Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(2): 92
DOI: 10.1055/s-0030-1253587
DFR-Mitteilungen

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Reisemedizin und Fürsorgepflicht – Medizinische Versorgung bei Auslandsaufenthalten

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Publication Date:
19 April 2010 (online)

 
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Gerade bei Reisen in die Tropen und Subtropen können viele Erkrankungen oder Befindlichkeitsstörungen auftreten. Der internationale Reiseverkehr hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Vor allem aber auch bei beruflichen Reisen in tropische und subtropische Länder gibt es gesundheitliche Risiken. Hierzu zählt auch ein oft erhöhtes Unfallrisiko. Die Hälfte aller in diese Länder Reisenden erkrankt während oder nach der Reise. Rund 10 % müssen wegen dieser gesundheitlichen Probleme einen Arzt aufsuchen. Etwa 8 % erkranken so schwer, dass sie vorübergehend bettlägerig werden. Immerhin noch 3 % dieser Reisenden sind auch nach der Rückkehr von der Reise noch arbeitsunfähig.

Die Information über gesundheitliche Risiken im Ausland und das Wissen, wie man diese Gesundheitsrisiken vermeidet oder reduziert, ist eine Aufgabe der Reisemedizin. Sie bedient sich dabei unter anderem der Erkenntnisse der Tropenmedizin. Reisemedizin umfasst aber auch die Betreuung von Patienten während ihrer Reise bis hin zu Rücktransporten. Dabei greift die Reisemedizin auf Erfahrungen oder die Hilfe der Assistancemedizin zurück.

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Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Privat ins Ausland Reisende haben die Möglichkeit, sich freiwillig von reisemedizinisch fortgebildeten Ärzten vor ihrer Reise beraten zu lassen. Sie können vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen oder Malariaprophylaxe in Anspruch nehmen und sich durch eine Auslandskrankenversicherung finanziell absichern. Die Zuständigkeit, all diese Maßnahmen zu initiieren, liegt beim Reisenden selbst.

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Bild: Stefan Eßer

Bei beruflich Reisenden gelten andere Voraussetzungen. Ein Arbeitgeber kann seine Mitarbeiter zwar im Normalfall nicht zu einer Auslandsreise zwingen. Dennoch wird der Arbeitnehmer in vielen Fällen dem Wunsch seiner Firma, im Ausland zu arbeiten, nur schwer widersprechen können. Hieraus ergibt sich eine besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die der Gesetzgeber teilweise formuliert. Der Unternehmer hat auch sicherzustellen, dass die Mitarbeiter durch ihre Tätigkeit keine gesundheitlichen Schäden erleiden. In Deutschland wird dies sogar durch die Unfallversicherer festgelegt.

Für die medizinische Vorbereitung einer länger währenden Auslandsreise in Regionen mit erhöhtem Gesundheitsrisiko haben die Berufsgenossenschaften in Deutschland schon vor gut 30 Jahren einen eigenen Grundsatz erlassen (G 35). Dieser gibt Anhaltspunkte und Hinweise für gezielte arbeitsmedizinische Vorsorge bei beruflichen Tätigkeiten im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen. Eine Erstuntersuchung nach G 35 ist formal ab einer Gesamtaufenthaltsdauer von 3 Monaten pro Jahr im Ausland vorgeschrieben. Die Durchführung der Erstuntersuchung gemäß G 35 obliegt in der Regel dem Betriebsarzt und umfasst eine Tauglichkeitsbeurteilung sowie eine arbeits- und reisemedizinische Beratung. Im Anschluss an den Aufenthalt sind Rückkehruntersuchungen vorgesehen. Trotz dieser berufsgenossenschaftlichen Regelung liegen hier immer noch große Defizite vor.

Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ("duty of care") erlischt aber nicht mit dem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland. Auch am neuen Arbeitsplatz in entlegenen Regionen muss der Mitarbeiter sich auf eine medizinische Versorgung verlassen können. Dort können einerseits besondere gesundheitliche Risiken vorliegen (Infektionskrankheiten, psychische Belastung, Unfallrisiko) und andererseits gegenüber Europa eine deutlich schlechtere medizinische Infrastruktur vorhanden sein. In Deutschland wird dies durch gesetzliche Vorgaben zum Arbeitsschutz geregelt.

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Organisatorische Maßnahmen obliegen dem Arbeitgeber

Eine rein finanzielle Absicherung der gesundheitlichen Risiken des Arbeitnehmers bei einem Langzeitaufenthalt im Ausland durch eine Auslandskrankenversicherung reicht nicht aus, um die Fürsorgepflicht zu erfüllen. Vielmehr muss der Arbeitgeber auch die organisatorischen Maßnahmen sicherstellen, die unter anderem eine medizinische Versorgung im Ausland und unter besonderen Bedingungen garantieren. Er kann dies durch eigene Organisationseinheiten tun oder die Dienste an andere Organisationen delegieren.

Große Unternehmen, insbesondere aus den Bereichen Energiewirtschaft, Bergbau oder Infrastruktur (EMI: "energy, mining and infrastructure"), unterhalten teilweise eigene medizinische Einrichtungen ("clinics"). Vor allem mittelständische und kleinere Unternehmen deligieren diese Tätigkeit an professionelle Anbieter medizinischer Leistungen. Hierzu stehen assistancemedizinische Dienste mit Alarmzentralen und versierte Organisationen mit weltweiten medizinischen Dienstleistungen ("global medical services") zur Verfügung. Es ist unter anderem auch eine Aufgabe aller reisemedizinisch tätigen Ärzte, beruflich Reisende und den Arbeitgeber auf die Notwendigkeit, die medizinische Betreuung auch im Ausland zu garantieren, hinzuweisen.

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Reisemedizinische Relevanz

Der DFR will sich in Zukunft verstärkt auch um alle Belange reisemedizinischer Versorgung während des Auslandsaufenthalts kümmern. Hierzu gehören Curricula für die reisemedizinische Ausbildung und die Errichtung eines Fachausschusses Assistancemedizin. Der neue Vorstand hat sich dieser Aufgaben angenommen und für die nächste Amtsperiode entsprechende Planungen angestellt. Kollegen, die in der Assistancemedizin oder auch sonst in der Auslandsbetreuung von Reisenden erfahren oder interessiert sind, sind herzlich eingeladen, mitzuarbeiten.

Dr. Stefan Eßer, M. P. H., Neu-Isenburg

 
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