen Gastritis,
eines Nicht-ST-Hebungsinfarktes im Rahmen der Anämie bei koronarer Herzkrankheit mit
guter linksventrikulärer Funktion und eines intermittierenden Vorhofflimmerns gestellt.
Ferner bestand der Verdacht auf eine Lungenfibrose. Es erfolgte die Beendigung der
Antikoagulation mit Marcumar wegen gastrointestinaler Blutungen.
Bei weiteren stationären Aufenthalten im Jahre 2008 wurde eine ausgeprägte Fundusgastritis
diagnostiziert und Blutkonserven zur Behandlung einer Anämie gegeben. Weiterhin erfolgte
eine Kortisonstoßtherapie mit Verbesserung des respiratorischen Zustands.
Erstmals im August 2009 wurde ein Pneumologe in die Behandlung miteinbezogen. Dieser
stellte die Diagnose einer Lungenfibrose, einer sekundären pulmonalen Hypertonie und
einer chronischen respiratorischen Insuffizienz. Die Blutgasanalyse zeigte Werte von
pO2 57,0 mmHg, pCO2 32,7 mmHg, pH 7,41 und ABE 2,6 mmol/l. In Ruhe zeigte sich eine deutliche Partialinsuffizienz
trotz Hyperventilation. Nach 15 Minuten O2 -Gabe zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Oxygenierung (pO2 66,9 mmHg, pCO2 27,5 mmHg, pH 7,53 und ABE 2,0 mmol/l). Es wurde eine ambulante Sauerstofftherapie
eingeleitet.
Im Januar 2010 erfolgte die nächste Vorstellung beim Pneumologen. Neben der Diagnose
einer schweren pulmonalen Hypertonie bei Mehrklappenvitium wurde die Diagnose einer
„Talkum-Lunge” gestellt. Die Blutgasanalyse zeigte Werte von pO2 46,2 mmHg, pCO2 33,6 mmHg, pH 7,46 und ABE 0,5 mmol/l. In Ruhe zeigte sich eine schwere Partialinsuffizienz
trotz Hyperventilation. Die Sauerstofftherapie wurde weitergeführt.
Im Juli 2010 verstarb der Patient im Alter von 84 Jahren. Auf der Todesbescheinigung
war eine respiratorische Insuffizienz bei Lungenfibrose vermerkt. Obwohl im Januar
2010 als Diagnose eine „Talkumlunge” aufgeführt wurde, erfolgte keine ärztliche Anzeige
auf eine Berufskrankheit.
Der Verstorbene wurde für die Einäscherung vorbereitet. Der die amtsärztliche Leichenschau
durchführende Rechtsmediziner stoppte die Einäscherung und veranlasste eine Obduktion
und ergänzende Untersuchungen zur Aufklärung der Genese der Lungenfibrose. Zu diesem
Zeitpunkt waren weder die gestellte Diagnose einer „Talkumlunge” noch die beruflichen
Expositionsverhältnisse bekannt.
Berufsanamnese
Da die Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer Berufskrankheit erst nach dem Tod
des Versicherten an die Berufsgenossenschaft übermittelt wurde, starteten die Erhebungen
der Präventionsabteilung erst post mortem. Durch Befragung der Angehörigen konnte
schnell eruiert werden, dass der Versicherte bei der Reifenherstellung 1965 bis 1973
gegenüber Talkum exponiert war. Der Stellungnahme der Präventionsabteilung vom Oktober
2010 ist zu entnehmen, dass der Patient vom 4. 10. 1965 bis 31. 1. 1973 in der Reifenherstellung
tätig war. Der Versicherte arbeitete als Rotationspressenführer und Heizer im Vulkanisierungsbereich.
In diesem Arbeitsfeld wurden Gummirohmischungen vorgenommen und im großen Umfang Talkum
verwendet. Nach den Ermittlungen der Präventionsabteilung bestanden eine direkte und
auch eine indirekte (Bystander) Exposition gegenüber Talkum. Die Staubkonzentration
in diesem Arbeitsbereich lag bei bis zu 55 mg/m3 . Basierend auf der Annahme, dass das Talkum mit Asbestfasern verunreinigt war, wurde
eine kumulative Dosis von 1,5 Asbestfaserjahren (4. 10. 1965 bis 31. 1. 1973) veranschlagt.
Sektionsergebnisse
Im Rahmen der Obduktion in der Rechtsmedizin konnte eine deutliche pulmonal bedingte
Kachexie, eine diffuse Fibrose beider Lungen mit teils emphysematösem Lungenumbau,
eine nicht ganz frische Thrombose im Hauptstamm der linken Lungenarterie und in der
Schlagader des rechten Lungenunterlappens eine chronische Bronchitis, eine Anthrakose
des Lungenfells und eine Hypertrophie des rechten Herzen nachgewiesen werden. Hyaline
Pleuraplaques lagen nicht vor. Für einen akuten oder alten Herzinfarkt fand sich kein
morphologisches Korrelat. Als Todesursache ließ sich ein Rechtsherzversagen bei komplexer
Lungenerkrankung (Lungenfibrose und emphysematöser Lungengewebsumbau) bei Lungenarterienthrombose/-embolie
mit Verdacht auf Infarktpneumonie bei pulmonaler Kachexie belegen.
Im Anschluss an die Sektion in der Rechtsmedizin folgten ergänzende Untersuchungen
in der Pathologie Bochum/Deutsches Mesotheliomregister. Makroskopisch zeigte sich
das Bild einer „Destroyed lung” mit einer fortgeschrittenen interstitiellen Lungenfibrose
und begleitendem irregulärem teils bullösem Traktionsemphysem, Pleurafibrose, chronischer
Bronchitis mit Bronchiektasien, kleinherdiger Bronchopneumonie, Pulmonalsklerose und
Ektasie.
Ergebnis der histologischen Untersuchungen
Hochgradig bindegewebig umgebautes Lungenparenchym mit teils knotigem ([Abb. 1 ]) und teils wabenartigem Lungenumbau.
Abb. 1 Histologische Aufnahme des Lungenparenchyms mit ausgeprägtem fibrotischem/granulomatösem
Umbau und zahlreich eingelagerten Partikeln (25 ×, HE-Färbung).
Es finden sich massive Einlagerungen von graubraunem puderartigem Staub ([Abb. 2 ]).
Abb. 2 Lungenparenchym mit ausgeprägtem fibrotischem Umbau und zahlreich eingelagerten Talkumpartikeln
(100 ×, HE-Färbung).
In Kombination mit den fibrosierenden Lungenveränderungen zeigt sich ein Traktionsemphysem.
Polarisationsoptisch finden sich in den Fibrosierungszonen eingelagerte spieß- und
plättchenartige, stark doppelbrechende kristalline Fremdpartikel ([Abb. 3 ]).
Abb. 3 Lungenparenchym im Polarisationsbild mit zahlreichen eingelagerten stark doppelbrechenden
Talkumpartikeln (200 ×, Pol, HE-Färbung).
Kein Nachweis von Asbestkörpern. Die stark doppelbrechenden spießförmigen Partikel
weisen vorwiegend eine Länge von > 6 µm und einen Durchmesser von weniger als 2 µm
auf und sind damit nach der WHO-Klassifikation (Länge > 5 µm, Durchmesser < 3 µm und
Verhältnis Länge zu Durchmesser von > 3 : 1) als Talkumfasern einzustufen. Fokal finden
sich auch mehrkernige Riesenzellen. Die interstitielle Lungenfibrosierung mit dem
Nachweis mikrokristalliner, stark doppelbrechender Fremdpartikel weist das histologische
Bild einer Talkum-assoziierten Lungenfibrosierung auf.
Lichtmikroskopische und elektronenmikroskopische Lungenstaubanalytik
In den vier durchgeführten lichtmikroskopischen Analysen aus dem rechten und linken
Lungenober- und -unterlappen konnte keine vermehrte pulmonale Asbestkonzentration
nachgewiesen werden. Die ermittelten Konzentrationen waren geringer als 20 Asbestkörper
pro Gramm Lungenfeuchtgewebe und lagen somit in dem Bereich von sogenannten Normallungen
[13 ].
Weiterhin wurde zusätzlich eine elektronenmikroskopische Lungenstaubanalyse am Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop
[14 ] nach Vorschrift der BIA-Arbeitsmappe 26 Lfg. III/0I 7489/2001 (Bestimmung von anorganischen
Fasern im menschlichen Lungengewebe unter Verwendung eines Feldemissions-Rasterelektronenmikroskops)
durchgeführt. Dabei wurden Asbestfasern (Chrysotil oder Amphibol) elektronenmikroskopisch
nicht nachgewiesen. Jedoch waren maximal 2 560 400 faserförmige Talkumfasern (Talkumfasern
oder faserförmige Talkumpartikel) pro Gramm Lungenfeuchtgewebe quantifizierbar.
Energiedispersive Röntgenmikroanalyse (EDX)
In der EDX-Analytik konnte am histologischen Schnittpräparat bei insgesamt 98 Einzelanalysen
eine Inkorporation von Talkumpartikeln und Talkumfasern in den Fibrosierungsarealen
nachgewiesen werden ([Abb. 4 ]).
Abb. 4 EDX-Analyse einer Talkumfaser aus dem Lungenstaub (5000 ×).
Die Talkumpartikel enthalten Magnesium und Silizium als Leitelemente. Der Abgleich
mit einer Referenz-Talkumprobe ergibt röntgenmikroanalytisch identische Befunde.
Latenzzeit und Interimszeit
Aus den vorliegenden Daten zum Expositionszeitraum (1965 – 1973) und zum Zeitpunkt
der Erstdiagnose der Lungenfibrose (2001) ergeben sich eine Interimszeit von 28 Jahren
und eine Latenzzeit von 36 Jahren.
Diskussion
Diskussion
Das Krankheitsbild einer Talkose gehört zu einer sehr seltenen Variante der Pneumokoniosen.
Pneumokoniosen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich pathologisch-anatomisch in den
Fibrosierungsarealen die dafür verantwortlichen Staubpartikel oder Fasern nachweisen
lassen [15 ].
Bei der Analyse und Untersuchung von Talkum-bedingten Erkrankungen ist insbesondere
die Möglichkeit einer Verunreinigung mit Asbestfasern und Quarz mit zu berücksichtigen.
Wenn in Talkum Asbestfasern nachgewiesen werden, handelt es sich in erster Linie um
Amphibolasbestfasern [16 ]. Bei der elektronenmikroskopischen Analyse der Zusammensetzung der Staubablagerungen
in der Lunge zeigen sich oft Mischstaubeinlagerungen mit Anteilen von Asbest, Glimmer,
Talkum, Kaolin und Quarz. Bei derartigen Mischbefunden wurde so z. B. der Asbest-
oder der Quarzkomponente die maßgebliche fibrogene Wirkung zuerkannt und die Lungenfibrosen
als Mischstaubpneumokoniosen mit Quarz oder Asbest als relevantem fibrogenem Faktor
eingestuft [17 ]
[18 ].
Obwohl Talkum nur eine geringgradige fibrogene Potenz zugeschrieben wurde, weisen
sowohl Untersuchungen mit asbestverunreinigtem als auch mit asbestfreiem Talkum auf
die Entwicklung von fibrosierenden Talkum bedingten Lungenerkrankungen hin [1 ]
[6 ]. Während in einer Untersuchung nach einer Exposition gegenüber reinem Talkum mittels
der bildgebenden Diagnostik die Ausbildung von Pneumokoniosen nicht beobachtet werden
konnte [19 ], wurden in weiteren Studien mit Kollektiven von Arbeitern in Talkminen (asbesthaltiges
Talkum Tremolit, Anthophyllit) und der Talk-verarbeitenden Industrie [20 ]
[21 ]
[22 ] Pneumokoniosen und auch pleurale Verdickungen dokumentiert [21 ]. Auch bei Untersuchungen mit Kollektiven, die gegenüber asbest- und quarzfreiem
Talkum exponiert gewesen waren, konnten radiologisch Pneumokoniosen nachgewiesen werden
[22 ].
Nach den vorliegenden Studienergebnissen werden Talkosen bereits nach kurzen Latenzzeiten
bei massiver Talkumexposition beobachtet [6 ]
[23 ]
[24 ]. Mit Verringerung der Expositionshöhe werden verlängerte Latenzzeiten registriert
[6 ]
[23 ]
[24 ].
Im vorliegenden Casus finden sich keine Hinweise auf eine andere Ursache als Talkum
für die vorliegende Lungenfibrosierung. Weder konnte eine erhöhte Asbest- oder Quarzkonzentration
der Lungen nachgewiesen werden noch zeigten sich histologische Veränderungen, die
auf eine andere Ursache wie z. B. das Vorliegen einer Sarkoidose [18 ]
[25 ] hingedeutet hätten. Auch Pleuraplaques als Hinweis auf eine asbestbedingte Genese
der Erkrankung konnten nicht nachgewiesen werden. Mittels der histologischen und elektronenmikroskopischen
Untersuchungen konnte aufgezeigt werden, dass die Talkumfasern die Lungenfibrosierung
induziert und unterhalten haben. Durch die Überlastung der Reinigungsmechanismen der
Lungen (Overload) mit dem Talkum, welches per se nur eine geringe fibrogene Potenz
aufweist [1 ], wurden im vorliegenden Fall eine persistierende Entzündungsreaktion und eine fortschreitende
Lungenfibrosierung induziert.
In Übereinstimmung mit anderen Untersuchungen zeigten sich in diesem Fall auch granulomatöse
Veränderungen [1 ]
[15 ]. Die hochgradigen Lungenveränderungen mit wabenartigem Lungenumbau zeigen, dass
nach Einwirkung von Talkum auch schwergradige Lungenfibrosen auftreten können. Für
die Genese einer Talkum-assoziierten Lungenfibrosierung ist die hohe Biobeständigkeit
sicherlich von entscheidender Bedeutung.
In Konkordanz mit weiteren Untersuchungen [3 ] konnte eine hohe Biopersistenz der Talkfasern von mehreren Jahrzehnten belegt werden.
Die Talkumfasern konnten in hoher Zahl (über 2,5 Millionen Talkumfasern pro Gramm
Lungenfeuchtgewebe) noch 28 Jahre nach Beendigung der Exposition in den Lungen nachgewiesen
werden. Talkum weist damit eine hohe Biobeständigkeit auf. Diese liegt in einem Bereich,
den auch Amphibolasbestfasern aufweisen. Die Biobeständigkeit ist deutlich höher als
bei den nur gering biobeständigen Chrysotilfasern, bei denen Halbwertszeiten von weniger
als einem Monat beschrieben wurden [3 ]
[26 ]
[27 ].
Leider wurde die ärztliche Anzeige auf eine Berufskrankheit zu Lebzeiten nicht gestellt,
obwohl zwei Monate vor dem Tod des Patienten eine „Talkumlunge” diagnostiziert wurde.
Die Ermittlungen der Präventionsabteilung hätten so schon zu Lebzeiten des Patienten
aufgenommen werden können.
Erfreulicherweise konnten nach dem Tode des Patienten begonnene Ermittlungen noch
relevante Ergebnisse über die stattgehabten Schadstoffbelastungen erbringen. Es trat
somit nicht der Fall ein, dass wegen fehlender arbeitstechnischer Ermittlungsergebnisse
der vollbeweisliche Nachweis der beruflichen und versicherten Exposition und somit
die Anerkennung einer Berufskrankheit erschwert oder unmöglich gemacht wurde. Die
reine Möglichkeit einer beruflichen Exposition hätte für die Anerkennung einer Berufskrankheit
nicht ausgereicht.
In Deutschland wurde bereits 1952 die Talkose unter die BK Nr. 4101 subsumiert. In
der amtlichen Begründung zur 5. Verordnung vom 26. 07. 1952 wird ausgeführt, „dass in der erläuternd beigefügten Bezeichnung „Silikose” alle Veränderungen und Zustände
des Lungengewebes einzuschließen sind, „die unter dem Einfluss der fibroplastischen
Wirkung gelöster Kieselsäure entstehen, einerlei ob diese ursprünglich aus freier
SiO2 oder gebundener Kieselsäure (Silikaten) stammte, also außer der Silikose im engeren
klinisch-anatomischen Sinne (Quarzlunge) auch die gemein als „Silikatose” bezeichneten,
Knötchen und Schwielen bildenden Staublungenerkrankungen, wie die der Silikose im
engeren Sinne entsprechenden knotigen (nodösen) Staublungenerkrankungen durch Talkum,
Glimmer, Kieselgur ” [15 ].
Für den Umgang mit Talkum wurden Grenzwerte für die maximale Belastung am Arbeitsplatz
geschaffen. Für Talkum gilt ein MAK-Wert (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration) von
2 mg/m3 Feinstaub.
Zwischenzeitlich wurden eine Berufskrankheit und Hinterbliebenenleistungen seitens
der Unfallversicherung anerkannt.
Aus diesem Beispiel dieser zu Lebzeiten nicht angezeigten Berufskrankheit lässt sich
folgern:
Es gibt eine Dunkelziffer im Bereich der Berufskrankheiten. Sowohl internationale
Studien als auch die Erfahrungen im Deutschen Mesotheliomregister lassen diesen Schluss
zu [13 ]
[14 ].
Im vorliegenden Casus kam dem in amtsärztlicher Funktion tätigen Rechtsmediziner –
im Rahmen der zweiten Leichenschau – vor der Feuerbestattung die Rolle des letzten
Zeugen für den Patienten zu. Wenn auf einem Totenschein eine nicht näher spezifizierte
„Lungenfibrose” aufgeführt wird, ist zu empfehlen, dass weitere Nachforschungen veranlasst
werden. Ggf. sollte eine ergänzende Untersuchung im Rahmen einer Obduktion eingeleitet
werden.
Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International
Committee of Medical Journal Editors besteht.