Einleitung
Die Livedovaskulopathie ist eine seltene chronisch-rezidivierende thrombotische Gefäßerkrankung
der kutanen Mikrozirkulation [1]
[2]
[3]. Sie wird gekennzeichnet durch das Auftreten einer ausgeprägten Gefäßzeichnung (Livedo
racemosa), schmerzhafter Ulzerationen und der narbigen Abheilung unter dem Bild einer
Atrophie blanche. Hinweise für eine Manifestation der Gefäßerkrankung an inneren Organen
gibt es nicht.
Die pathophysiologische Abgrenzung zu entzündlichen Vaskulitiden hat in der Vergangenheit
immer wieder zu Grundsatzdiskussionen geführt und kann im Einzelfall schwierig sein,
da sich im Zuge der ischämischen Nekrose auch eine Begleitentzündung in der histologischen
Untersuchung zeigen kann. In umfassenderen Arbeiten konnte aber belegt werden, dass
der Livedovaskulopathie eine prothrombotische Neigung zugrunde liegt [3]
[4]. Dies wird zudem offensichtlich, wenn anti-inflammatorische therapeutische Bemühungen
nicht zur Besserung des Krankheitsbildes führen. Nicht bei allen Patienten lässt sich
die Ursache der prothrombotischen Neigung laborchemisch verifizieren – der therapeutische
Einsatz von Antikoagulantien führt aber in der Regel zu einer raschen Besserung des
Krankheitsbildes und untermauert die klinisch gestellte Diagnose [5].
Kausistik
Anamnese: Eine 22-jährige Patientin stellt sich Ende April mit schmerzhaften „offenen Stellen”
der Knöchelregion beider Füße vor. Derartige Stellen seien im 12. Lebensjahr zum ersten
Mal in den Sommermonaten aufgetreten und unter Ausbildung einer Narbe „von alleine
wieder verschwunden”. In Folgesommern sei das Problem wiederholt aufgetreten. Vorstellungen
bei Hausarzt, Hautarzt und Chirurg hätten keine klare Diagnose ergeben. Auch blieben
Therapieversuche mit Antibiotika, Kortison und modernen Wundauflagen ohne Erfolg.
Die Schmerzen durch die Ulzerationen wurden mit Metamizol und Paracetamol behandelt.
Im Umfeld und in der Familie seien derartige Hautveränderungen nicht bekannt. Vor
4 Wochen seien nun wieder erste offene Stellen aufgetreten. Eine zuvor vom Hausarzt
verordnete systemische Steroid-Therapie (1 mg/kg KG für 5 Tage) habe keine Besserung
bewirkt. Das Leiden geht somit insgesamt in die 11. Saison. Die Vorstellung der skeptischen
Patientin erfolgt in der Wundambulanz der Hautklinik ([Abb. 1]).
Abb. 1 a Rezidivierende Ulzerationen hinterlassen irreversible Hautveränderungen an der unteren
Extremität einer 22-jährigen Patientin. Seit dem 11. Lebensjahr sind Krankheitsschübe
aufgetreten. b Das Bild von parallel auftretenden Ulzerationen und Atrophie blanche wird durch postinflammatorische
Hyperpigmentierungen abgerundet. Die Racemosa-Zeichnung ist im vorliegenden Bild gering
ausgeprägt.
Befund: Im Bereich der Fußrücken und medialen und lateralen Malleoli beider Füße finden sich
erythematöse, großflächig konfluierende Plaques mit zentralen Ulzerationen (reißnagelkopfgroß),
teilweise krustig belegt, teilweise als Atrophie blanche mit rostbraunen, unscharf
begrenzten Makulae im Sinne von post-inflammatorischen Hyperpigmentierungen. Angedeutete
Livedo-racemosa-Zeichnung. Die Hautveränderungen überschreiten nicht die untere Hälfte
des Unterschenkels ([Abb. 1 b]). Die Haut ist eher kühl als überwärmt. Die Patientin ist adipös (BMI 34). Keine
Medikamenteneinnahme.
Labor: Neben dem Routinelabor wurde ein Screening auf pro-thrombotische Marker durchgeführt
([Tab. 1]). Es zeigte sich ein leicht erhöhter Spiegel des Lipoproteins(a).
Tab. 1 Livedovaskulopathie-assoziierte prothrombotische Marker.
Laborparameter |
Genetische Untersuchung |
Kryoglobulin Kryofibrinogen Homocystein Vitamin B6 Vitamin B12 Folsäure Protein C Protein S Anti-Thrombin-III-Defizienz Antinukleäre Antikörper Lupus Antikoagulans Anticardiolipin-Antikörper β2-Glykoprotein-1-Antikörper Lipoprotein(a) |
Faktor-V-G1691A-Mutation Prothrombin-G20210A-Mutation MTHFR-C677T-Polymorphismus (Methylentetrahydrofolatreduktase) PAI-1-4G/5G-Polymorphismus (Plasminogenaktivator-Inhibitor) |
Angiologisch-phlebologische Untersuchung: keine Hinweise für arterielle oder venöse Durchblutungsstörungen der Extremitäten.
Histologie: Wanddegeneration und fibrinoide Ausgüsse der Gefäßlumina in der Papillenspitze.
Kaum perivaskuläres leukozytäres Infiltrat ([Abb. 2]).
Abb. 2 Histologisches Präparat mit Wanddegeneration und fibrinoiden Ausgüssen der Gefäßlumina
in der Papillenspitze. Kaum perivaskuläres leukozytäres Infiltrat.
Aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes von a) schmerzhaften Ulzerationen, b) Livedo-racemosa-Zeichnung
(bei Kälte im vorliegenden Fall deutlicher sichtbar), c) Atrophie blanche und dem
histologischen Nachweis von Gefäßverschlüssen der Papillenspitze wird die Diagnose
einer Livedovaskulopathie gestellt. Differenzialdiagnostisch relevante Erkrankungen
wie Panarteriitis nodosa, traumatische Ulzerationen, pAVK, venöse Ulzerationen oder
ein Pyoderma gangraenosum konnten, wie oben beschrieben, ausgeschlossen werden. Auch
fanden sich bei der Patientin keine Hinweise für eine Autoimmunopathie (SLE, Sjögren-Syndrom),
welche ebenfalls mit einer Livedovaskulopathie einhergehen können.
Als prothrombotischer Risikofaktor konnte ein erhöhter Spiegel von Lipoprotein(a)
dargestellt werden. Diese Spiegel sind genetisch determiniert und lassen sich weder
alimentär noch medikamentös wirkungsvoll beeinflussen. Lp(a) wurde unlängst als unabhängiger
Risikofaktor für thrombembolische Ereignisse nachgewiesen – ob dies auch für die Livedovaskulopathie
gilt, kann nur an größeren Patientenkollektiven bestimmt werden [6]
[7].
Zur Prophylaxe der rezidivierenden Thrombosierung der kutanen Mikrozirkulation wurde
eine Therapie mit niedermolekularem Heparin (Enoxaparin – Clexane® 1 mg/kg KG täglich) initiiert. Innerhalb von einer Woche ließen die Schmerzen der
kutanen Läsionen nach. Die vorhandenen Herde heilten im weiteren Verlauf narbig ab.
Neue Ulzerationen traten ab dem Spätherbst nicht mehr auf – auch nicht nach Absetzen
der Heparin-Spritzen ([Abb. 3]).
Abb. 3 Detailausschnitt der medialen Fersenregion der Patientin unter Enoxaparin-Therapie.
Die zuvor krustös belegten Ulzerationen sind abgeheilt. Es sind keine weiteren Hautinfarkte
mehr aufgetreten und die Ulzerationsneigung ist zum Stillstand gekommen.
Diskussion
Wenn schon die Diagnose nicht einfach ist, so stellt die Therapie der Livedovaskulopathie
für den behandelnden Dermatologen erst recht eine besondere Herausforderung dar, weil
es bis heute keine für die Behandlung zugelassenen Präparate gibt. Mit einer Inzidenz
von unter 1 : 100 000 ereilt die Livedovaskulopathie das Schicksal der „orphan disease”,
für die nur selten Zulassungsstudien durchgeführt werden.
Der Einsatz von gerinnungshemmenden Medikamenten ist vom Pathomechanismus her einleuchtend
und in entsprechenden Fallberichten in der Literatur beschrieben [1]
[2]
[7]
[8]
[9]
[10]. In der deutschsprachigen Literatur überwiegt der Einsatz von niedermolekularen
Heparinen [5]. Die gute Dosierbarkeit und im Zweifelsfall kürzere Halbwertszeit sind Vorteile
gegenüber der Dauertherapie mit Marcumar. Allerdings erfordert die Dosierung von 1 mg/kg
KG therapeutische Entschlossenheit und sollte mit dem Patienten hinsichtlich der Kontrolluntersuchungen
besprochen werden [11].
Da die Erkrankung meistens Frauen (75 %) und – wie im vorliegenden Fall – jüngere
Patientinnen betrifft, gilt es auch das Thema der Verhütung anzusprechen. Bei prothrombotischer
Neigung wird der Einsatz der „Pille” aus hämostaseologischer Sicht kritisch gesehen
und Alternativen sind empfehlenswert.
Die Ätiologie der Erkrankung ist lange strittig gewesen und auch heute noch nicht
bis ins letzte Detail verstanden – es setzt sich aber zunehmend das Verständnis durch,
dass es sich um ein rezidivierendes Gerinnungsleiden der Haut handelt [12]. Insbesondere die starken Ischämie-Schmerzen der Haut, welche von einigen Patienten
auch schon prodromal vor Auftreten von Hautläsionen gespürt werden, rechtfertigen
es, die Livedovaskulopathie als Hautinfarkt zu bezeichnen. Verschlüsse der Mikrokapillaren
führen zu kutaner Ischämie und konsekutiven Nekrosen. Die Dringlichkeit der Behandlung
liegt auf der Hand: Die Antikoagulation kann in der Ischämiephase noch eine Hautnekrose
verhindern, danach führt jede Ulzeration zwangsläufig zu einer Narbe. Dies führt von
Schub zu Schub über die Zeit zu teilweise einem entstellenden Hautbild der unteren
Extremität. Analog der Situation arterieller Verschlüsse bei Herz und Hirn gilt daher
„Time is skin”. Nur die Ulzerationsprophylaxe kann Spätfolgen verhindern.
Unklar ist derzeit noch die Frage nach der Dauer der antikoagulatorischen Therapie.
Die Ursache der thrombotischen Neigung kann nicht immer aufgeklärt werden und somit
fehlen feste Parameter für die Therapiebedürftigkeit. Angepasst an den individuellen
Verlauf der Erkrankung, propagiert der Autor in Ermangelung von Leitlinien einen pragmatischen
Ansatz. Die Antikoagulation wird für mindestens 4 Wochen fortgeführt – treten in diesem
Zeitraum keine neuen Ulzerationen auf und befinden sich die bestehenden in Abheilung,
ist ein Auslassversuch zulässig. Dieser kann so lange fortgeführt werden, bis etwaige
neue Läsionen auftreten. Hier hat sich die Führung eines Patiententagebuchs mit Dokumentation
des Hautschmerzes (Ischämie!) auf einer Visuellen Analogskala (VAS-Score) bewährt.
Neue Schübe lassen sich durch Wiederaufnahme der Heparin-Therapie noch vor der Ausbildung
von irreversiblen Nekrosen abfangen.
Im vorliegenden Fall ist die Patientin von April bis Oktober antikoaguliert worden.
Im Folgejahr sind bisher (12 Monate später) keine Läsionen aufgetreten. Untersuchungen
an größeren Patientenkollektiven werden uns Dermatologen hoffentlich weitere Erkenntnisse
dieser Gerinnungserkrankung bringen.
Anmerkung
Der Autor steht für Rückfragen zur Erkrankung gerne zur Verfügung und begrüßt ausdrücklich
die Kontaktaufnahme für Fallanfragen.