Einteilung
Nach der klinischen Symptomatik und den betroffenen Organsystemen lassen sich paraneoplastische Syndrome in endokrine, hämatologische, neurologische, dermatologische, skelettale, renale, metabolische und kollagenose-vaskulitische Syndrome einteilen mit der Kachexie und Fatigue als Sondergruppe konstitutioneller Syndrome [2]
[4]. [Tab. 1] gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Syndrome. Da die meisten Raritäten darstellen, werden im Folgenden nur die häufigeren und klinisch relevanteren Syndrome dargestellt.
Tab. 1 Paraneoplastische Syndrome beim Lungenkarzinom (nach [2]
[4]
[63]).
Gruppe | Häufig | Selten |
Endokrin | Hyperkalziämie SIADH EAS Cushing-Syndrom | Akromegalie Gynäkomastie Karzinoid-Syndrom hypokaliämische Alkalose Hypophosphatämie Hyperthyreodimus Hypoglykämie Hyperkalzitoninämie erhöhtes LH und FSH |
Hämatologisch | Anämie* Polyzythämie | Leukozytose mit Eosinophilie Leukämoide Reaktion Thrombozytose/-penie Amyloidose |
Neurologisch | periphere Neuropathie zerebelläre Degeneration LEMS | Mononeuritis multiplex Enzephalomyelitis nekrotisierende Myelopathie tumorassoziierte Retinopathie Myasthenia gravis Guillain-Barré-Syndrom Opsoklonus-Myklonus subakute Myelopathie intestinale Pseudoobstruktion |
Dermatologisch | Akanthosis nigricans | Erythema gyratum repens Erythema multiforme Tylosis Erythroderma Sweet-Syndrom nekrolytisches migrierendes Erythem exfoliative Dermatitis Pruritus und Urtikaria Hypertrichichosis languinosa |
Kollagenose-vaskulitisch | Dermatomyositis | SLE Polymyositis Vaskulitis |
Renal | | Glomerulonephritis nephrotisches Syndrom |
Koagulopathisch | Thromboembolie | Thrombophlebitis DIG thrombotische Mikroangiopathie Trosseau-Syndrom |
Skelettal | Trommelschlegelfinger HPO | |
Metabolisch | | Laktatazidose Hyporurikämie |
Konstitutionell | Kachexie Fatigue Fieber | |
SIADH: Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion. EAS: Ektopes ACTH-Syndrom. Lutenisierendes Hormon. FSH: Follikel-stimulierendes Hormon. LEMS: Lambert-Eaton myasthenisches Syndrom. SLE: Systemisches Lupus erythematodes. DIG: Disseminierte intravasale Gerinnung. HPO: Hypertrophe pulmonale Osteoarthropathie. * Eine Anämie kann als chronische mikrozytäre, hypochrome Tumoranämie auftreten. Daneben kann auch eine autoimmunhämolytische oder eine mikroangiopathische hämolytische Anämie entstehen. |
Endokrine Syndrome
Lungenkarzinome sezernieren häufig Hormone wie adrenocroticotropes Hormon (ACTH), antidiuretisches Hormon (ADH), Calcitonin, Oxytocin und Parathormon related peptide (PTHrP). Trotz erhöhter Serumkonzentrationen entwickelt nur ein Teil der Patienten klinische Symptome.
Hyperkalziämie
Eine Hyperkalziämie ist ein häufiger laborchemischer Befund bei Malignompatienten. Die Prävalenz schwankt zwischen 2 und 6 % bei der Erstdiagnose und 8 bis 12 % im Verlauf der Erkrankung [6]. In einer japanischen Studie an 1149 Patienten mit Lungenkarzinom wurde in 6 % der Fälle eine Hyperkalziämie beschrieben [7]. 51 % der Hyperkalziämiepatienten hatten ein Plattenepithelkarzinom, 22 % hatten ein Adenokarzinom und 15 % hatten ein kleinzelliges Lungenkarzinom. In der Mehrzahl lag ein fortgeschrittenes Stadium vor (III oder IV), und die mediane Überlebenszeit war mit 3,8 Monaten sehr kurz [7]. Erhöhte PTHrP-Plasmakonzentrationen finden sich in ca. 80 % aller Patienten mit einer Hyperkalziämie [8].
Tumore können neben PTHrP auch Calcitriol und Zytokine wie beispielsweise den Osteoklasten-aktivierenden Faktor (osteoclast activating factor) sezernieren. Moseley und Mitarbeiter beschrieben die Expression von PTHrP in Lungenkrebszellen [9]. PTHrP weist eine 70 %ige Homologie mit PTH am N-terminalen Ende auf. Beide, PTH und PTHrP, binden an einen gemeinsamen PTH/PTHrP-Rezeptor und haben ähnliche biologische Eigenschaften [10]
[11]. Interessanterweise wird PTHrP auch in normalem Gewebe exprimiert, sodass PTHrP offenbar auch physiologische Funktionen hat [12]
[13]
[14]. Der PTH-Rezeptor ist ein G-Protein-gekoppelter Rezeptor [15], der intrazellulär die Bildung von cAMP and Inositoltriphosphat bewirkt [16]
[17].
PTH stimuliert die Knochenresorption durch Osteoklasten und fördert die Kalziumreabsorption. Gleichzeitg hemmt es die Phosphatreabsorption in den Nierentubuli. Durch PTH-vermittelte Stimulation der renalen 1α-Hydroxylase wird vermehrt Calcitriol (1,25-(OH)2-D3) gebildet. Calcitriol wiederum fördert die Resorption von Kalzium und Phosphat aus dem Gastrointestinaltrakt. Im Gegensatz zu PTH bewirkt PTHrP keine Steigerung des Kalziumspiegels im Serum. Es fördert auch die Bildung und Progression von Knochenmetastasen. Darüber hinaus reguliert PTHrP das Wachstum von Krebszellen und ist ein wichtiger Faktor für das Überleben dieser Zellen [18]
[19]
[20]
[21].
Obwohl PTHrP in der Mehrzahl der Fälle für die Hyperkalziämie verantwortlich ist, ist auch eine ektope Produktion von PTH beim kleinzelligen und beim Plattenepithelkarzinom der Lunge beschrieben worden [22]
[23]. Im Gegensatz zu hämatologischen bösartigen Erkrankungen scheint die extrarenale Bildung von Calcitriol keine bedeutende Rolle in der Entstehung der paraneoplastisch bedingten Hyperkalziämie bei Lungenkarzinomen zu spielen, obwohl SCLC-Zelllinien Calcitriol bilden können [24]
[25]. Eine Reihe von Zytokinen wie IL-1, IL-6, Transforming Growth Factor (TGF)-α, Tumor necrosis factor (TNF)-α und Granulocyte colony stimulating factor (G-CSF) können über eine Stimulation der Osteoklasten die Knochenresorption steigern [14]
[26]
[27]
[28]. Interessanterweise scheinen auch beim Vorliegen von Knochenmetastasen hormonelle Mechanismen für die Hyperkalziämie verantwortlich zu sein [29]
[30].
Die typischen klinischen Symptome einer Hyperkalziämie umfassen Anorexie, Nausea, Erbrechen, Polyurie, Polydipsie, Dehydratation und Lethargie. Unbehandelt führt die Hyperkalziämie zum Koma. Ein Nierenversagen und eine Nephrokalzinose können als Spätmanifestationen ebenfalls auftreten. Eine Therapie sollte bei symptomatischen Patienten mit einem Serumkalziumwert ≥ 3 mmol/l eingeleitet werden. Sie umfasst die Flüssigkeitssubstitution zur Rehydrierung und die forcierte Diurese (mit einem Schleifendiuretikum). Darüber hinaus kommen Biphosphonate zum Einsatz [31].
SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion)
Ein SIADH mit klinischer Symptomatik durch die exzessive Produktion von ADH (antidiuretisches Hormon) kommt bei ca. 10 % aller Patienten vor [32]. Erhöhte Serumspiegel von ADH können bei 30 bis 70 % aller Patienten mit einem Lungenkarzinom nachgewiesen werden [33]. Allerdings führen erhöhte ADH-Konzentrationen nicht immer zu einer klinischen Symptomatik [34]
[35]
[36].
Die Symptomatik des SIADH reicht von Anorexie, Übelkeit und Erbrechen bis zu Verwirrungszuständen, Krämpfen, Somnolenz und Koma. Ein schneller Abfall der Natriumkonzentration im Serum kann ein Hirnödem verursachen. Klinische Symptome treten bei Natriumserumkonzentrationen unter 125 mmol/l auf. List und Mitarbeiter fanden in einer retrospektiven Analyse von Patienten mit SIADH eine mittlere Natriumkonzentration im Serum von 117 mmol/l [32].
Die Hyponatriämie im Rahmen eines SIADH ist offenbar ein wichtiger prognostischer Faktor beim kleinzelligen Lungenkarzinom. Hansen und Kollegen untersuchten retrospektiv 453 Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom [37]. Patienten mit erniedrigten Natriumserumkonzentrationen hatten signifikant kürzere mediane Überlebenszeiten als die Patienten mit normalen Werten (7,1 Monate vs. 11,2 Monate).
Das SIADH wird biochemisch über die verminderte Natriumkonzentration im Serum mit verminderter Plasmaosmolalität in Kombination mit einer erhöhten, inappropriaten Urinosmolalität und persistierender Natriumausscheidung definiert. Neben ADH sind auch andere Hormone wie beispielsweise ANP (atriales natriuretisches Hormon) als mögliche Mediatoren in Pathogenese des SIADH diskutiert worden. Allerdings wurden konsistent nur erhöhte ADH-Konzentrationen bei Malignompatienten nachgewiesen [38].
ADH wird physiologischerweise von dem Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse) sezerniert. Beim paraneoplastischen SIADH können auch Tumorzellen ADH freisetzen [36]. Ein anderer möglicher Mechanismus ist die inappropriate Stimulation der Freisetzung von ADH aus dem Hypothalamus durch periphere Barorezeptoren [38]. ADH (auch als Vasopressin bezeichnet) bindet an Vasopressin (V)2-Rezeptoren, die an der basolateralen Seite der Epithelzellen in den Sammelrohren der Niere lokalisiert sind. Als Folge wird die Genexpression von Aquaporin-2 und der Einbau von präformierten Aquaporin-Wasserkanälen in die apikale Zellmembran gesteigert. Durch die Aquaporin-Kanäle wird vermehrt Wasser resorbiert [39]. Die Identifizierung der V2-Rezeptoren hat zur Entwicklung von Antagonisten, den Vaptanen, geführt, die therapeutisch beim SIADH eingesetzt werden können (s. unten).
Ein interessanter Aspekt beim SIADH ist die Entwicklung eines partiellen „ADH-Escape”-Phänomen. Dies schützt den Organismus vor einer fortlaufenden Flüssigkeitsretention [40]. Typischerweise beträgt die zusätzliche Flüssigkeitsmenge beim SIADH auch nur 2 – 3 l und es finden sich auch keine Ödeme oder Anasarka.
Obwohl die Konzentration oder der Effekt von ADH beim SIADH inadäquat sind, weisen bis zu einem Drittel der Patienten im Verlauf eine Sollwertverstellung ihrer Osmolalität nach unten auf [41]. Diese Patienten haben typischerweise stabile Natriumwerte im Plasma zwischen 125 mmol/l und 135 mmol/l. Es ist wichtig, diese Patienten mit einem neuen, stabilen Sollwert für die Natriumkonzentration zu identifizieren. Die Korrektur dieser Hyponatriämie ist unnötig und höchstwahrscheinlich ineffektiv, da eine Erhöhung der Plasmaosmolalität bei diesen Patienten nur zu vermehrter ADH-Sekretion und Durst führen wird.
In der oben zitierten Studie von List und Mitarbeitern führte eine Chemotherapie in 80 % der Fälle in kurzer Zeit (weniger als drei Wochen) zu einer Resolution des SIADH [32]. Adjuvante Therapiemaßnahmen umfassen die Flüssigkeitsrestriktion auf 800 – 1000 ml pro Tag in milden Fällen. In schweren Fällen wird die Infusion hypertoner Kochsalzlösung empfohlen (z. B.: 200 – 300 ml 5 % NaCl in 3 – 4 h). Mit den Vaptanen als V2-Rezeptor-Antagonisten steht eine weitere, wirksame Behandlungsoption zur Verfügung. In Deutschland ist Tolvaptan zur Behandlung des SIADH zugelassen. Die Wirkung von Tolvaptan bei einer Hyponaträmie wurde im SALT-1 und SALT-2 gezeigt [42]. In diesen Multicenter-Studien wurde der Effekt von Tolvaptan (n = 225) mit Plazebo (n = 223) an Patienten mit einer Hyponaträmie verglichen. Tolvaptan führte zu einer signifikanten Zunahme der Natriumkonzentration im Plasma mit Durst, Mundtrockenheit und gesteigerter Diurese als häufigsten Nebenwirkungen.
Ektopes ACTH-Syndrom und Cushing-Syndrom
In bis zu 50 % aller Lungenkrebspatienten (fast immer kleinzelliges Karzinom) finden sich erhöhte ACTH-Serumspiegel [43]
[44]. Ein manifestes Cushing-Syndrom ist jedoch sehr viel seltener [45]. Es wird auch selten in voller klinischer Ausprägung beobachtet. Am häufigsten kommt es zu peripheren Ödemen, proximaler Mypopathie, Vollmondgesicht, Gewichtsverlust, hypokaliämischer Alkalose und Hyperglykämie [46].
Grundsätzlich kann das ektope ACTH-Syndrom (EAS) in zwei Typen eingeteilt werden: eins mit nachgewiesener, klinisch manifester Tumorerkrankung und eins mit einem okkulten Neoplasma [47]. Das Cushing-Syndrom beim kleinzelligen Lungenkarzinom ist ein typischer Vertreter der ersten Gruppe, wohingegen das Bronchuskarzinoid ein klassischer Vertreter eines okkulten Tumors ist, der ein EAS auslöst.
Kleinzellige Lungenkarzinome mit EAS sind gegenüber Chemotherapie resistenter. Zusätzlich führt der Hyperkortisolismus in vielen Fällen zu lebensbedrohlichen Komplikationen im Rahmen der Chemotherapie, die die Prognose verschlechtern [47]. In einer retrospektiven Studie an 545 Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom fanden Shepherd und Mitarbeiter 23 Patienten (4,5 %) mit einem Cushing-Syndrom und ektoper ACTH-Produktion [46]. In dieser Patientengruppe lag die Ansprechrate der Chemotherapie nur bei 46 % und das mediane Überleben bei 3,57 Monaten.
Einige Patienten mit einem Cushing-Syndrom haben normale ACTH-Konzentrationen im Serum [48]. In dieser Patientengruppe finden sich teilweise erhöhte Konzentrationen von ACTH-Vorläufermolekülen wie dem Proopiomelanocortin (POMC). Physiologischerweise wird ACTH in den Zellen des Hypophysenvorderlappens aus POMC gebildet („Cleavage”). Die Prozessierung von ACTH ist in anderen Zellen wahrscheinlich wesentlich ineffektiver. POMC-exprimierende Zellen können ACTH-Vorstufen und ACTH-ähnliche Peptide sezernieren. ACTH-Vorstufen können im Serum von Patienten mit EAS detektiert werden [49]. Neben SCLC-Zellen exprimieren auch Bronchuskarzinoidzellen POMC [50]
[51]
[52].
Die Therapie des EAS bzw. des paraneoplastischen Cushing-Syndroms besteht in der Behandlung des zugrunde liegenden Tumors. In der Mehrzahl der Fälle ist durch die Therapie des Malignoms eine Rückbildung der paraneoplastischen Symptome zu erwarten. Besteht die Möglichkeit, sollte eine Resektion des Primärtumors erwogen werden, da diese die Symptomatik komplett beseitigt.
Hämatologische Syndrome
Bei Lungenkrebspatienten finden sich oft hämatologische Auffälligkeiten in Form von Anämie, Leukozytose, Thrombozytose und/oder Eosinophilie. Insbesondere eine Anämie ist ein sehr häufiger Befund bei einer Krebserkrankung. In einer Untersuchung lag die Rate der unbehandelten Lungenkrebspatienten mit einer Hämoglobinkonzentration unter bzw. bis 12 g/dl bei 38 %. 80 % der Patienten, die eine Chemotherapie erhielten, waren zu einem Zeitpunkt anämisch [53]. Im Durchschnitt weisen mehr als ein Drittel aller Patienten nach drei Zyklen einer Chemotherapie eine Anämie auf [54]. Mehrere Faktoren spielen bei der Entstehung einer Anämie bei Tumorerkrankungen eine Rolle. Neben Blutungen, Hämolyse, Infiltration des Knochenmarks durch maligne Zellen und Malnutrition können Zytokine wie TNF-α, IL-1, IL-6 und Interferon (IFN)-γ die Erythropoese inhibieren und damit über die verminderte Bildung von Erythrozyten eine Anämie verursachen. Natürlich ist die myelotoxische Nebenwirkung einer Chemotherapie einer der häufigsten Gründe für eine Anämie bei Tumorpatienten [55]. Eine Anämie im Rahmen einer Krebserkrankung sollte mit dem Ziel einer Verbesserung der Lebensqualität behandelt werden. Neben der Transfusion stehen Erythropoese-stimulierende Substanzen zur Verfügung, deren Nutzen aber nicht ganz sicher ist. In einer Cochrane-Metaanalyse an 13 933 Patienten in 53 Studien fand sich eine Steigerung der Mortalität und verkürzte Überlebenszeit in der Gruppe der Patienten, die Epoetin oder Darbepoetin erhielten [56]. Eine neuere Metaanalyse konnte dagegen keine signifikante Verschlechterung der Prognose durch die Gabe dieser Substanzen nachweisen [57]. Die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zum Lungenkarzinom gibt Erythropoetin als mögliche Therapie zur Vermeidung von Transfusionen bei anämischen Patienten mit Lungenkarzinom unter Chemotherapie an, wobei der Zielwert für Hämoglobin bei maximal 12 g/dl liegen sollte [58]. Auf ein mögliches erhöhtes Risiko thrombembolischer Komplikationen sollte hingewiesen werden, ebenso auf einen möglichen negativen Einfluss auf das Überleben. Vom Einsatz von Erythropoetin zur Behandlung der Tumoranämie bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, die keine zytostatische Therapie erhalten, wird außerhalb von Studien abgeraten [58].
Das Lungenkarzinom kann über die Bildung von G-CSF (granulocyte-colony stimulating factor) die Leukozytopoese steigern und somit eine Leukozytose verursachen [59]. Weiterhin konnte auch eine Assoziation der Bildung von GM-CSF (granulocyte macrophage-CSF) und IL-6 durch Lungenkarzinome mit dem Auftreten einer Leukozytose nachgewiesen werden [60]
[61].
Koagulopathien
Beim Lungenkarzinom findet sich eine Reihe unterschiedlicher Koagulopathien. Hierzu gehören das Trousseau-Syndrom (wandernde oberflächliche Thrombophlebitis), Thrombose der tiefen Venen und Thrombophlebitis, die disseminierte intravasale Gerinnung (DIG), die thrombotische Mikroangiopathie und die nicht-thrombotische Mikroangiopathie. Die Inzidenz von venösen Thromboembolien (VTE) liegt für Krebspatienten bei 40 – 100 Fällen pro 1000 Personenjahren, verglichen mit 1 – 2 Fällen pro 1000 Personenjahren in der allgemeinen Bevölkerung [62]. In einer Studie von Chew und Kollegen an 91 933 Patienten mit einem neu diagnostizierten Lungenkarzinom erlitten 3 % innerhalb von zwei Jahren eine VTE [63]. Das Auftreten einer VTE war dabei mit einem höheren Mortalitätsrisiko innerhalb der nächsten zwei Jahre assoziiert. Dies galt sowohl für kleinzellige als auch nicht-kleinzellige Karzinome. Lungenkrebs ist einer der größten Auslöser von VTE [64].
Pathophysiologisch spielen bei der Gerinnungsaktivierung durch Tumorzellen zwei Faktoren eine wichtige Rolle: Gewebefaktor (Tissue factor, TF) und prokoagulatorischer Faktor vom Malignom (cancer procoagulant, CP) [65]. Humanes TF ist ein physiologischer Aktivator der Blutgerinnung. Im nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom findet sich eine gesteigerte Expression von TF und alternativen Splicevarianten [66]. Offenbar korreliert die Expression von TF mit der Prognose. Biologisch aktive Mikropartikel, die TF enthalten, sind im Blutkreislauf von Krebspatienten nachgewiesen worden. Diese Partikel stammen möglicherweise aus dem Tumor. Durch die Mikropartikel-vermittelte TF-Aktivität ergibt sich eine Verbindung zwischen Krebserkrankung und Thrombose. Hier scheint ein wichtiger Faktor in der Pathogenese des prothrombotischen Zustands bei Krebspatienten zu liegen [62].
Grundsätzlich sollten thrombembolische Ereignisse bei Krebspatienten in gleicher Weise wie bei anderen Ätiologien behandelt werden. Ein Problem bei der Antikoagulation können ein zentral wachsender Tumor mit Blutungsneigung oder Hirnmetastasen darstellen. Die Daten aus der Literatur weisen auf eine Überlegenheit von niedermolekularem Heparin (low molecular weight heparin, LMWH) über unfraktioniertes Heparin bei der initialen Therapie einer VTE hin [67]. In der Langzeittherapie reduzieren LMWH die Rate an VTE, beeinflussen aber nicht die Mortalität im Vergleich zur Therapie mit oralen Antikoagulanzien [67]. Bei Krebspatienten mit vorherigen thrombolischen Ereignissen verlängert Heparin das Überleben. Dies gilt insbesondere für Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom im Stadium Limited Disease [68]. Dagegen scheint eine orale Antikoagulation das Leben nicht zu verlängern. Nur für Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom im Stadium Extensive Disease ergibt sich durch eine orale Antikoagulation offenbar ein Überlebensvorteil von sechs Monaten [68].
Im Zusammenhang mit thrombembolischen Ereignissen beim Lungenkarzinom sind auch Therapie-induzierte VTE zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die neuen Substanzen wie beispielsweise den Anti-VEGF (vascular endothelial growth factor)-Antikörper Bevacizumab. Eine Metaanalyse von Nalluri und Kollegen wertete die Verläufe von 7956 Patienten mit soliden Tumoren aus 15 klinischen Studien aus [69]. Patienten, die mit Bevacizumab behandelt wurden, hatten gering, aber signifikant erhöhtes Risiko fur eine VTE (Relatives Risiko: 1,31).
In einer anderen Studie wurden die Daten von 1978 Patienten aus drei klinischen Studien ausgewertet [70]. Patienten, die eine Chemotherapie erhielten, erlitten öfter eine VTE als Patienten, die keine Therapie erhielten. Dies war unabhängig vom Stadium der Erkrankung. Für eine Therapie mit Erlotinib war kein Unterschied zwischen Behandelten und Unbehandelten zu erheben.
Skelettale Syndrome
Trommelschlegelfinger und hypertrophe pulmonale Osteoarthropathie (HPO, Marie-Bamberger-Syndrom) gehören zu den häufigsten paraneoplastischen skelettalen Syndromen ([Abb. 1]). Sie finden sich am häufigsten beim Plattenepithel- sowie beim Adenokarzinom [6]. Trommelschlegelfinger treten in allen Tumorstadien auf und sind häufiger als eine HPO. Sridhar und Kollegen beschrieben Trommelschlegelfinger in 32 von 111 Patienten mit histologisch gesichertem Lungenkarzinom (29 %) [71]. Frauen waren häufiger als Männer betroffen [71]. Bei Erwachsenen sind Trommelschlegelfinger in mehr als 80 % der Fälle Ausdruck einer malignen Grunderkrankung [6]. Die Angaben zur Häufigkeit der HPO schwanken. Stenseth und Kollegen untersuchten retrospektiv 1888 Patienten mit einem primären oder sekundären Tumor der Lunge [72]. Die Rate der HPO lag in der Studie bei 10 % (Adenokarzinom: 11,8 %; Plattenepithelkarzinom: 9,4 %; großzelliges Karzinom: 14,2 %; kleinzelliges Karzinom: 5 %). In einer anderen Studie lag die Rate der HPO infolge eines kleinzelligen Lungenkarzinoms unter 1 % [73].
Abb. 1 Trommelschlegelfinger (a) bei einem Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom im linken Lungenunterlappen (b).
Trommelschlegelfinger sind klinisch durch eine Schwellung der terminalen Phalangen der Hände oder Füße gekennzeichnet. Die HPO manifestiert sich als systemische Erkrankung mit schmerzhafter symmetrischer Arthropathie, die typischerweise die Sprung- und Hüftgelenke betrifft, und periostaler Knochenneubildung an den distalen Extremitäten (Tibia, Fibula, Radius, Ulna). Die Patienten beschreiben einen tief sitzenden Schmerz als Folge der Periostitis. Die Gelenke sind schmerzhaft und hyperämisch [2].
Die genaue Pathogenese für die Entstehung von Trommelschlegelfingern und der HPO ist unbekannt. Bei Trommelschlegelfingern findet sich eine Proliferation von Bindegewebe in unmittelbarer Nähe der Nagelmatrix. Bei der HPO können Hyperplasie der Gefäße, Ödembildung sowie exzessive Proliferation von Fibroblasten und Osteoblasten histochemisch nachgewiesen werden [74]. Neurogene, hormonelle und vaskuläre Mechanismen sind in der Vergangenheit diskutiert worden [75]. Neuere Untersuchungen weisen auf eine wichtige Rolle von PDGF und insbesondere VEGF in der Pathogenese von Trommelschlegelfingern und HPO hin [76]. Olan und Kollegen berichteten von dem Fall einer jungen Lungenkrebspatientin mit HPO. Die Serumkonzentration von VEGF war bei der Patientin erhöht. Nach der chirurgischen Entfernung des Tumors fielen die VEGF-Werte und die HPO verschwand. Die histochemische Untersuchung des Resektats zeigte die Expression von VEGF-mRNA, was auf eine ektope Produktion von VEGF hinwies [77]. In einer anderen Studie untersuchten Silveira und Kollegen 24 Patienten mit HPO [78]. 7 Patienten dieser Gruppe hatten ein Lungenkarzinom. Die VEGF-Serumkonzentrationen der Patienten mit einem Lungenkarzinom und HPO lagen signifikant höher als in einer Vergleichsgruppe von Lungenkrebspatienten ohne HPO. Interessanterweise wurden kürzlich zwei Fälle von Patienten mit kolorektalen Karzinomen beschrieben, die unter einer Langzeittherapie mit dem Anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab Trommelschlegelfinger und HPO entwickelten [79]. Diese Beobachtung wirft neue Fragen zur Rolle von VEGF in der Pathogenese der Trommelschlegelfinger und der HPO auf. Auch Prostaglandine (PG) und insbesondere PG E2 scheinen in die Pathogenese der HPO involviert zu sein. Uppal und Mitarbeiter konnten bei primärer HPO Mutationen in der 15-Hydroxyprostaglandin-Dehydrogenase und erhöhte PG-E2-Konzentrationen nachweisen [80]. Inwieweit dies für die paraneoplastische HPO gilt und ob durch eine Hemmung von PG E2 eine therapeutische Beeinflussung möglich ist, bleibt abzuwarten.
Die Symptome einer HPO können nach einer Resektion des Tumors verschwinden. Bei inoperablen Patienten besteht die übliche Therapie in der Gabe von nicht-steroidalen Antiphlogistika oder Biphosphonaten [81].
Kollagenose- und Vaskulitis-Syndrome
Bei den Kollagenosen sind die Dermatomyositis und die Polymyositis am häufigsten mit einem Malignom assoziiert: in 40 % aller Fälle. Neben dem Ovarialkarzinom ist das kleinzellige Lungenkarzinom das häufigste Malignom [82]. In einer retrospektiven Untersuchung an 24 Patienten mit Dermatomyositis/Polymyositis und Lungenkrebs trat die paraneoplastische Symptomatik im Allgemeinen vor der Entdeckung des Malignoms auf und ein kleinzelliges Karzinom war der häufigste histologische Typ [83]. Auf der anderen Seite könnten auch Kollagenosen selbst einen Risikofaktor für die Entstehung eines Malignoms darstellen. In einer retrospektiven Studie an 153 Patienten mit einer Kollagenose und einem Lungenkarzinom konnte eine Beziehung zwischen Rauchen und Krebsentstehung bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und Dermatomyositis/Polymyositis gezeigt werden [84]. Patienten mit einer Lungenfibrose im Rahmen einer systemischen Sklerose erkrankten am häufigsten an einem bronchioloalveolären Karzinom oder einem Adenokarzinom. Letztendlich ist die Zuordnung von Ursache und Folge zwischen Kollagenose und Tumorerkrankung in vielen Fällen nicht eindeutig zu treffen.
Bei der Dermatomyositis finden sich Infarkte, eine perifaszikuläre Atrophie, Schwellung und Nekrose der Endothelzellen, Ablagerung von Immunkomplexen und Heraufregulierung des Myozyten-spezifischen MHC I im Muskel. Histopathologisch weist die Haut Hyperkeratose, Degeneration und Apoptose epidermaler Basalzellen, eine gesteigerte Muzinexpression und eine zellarme Dermatitis auf. Der genaue pathogenetische Zusammenhang zwischen Malignom und Myositis ist nicht vollständig verstanden [85]. Die Dermatomyositis wurde lange Zeit als humoral vermittelte Erkrankung angesehen. Neuere Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass zellvermittelte Mechanismen und eine Dysregulation der Mechanismen der angeborenen Immunität eine wichtigere Rolle spielen [86]. So werden beispielsweise Myositis-spezifische Autoantigene in hohen Konzentrationen in regenerierenden Zellen myositischer Muskeln und in Krebszellen exprimiert [87].
Klinisch äußert sich die Polymyositis mit Muskelschwäche und Muskelschmerzen. Typischerweise ist die proximale Muskulatur betroffen. Die Dermatomyositis weist charakteristische Hautsymptome wie lilafarbene ödematöse Erytheme (v. a. periorbital), Gottron-Papeln und Teleangiektasien an den Fingernägeln auf.
Die Therapie der Wahl besteht bei der Dermatomyositis in der Gabe von Glukokortikosteroiden [88].
Neurologische Syndrome
Paraneoplastische neurologische Syndrome sind selten bei Krebserkrankungen, jedoch häufig die Ursache für große Einschränkungen und Behinderungen im täglichen Leben. Sie beeinflussen damit ganz wesentlich die Lebensqualität von Tumorpatienten [89]. Beim Lungenkarzinom treten paraneoplastische neurologische Syndrome fast ausschließlich beim kleinzelligen Karzinom auf. Die Prävalenz wird mit 4 bis 5 % angegeben, liegt aber möglicherweise niedriger [90]
[91]
[92].
Ein wichtiger Aspekt in der Pathogenese paraneoplastischer neurologischer Syndrome ist in der Antigengemeinschaft des zentralen Nervensystems (ZNS) und Tumoren (insbesondere des kleinzelligen Lungenkarzinoms) zu sehen. Die Immunantwort des Organismus auf das Malignom kann somit kreuzreaktiv auch Strukturen des Nervensystems schädigen und somit paraneoplastische Symptome hervorrufen. Es sind eine Reihe von Antikörpern im Serum und im Liquor bei paraneoplastischen neurologischen Syndromen beschrieben worden.
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher paraneoplastischer neurologischer Syndrome beim Lungenkarzinom. Die Diagnose wird in der Regel nach Ausschluss anderer Ursachen wie Elektrolytstörungen, Metastasen, Ischämien, Blutungen, Infektionen oder medikamentös-toxischen Effekten gestellt. Zu den häufigeren paraneoplastischen neurologischen Syndromen zählen das Lambert-Eaton-myasthenische-Syndrom (LEMS), limbische Enzephalopathie, Polyneuropathie (PNP), zerebelläre Degeneration, Retinopathie, Opsoklonus-Myoklonus und autonome Neuropathie [90]
[93].
Bei fast allen paraneoplastischen neurologischen Syndromen sind antineuronale Antikörper Typ I nachweisbar, die gegen den Zellkern gerichtet sind, die sog. Anti-Hu-Antikörper [94]. Das Hu-Antigen findet sich in Nervenzellen, die bei Gesunden durch die Blut-Hirn-Schranke vom Immunsystem getrennt sind. Daher haben gesunde Personen keine Anti-Hu-Antikörper. Der Anti-Hu-Antikörper erkennt eine Familie RNA-bindender Proteine (HuD, HuC, Hel-N1 und Hel-N2), die in den Zellkernen von Neuronen und SCLC-Zellen exprimiert werden [95]
[96]. Bei ca. 20 % aller Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom werden im Serum Anti-Hu-Antikörper nachgewiesen. Allerdings entwickeln nicht alle dieser Patienten neurologische Paraneoplasien [93]
[97]. Obwohl die Hu-Antigene eine entscheidende Rolle in der Entstehung und Persistenz des neuronalen Phänotyps spielen, ist ihre Rolle in Tumorzellen ungeklärt. Es gibt sogar keine Evidenz dafür, dass die Anti-Hu-Antikörper ursächlich für die neuronale Schädigung verantwortlich sind [98]
[99]. Die Antikörper sind möglicherweise nur ein Teil einer komplexeren Immunantwort, die ursprünglich gegen das Tumorwachstum gerichtet war und sich im Verlauf auch (fälschlicherweise) gegen andere (neuronale) Strukturen richtete [100]. Unabhängig von seiner exakten pathophysiologischen Rolle ist der Anti-Hu-Antikörper ein wertvoller diagnostischer Marker [101]. Ein weiterer wichtiger Hinweis für eine wichtige Rolle einer autoimmun vermittelten Entzündung in der Pathogenese paraneoplastischer neurologischer Syndrome ist die lymphozytäre Infiltration in Arealen des ZNS, die mit der klinischen Symptomatik korrespondieren, im Rahmen einer Autopsie. Lymphozyteninfiltrate finden sich auch in unmittelbarer Nachbarschaft des Tumors, was die Hypothese stützt, dass eine körpereigene Immunantwort das Tumorwachstum hemmt [102].
Graus und Kollegen untersuchten 200 Patienten mit einer paraneoplastischen Enzephalomyelitis (PEM) und Nachweis von Anti-Hu-Antikörpern. In 83 % der Fälle konnte histologisch oder radiologisch ein Tumor nachgewiesen werden, der in 74 % einem kleinzelligen Lungenkarzinom entsprach [103]. Die PEM ging der Tumordiagnose in 71 % voraus und war in 87 % der Fälle ein Zeichen für eine Progression oder ein Tumorrezidiv. Die Prognose von Malignompatienten mit einer PEM ist eingeschränkt [103]
[104].
Die subakute periphere Neuropathie ist die häufigste neurologische Paraneoplasie beim kleinzelligen Lungenkarzinom [2]. Es kommen sowohl sensorische als auch motorische Ausfälle vor, die über Wochen oder Monate progredient verlaufen. Der Nachweis von Anti-Hu-Antikörpern im Serum kann bei der Diagnosestellung helfen.
Opsoklonus-Myoklonus ist eine weitere seltene neurologische Neoplasie, die am häufigsten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom assoziiert ist [105]
[106]. Als Opsoklonus werden irreguläre, kontinuierliche und konjugierte chaotische Sakkaden der Augen bezeichnet. Wenn der Opsoklonus mit anderen Symptomen auftritt, die auf eine Beteiligung des ZNS hinweisen (Kopf, Myoklonus der abhängigen Partien, Rumpfataxie) wird das Syndrom als Opsoklonus-Myoklonus bezeichnet. Der Nachweis anti-neuronaler Antikörper im Serum der Patienten weist auf eine schlechte Prognose hin [107]. Hassen und Kollegen untersuchten Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom und einem Opsoklonus-Myoklonus [108]. Die Patienten, die keine Chemotherapie erhielten, starben innerhalb von drei Monaten. Dagegen berichtete die Hälfte der Patienten, die mit Zytostatika behandelt wurden, von einer Verbesserung der neurologischen Symptomatik. Einige dieser Patienten hatten sogar sehr lange Überlebenszeiten (6 bis zu 84 Monate).
Das LEMS ist wahrscheinlich das bekannteste paraneoplastische neurologische Syndrom. Es tritt bei ca. 3 % aller Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom auf [91]. Beim LEMS werden regelhaft Antikörper gegen präsynaptische spannungsaktivierte Kalziumkanäle nachgewiesen. Diese Antikörper vermindern den Kalziumeinstrom in die präsynaptischen Endigungen und verhindern so die Bindung von intrazellulären Vesikeln an die präsynaptische Membran und die Freisetzung von Acetylcholin. Die Antikörper sind am häufigsten gegen spannungsabhängige (voltage-gated) P/Q-Kalziumkanäle (calcium channels, VGCC) gerichtet, aber es finden sich auch Antikörper, die gegen spannungsabhängige N-Kalziumkanäle gerichtet sind [109]. Neben dem LEMS findet sich auch ein niedriger Titer von Antikörpern gegen P/Q- und N-Kalziumkanäle in ungefähr der Hälfte von Patienten mit paraneoplastischen enzephalomyeloneuropathischen Komplikationen [109].
Klinisch ist das LEMS durch eine progrediente Muskelschwäche der proximalen Muskeln der unteren Extremitäten charakterisiert. Die Symptomatik kann morgens stärker ausgeprägt sein und sich im Verlauf des Tages bessern. Fatigue, Mundtrockenheit und Ptosis sind ebenfalls typisch [110]. Im Gegensatz zur Myasthenia gravis beobachtet man beim LEMS eine Fazilitation (Zunahme der Kraft nach Anstrengung).
Interessanterweise scheinen Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom und einem LEMS eine bessere Prognose zu haben [111]. Dies muss jedoch sicherlich in prospektiven Studien weiter abgeklärt werden.
Bei der PEM finden sich entzündliche Infiltrate und ein Verlust von Neuronen in verschiedenen Gebieten des Nervensystems [112]. Dies führt in der Regel zu schweren neurologischen Ausfällen. In mehr als 70 % der Fälle geht die PEM der Diagnose eines kleinzelligen Lungenkarzinoms voraus [103]. Bei der Mehrzahl der Patienten mit einer PEM lässt sich der anti-neuronale Antikörper Anti-Hu nachweisen [113]
[114].
Zur Behandlung paraneoplastischer neurologischer Syndrome sind zwei unterschiedliche generelle Therapieansätze versucht worden. Grundlage für diese therapeutischen Ansätze ist die Hypothese, dass die neurologische Symptomatik durch immunologische Mechanismen verursacht wird. Hieraus ergibt sich, dass diese Syndrome entweder durch die Eliminierung der Antigenquelle (also des Tumors) oder Unterdrückung der Immunantwort (Immunsuppression) behandelt werden können. Der Erfolg einer Chemotherapie bei paraneoplastischen neurologischen Syndromen und kleinzelligem Lungenkarzinom ist variabel [115]
[116]. In manchen Fällen führt die zytostatische Behandlung zu einer anhaltenden Symptomverbesserung [2]. Das LEMS kann mit 3,4-Diaminopyridin oder intravenöser Immunglobulingabe behandelt werden. Dieser Ansatz verbessert offenbar die Muskelkraft, wenngleich die Evidenz für solche Therapieansätze aus Studien begrenzt ist [117]. In einer neueren Metaanalyse bestätigte sich die Wirksamkeit von 3,4-Diaminopyridin beim LEMS in verschiedenen Studien, sodass es als Medikament der Wahl in der Behandlung des LEMS anzusehen ist [118]. Bei anderen paraneoplastischen neurologischen Syndromen scheint die Kombination aus einer raschen Chemotherapie und Immuntherapie bzw. Immunsuppression wirksam zu sein [119]
[120]
[121].
Dermatologische Symptome
Dermatologische Symptome sind in der Regel unspezifisch und erlauben keine Unterscheidung zwischen einer malignen oder benignen Grunderkrankung. Akanthosis nigricans bezeichnet eine Gruppe klinisch ähnlicher Hauterkrankungen, die durch meist symmetrisch vorkommende, schmutzig braune bis graue warzenartige Hautveränderungen gekennzeichnet sind. Die Hautveränderungen finden sich vorwiegend in den Achselhöhlen, Gelenkbeugen, im Nacken oder in den Leistenbeugen [122]. Die Akanthosis nigricans maligna ist die paraneoplastisch vorkommende Form. Es existieren Fallbeschreibungen einer Akanthosis nigricans beim pulmonalen Adenokarzinom, beim Plattenepithelkarzinom der Lunge und beim bronchoalveolären Karzinom [123]
[124]
[125]. Die Pathogenese der Akanthosis nigricans maligna ist ungeklärt. Wachstumsfaktoren wie beispielsweise Transforming growth factor (TGF)-α könnten eine wichtige Rolle bei der Hyperplasie und Hyperpigmentation spielen [126]. TGF-α wird von malignen Zellen gebildet und bindet an den Epidermal-growth-factor-Rezeptor (EGFR), der von Tumorzellen exprimiert wird. TGF- α und EGFR fördern über auto- und parakrine Sekretion die Tumorprogression [127]. Neben der Expression in Tumorzellen wird EGFR auch in normalen Keratinozyten exprimiert, insbesondere in den proliferierenden Zellen der basalen Hautschichten.
Die palmoplantare Hyperkeratose (auch als Tylosis bezeichnet) ist sehr selten. In der Literatur finden sich im Wesentlichen Fallbeschreibungen [128]
[129]
[130]. Die palmoplantare Hyperkeratose geht der Tumordiagnose oft Monate bis Jahre voraus [131]. Die Prognose von Krebspatienten mit einer palmoplantaren Hyperkeratose ist schlecht [129].
Ein anderes seltenes, aber klinisch bedeutsames kutanes paraneoplastisches Syndrom ist die Akrokeratitis paraneoplastica (Bazex-Syndrom). Sie wurde erstmals 1965 von Bazex und Mitarbeitern beschrieben [132]. Es handelt sich um papulosquamöse Läsionen, Hyperpigmentation, Keratoderm, Paronychie und Nageldystrophie [133]. Obwohl das Syndrom äußerst selten auftritt, ist es klinisch wichtig, da die Hautsymptome der Tumormanifestation in der Mehrzahl der Fälle um Monate vorausgehen, sodass nach der Diagnosestellung eines Bazex-Syndroms eine Suche nach einem okkulten Tumor durchgeführt werden sollte. Darüber hinaus ist die Akrokeratitis paraneoplastica ein Marker für ein supra-diaphragmales Malignom [134].
Kachexie
Kachexie ist wahrscheinlich eine der häufigsten klinischen Manifestationen einer fortgeschrittenen Krebserkrankung. Sie kommt in ca. 50 % der Fälle vor und ist für ungefähr 25 % aller krebsbedingten Todesfälle verantwortlich [135]. Die Ausprägung der Kachexie ist umgekehrt proportional zur Überlebenszeit und weist auf eine schlechte Prognose hin. In vielen Fällen tritt eine Kachexie erst in späten Stadien beim Vorliegen von Fernmetastasen auf. Es gibt jedoch auch Krankheitsverläufe, in denen sich eine Kachexie wesentlich früher manifestiert, sodass sie durchaus als paraneoplastisches Syndrom aufgefasst werden kann.
Die Kachexie umfasst Anorexie, Gewichtsverlust, Verlust an Muskelmasse, Anämie sowie Störungen im Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoffwechsel. Die Anorexie und die metabolischen Störungen machen den wesentlichen Anteil der Kachexie aus. Krebspatienten weisen oft eine relative Glukoseintoleranz und Insulinresistenz auf. Der Verlust von Fettgewebe beruht wahrscheinlich auf einer verminderten Liponeogenese. Die Lipolyse ist nicht signifikant gesteigert. Häufig lässt sich ein Verlust von Muskelproteinen und eine verminderte Synthese muskulärer Proteine bei Kachexie nachweisen [136]
[137]. Die Proteinsynthese in der Leber ist im Sinne einer akuten Phase-Reaktion verändert wie sie auch bei Traumen, Entzündungen oder Infektionen auftritt. Bei einem großen Teil von Patienten mit einem Lungenkarzinom finden sich vermehrt akute Phase-Proteine. Es besteht eine Korrelation zwischen akuter Phase-Reaktion und Gewichtsverlust bei Lungenkrebs [138]. Daneben sind eine ganze Reihe von Mediatoren beschrieben worden, die eine Rolle bei der Entwicklung einer Kachexie spielen [139]. Der Tumor verhält sich wie ein neues, metabolisch aktives Organ. Es ist aber unklar, ob die Mediatoren vom Tumor selbst oder vom Organismus freigesetzt werden [139]
[140]
[141].
Anorexie entsteht u. a. über die Unfähigkeit des Hypothalamus, adäquat auf Signale zu reagieren, die ein Energiedefizit anzeigen. Generell vermindern serotoninerge Signale im Hypothalamus den Appetit. Bei Krebspatienten sind die Konzentrationen von freiem Tryptophan, dem Vorläufer von Serotonin, erhöht [142]. Ein anderer möglicher Mechanimus, über den die Fähigkeit des Hypothalamus, adäquat auf Hungerreize zu reagieren, gehemmt wird, ist die Inhibierung von Neuropeptid Y (das die Nahrungsaufnahme stimuliert) durch Zytokine wie beispielsweise IL-1 und TNF-α. Zumindest Daten im Tiermodell sprechen für diese Hypothese [143]. Es sind auch Veränderungen in Hormonspiegeln und Zielorgansensitivitäten bei Malignomen beschrieben worden. So können erhöhte Kortisol- und Glukagonkonzentrationen die akute Phase-Reaktionsantwort verstärken [144]
[145].
Eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Kachexie spielen sicher auch proinflammatorische Zytokine wie TNF-α, IL-1, IL-6 und IFN-γ sowie ciliärer neurotroper Faktor (CNTF) [135]. Diese Zytokine hemmen u. a. die Lipoproteinlipase und verhindern auf diese Weise die Speicherung von Fettsäuren in Adipozyten. Neben den Zytokinen des Organismus produziert der Tumor aber auch selbst Mediatoren wie beispielsweise Proteolysis-inducing factor (PIF) und Lipid mobilizing factor (LMF) [146]
[147].
Es gibt derzeit keine spezifische und effektive Therapie der Malignom-bedingten Kachexie. Eine gesteigerte Nahrungsaufnahme zur Behebung der Malnutrition ist durch das Protein-Energie-Defizit und das „Wasting” sowie die Anorexie und das frühe Sättigungsgefühl kaum möglich. Eine ganze Reihe von Substanzen ist eingesetzt worden, um den gestörten Metabolismus zu reparieren. Kortikosteroide sind und werden am häufigsten benutzt, haben aber nur einen kurzzeitigen Effekt. Ibuprofen hat eine gewisse Wirkung aufgrund seiner antiinflammatorischen Eigenschaften. Medroxyprogesteronazetat kann den Appetit steigern und das Gewicht stabilisieren. Eicosapentaensäure kann die Bildung von proinflammatorischen Zytokinen vermindern [4].
Fatigue
Bis zu 90 % aller Malignompatienten geben Fatigue-Symptome an, wohingegen die Prävalenzraten in Studien bei 60 % liegen [148]. Fatigue ist ein sehr subjektiv erlebter multidimensionaler Zustand. Patienten mit Fatigue berichten von physikalischer Erschöpfung, verminderter körperlicher Aktivität, fehlender Motivation und/oder mentaler Erschöpfung [149]. Fatigue kann sowohl durch die Krebserkrankung als auch durch die Behandlung bedingt sein. Die Basismechanismen der Fatigue lassen sich grob in zwei Hauptkomponenten aufteilen: peripher und zentral. Die periphere Fatigue betrifft die neuromuskulären Verbindungen und die Muskulatur. Dies führt dazu, dass das periphere neuromuskuläre System nicht mehr auf zentrale Stimuli reagiert. Die zentrale Fatigue entsteht durch die progressive Abnahme der Impulsübertragung von Motorneuronen. Daraus resultieren Schwierigkeiten, willentlich Handlungen zu initiieren oder aufrechtzuerhalten [150]
[151].
Die Ätiologie der Fatigue ist bisher nur schlecht verstanden. Es sind eine ganze Reihe pathophysiologischer Mechanismen vorgeschlagen worden. Allerdings basieren diese auf Studien an gesunden Probanden nach Belastung oder bei chronischen Erkrankungen wie beispielsweise dem Fatigue-Syndrom im Rahmen der rheumatoiden Arthritis [152].
Es sind verschiedene pathophysiologische Veränderungen bei der Malignom-induzierten Fatigue beschrieben worden. Patienten mit chronischer Fatigue haben offenbar erhöhte Plasmaspiegel an freiem Tryptophan, was möglicherweise zu erhöhten Serotonin-Konzentrationen im ZNS führt [153]
[154]. Ein Anstieg von Serotonin (5-HT)-Spiegeln im Gehirn und/oder eine Vermehrung von 5-HT-Rezeptoren kann möglicherweise zu einer verminderten sensomotorischen Aktivität („sensomotor drive“) führen und dem Eindruck einer reduzierten Kapazität für physikalische Aktivität [155]. Es sind auch erniedrigte Kortisolspiegel bei Patienten mit chronischer Fatigue beobachtet worden, was für eine Beteiligung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse bei Fatigue spricht [156]. Ein anderer wichtiger pathophysiologischer Prozess im Rahmen der Fatigue ist offenbar die Störung der zirkadianen Rhythmik durch den Krebs. Hierunter fallen Störungen der endokrinologischen Rhythmik (z. B.: Kortisol-, Melatonin- und Prolaktinsekretion), der metabolischen Prozesse (z. B.: Körpertemperatur und Proteinkonzentrationen), des Immunsystems (z. B.: Anzahl zirkulierender Leukozyten und neurophiler Granulozyten) und der Aktivitäts-Inaktivitäts-Muster [157]
[158]
[159]
[160]
[161]. Tumoren beeinträchtigen darüber hinaus die Fähigkeit der Skelettmuskulatur ATP (Adenosintriphosphat) zu regenerieren, sodass die Leistungsfähigkeit eingeschränkt wird [155]. So sind ein reduzierter oxidativer Stoffwechsel, vermindertes intrazelluläres ATP in Verbindung mit einer Dysregulation des 2′,5′-Oligoadenylatsynthetase/RNase L-Wegs und eine gestörte ATP-Synthese beschrieben worden [162]
[163]
[164]. Bei vielen Mechanismen, die als relevant für die Entstehung einer Fatigue-Symptomatik angesehen werden, spielen proinflammatorische Zytokine wie das IL-1 oder TNF-α eine wichtige Rolle [165].
Es gibt keine generellen Therapieempfehlungen für die Fatigue. Die Behandlung sollte sich immer an der individuellen Situation und zugrunde liegenden Pathologie orientieren. Neben Antidepressiva, Kortikosteroiden und Psychostimulantien bietet Modafinil eine neue therapeutische Alternative.
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.