Lernziele
Lernziele
Überblick über:
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Veränderungen des klinischen Erscheinungsbilds der HIV-Infektion in der Ära der antiretroviralen
Therapie (Todesursachen, Tumore)
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Fortschritte der antiretroviralen Therapie
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Therapiebeginn, Initialtherapie und mögliche Nebenwirkungen
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Prävention
Einleitung
Einleitung
Die antiretrovirale Therapie hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Nahezu jährlich
wurden neue Medikamente mit besserer Wirksamkeit, einfacheren Einnahmemodalitäten
und weniger Nebenwirkungen zugelassen. Zur antiretroviralen Therapie stehen in Deutschland
aktuell 20 Medikamente aus 5 Wirkstoffklassen zur Verfügung. Das Bild der HIV-Infektion
hat sich in den letzten 15 Jahren durch die Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie
(ART) stark gewandelt. Die statistische mittlere Lebenserwartung eines 20-jährigen
HIV-Patienten wurde in einer aktuellen Studie mit 69 Jahren berechnet. Trotz des Fortschritts
gibt es neue Herausforderungen [1].
Diagnostik
Diagnostik
Zur Diagnosesicherung wird zunächst ein Suchtest (enzyme-linked immunosorbent assay:
ELISA) verwendet, der sehr sensitiv ist. Aufgrund der Möglichkeit von falsch positiven
Ergebnissen muss ein spezifischer Bestätigungstest (z. B. Westernblot) aus einer neuen
Blutprobe durchgeführt werden. Zu beachten ist die diagnostische Lücke zwischen Infektion
und Antikörpernachweis von bis zu 12 Wochen. Zur Verlaufsbeurteilung einer HIV-Infektion
werden die CD4+-T-Lymphozyten/µl und die HIV-Viruslast (Kopien/ml Plasma) gemessen.
Sie sollten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und anschließend in ca. 3-monatigen
Abständen bestimmt werden. Nach Einleitung oder Umstellungen einer Therapie werden
kurzfristigere Kontrollen empfohlen. Der Therapieerfolg kann frühestens nach 4 Wochen
beurteilt werden. Ein geringerer Abfall der HIV-RNA als 1 log 10 nach 4 Wochen oder
das Ausbleiben des Abfalls unter die Nachweisgrenze innerhalb von maximal 6 Monaten
sowie ein Wiederanstieg der Viruskonzentration im Plasma sind ungenügende Therapieerfolge
und sollten Anlass sein, die Therapie zu überprüfen. Ursachen des Therapieversagens
sind z. B. eine verminderte Absorption oder beschleunigte Metabolisierung einer Wirksubstanz,
Medikamentenwechselwirkungen, eine vorbestehende oder sich entwickelnde Resistenz
und/oder mangelhafte Therapietreue.
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Zu beachten ist die diagnostische Lücke zwischen Infektion und Antikörpernachweis
von bis zu 12 Wochen. Zur Verlaufsbeurteilung einer HIV-Infektion werden die CD4+-T-Lymphozyten/µl
und die HIV-Viruslast (Kopien/ml Plasma) gemessen.
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Bei gesicherter HIV-Infektion werden regelmäßige Kontrolluntersuchungen zum Ausschluss
opportunistischer Infektionen und HIV-Folgeerkrankungen bzw. Therapienebenwirkungen
empfohlen ([Tab. 1]).
Tab. 1 Empfohlene Kontrolluntersuchungen bei HIV-positiven Patienten (Häufigkeit kann je
nach Risikoprofil ggf. abweichen).
Untersuchung |
Häufigkeit |
körperliche Untersuchung, Gespräch |
2 – 4-mal/Jahr |
Anti-HCV-, STD-Screening |
1-mal/Jahr |
Klärung des Impfstatus |
1-mal/Jahr |
Berechnung des Herz-Kreislauf-Risikos, EKG |
1-mal/Jahr |
Body-Mass-Index, Lipoatrophiekontrolle |
1-mal/Jahr |
Cholesterin, HDL, LDL, Triglyzeride, Blutzucker |
1 – 2-mal/Jahr |
Kreatinin, Urin (Albumin) |
2 – 4-mal/Jahr |
neurokognitive Funktionen, psychischer Zustand: Fragebogen/Test |
1-mal/Jahr |
Zervixkarzinom-Screening, Analkarzinom-Screening |
1-mal/Jahr |
Untersuchung des Augenhintergrunds (Ausschluss CMV-Retinitis): vor Therapiebeginn,
bei CD4 < 200/µl |
2-mal/Jahr |
HCV: Hepatitis-C-Virus; STD: sexually transmitted diseases; CMV: Zytomegalievirus
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Todesursachen
Todesursachen
Weiterhin sterben ca. 30 % aller HIV-Infizierten an AIDS. Beim überwiegenden Anteil
dieser Personen wurde erst im Rahmen der Abklärung der AIDS-definierenden Erkrankung
die HIV-Infektion entdeckt. Oft wurden im Vorfeld zahlreiche Möglichkeiten verpasst,
die HIV-Infektion frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Ein HIV-Test sollte
angeboten werden bei Personen, bei denen eine sexuell übertragbare Erkrankung (STD:
sexually transmitted diseases) festgestellt wird, bei allen Schwangeren und bei Vorliegen
einer AIDS-definierenden Diagnose ([Tab. 2]).
Tab. 2 Klinische Kategorien der CDC-Klassifikation.
Kategorie A |
asymptomatische HIV-Infektion – akute, symptomatische (primäre) HIV-Infektion – persistierende generalisierte Lymphadenopathie (LAS) |
Kategorie B
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Krankheitssymptome oder Erkrankungen, die nicht in die Kategorie C fallen, aber dennoch
der HIV-Infektion ursächlich zuzuordnen sind oder auf eine Störung der zellulären
Immunabwehr hinweisen. Hierzu zählen: – bazilläre Angiomatose – Entzündungen des kleinen Beckens, besonders bei Komplikationen eines Tuben- oder
Ovarialabszesses – Herpes zoster bei Befall mehrerer Dermatome oder nach Rezidiven in einem Dermatom – idiopathische thrombozytopenische Purpura – konstitutionelle Symptome wie Fieber über 38,5 ° C oder eine > 1 Monat bestehende
Diarrhö – Listeriose – orale Haarleukoplakie (OHL) – oropharyngeale Candidose – vulvovaginale Candidose, die entweder chronisch (> 1 Monat) oder nur schlecht therapierbar
ist – zervikale Dysplasien oder Carcinoma in situ – periphere Neuropathie |
Kategorie C
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AIDS-definierende Erkrankungen – Candidose von Bronchien, Trachea oder Lungen – Candidose, ösophageal – CMV-Infektionen (außer Leber, Milz, Lymphknoten) – CMV-Retinitis (mit Visusverlust) – Enzephalopathie, HIV-bedingt – Herpes-simplex-Infektionen: chronische Ulzera (> 1 Monat bestehend) oder Bronchitis,
Pneumonie, Ösophagitis – Histoplasmose, disseminiert oder extrapulmonal – Isosporiasis, chronisch, intestinal, > 1 Monat bestehend – Kaposi-Sarkom – Kokzidioidomykose, disseminiert oder extrapulmonal – Kryptokokkose, extrapulmonal – Kryptosporidiose, chronisch, intestinal, > 1 Monat bestehend – Lymphom, Burkitt – Lymphom, immunoblastisches – Lymphom, primär zerebral – Mycobacterium avium complex oder M. kansasii, disseminiert oder extrapulmonal – Mycobacterium, andere oder nicht identifizierte Spezies disseminiert oder extrapulmonal – Pneumozystis-Pneumonie – Pneumonien, bakteriell rezidivierend (> 2 innerhalb eines Jahres) – progressive multifokale Leukenzephalopathie – Salmonellen-Septikämie, rezidivierend – Tuberkulose – Toxoplasmose, zerebral – Wasting-Syndrom – Zervixkarzinom, invasiv |
Dermatologische Markererkrankungen, bei denen ein HIV-Test erwogen werden sollte,
sind u. a. ein ausgedehntes, neu aufgetretenes seborrhoisches Ekzem ([Abb. 1]), eine neu diagnostizierte Psoriasis bei leerer Familienanamnese, ein ausgeprägter
Herpes zoster insbesondere bei jungen Patienten, eine Haarleukoplakie der Zunge und
Mollusken bei Erwachsenen. Eine frühe Diagnose führt zu einer deutlichen Verbesserung
der Lebenserwartung.
Abb. 1 Seborrhoisches Ekzem.
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Bei neu aufgetretenem seborrhoischem Ekzem, einer oralen Haarleukoplakie, einem ausgeprägtem
Herpes zoster bei jungen Patienen, Mollusken im Erwachsenenalter und allen sexuell
übertragbaren Erkrankungen sollte ein HIV-Test angeboten werden.
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Bei Patienten mit über 500/µl Helferzellen sind kardiovaskuläre Ereignisse die häufigste
Todesursache. Daher wird ein Management der Risikofaktoren, wie Hyperlipidämie, Hypertonie
und Rauchen, immer wichtiger [2]. Die Ursachen für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko sind vielschichtig. Vor allem
die älteren antiretroviralen Substanzen führten u. a. durch Schädigung der Mitochondrien
zu metabolischen Veränderungen, wie Lipidstoffwechselstörungen und Insulinresistenz.
Zudem gibt es zunehmend Hinweise, dass eine chronische Immunaktivierung zu einem vorzeitigen
Alterungsprozess führt und Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigt.
Tumore bei HIV-Patienten
Tumore bei HIV-Patienten
Mittlerweile erkranken mehr HIV-Patienten an nicht AIDS-definierenden Tumoren (z. B.
Analkarzinom, Prostatakarzinom, Lungenkarzinom, Hodgkin-Lymphom) als an den AIDS-definierenden
Tumoren. Humane Papillomviren (HPV), vor allem HPV 16 und 18, spielen eine entscheidende
Rolle bei der Entstehung von Anal- und Zervixkarzinomen [3]. Das Analkarzinom ist ein seltener Tumor, der 1,5 % aller gastrointestinalen Tumore
ausmacht. Die Inzidenz liegt bei 1,4 – 2 pro 100 000, bei Immunsupprimierten (einschließlich
Patienten mit HIV-Infektion und nach Organtransplantation) bis zu 70-fach höher. Viele
dieser Tumore könnten durch eine flächendeckende HPV-Impfung verhindert werden. Studien
zur HPV-Impfung von HIV-infizierten Patienten werden aktuell durchgeführt. Bisher
bleiben ein konsequentes Screening und eine frühzeitige Therapie HPV-assoziierter
Veränderungen im Genital- und Analbereich die beste Option.
Das Kaposi-Sarkom tritt nur noch bei ca. 4 % der Patienten auf (meist bei nicht vorbehandelten
Patienten). Die Prognose des Kaposi-Sarkoms hat sich durch die antiretrovirale Therapie
deutlich verbessert. Weiterhin ist liposomales Doxorubicin Therapie der ersten Wahl
bei ausgedehnten Befunden [4].
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Nicht AIDS-definierende Tumore gehören zu den häufigsten Todesursachen von HIV-Patienten.
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Fortschritte der antiretroviralen Therapie
Fortschritte der antiretroviralen Therapie
Durch die neuen therapeutischen Ansätze ([Tab. 3]), wie Entry-Inhibitoren und Integrase-Inhibitoren, sowie neue Wirkstoffe mit anderem
Resistenzprofil im Bereich der „alten” Substanzklassen (Reverse-Transkriptase-Inhibitoren
und Protease-Inhibitoren) ist das Ziel, auch bei stark vortherapierten Patienten die
HI-Viruslast unter die Nachweisgrenze zu senken, fast immer erreichbar. Ob die Nukleosidanaloga
in Zukunft weiterhin das Rückgrat der Therapie bilden werden, ist zunehmend fraglich.
Tab. 3 Ansatzpunkte für antiretrovirale Medikamente.
Ansatzpunkt im HIV-Replikationszyklus |
Medikament |
Bindung vom viralen Hüllprotein gp 120 an Korezeptoren (CCR5) auf CD4+-Lymphozyten
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CCR5-Rezeptor-Blocker (Celsentri®) |
Fusion zwischen Virus und Wirtszelle |
Fusionsinhibitor (Fuzeon®) |
Umschreibung von HIV-RNA zu DNA mithilfe des Virus-Enzyms Reverse Transkriptase |
Nukleosid- und nukleotidanaloge Reverse-Transktiptase-Inhibitoren (Emtriva®, Epivir®, Videx®, Viread®, Zerit®, Ziagen®) nicht nukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (Intelence®, Sustiva®, Viramune®) |
Integration des Virus-Erbguts in die menschliche DNA |
Integrase-Inhibitor (Isentress®) |
Spaltung von Vorstufen der Virusproteine zu funktionstüchtigen Partikeln mittels viruseigener
Proteasen |
Protease-Inhibitoren (Aptivus®, Crixivan®, Invirase®, Kaletra®, Prezista®, Reyataz®, Telzir®, Viracept®) |
Bei der Vielzahl der heute zur Verfügung stehenden Medikamente wird es immer wichtiger,
eine auf den Patienten maßgeschneiderte Therapie einzusetzen. Während sich die Wirksamkeit
der zugelassenen Medikamente meist nur gering unterscheidet, werden der Einnahmemodus
(1- oder 2-mal täglich) und das Nebenwirkungsprofil immer wichtiger.
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Das Ziel der antiretroviralen Therapie ist, die HI-Viruslast unter die Nachweisgrenze
zu senken.
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Initialtherapie
Initialtherapie
Die antiretrovirale Therapie ist komplex und gehört in die Hände eines erfahrenen
Spezialisten. Vor Einleitung einer antiretroviralen Therapie sollte ein Resistenztest
durchgeführt werden. Die Rate der primären Resistenzen gegen einzelne HIV-Medikamente
liegt in Deutschland bei ca. 10 %. In der Initialtherapie wird eine Fixkombination
aus 2 Nukleosid-/Nukleotidanaloga mit einem nicht nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor
(NNRTI), einem geboosterten Protease-Inhibitor (PI/r) oder einem Integrase-Inhibitor
eingesetzt ([Tab. 4]).
Tab. 4 Bevorzugte Kombinationspartner in der Initialtherapie laut Deutsch-Österreichischer
Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion.
Kombinationspartner 1 |
Kombinationspartner 2 |
Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) Abacavir/Lamivudin (Kivexa®) |
Efavirenz (Sustiva®) Nevirapin (Viramune®) Atazanavir/r (Reyataz®) Darunavir/r (Prezista®) Lopinavir/r (Kaletra®) Fosamprenavir/r (Telzir®) Raltegravir (Isentress®) |
/r: geboostert mit Norvir® |
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Die Initialtherapie der HIV-Infektion besteht in der Regel aus 2 Nukleosid-/Nukleotidanaloga
in Kombination mit einem nicht nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor, einem
geboosterten Protease-Inhibitor oder einem Integraseinhibitor und gehört in die Hände
eines Spezialisten.
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Bei den Proteasehemmern brachte die Wirkverstärkung („Boosterung”) durch Hemmung des
Cytochrom-p450-Enzymsystems mit niedrig dosiertem Ritonavir eine deutlich bessere
Wirksamkeit, insbesondere bei Patienten mit Resistenzen [5].
Tenofovir/Emtricitabin
Die Kombination von Tenofovir und Emtricitabin ist gut wirksam und besser verträglich
als Zidovudin/Lamivudin. Es werden geringere Raten an peripherer Lipoatrophie beobachtet.
Tenofovir kann zu einer proximal-tubulären Dysfunktion, in Einzelfällen auch zu progredienter
Niereninsuffizienz führen. Es geht mit einer stärkeren Minderung der Knochendichte
einher als die Kombination von Abacavir und Lamivudin (ABC/3TC) [6]
[7].
Abacavir/Lamivudin
ABC/3TC ist in Kombination mit einem PI/r bzw. NNRTI gut wirksam und im Allgemeinen
gut verträglich. Bei 3 – 8 % aller Patienten kommt es vor allem in den ersten 6 Wochen
zu einer Abacavir-Hypersensitivitätsreaktion mit Fieber, Exanthem und Pruritus sowie
evtl. gastrointestinalen und respiratorischen Beschwerden, Gelenkschmerzen und erhöhten
Leber-/Nierenfunktionsparametern mit Progredienz bis hin zu Todesfällen, insbesondere
bei Reexposition. Das Auftreten ist mit dem Histokompatibilitätsantigen HLA-B*5701
assoziiert, für welches ein Test vor der Anwendung von Abacavir durchgeführt werden
sollte [8]. In der ACTG5202-Studie wurde bei Patienten mit hoher Viruslast ein etwas schlechteres
Therapieansprechen als unter Tenofovir/Emtricitabin gefunden [9]. In der D:A:D-Studie und der SMART-Studie wiesen Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem
Risiko statistisch signifikant häufiger Myokardinfarkte auf, wenn sie mit Abacavir
behandelt wurden. Bei Patienten mit stark erhöhtem kardiovaskulärem Risiko sollte
Abacavir daher nur alternativ eingesetzt werden [2].
Efavirenz
Efavirenz ist Lopinavir/r virologisch überlegen und genauso wirksam wie geboostertes
Atazanavir. Unter Efavirenz wurden Fettstoffwechselstörungen und – vor allem in den
ersten Wochen – zentralnervöse Nebenwirkungen beobachtet [10]. In der Schwangerschaft ist Efavirenz wegen Teratogenität im Tierversuch kontraindiziert,
und eine Schwangerschaft sollte zuverlässig verhindert werden [11]. Es gibt Hinweise, dass die Einnahme von Efavirenz zu Vitamin-D-Mangel führen kann
[12].
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Efavirenz ist in der Schwangerschaft kontraindiziert.
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Nevirapin
In 2 prospektiven randomisierten Studien hat sich Nevirapin als ähnlich wirksam wie
Efavirenz erwiesen. Nebenwirkungen beider Substanzen umfassen kutane Arzneimittelreaktionen
und Hepatotoxizität. Bei Nevirapin wurde eine etwas höhere Lebertoxizität beobachtet,
für die nach Metaanalysen von prospektiven Studien und Kohorten weibliches Geschlecht,
asiatische Abstammung und prätherapeutische CD4+-Zellzahlen sowie eine vorbestehende
Lebererkrankung Risikofaktoren darstellen. Daher sollten Frauen mit CD4+-Zellzahlen
> 250/µL und Männer mit einer CD4+-Zellzahl > 400/µL kein NVP erhalten [13].
Atazanavir
Atazanavir weist eine etwas höhere Ansprechrate als Lopinavir/r auf. Die wesentliche
Nebenwirkung ist ein Ikterus durch Bilirubin-Konjugationsstörung [14]. Werte bis zum 5-Fachen der Norm können toleriert werden.
Darunavir
Darunavir war in der ARTEMIS-Studie gegenüber Lopinavir/r nach 48 Wochen nicht unterlegen
und in einer weiteren Per-Protocol-Analyse nach 96 Wochen überlegen. Wesentliche Nebenwirkungen
sind Übelkeit, Diarrhö und selten Exantheme [15].
Lopinavir
Lopinavir weist eine sehr gute, langfristige Wirksamkeit auf und ist der derzeit am
besten untersuchte Protease-Inhibitor. Wesentliche Nebenwirkungen sind gastrointestinal
(Übelkeit, Diarrhö, Flatulenz) und metabolisch (Anstieg der Serumlipide). In der D:A:D-Kohorte
wurde eine kumulative Erhöhung des kardiovaskulären Risikos unter Lopinavir beobachtet
[16].
Fosamprenavir
Fosamprenavir wies im direkten Vergleich mit Lopinavir in der KLEAN-Studie bis 144
Wochen weder Vor- noch Nachteile auf. Es kann 1- oder 2-mal täglich dosiert werden.
Das Toxizitätsprofil ähnelt Lopinavir, vereinzelt kommt es zu Exanthemen [17].
Raltegravir
Raltegravir weist in Kombination mit Truvada/Emtricitabin eine vergleichbare Wirksamkeit
wie Efavirenz auf, bei rascherer initialer Reduktion der Plasmavirämie und guter Verträglichkeit
([Tab. 5]) [18].
Tab. 5 Ausgewählte Studien, auf denen die aktuellen Therapieempfehlungen basieren.
Studie |
Ziel |
Patientenzahl |
ACTG 5202 |
Vergleich von Truvada®/Sustiva®, Truvada®/Kaletra®, Kivexa®/Sustiva® und Kivexa®/Reyataz® |
1840 (therapienaiv) |
D:A:D |
Berechnung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten unter ART |
26 468 (Zusammenschluss mehrerer Kohorten) |
SMART |
Evaluation von kontrollierten Therapiepausen |
6000 |
ACTG 5142 |
Vergleich von Kaletra®+NRTI, Sustiva®+NRTI und Kaletra®+Sustiva® |
753 (therapienaiv) |
CASTLE |
Vergleich von Truvada®/Reyataz® und Truvada®/Lopinavir |
883 (therapienaiv) |
ARTEMIS |
Vergleich von Truvada®/Darunavir und Truvada®/Kaletra® |
689 (therapienaiv) |
KLEAN |
Vergleich von Kivexa®/Telzir® und Kivexa®/Kaletra® |
878 (therapienaiv) |
ESPRIT |
ART+IL2 oder Placebo |
4111 (initial > 300/µl CD4) |
SILCAAT |
ART+IL2 oder Placebo |
1695 (initial 50 – 299/µl CD4) |
NRTI: nukleosidaler Reverse-Transkriptase-Inhibitor; ART: antiretrovirale Kombinationstherapie;
IL2: Interleukin-2 |
Immunbasierte Intervention
Immunbasierte Intervention
Als Alternative oder Ergänzung zur ART werden Behandlungsmöglichkeiten, die direkt
auf das Immunsystem abzielen, erwogen. Der Wachstumsfaktor Interleukin-2 (IL2) wurde
in den beiden Studien ESPRIT und SILCAAT getestet. Obwohl mit IL2 behandelte Patienten
höhere Helferzellen aufwiesen, konnte ein klinischer Nutzen nicht belegt werden [19].
Die Überaktivierung des Immunsystems und die damit einhergehende Entzündungsreaktion
werden für viele Langzeitfolgen der HIV-Infektion verantwortlich gemacht, und die
Erforschung dieses Aspekts der HIV-Infektion wird die Wissenschaft in den nächsten
Jahren weiterhin beschäftigen.
Große Hoffnungen beruhen auf der Entwicklung therapeutischer Impfstoffe, mit deren
Hilfe eine Kontrolle der Virusvermehrung ohne dauerhafte Medikamenteneinnahme möglich
wäre. Neue Phase-II-Studien sind für 2011 geplant. Die endgültige Heilung der HIV-Infektion
(Eradikation) erscheint aufgrund des bisherigen Wissens in den nächsten Jahren nicht
realistisch.
Beginn der Therapie
Beginn der Therapie
Wann der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer antiretroviralen Therapie ist, wird
erneut diskutiert. In den letzten Jahren häuften sich Belege für eine starke Schädigung
von Immunzellen der Schleimhäute (mucosa-associated lymphoid tissue: MALT), speziell
der Darmschleimhaut. In der bisher postulierten, klinisch meist asymptomatischen Latenzphase
werden viele Körperfunktionen durch die Entzündungsreaktion ungünstig beeinflusst.
Analysen deuten darauf hin, dass ein früherer Beginn als bisher empfohlen – also über
350/µl CD4+-Lymphozyten – nicht nur die Lebenserwartung steigert, sondern auch kostengünstiger
ist als ein späterer Therapiebeginn. Die aktuell durchgeführte internationale START-Studie
wird versuchen, diese Frage zu beantworten [20]. In den aktuellen europäischen Leitlinien wird eine frühzeitige antiretrovirale
Therapie insbesondere bei Vorliegen zusätzlicher Erkrankungen (Hepatitis C, Hepatitis
B, Nierenerkrankungen, Krebserkrankungen, hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen)
bei einer Viruslast < 100 000 Kopien/ml, bei einem Helferzell-Abfall von mehr als
50 – 100 µl/Jahr und einem Alter über 50 Jahren empfohlen ([Tab. 6]).
Tab. 6 Empfohlener Therapiebeginn laut Deutsch-Österreichischer Leitlinien.
Klinik |
CD4+-Lymphozyten/µl |
Zusatzkriterien |
HIV-assoziierte Symptome |
alle Werte |
– |
asymptomatische Patienten (CDC-Stadium A) |
< 350 (kontrolliert) |
– |
350 – 500 |
HCV, HBV, Nierenerkrankungen, Krebserkrankungen, hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Viruslast > 100 000 Kopien/ml, Helferzellabfall von mehr als 50 – 100 µl/Jahr, Alter
über 50 Jahre |
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Die Einleitung einer antiretroviralen Therapie sollte bei Vorliegen zusätzlicher Erkrankungen
(Hepatitis C, Hepatitis B, Nierenerkrankungen, Krebserkrankungen, hohes Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen) und Patienten über 50 Jahren bei 350 – 500 CD4/µl empfohlen
werden.
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HIV-Prävention
HIV-Prävention
Im Jahr 2009 wurden 2856 HIV-Erstdiagnosen gemeldet, damit bleibt die Zahl der jährlichen
Neuinfektionen auf hohem Niveau stabil. Bei 67 % der Patienten wurde als Infektionsweg
gleichgeschlechtlicher Sex unter Männern angegeben, 17 % der Patienten hatten sich
über heterosexuelle Kontakte infiziert, 11 % der Infizierten stammten aus Hochprävalenzländern.
An 4. Stelle stand mit 3,5 % Drogengebrauch. Der Anteil der Frauen bei den HIV-Erstdiagnosen
betrug 16,1 % [21].
Trotz besserer Behandelbarkeit bleibt die Prävention das wichtigste Mittel zur Bekämpfung
der weltweiten Epidemie. Aufklärungskampagnen zeigten in einigen Ländern große Wirkung.
Sie müssen zusätzlich die Synergien zwischen HIV und anderen sexuell übertragenen
Erkrankungen berücksichtigen. Die HIV-Übertragung wird durch das Vorliegen anderer
sexuell übertragbarer Erkrankungen (z. B. Herpes simplex, Syphilis) begünstigt. Asymptomatische
Gonokokken- und Chlamydien-Infektionen treten insbesondere im Rachen- und Analbereich
auf. Das konsequente Screenen und behandeln von STD muss ein weltweites Ziel sein.
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Die konsequente Diagnostik und Therapie von sexuell übertragbaren Erkrankungen ist
ein wichtiger Beitrag zur HIV-Prävention.
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Große Erwartungen wecken Mikrobizide (Gele oder Vaginalringe), die lokal (vaginal
oder anal) zur Verhinderung einer sexuell übertragbaren Infektion eingesetzt werden
[22]. Ob hiermit die HIV-Epidemie einzudämmen ist, bleibt weiter fraglich. Zum ersten
Mal konnten jetzt Karim et al. [23] zeigen, dass ein Mikrobizidgel mit dem aus der antiretroviralen Therapie bekannten
Medikament Tenofovir die Übertragung von HI-Viren im Vergleich zu Placebo um 38 %
senken konnte. In der Diskussion bleibt auch der Einsatz der antiretroviralen Medikamente
in der Prä-Expositions-Prophylaxe (PREP) vor einem möglichen Risikokontakt. Mehrere
groß angelegte Studien werden in den nächsten 2 Jahren abgeschlossen. Eine frühzeitige
Diagnose und Therapie scheint aktuell die beste Strategie, um neue HIV-Infektionen
zu verhindern.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Trotz oder gerade aufgrund der deutlich gestiegenen Lebenserwartung gibt es neue Herausforderungen
bei der Behandlung von HIV-Patienten. Kardiovaskuläre Erkrankungen und nicht AIDS-definierende
Tumore gewinnen zunehmend an Bedeutung. Das Management von Risikofaktoren gehört genauso
zur modernen HIV-Therapie wie der mögliche Einsatz von neuen antiretroviralen Substanzen
im Rahmen einer maßgeschneiderten Therapie. Aufklärungskampagnen müssen zusätzlich
die Synergien zwischen HIV und anderen sexuell übertragenen Erkrankungen berücksichtigen.