Einleitung
Das mikrozystische Adnexkarzinom (MAK), erstmals 1982 von Goldstein
beschrieben, ist ein seltener maligner Hauttumor mit ekkriner Differenzierung
[1 ]. Es wird u. a. auch als sklerosierendes
Schweißdrüsen-Karzinom oder malignes Syringom bezeichnet
[2 ]. Charakteristisch ist ein langsames, jedoch
typischerweise weit über das klinisch vermutete Ausmaß
hinausgehendes diffuses Wachstum und das Auftreten im Kopf-Hals-Bereich
[3 ]
[4 ]. Histologisch zeichnet sich
das MAK durch einen zweischichtigen Aufbau mit oberflächlichen
Keratinzysten und tiefer gelegenen syringoiden Zellverbänden mit
umgebendem hyalinen Stroma aus [5 ]. Von kausaler
Bedeutung könnte eine chronische UV-Exposition sein [6 ]; über das Auftreten von MAK in bestrahlten
Hautgebieten liegen Fallberichte vor [6 ].
Kasuistik
Wir berichten hier über einen 71-jährigen männlichen
Patienten, der sich aufgrund einer „Feldkanzerisierung” im
Bereich des Capillitiums im September 2009 zur photodynamischen Therapie (PDT)
in unserer Klinik vorstellte. Bereits sieben Jahre zuvor war eine PDT des
Capillitiums sowie die Exzision eines Bowenkarzinoms frontal und multipler
weiterer Carcinomata in situ im Kopfbereich erfolgt. Aufgrund seiner
beruflichen Tätigkeit als Bauarbeiter war der Patient viele Jahre lang
einer starken Sonnenexposition ausgesetzt. An internistischen Erkrankungen
wurde über eine Arrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, eine arterielle
Hypertonie und eine Heparin-induzierte Thrombopenie Typ I berichtet.
Bei der klinischen Aufnahmeuntersuchung fielen neben multiplen
rauen, teils erythematösen Makulae am Capillitium parieto-occipital
infiltrierte, bräunlich krustig belegte, nicht schmerzhafte Plaques auf
([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Aufnahmebefund mit
klinischer Darstellung einer Feldkanzerisierung des Capillitiums sowie einer
stärker infiltrierten, bräunlich krustig belegten Plaque
parieto-occipital (Pfeil), die histologisch einem Bowenkarzinom entsprach.
Im Rahmen der in Intubationsnarkose erneut durchgeführten PDT
wurde die infiltrierte Hautveränderung parieto-occipital unter der
klinischen Verdachtsdiagnose eines Plattenepithelkarzinoms exzidiert.
Histologisch zeigten sich eine akanthotisch verbreiterte Epidermis
mit komplettem Verlust der physiologischen Schichtung und zahlreichen Zell- und
Kernpolymorphien sowie Pyknosen im Sinne eines Morbus Bowen bzw. initialen
Bowenkarzinoms. In der papillären Dermis fielen Keratinzysten auf und
kleinere, teils syringoide Zellverbände mit blassem Zytoplasma und
monomorphen Zellkernen ([Abb. 2 a ]).
Abb. 2 a HE-Färbung,
200-fache Vergrößerung. Akanthotisch verbreiterte Epidermis mit
Verlust der physiologischen Schichtung und zahlreichen Zell- und
Kernpolymorphien. In den oberen Dermisabschnitten Keratinzysten und kleinere,
teils syringoide Zellverbände mit blassem Zytoplasma und monomorphen
Zellkernen. b HE-Färbung, 400-fache
Vergrößerung. Kleine, teils tubuläre Epithelverbände mit
vereinzeltem Nachweis von eosinophilem Sekret in hyalinisiert-fibrosiertem
Stroma.
In der retikulären Dermis fanden sich ebenfalls kleine, teils
tubuläre Epithelverbände in fibrosiertem Stroma mit vereinzeltem
Nachweis von eosinophilem Sekret ([Abb. 2 b ]). Es wurde die Diagnose eines
mikrozystischen Adnexkarzinoms (MAK) in Kollision mit einem Bowenkarzinom in
chronisch lichtgeschädigter Haut gestellt – beides nach der ersten
Exzision non in sano.
Nach Vorlage der histologischen Befunde erfolgte zunächst der
Versuch einer operativen Sanierung des MAK in einem mehrzeitigen Vorgehen mit
histografischen Schnittrandkontrollen. Nach insgesamt 9 Exzisionen mit dem
Ergebnis einer kompletten Entfernung des Capillitiums mit einer
Defektgröße von ca. 25 cm × 20 cm ([Abb. 3 ]) bestand zwar eine R0-Situation bzgl. des
Bowenkarzinoms, aber immer noch eine R1-Situation des MAK in frontotemporaler
Richtung.
Abb. 3 Operationssitus nach
insgesamt 9 Exzisionen mit jeweils mikrografisch-kontrollierter Chirurgie.
R1-Situation des mikrozystischen Adnexkarzinoms nach frontotemporal links.
Das Erreichen einer vollständigen Exzision des MAK wurde
zunehmend unwahrscheinlich und wäre allenfalls nur durch eine
gesichtsentstellende weitere Operation zu erreichen gewesen, d. h.
Entfernung von Stirnhaut und Augenbrauen. Nach ausführlicher
Erörterung des Befundes mit dem Patienten und nach Einholung eines
strahlentherapeutischen Konsils entschieden wir uns bei relativer
Inoperabilität des MAK für eine Radiatio nach vorherigem
Defektverschluss.
Im Januar 2010 erfolgte der Defektverschluss nach ausreichender
Wundkonditionierung mit Polyvinylalkohol-Schwamm mittels
Spalthauttransplantation von beiden ventralen Oberschenkeln und nachfolgender
V.A.C.-Therapie für eine Woche. Nach Abschluss der Wundheilung ([Abb. 4 a ] u. [b ]) erfolgten zunächst Ausbreitungsbiopsien nach
frontotemporal links in einem Abstand von 2 – 3 cm
zum ehemaligen Wundrand. Histologisch waren hierbei keine Anteile des MAK mehr
nachweisbar.
Abb. 4 Abschluss der operativen
Maßnahmen 27 Tage (a ) bzw. 6 Monate (b ) nach Defektverschluss mittels
Spalthauttransplantation.
Von 02 / 2010 bis 04 / 2010 wurde das
perioperative Areal mit einem Abstand von 3 cm um das Transplantat
zirkulär bestrahlt. Die Strahlendosis betrug insgesamt 66 Gy
à 2 Gy ED, wobei nach konventioneller Bestrahlungsplanung eine
Stehfeldtechnik mit insgesamt 3 Feldern mit Elektronen der Grenzenergie
8 MeV zur Anwendung kam.
Da kontroverse Daten zur Effektivität der Strahlentherapie beim
MAK vorliegen, wurden mit dem Patienten engmaschige klinische Kontrollen sowie
regelmäßige Re-Biopsien vereinbart. Bei Wiedervorstellung im
September 2010 erfolgten die ersten bioptischen Kontrollen, die keinen Anhalt
für ein Rezidiv des MAK zeigten.
Diskussion
Das MAK ist ein seltener, häufig über Jahre langsam und
typischerweise weit über das klinisch vermutete Ausmaß hinaus dermal
wachsender Tumor der ekkrinen Schweißdrüsen. Bisher wurden in der
Literatur lediglich ca. 300 Fälle beschrieben [7 ].
Es wird ein diffus infiltrierendes Wachstumsmuster beobachtet. Die typische
Lokalisation ist der zentrofaziale Bereich mit einem möglichen
Überwiegen der linken Gesichtshälfte, das mediane Manifestationsalter
liegt bei 65 Jahren (19 – 90 Jahre) [3 ]. Ausgehend von der bislang größten
Fallsammlung von 48 Fällen besteht eine gewisse Bevorzugung des weiblichen
Geschlechts (2 : 1) [3 ].
Histologisch ist das MAK durch einen zweischichtigen Aufbau
charakterisiert. Das „benigne” histologische Erscheinungsbild des
Tumors in der oberen Dermis mit Hornzysten kann zu Fehldiagnosen, wie
Trichoadenom, desmoplastisches Trichoadenom, Trichoepitheliom, aber auch
Syringom Anlass geben. Erst die teils nestartig, überwiegend aber
strangartig tubulär angeordneten Epithelverbände mit umgebendem
hyalin-fibrosierten Stroma sowie das infiltrative Wachstumsmuster mit
häufig vorzufindender Perineuralscheideninfiltration in den tieferen
Abschnitten sind für die Diagnose MAK wegweisend. Meist sind keine
Zellatypien nachweisbar. Daher ist zur Klärung der genannten
Differenzialdiagnosen immer eine tiefe Exzisionsbiopsie unbedingt
erforderlich.
Als Therapie der ersten Wahl wird die vollständige Exzision des
Tumors mit mikrografisch kontrollierter Chirurgie empfohlen [3 ]
[7 ]. Hierbei konnte gezeigt werden,
dass die endgültige Exzidatgröße einer großen Streuung
unterliegt und im Median das 4-fache Areal der primären Exzision
beträgt [3 ]. Ein Sicherheitsabstand bei
primärer Exzision ist daher nicht definiert.
Zur Ätiopathogenese ist bisher wenig bekannt. Es wird
angenommen, dass sich die Tumorzellen aus pluripotenten Keratinozyten mit der
Fähigkeit zur adnexiellen Differenzierung entwickeln [7 ]. In einzelnen Studien wurde, wie bereits erwähnt,
die Bevorzugung der linken Gesichtshälfte beschrieben. Hieraus wurde von
einigen Autoren abgeleitet, dass der Tumor durch UV-Strahlen induziert werden
könnte, da die linke Gesichtshälfte mehr der Sonne ausgesetzt sei
(z. B. beim Autofahren) [3 ]. In einzelnen
Fällen wurde auch die Entstehung von MAK in vorbestrahlten Gebieten
beschrieben. Auch sehen einige Autoren einen möglichen Zusammenhang
zwischen dem Auftreten des MAK und Immunsuppression [7 ].
Das Außergewöhnliche am vorliegenden Fall war einerseits
die extreme Ausdehnung des Befundes vom Nacken bis in den Gesichtsbereich, die
in dieser Form nur selten beschrieben wurde [4 ]. Zum
anderen wurde sieben Jahre vor Diagnosestellung des MAK eine PDT bei
histologisch nachweislicher Feldkanzerisierung des Capillitiums
durchgeführt, damals ohne irgendeinen Hinweis auf ein MAK. Ein kausaler
Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines MAK und vorausgehender PDT, der hier
nicht völlig ausgeschlossen werden kann, wurde bislang in der Literatur
nicht beschrieben. Allerdings ist die kumulative UV-Exposition als potenzieller
Faktor sowohl für die aktinische Schädigung als auch für die
Induktion des MAK möglicherweise bedeutsam [7 ].
Andererseits lässt das Befundausmaß des MAK auf ein bereits
jahrelanges Wachstum schließen, sodass der Einfluss der PDT fraglich
bleibt.
Das Vorgehen bei inoperablem MAK, wie im vorliegenden Fall, ist
nicht standardisiert. Zum Einsatz und zur Effektivität der
Strahlentherapie liegen wenige und kontroverse Daten vor. In einem Fallbericht
von Stein et al. wird nach einer anfänglichen Regression des Tumors 6
Monate nach Radiatio die Induktion einer aggressiveren Tumorentität
beschrieben [8 ]. In einem weiteren Fallbericht wird die
vollständige Abheilung eines MAK im Bereich der Unterlippe nach alleiniger
Radiatio geschildert [9 ]. Zur adjuvanten Strahlentherapie
mit mindestens 50 Gy und einer Sicherheitszone von
3 – 5 cm, auch bei R1-Situation, berichtet eine
aktuelle Publikation über eine Tumorkontrollrate von 98 %.
Bei dieser retrospektiven Analyse von 14 Fällen wurden keine
Transformationen mit aggressiverem Wachstum beobachtet [10 ].
Bei unserem Patienten besteht aktuell ein halbes Jahr nach
Durchführung der Strahlentherapie Rezidivfreiheit. Das Auftreten von
Rezidiven des MAK wurde jedoch noch nach bis zu 30 Jahren beschrieben
[11 ], sodass wir eine klinische Nachsorge zumindest in
halbjährlichen Abständen und Re-Biopsien im weiteren Verlauf vorsehen
werden.