Aktuelle Dermatologie 2011; 37(3): 96-100
DOI: 10.1055/s-0030-1256155
Von den Wurzeln unseres Fachs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

40 Jahre ADF-Konzept: Neue Herausforderungen im Spannungsfeld der modernen Medizin[*]

Forty Years ADF-Concept: New Challenges in the Context of Modern MedicineC.  E.  Orfanos1
  • 1ehem. Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin
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Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Constantin E. Orfanos

Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin

Fabeckstr. 60 – 62
14195 Berlin

Email: constantin.orfanos@charite.de

Publication History

Publication Date:
10 March 2011 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wurde die experimentelle Forschung in die deutsche Dermatologie eingeführt und hat dem Fach ein neues Gesicht gegeben. Die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung” (ADF) vor 40 Jahren hat substanziell dazu beigetragen, aus dem traditionell morphologischen Fach eine naturwissenschaftlich fundierte klinische Querschnittsdisziplin hervortreten zu lassen. In neuester Zeit hat der Einzug von Hochtechnologie und Ökonomie in der Klinik und Forschung nicht nur Fortschritte, sondern auch neue Belastungen mit sich gebracht. Das klassische, naturwissenschaftlich orientierte Bildungsideal ist dabei seine Bedeutung für den Mediziner zu verlieren, zugunsten einer gezielt berufsorientierten Ausbildung. Dabei stellt der Zwang nach wirtschaftlicher Orientierung in der Praxis eine Herausforderung für das ärztliche Ethos dar. Neben dem klinischen Bereich machen sich auch in der Forschung Konflikte bemerkbar, zumal die Politik eine „anwendungsnahe” forscherische Ausrichtung in der modernen Medizin nachdrücklich fordert, um ihre Finanzierung weiterhin zu leisten. Das Forschungsumfeld wie auch das individuelle Profil des jungen Medizinforschers wandeln sich mit der Zeit, neue Herausforderungen treten für ihn auf. In unserer postmodernen Gesellschaft wird die medizinische Forschung kaum noch als Banner des Fortschritts und adäquates Qualifikationsmerkmal für den Mediziner wahrgenommen. Vom Arzt wird eher gefordert, sich auf seine Kernaufgaben zu konzentrieren und seinen Professionalismus zu schärfen. Forschende junge Mediziner müssten auch die ärztliche Heilkunst beherrschen und empathische Zuwendung für die Patienten üben. Ihre persönliche und fachliche Qualifikation sollte sie dazu befähigen, die hochtechnologischen Forschungsergebnisse zu übersehen, zu überwachen und sie ethisch korrekt ausschließlich im Interesse der Kranken einzusetzen.

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Abstract

Experimental research entered Dermatology during the second half of the last century and changed powerfully its overall stature. Basic research has enriched and enlightened the traditional morphological features and Dermatology has developed into a multipotent clinical discipline. The concept and following foundation of the „Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung” (ADF) 40 years ago has been an important developmental cornerstone contributing in this ongoing process.

In recent years, modern medical „high-tech” and economy do not only signified progress, but also became an additional burden for the physician, leading to transformations towards industrialization of the medical „enterprise”. The significance of the investigational concept and research as a high level educational marker is presently diminishing, whereas, the physician is increasingly forced towards medical professionalism. Economic pressures have become a challenge for medical ethics and conflicts are also surfacing in the investigational field, also because today’s political consensus requires medical research to focus on its clinical applicability. While the environmental sphere of medical research is in a process of ongoing transformation, new challenges are surfacing for the young medical investigator and his individual profile.

In a postmodern society research may not be further regarded as a major qualifying feature for the physician, representing a marker of progress. Physicians are today asked to focus on their professionalism and polish their entrepreneurship. Qualified medical investigators should therefore concentrate their efforts also to train empathy for the sick and acquire a good command of the art of curing („Heilkunst”). They should overlook and implement the modalities of updated medical technology on an individual basis, ethically correct, exclusively for the benefit of their patients.

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Einleitung

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trat die experimentelle Forschung in breiter Front in die deutsche Dermatologie ein und hat das Gesicht unseres Faches verändert. Dazu hat die von uns gegründete „Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung” (ADF) einen entscheidenden Beitrag geleistet. Das Konzept feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag.

Der Erfolg der ersten zwei ADF-Tagungen, die wir 1973 und 1974 in Düsseldorf organisierten haben, haben dem Konzept Recht gegeben: Aus dem experimentellen Ansatz und dem Eifer der damaligen jungen Forscher kamen viele neue Impulse für das Fach; die folgenden Jahre signalisierten, dass die Dermatologie in eine neue Epoche naturwissenschaftlicher Ausrichtung eingetreten war. Die dermatologische Grundlagenforschung war ein Quantensprung im traditionellen Betrachtungsfeld des damaligen Klinikers. Auch der Trend zur klinisch-pharmakologischen Forschung entsprang aus dem Gedankengut der frischen forscherischen Ansätze, beispielsweise wurden die synthetischen Retinoide in den 70er-Jahren zum Pionier für eine systemische Pharmakotherapie, mit der Haut als Zielorgan. Die Forschung an Dermatopharmaka wurde weltweit stimuliert und nicht zuletzt daraus nahmen die heute gängigen Phase III-Studien mit den randomisierten Protokollen, Doppelblindkontrollv-Verfahren etc. in den 80er- und 90er-Jahren ihren Lauf.

Aus dem klinisch-deskriptiven Spezialgebiet der traditionellen Dermatologie entstand in Deutschland eine eigenständige, naturwissenschaftlich fundierte klinische Disziplin, die andere Gebiete befruchtete und zum medizinischen Fortschritt substanziell beitrug. Junge ADF-Forscher hatten daran einen großen Anteil. Im Hinblick auf die Zahl der Publikationen und den Zitations-Impact-Faktor nimmt heute die Dermatologie weltweit eine herausragende Position unten den klinischen Fächern ein [1].

Von der unumstrittenen hohen Qualifikation der jungen Dermatologen ausgehend, die mit intensivem Forschen und wissenschaftlichem Ansatz an die Lösung klinischer Fragen herangingen, setzte sich allmählich die Überzeugung durch, dass forscherische Aktivität für ärztliche Qualität bürge. Forscherische Leistungen wurden bald zum goldenen Standard bei der Besetzung von Spitzenpositionen und den Berufungen von Ordinarien, und die neuen Klinikchefs haben ihre fähigsten Assistenten ermutigt, experimentelle Forschung zu betreiben. Man ging davon aus, dass gute Forscher auch gute Ärzte, Lehrer und gute Klinikleiter abgeben würden, die ihre forscherische Aktivität weiter fortsetzen, was vielfach auch zutraf. Die nachfolgenden Jahre zeigten, dass die Verbindung gute Klinik und gute Forschung nicht immer gelingt, doch das hat die jungen Hoffnungsträger kaum daran gehindert, den Weg der Forschung als Qualifikationsmerkmal zu betrachten und weiter zu beschreiten. In den folgenden Jahren entstand daraus ein Übergewicht an forschungsaktiven Lehrern, die die experimentelle, naturwissenschaftlich geprägte Dermatologie im universitären Umfeld festigten und die neue Orientierung des Faches entscheidend prägten.

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Heutiger Status

Molekularbiologische experimentelle Techniken und Genforschung, Impakt- und Zitationsfaktoren, Telemedizin, Telekonferenzen, networking sites, frame work projects, online journals und dergleichen beherrschen heute die dermatologische Szene. Zellwachstum und Differenzierung des Epithels wurden geklärt, die Immunfunktion der Haut wurde erkannt und wird fortwährend weiter analysiert, die Bedeutung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren wurde aufgeschlüsselt, Onkogenmoleküle wurden entdeckt, diagnostisch und therapeutisch bedeutsame Biomarker definiert. Mit der Entwicklung der Pharmakogenomik stellt man nun heute eine gentechnisch personalisierte Medizin für die nahe Zukunft in Aussicht, wenn auch als ferne Vision.

Durch die Forschung wurde für den Hautpatienten manches nicht einfacher und verständlicher, sondern bei weitem komplizierter, zumal wissenschaftliche Befunde nicht immer auf die Praxis und den Patienten übertragbar waren oder sind, doch, immerhin, vieles wurde klarer. Die Dermatologie blieb jedenfalls an der Front des Fortschritts, zumal die Gesamtmedizin gleichzeitig ihr Gesicht änderte und eine Wende zur Biotechnologie vollzog. Der wissenschaftlich-technologische Ansatz ging konform mit dem Zeitgeist, die Zivilgesellschaft zeigte sich für die Forschung offen und aufnahmebereit.

Wenn man heute auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblickt, muss man sich die Frage stellen, wie nun die weitere Entwicklung in der Forschung aussieht und welche Rahmenbedingungen demnächst für die jungen Mediziner gelten werden, die Forschung betreiben wollen. Sollen insbesondere die jungen Dermatologen den bisherigen Weg weiter beschreiten in einer Zeit, in der die Biotechnologie boomt? Kann man während der ärztlichen Weiterbildungszeit ernsthafte experimentelle Forschung betreiben?

Die Unsicherheit konzentriert sich vor allem auf die Herausforderung, eine Verbindung zwischen „High-tech”-Wissenschaft und klinischer Praxis herzustellen. Wird diese Verbindung die erhofften Früchte tragen, die Humanmedizin verbessern, sie gleichzeitig aber human bleiben lassen?

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Das medizinische Umfeld heute

Wenn man das heutige Umfeld der medizinischen Forschung betrachtet, so stellt man fest, dass eine populistische Massenkultur ausgebrochen ist; wir erleben heute die Epoche eines unaufhaltsamen technologischen Flusses. Es ist ein Überfluss an Daten unterschiedlicher Validität und Relevanz entstanden, der viele forscherisch tätige Mediziner in eine High-tech-Gläubigkeit und biotechnologische Euphorie verleitet.

In diesem Strudel an biotechnologischem Eifer und an angehäuftem Wissen gerät die moderne Medizin, nicht zuletzt die Dermatologie, in Gefahr, den betroffenen Kranken aus dem Gesichtsfeld zu verlieren und teilweise hinter sich zu lassen. So sieht es zumindest die breite Öffentlichkeit. Gleichzeitig kann auch der Bediener der forscherischen Ressourcen als Individualforscher, selbst wenn er noch so aktiv und erfolgreich ist, das technologische Wissen und Können kaum noch überblicken. Um erfolgreich zu forschen benötigt er viel Zeit und ein umfangreiches forschungsaktives Netzwerk um sich, er wird als Individuum in den Hintergrund gedrängt. Die Forderung nach Forschung, die nur aus dem Gedanken motiviert ist, dem Patienten zu helfen, verliert an Kraft, sie wird verdrängt und scheint zu verblassen. Aus den klinischen Studien, die sich stapelweise anhäufen und den Eindruck forscherischer Aktivität vermitteln, ist ein Berg an Publikationsmüll entstanden, der viele Ärzte oft mehr verunsichert, als dass er ihnen nützt. Man muss offen einräumen, dass die heutige Situation Verzerrungen und Überzeichnungen zeigt, die wir bei der Einleitung der technologischen Epoche nicht erwartet hatten.

Im renommierten Journal for Investigative Dermatology (JID), dessen Seiten eifrig mit Arbeiten gefüllt werden, die nur noch hoch spezialisierte, molekularbiologisch geschulte Wissenschaftler begreifen können, erschien voriges Jahr ein Editorial des Herausgebers Paul L. Bergstresser, worin der Autor vorsichtig aber deutlich genug mahnt [2]:

„But scholarly journals lack descriptions of what is like to be a patient … to have disease. Although many investigators who contribute to the scientific literature … know very much about their patients and what is like to have a disease such as pemphigus, skin carcinoma or psoriasis, they rarely write about the impact of that disease on the lives of their patients. … We assert there is a gap between the impact of a disease and the content of the scientific reports. To begin to address this gap we have designated 2010 as The Year of the Patient.”

Und der Autor fügt hinzu:

„… we will draw attention to the critical role of patients in the biomedical enterprise. Because it's all about patients.”

Man beachte den Ausdruck „biomedical enterprise” und das statement „it's all about patients”, die die Situation treffend kennzeichnen und die der Autor auch anderweitig kritisch betrachtet [3].

Wie in den USA befindet sich in Deutschland die Universitätsmedizin im Umbruch, ebenso wie die praktische Medizin, und beide fühlen sich offenbar überbelastet. Die Universitäten, weil für sie eine „High-tech-Forschung” zeitraubend und recht teuer geworden ist, und die praktische Heilkunde, weil vieles davon, was aus der Forschung kommt, nicht praxisnah erscheint und teilweise nicht verstanden wird. Im klinischen Alltag sind Zielvereinbarungen und benchmarking, DRGs und gesundheitsökonomische Ressourcenallokation, Kostenanalyse der Budgetgrenzen und Priorisierung, Nutzenbewertung und monetäre Umsetzung der Ressourcen, also insgesamt die Einführung des Effizienzgedankens in unserem Alltag, allmächtig geworden und überschatten den ärztlichen Beruf [4].

Das ärztliche Ethos wird nicht selten dadurch herausgefordert und Konflikte werden unvermeidbar.

In Anbetracht dieser Entwicklungen ist für die Älteren allgemeiner Konsens: Der Mediziner muss sich in diesem expandierenden Umfeld ökonomischer Zwänge möglichst abgrenzen, wenn er den Anforderungen eines guten Arztes entsprechen will; er muss sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren: Empathie für den Kranken, vertrauensvolle Arzt-Patient-Interaktion und die ärztliche Heilkunst.

So erweist sich bei näherer Betrachtung die Umsetzung des Konzeptes gute Medizin mit ökonomischem Denken zu verbinden als äußerst diffizil und aufwendig. Nicht zuletzt die Grundlagenforschung und mit ihr die Finanzierbarkeit hochmoderner, zielgerichteter Therapien, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Onkologie, stehen auf dem Spiel. Der praktizierende Dermatologe realisiert, dass die moderne Medizin sich vom Arzt und Patienten entfernt hat, denn den Patienten empathisch zu begleiten half die bisherige klinisch-experimentelle Forschung sicher nicht. Unter den Folgen, die sich heute abzeichnen, dominiert die Befürchtung, dass aus der Gesundheit eine Ware wird und aus der Medizin praktisch ein Geschäft, während die Forschung den Großforschungsinstituten und der Pharmaindustrie vorbehalten bleibt.

Der Appell des Präsidenten der deutschen Ärztekammer Professor D. Hoppe an die Ärzte geht in die gleiche Richtung [5]:

„Die Daseinsvorsorge des Staates ist den sog. Leistungserbringern im festen Rahmen eines ruinösen Preiswettbewerbs überlassen worden. Infolgedessen bedrohen Kommerzialisierung und Renditedenken die Freiberuflichkeit und das ärztliche Ethos.”

Ich denke, diese Zitate machen klar, welche Gefahren drohen und wie sehr und in welcher Richtung sich inzwischen die moderne Medizin bewegt und verändert hat.

Was mir besonders wichtig erscheint:

Neben dem klinischen Umfeld ändern sich auch die Rahmenbedingungen für die Forschung, denn gerade die medizinische Forschung ist ethischen Anforderungen unterstellt, ohne ethische Basis ist sie wertlos. Im Rahmen dieser Veränderungen scheinen die Aufgaben des Arztes als Heilkundiger sich von den Aufgaben des Forschers als Innovationsmotor zu unterscheiden.

Die Frage ist berechtigt: Bedeutet die Beschäftigung mit biotechnologischer Forschung die beste Qualifikation für den jungen Mediziner, damit er später für bessere Gesundheit und bessere Versorgung der Kranken sorgt? Hat er überhaupt die notwendigen Kapazitäten dazu im Rahmen seiner Weiterbildung? Fakt ist, dass sich die Rahmenbedingungen für die medizinische, so auch für die dermatologische Forschung verändert haben, nicht zuletzt auch das Forscherprofil: Der Medizinforscher verbringt schon heute den größten Teil seiner Zeit nicht etwa damit, die Bedürfnisse der Patienten zu überdenken, sondern Gelder zu beantragen, um die forscherische Aktivität seiner Gruppe zu ermöglichen und deren Befunde so umzusetzen, dass sie wiederum neue Mittel einbringen. Proteinmoleküle, die entdeckt werden, werden samt ihrer Kontroll-Gene patentiert und die Verkaufsrechte gesichert, ebenso die Techniken, die entsprechend vermarktet werden. Der erfahrene Forscher wird schließlich zum Manager der Forschung, während die Jüngeren eher Techniker des Wissens als Wissende werden. Von der humanistischen und sozialen Mission der forschenden Medizin ist kaum noch die Rede, bei weitem mehr von der Technologie und ihrem wirtschaftlichen Nutzen.

Aus diesen Zweifeln heraus dürfen auch die Bemühungen verstanden werden, die medizinische Ausbildung in Bachelor- und Master-Curricula zu trennen, Masterstudiengänge in medizinischer Biotechnologie in naturwissenschaftlichen Fakultäten anzubieten und dergleichen. Der Gedanke geht um, die Hochschulen soweit zu profilieren, dass man sie in „Foschungsuniversitäten” und „Professional Schools” unterscheidet. Das könnte das Ende des forschenden Arztes bedeuten.

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Perspektiven medizinischer Forschung und Forscherprofil

Wie geht man nun mit den Wandlungen und den neuen Rahmenbedingungen um, die eine postmoderne Gesellschaft für die medizinische Forschung heute bietet?

Die heutige moderne Medizin hat sich zur Aufgabe gemacht, die Forderungen und Wünsche einer hoch entwickelten, informierten und kritischen, postmodernen Gesellschaft zu erfüllen, wobei sie sich dabei der neuesten Forschungsergebnisse und neuester Biotechnologien bedient. In diesem Prozess fehlen dem Arzt vor allem Zeit und empathische Zuwendung für den Kranken. Ähnliches gilt für die Dermatologie [6], wobei die Frage aufkommt, welche Ziele realisierbar und letztlich finanzierbar sind [7]. Bereits heute hat es den Anschein, dass sich durch den Mangel an Fördermitteln immer mehr junge Ärzte von der Forschung abwenden und diejenigen, die es tun, einen großen Teil ihrer wertvollen Zeit dazu verwenden, die Mittel dafür zu generieren. Mediziner, Ökonomen, Wirtschaftsleute und Ethiker streiten sich bei verschiedenen Anlässen mit den Politikern um das Geld.

Erschwerend kommt hinzu, dass die globalen Bedürfnisse der Gesundheitsversorgung die reichen Länder des Westens herausfordern, da die Globalisierung nicht nur globaler Kapitalismus, sondern auch globale Verantwortung ist. Da die moderne Medizin extrem teuer geworden ist, soll in Deutschland während der kommenden 10 Jahre aus der medizinischen Forschung ein biomedizinischer Wirtschaftszweig entstehen, der mit „anwendungsnaher” Forschung Gewinne einbringen soll. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass der Umsatz der Biotech-Unternehmen in Deutschland in den letzten 12 Jahren um das 20-Fache zugenommen hat.

Ihrerseits sollen die deutschen Universitätsklinika Profilbildung betreiben und sich einer „anwendungsnahen” Forschung widmen, um verstärkt an die benötigten Ressourcen zu kommen. Die nichtanwendungsbezogene Forschung als Bildungsideal und Qualifikationsmerkmal bleibt außerhalb der Zukunftsplanung. Bildung und Ausbildung erweisen sich in der Medizin als kaum noch kompatibel. Nicht zuletzt als Folge davon wurde kürzlich von der Bundesregierung beschlossen, biotechnologische Forschung und genorientierte Biopharmazie mit vielen Millionen jährlich zu fördern, wobei diese Millionen als Investition zum Zwecke einer wirtschaftlichen Nutzung gedacht sind. Patente und Lizenzen sehen die Geldgeber zum Maßstab für Forschungsqualität!

Von der Bundesregierung wurde kürzlich der Beschluss ins Auge gefasst, Nationale Gesundheitszentren zu gründen, die fast ausschließlich vom Bund finanziert werden und Kernaufgaben in der medizinischen Forschung übernehmen sollen. Zentral und interdisziplinär wurden Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen, Infektionsforschung und Krebserkrankungen ausgewählt und Alterskrankheiten werden als Ziele avisiert, etwa nach Art mittelständischer biotechnologischer Betriebe. Die leistungsstärksten medizinischen Standorte in Deutschland sollen als Kooperationspartner untereinander vernetzt werden, stärker als bisher in den Sonderforschungsbereichen und den Clusters unserer sogenannten Elite-Universitäten. Dem traditionellen Nebeneinander wird keine Zukunft eingeräumt, da die Forschungskompetenz als zergliedert angesehen wurde und die Forschungspotenziale demnach besser ausgeschöpft werden sollten. Sie sollen mehr Geld einbringen, diktiert die Politik, die auch den Universitäten den Weg vorschreibt.

Unabhängig davon wie man zu diesen Entwicklungen steht, sind sie möglicherweise die ersten Schritte einer Kommerzialisierung der medizinischen Forschung, neben der Gefahr einer Kommerzialisierung der Medizin, die Ärztepräsident Hoppe mit seinem Appell aufzuhalten versucht. Aus dem Forscher soll mit aller Kraft ein erfolgreicher Kommerz-Meister werden. Bei diesen Überlegungen stehen immer wieder „anwendungsnahe” Forschungsergebnisse im Vordergrund, nämlich solche, die mit Gewinn in der Praxis umgesetzt werden können.

Kann es unter diesen Voraussetzungen gelingen, wie in einem neuen Editorial im JID gefordert wird [8], die Forschung nahe an das Krankenbett zu führen? Man kann darüber streiten, ob wir in dem Trend, der um sich greift, auf dem richtigen Weg sind. Derartige Entwicklungen könnten jedenfalls ein nahes Ende für den jungen Mediziner ankündigen, der auf dem Wege zum guten Arzt und standfesten Klinikleiter Grundlagenforschung betreibt oder betreiben möchte. Zielsetzungen des Arztes auf der einen Seite und des Medizinforschers auf der anderen bleiben nicht immer deckungsgleich; sie scheinen sich eher voneinander zu entfernen. Motivation und die vorherrschenden Denk- und Herangehensweisen sind bei den zwei Gruppen nicht identisch, wie auch die Umsetzung biotechnologischer Erkenntnisse in der Therapie nicht immer schlüssig ist, wenn sie dem Wirtschaftsdenken unterworfen wird.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Unter den Bedingungen einer postmodernen Gesellschaft scheinen Ärzte und Medizinforscher mehr als bisher auseinander zu driften. Für den jungen Mediziner wird es daher immer schwieriger, die Brücke zwischen den zwei Qualifikationen zu schlagen.

Gerade von der Medizin erwartet man heute in der Politik „anwendungsnahe” Forschungsergebnisse, doch eine solide forscherische Aktivität an der Haut definiert sich praktisch als technologisch hoch entwickelte Auseinandersetzung mit komplizierten naturwissenschaftlichen Techniken. Sie wird auch in der Zukunft von Grundlagenstudien und von umfangreichen Experimenten molekularbiologischer Ausrichtung beherrscht. Überaus komplizierte Bioassays, Mikroarrays, Massenspektroskopie, Proteinanalysen, Peptidmapping, DNA- und RNA-Isolierung und Sequenzierung, Gen-Analysen und ähnliche Techniken sind aber keine Methoden, die man als Arzt nebenher laufen lassen kann. Der junge Mediziner, der als Assistenzarzt nebenher Forschung betreiben möchte, dürfte somit ein auslaufendes Model sein. Er müsste sich auf die Forschung als solitäre Langzeitaufgabe einstellen, wenn seine Arbeit Früchte tragen soll.

Für den klinisch tätigen Arzt sind die heutigen Herausforderungen an Wissen, Zuwendung und Empathie für den Kranken immens. Es wird vermutlich nicht genügen, auf dem Weg zu besserer ärztlicher Qualifikation experimentelle Forschung wie bisher zu betreiben, etwa als Banner des Fortschritts. Für den Arzt bleibt es vordringliches Ziel, gesicherte Forschungsergebnisse nach dem hippokratischen Ethos richtig einzusetzen, ohne dem Patienten zu schaden und ihn zum Instrument der Forschung zu machen. Gleichzeitig werden die hohen Forschungskosten den heutigen Arzt weiterhin zwingen, sich ein ökonomisches health management als wichtigen Rahmen für seine berufliche Tätigkeit anzueignen. Dagegen ist nichts zu sagen, doch man muss sich dabei im Klaren sein, dass durch den Durchmarsch und Druck der Ökonomie in der Medizin der Arzt der Gefahr ausgesetzt wird, ethische Grundsätze zu vernachlässigen und Gebote der Menschlichkeit zu vergessen. Er müsste auf diesem Gebiet besser gerüstet werden. Medizinische Forschung findet ihre Rechtfertigung in der Heilkunde nur, wenn sie im Interesse des Patienten erfolgt, nicht etwa im Interesse der Wirtschaft und einer fortschreitenden und allmächtigen Kommerzialisierung.

In der Zukunft müssen gerade junge, forschende Mediziner auf die veränderten Rahmenbedingungen gründlich vorbereitet werden, um falsche Wege rechtzeitig zu erkennen und sie möglichst zu meiden. Man kann es nicht klar genug formulieren, eine „anwendungsnahe” Forschung in der Medizin ist diffizil, dazu bringt sie die Gefahr einer Konfliktsetzung mit dem ärztlichen Ethos und der Kommerzialisierung der medizinischen Forschung mit sich, ebenso wie die der klinischen Praxis.

Der ADF ist zu wünschen, dass sie sich den neuen Herausforderungen stellt und diese im Interesse der Dermatologie und der jungen Forscher bewältigt.

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Literatur

  • 1 Tijssen R JW, van Leeuven T N, van Raan A FJ. Mapping the Scientific Performance of German Medical Research.. Stuttgart: Schattauer; 2002: 1-120
  • 2 Bergstresser P R. It's all about patients.  (Editorial) J Invest Dermatol. 2010;  130 1-2
  • 3 Bergstresser P R. The importance of the coalition of skin diseases to dermatologic research.  J Invest Dermatol. 2010;  130 1193-1194
  • 4 Orfanos C E. Einführung der DRGs: Auswirkungen und Konsequenzen für die stationäre Versorgung in der Dermatologie.  Akt Dermatol. 2003;  29 223-229
  • 5 Hoppe J D. Moral ist wichtiger als Mammon.  Deutsches Ärzteblatt. 2010;  107 C7
  • 6 Orfanos C E. Dermatologische Perspektiven im 21. Jahrhundert.  Hautarzt. 2002;  53 596-603
  • 7 Orfanos C E. Stand und Perspektiven der Dermatologie in Deutschland. Sind die künftigen Aufgaben dermatologischer Forschung finanzierbar?.  JDDG. 2004;  6 434-439
  • 8 Fenyk D, Wilson J. Physicians help to move research from bench to bedside.  J Invest Dermatol. 2010;  130 2343

1 Nach einem Vortrag gehalten anlässlich der ADF-Tagung 2011 am 18. Februar 2011 in Tübingen.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Constantin E. Orfanos

Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin

Fabeckstr. 60 – 62
14195 Berlin

Email: constantin.orfanos@charite.de

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Literatur

  • 1 Tijssen R JW, van Leeuven T N, van Raan A FJ. Mapping the Scientific Performance of German Medical Research.. Stuttgart: Schattauer; 2002: 1-120
  • 2 Bergstresser P R. It's all about patients.  (Editorial) J Invest Dermatol. 2010;  130 1-2
  • 3 Bergstresser P R. The importance of the coalition of skin diseases to dermatologic research.  J Invest Dermatol. 2010;  130 1193-1194
  • 4 Orfanos C E. Einführung der DRGs: Auswirkungen und Konsequenzen für die stationäre Versorgung in der Dermatologie.  Akt Dermatol. 2003;  29 223-229
  • 5 Hoppe J D. Moral ist wichtiger als Mammon.  Deutsches Ärzteblatt. 2010;  107 C7
  • 6 Orfanos C E. Dermatologische Perspektiven im 21. Jahrhundert.  Hautarzt. 2002;  53 596-603
  • 7 Orfanos C E. Stand und Perspektiven der Dermatologie in Deutschland. Sind die künftigen Aufgaben dermatologischer Forschung finanzierbar?.  JDDG. 2004;  6 434-439
  • 8 Fenyk D, Wilson J. Physicians help to move research from bench to bedside.  J Invest Dermatol. 2010;  130 2343

1 Nach einem Vortrag gehalten anlässlich der ADF-Tagung 2011 am 18. Februar 2011 in Tübingen.

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Constantin E. Orfanos

Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin

Fabeckstr. 60 – 62
14195 Berlin

Email: constantin.orfanos@charite.de