Gegenstand und Form der Patientenverfügung
Das bisher lediglich richterrechtlich fortgebildete Recht der Patientenverfügung ist
nun seit 1. 9. 2009 in §§ 1901 a – c des Bürgerlichen Gesetzbuchs gesetzlich festgelegt.
Nach § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Patientenverfügung die schriftliche Festlegung
eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit,
ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende
Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe
einwilligt oder sie untersagt. Der Patient übt damit sein Selbstbestimmungsrecht im
Hinblick auf seine künftige Behandlung aus. Eine notarielle Beurkundung ist hierbei
nicht notwendig; auch ist die Angabe von Zeit und Ort für die Wirksamkeit der Patientenverfügung
nicht erforderlich. Der Widerruf der Patientenverfügung ist jederzeit formlos möglich,
§ 1901 a Abs. 1 Satz 4 BGB.
Bindungswirkung der Patientenverfügung
Behandlungswunsch
Abzugrenzen von der Patientenverfügung ist der Behandlungswunsch gemäß § 1901 a Abs.
2 Satz 1 BGB, nach dem der (ärztliche) Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen
Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden hat, ob
er in eine ärztliche Maßnahme nach Abs. 1 einwilligt oder sie untersagt, wenn keine
Patientenverfügung vorliegt oder die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf
die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.
Bindung des Arztes
Die Bindungswirkung einer Patientenverfügung tritt dann ein, wenn zwischen der in
der Patientenverfügung enthaltenen Einwilligung bzw. Untersagung derselben und dem
ärztlichen Eingriff eine gewisse Übereinstimmung besteht. Dabei bindet die Patientenverfügung
nur den Arzt, nicht aber den Patienten, da sie nur solange gilt, bis er seine Erklärung
ändert oder konkrete Anhaltspunkte für eine Willensänderung vorliegen. Für den Arzt
ergibt sich die Verbindlichkeit einer antizipierten Einwilligung für konkrete behandlungsbezogene
Wünsche aus den allgemeinen Grundsätzen des Medizinrechts für die Einwilligung in
ärztliche Maßnahmen [1].
Auslegung
Dabei bedarf jede Patientenverfügung der Auslegung. Da sich der Patient zu der Behandlungsmaßnahme
nicht mehr äußern kann, ist die frühere Erklärung heranzuziehen und auszulegen, was
der Patient mit seiner Patientenverfügung für die in der aktuellen Behandlungssituation
anstehende Entscheidung über die ärztliche Maßnahme erklären wollte. Hierzu gehört
auch die Pflicht, nahestehende Personen und Angehörige des Patienten einzubeziehen.
Bei einer Entscheidung auf Grundlage des mutmaßlichen Willens ist allein auf individuelle
konkrete Kriterien zurückzugreifen, damit Entscheidungen am Lebensende wirklich die
erforderliche Rückbindung an das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen wahren [2].
Reichweite
Gemäß § 1901 a Abs. 3 BGB gilt die Patientenverfügung unabhängig von Art und Stadium
der Erkrankung des Patienten. Denn bei einer Reichweitenbegrenzung wäre es äußerst
zweifelhaft, ob einem Arzt eine sichere Entscheidung darüber möglich sei, ob der Patientenwille
beachtet werden darf oder ob der Patient den Eingriff gegen seinen Willen erdulden
muss.
Nach der gesetzlichen Regelung wird darauf vertraut, dass der mündige Bürger eine
Verfügung nur mit dem Inhalt errichtet, den er auch tatsächlich vor sich verantworten
kann, und dass er sich Rat einholen wird, dem er für eine verantwortungsbewusste Entscheidung
über die Art seines Lebensendes bedarf.
Als Kompensation für den Wegfall der Reichweitenbegrenzung und den Verzicht auf eine
verbindliche Beratung wurde gemäß § 1901 b BGB ein Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens
festgelegt. Hier muss der Arzt in einem Gespräch mit dem Vertreter des Patienten zu
einer Entscheidung gelangen, die dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Dabei
soll eine Abwägung zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht des Patienten
stattfinden.
Ohne die Einwilligung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten darf der Arzt keine medizinisch
indizierte Maßnahme unterlassen, auch wenn eine Patientenverfügung vorliegt, die einen
entsprechenden Willen des Bevollmächtigten nahelegt. Denn die Patientenverfügung kann
ärztliches Handeln nicht rechtfertigen [3]. Nicht der Arzt, sondern der Betreuer bzw. Bevollmächtigte entscheidet, ob und welche
der getroffenen Festlegungen auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zutreffen,
§ 1901 a – c BGB.
Auch hier gelten die allgemeinen Grenzen der Patientenautonomie (§§ 134, 138 BGB),
sodass niemand einen anderen mittels einer Patientenverfügung von dem strafrechtlichen
Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) freistellen oder einen Anspruch auf eine
nicht indizierte oder gar kontra-indizierte ärztliche Maßnahme begründen kann [4].
Das Grundrecht auf (gesundheitliche) Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 2 GG, beinhaltet
auch das Recht zu sterben, sodass ein Behandlungsveto eines Patienten vom Arzt beachtet
werden muss, auch wenn die Nichtbehandlung zum Tode führt [2].
Strafbarkeit/Haftung bei Nichteinhaltung der Patientenverfügung
Bei Nichtbeachtung der Patientenverfügung muss der Arzt mit haftungs- und strafrechtlichen
Folgen rechnen, denn der Arzt ist verpflichtet, den Patientenwillen zu beachten.
So kann der Arzt wegen Körperverletzung, bei unterlassener Behandlung oder nicht gerechtfertigtem
Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen wegen eines Tötungsdeliktes oder unterlassener
Hilfeleistung strafrechtlich verfolgt werden [5].
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB liegt dabei
nicht vor, da hier keine Sorgfaltspflichtverletzung darin gesehen werden kann, dass
der Arzt eine Behandlung vornimmt, ohne zuvor Nachforschungen über das Vorhandensein
einer Patientenverfügung angestellt zu haben, da diesen insoweit keine Nachforschungspflicht
trifft [6].
Ebenso kommt eine Haftung gemäß § 823 BGB in Betracht, die zu zivilrechtlichen Schadenersatz-
und Schmerzensgeldansprüchen führt.
Interessenkonflikt
Durch die Festschreibung der Patientenverfügung ins Gesetz ergibt sich nun ein grundsätzlicher
Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und dem Integritätsschutz des Patienten,
da ein Behandlungsveto eines Patienten beachtet werden muss, auch wenn dies zum Tode
führt. Neben dem Abwehrrecht ist jedoch auch die Dimension eines staatlichen Schutzrechts
aus Art. 2 Abs. 2 GG zu beachten. Dies ist auch Gegenstand der Kritik der gesetzlichen
Festschreibung der Patientenverfügung. Aufgrund dieser Kollision sollte zumindest
eine fachkundige (notarielle oder anwaltschaftliche) Beratung der Patientenverfügung
für ihre Wirksamkeit vorausgehen [2].